Ringen um Standards

27.04.2001
Die Vielzahl der Standardisierungsgremien zeigt, wie schlecht es bislang um die Kompatibilität von Storage Area Networks bestellt ist - zumindest wenn diese von verschiedenen Herstellern stammen. Nur eine penible Planung kann verhindern, dass die mangelhafte Verträglichkeit zu Engpässen, Performance-Problemen oder Instabilitäten führt.

Von: Berthold Wesseler

Die IT-Manager großer und mittelständischer Unternehmen kommen nicht umhin, sich im Zeitalter der Vernetzung und des E-Commerce über Speicherkonsolidierung, Backup, Katastrophenvorsorge und Entlastung der Unternehmensnetze wieder grundsätzlich Gedanken zu machen. Als neue Option der Speicheranbindung an Server verspricht das Storage Area Network (SAN) Wirtschaftlichkeit durch "Economies of Scale" im Speichermanagement und eine vereinfachte, zentrale Verwaltung der Daten.

Das SAN als Highspeed-Netz erlaubt direkte Verbindungen zwischen Servern und Speichersystemen, die gemeinsam genutzt und zentral gesteuert und verwaltet werden. Es erfordert ein zuverlässiges Zusammenarbeiten zahlreicher Komponenten. Das stellt abhängig von Größe, Last und Heterogenität unterschiedliche Anforderungen an Integration, Service und Support. Daher basiert ein SAN bisher in der Regel auf den Produkten eines einzigen Server- oder Storage-Herstellers, der für die Integration sorgt. Sowohl Speicher- als auch Server-Anbieter verwenden wiederum Produkte der Fibre-Channel-Spezialisten wie Brocade, Gadzoox, McData, Inrange und anderen.

anbindung an Server verspricht das SAN Wirtschaftlichkeit durch eine vereinfachte, zentrale Verwaltung der Daten.

Von dem Qualitätsniveau heutiger LAN- und WAN-Standards ist der SAN-Markt noch weit entfernt. Zwar sind erste Standardschnittstellen für Connectivity, Anwendungsprogramme (API) und Management verabschiedet, doch wetteifern noch zu viele Hersteller in unterschiedlichen Gremien und mit ständig neuen Produkten um die Wahl des "richtigen" Standards.

Die wichtigen Hersteller im SAN-Markt haben durchaus die Notwendigkeit erkannt, sich auf Standards zu einigen. Sie haben sich daher in Standardisierungs-Organisationen, Industrieverbänden und lockeren Herstellergruppierungen zusammengeschlossen, die SAN-Standards entwickeln und publizieren.

Marktentwicklung

Die Gremien lassen sich grob in drei Bereiche mit unterschiedlichen Aufgaben unterteilen: Marktentwicklung, De-facto-Standards und offizielle Normen. Die erste Gruppe ermittelt die Anforderungen an künftige Standards, führt Markterhebungen durch und veranstaltet User-Konferenzen und Technikschulungen. Die wichtigsten Organisationen in diesem Bereich sind die Storage Network Industry Association (SNIA), die Fibre Channel Industry Association (FCIA) und die SCSI Trade Association (SCSITA).

Einige dieser Organisationen befassen sich auch mit der Entwicklung von De-facto-Standards, die maßgeblich von zwei "Motoren" angetrieben wird. Der eine wird, wie erwähnt, von speziellen Arbeitsgruppen der Marktentwicklungs-Organisationen wie SNIA oder FCIA gebildet, der andere aus lose geformten Partnerschaften der Herstellerfirmen, die als "Pressure Groups" ihre Normen durchboxen wollen. Dazu zählen im SAN-Markt vor allem Jiro (unter Führung von Sun), die Fibre Alliance (EMC) und die Open Standards Fabric Initiative (OSFI) der FC-Switch-Hersteller.

