Neues Greenwald-Buch

Router mit integriertem Geheimdienstzugriff kommen frei Haus

13.05.2014 von Simon Hülsbömer
Der US-Geheimdienst baut kräftig an den Netzwerkkomponenten amerikanischer Hersteller mit. Das stellt Glenn Greenwald in seinem neuen Buch "No Place to Hide" noch einmal klar.

Schon länger rät die US-Regierung von Router-Käufen in China ab - allen voran von Equipment der Hersteller ZTE und Huawei -, weil die Netzwerkkomponenten von der chinesischen Regierung unterwandert seien. Guardian-Reporter Greenwald stellt in seinem heute erscheinenden Buch "No Place to Hide" aber klar: Wer seine Hardware stattdessen in den Staaten bezieht, wird vom dortigen Geheimdienst ebenso überwacht.

Bereits seit einiger Zeit ist bekannt, dass viele große IT-Konzerne freiwillig oder unfreiwillig mit dem US-Geheimdienst gemeinsame Sache machen. Neu sind einige Details, die Greenwald nun veröffentlicht: Die NSA zapfe Router, Server und anderes Netzwerk-Equipment physisch an, um Überwachungssoftware darauf zu installieren, bevor die Hardware beim Anwenderunternehmen ankomme. Dazu werden Postsendungen abgefangen und geöffnet oder noch in der Fabrik bearbeitet. Mit ihren Tools erhalte der Geheimdienst Zugriff auf das gesamte interne Unternehmensnetz, in dem betreffende Hardware eingebaut werde, schreibt Greenwald. Beispielsweise sei es in einem Fall möglich gewesen, einen Sender einzuschleusen, der im ersten Schritt an die NSA zurückgefunkt habe, damit dieser im zweiten Schritt das Netzwerk habe weiter auskundschaften können, schreibt der Journalist.

Einmal "drin", ist alles möglich

Die neuen Vorwürfe weiteten die bereits bekannten Möglichkeiten der NSA noch aus, was die Überwachung des Internet-Verkehrs angehe, sagt Ranga Krishnan, Technologieexperte der Electronic Frontier Foundation in einem Bericht des "Guardian". Er verweist beispielsweise auf die Snowden-Dokumente, die belegen, dass die NSA Googles internes Glasfasernetzwerk unterwandert hat, mit der Konzern lange Zeit unverschlüsselt Daten zwischen seinen Rechenzentren ausgetauscht hat. "Die meisten Unternehmen funktionieren so - sind Sie erst einmal im internen Netz angekommen, haben Sie Zugriff auf alle Daten, die unverschlüsselt vorliegen." Jede Sicherheitslücke, die eine Regierung in ein Unternehmensnetz einbringe, öffne dieses zudem für Angriffe von weiteren Parteien.

Schon länger wird vermutet, dass US-Netzwerkkomponenten von der NSA beeinflusst sind. So zeigt sich beispielsweise Weltmarktführer Cisco seit einiger Zeit besorgt darüber, dass möglicherweise auch die geheimdienstlichen Aktivitäten der USA seine Umsätze in China drückten. Weil aber mutmaßlich sowohl chinesische als auch amerikanische Hardware überwacht wird, rät Krishnan allen Käufern von Netzwerkequipment dazu, belastbare Beweise einzufordern, dass potenzielle Zulieferer wirklich sichere Geräte herstellen. (hal)

Die Lehren aus der NSA-Affäre -
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht."
Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst."
Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben."
Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt."
James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf."
Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen."
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst."
Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance."
ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."