Daneben sind diverse Herstellerallianzen aktiv, in denen ein Unternehmen die Führung übernimmt mit dem Ziel, die eigene Produktpalette durch kompatible Produkte von Geschäftspartnern zu einem SAN-Gesamtangebot zu ergänzen. Dazu zählen unter anderem Ensa (Compaq), Open-SAN (Metastor), SAN Solution Provider (Tim), Tachyon (Agilent) und SAN-Ware (Data Direct). Auch die Anbieter der Backup-Tools haben Allianzen gegründet, beispielsweise das Celestra Consortium (Legato), die V3-SAN-Initiative (Veritas) und Saniti (Computer Associates).

Diese Verbände entwickeln Definitionen für Architekturen, veröffentlichen White Papers und arrangieren technische Konferenzen. Die OSFI, ein Zusammenschluss von fünf Herstellern, hat eine Initiative angekündigt, die Standards für eine Interoperabilität der Switches zum Durchbruch verhelfen soll. Die endgültigen Normen werden von offiziellen Standardisierungs-Organisationen wie ISO oder der Internet Engineering Task Force (IETF) verabschiedet. In der Regel nutzen sie die von den ersten beiden Gruppen unterbreiteten Vorschläge, verfeinern diese und erarbeiten einen konsensfähigen Vorschlag, der schließlich als Standard definiert und veröffentlicht wird.

Die SNIA ist ein internationales Industrieforum von Entwicklern, Integratoren und Systemexperten mit dem Ziel, Speichernetze zu einer effizienten und verlässlichen IT-Lösung zu machen. Unter den mehr als 125 Mitgliedsfirmen sind praktisch alle wichtigen Server-, Speicher- und FC-Hersteller. In der SNIA ist auch eine Arbeitsgruppe für die Entwicklung von Standards für Network Attached Storage (NAS) aktiv.

Die Fibre Channel Industry Association (FCIA) entstand im Herbst 1999 aus dem Zusammenschluß der Fibre Channel Association (FCA) mit der Fibre Channel Loop Community (FCC). Darin sind derzeit über 150 Firmen vertreten. Ihr Ziel ist es, durch geschicktes Marketing eine hohe Akzeptanz für FC-Produkte zu schaffen, sowie entsprechende Standards durchzusetzen, die eine Interoperabilität zwischen den Produkten der Mitgliedsfirmen ermöglichen.

Zu diesem Zweck hat die FCIA beispielsweise kürzlich das "Sanmark"-Programm angekündigt. Das entsprechende Logo auf FC-Produkten soll dem Käufer bescheinigen, dass das Gerät sich in Tests als standardkonform erwiesen hat. Auf diese Weise hoffen die Hersteller, nicht nur heterogene SAN-Ressourcen gemeinsam nutzbar zu machen, sondern auch ein Management-Framework für den SAN-Einsatz über WAN-Verbindungen zu schaffen.

In den USA haben sich mehr als 50 Konzerne, Universitäten und Forschungseinrichtungen zum National Storage Industry Consortium (NSIC) zusammengeschlossen. Die IETF entwickelt beispielsweise die für das SAN-Management bedeutsamen formalen Standards für die Management Information Blocks (MIB) und das zugehörige Simple Network Management Protocol (SNMP).

10-Gigabit-Fibre-Channel

Die jüngste Entwicklung ist ein Standardvorschlag für einen 10 GBit/s schnellen Fibre Channel, den die FCIA im vergangenen Herbst unterbreitet hat. Der Entwurf soll eine um den Faktor zwölf gesteigerte Baudrate gegenüber dem heute auf 1 GBit/s standardisierten Fibre Channel möglich machen. Der Abschluss der Standardisierung ist laut CIA-Chairman Skip Jones schon im kommenden Jahr zu erwarten, sodass erste Fibre Channel-Implementierungen gemäß dem 10GFC-Standard voraussichtlich Anfang 2002 erfolgen können.

Kernbestandteil des neuen Standards sind neben gemeinsamen Link-Architekturen mit der Ethernet-Welt und der künftigen Infiniband-Speicherarchitektur auch die Definitionen für die Logikeinheiten und Zugriffsverfahren für Single- und Multimode-Glasfaser auf der physikalischen Ebene im LAN- und WAN-Bereich. Dabei wird 10GFC sowohl WAN- als auch MAN-Übertragungen über native Dark Fiber (DWDM) sowie Sonet/SDH unterstützen. Somit lassen sich künftig auch die durch die auf Zehn-Kilometer-Beschränkung entstandenen SAN-Inseln per Highspeed-Link verbinden.

Die Abstimmung auf die Ethernet- und Infiniband-Techniken auf der physikalischen Ebene soll es darüber hinaus sogar möglich machen, über die gleichen Kabel, Konnektoren und optischen Transceiver alle drei dieser Übertragungsverfahren mit bis zu 10 GBit/s zu nutzen. Das SAN könnte die Schnittstelle zwischen Server und Speicher wesentlich verändern. Es wundert daher nicht, dass auch die SCSI Trade Association (SCSITA) bei den Standardisierungs-Bemühungen mitmischt.

An dieser Schnittstelle arbeitet auch die Infiniband Trade Association. Um einen gemeinsamen Nachfolger für den PCI-Bus zu entwickeln, haben sich darin die zunächst gegeneinander arbeitenden Gruppen um IBM und Intel zusammengeschlossen und im letzten Dezember die Version 1.0 dieses neuen Bus-Standards veröffentlicht. Bei Infiniband handelt es sich um eine I/O-Architektur auf Basis der vom Fibre Channel bekannten Switched-Fabric-Technik. Das I/O-System wird wie bei Mainframes über die Punkt-zu-Punkt-Verbindungen (Kanäle) vom Arbeitsspeicher entkoppelt. Der gemeinsam genutzte Bus als potenzieller Engpass entfällt, mehrere Datenströme lassen sich parallel abarbeiten. Die Adapter und Links, die eine Bandbreite von derzeit bis zu 2,5 GBit gestatten, sollen kompatibel mit der Fibre-Channel-Verkabelung sein.

Die gemeinsame Nutzung von Infiniband und FC-SAN könnte durchaus klappen. Crossroads hatte erst kürzlich ein so genanntes Fibre-Channel-Routing über eine Infiniband-Architektur vorgeführt.

Diese Verbindung ermöglicht es, die beiden Techniken unabhängig von Protokoll und Infrastruktur gemeinsam über die gleiche Verkabelung zu nutzen. Noch bleibt einiges zu tun, bis stabile Infiniband-Produkte verfügbar sind und ihre Praxistauglichkeit nachgewiesen haben. Immerhin liefert Intel seit Ende Januar erste Samples von Chip-sets aus. Auf dem Intel Developer Forum in San Jose war ein vollständiges Infiniband-Netz mit einer Switched Fabric als Herzstück zu sehen. Adaptec, Agilent, Compaq, Computer Associates, LSI Logic und Q-Logic beteiligten sich ebenfalls an dieser Technikdemonstration. Neben Crossroads hat von den SAN-Spezialisten mittlerweile auch Brocade Interesse an Infiniband gezeigt und sich in die Phalanx der Förderer dieser Technik eingereiht.

Werden im ersten Schritt die Fibre-Channel-Daten über Infiniband-Netze übertragen, könnte in einem zweiten Schritt SCSI folgen. Doch bis die neue Bus-Technik als natives Speicher-Interface in Netzwerken auf breiter Front zum Tragen kommt, wird es nach Einschätzung der Experten von Gadzoox noch etwa drei Jahre dauern. Das liegt daran, dass viele Details fehlen, etwa ein Mapping der geeigneten Protokolle für Block-I/O wie SCSI. So werden auf absehbare Zeit die Speichernetze wohl über Brü-cken beziehungsweise Adapter an Infiniband-Server und -Speicher angeschlossen, die Fibre Channel in Infiniband umwandeln beziehungsweise umgekehrt.

Um für diese stürmische Entwicklung gerüstet zu sein, müssen bei der Konzeption von SAN-Infrastrukturen die verschiedenen Standards berücksichtigt werden. Derzeit können allein aufwändige Tests Aufschluss über die tatsächliche Standardkonformität der Produkte geben. Dabei helfen die SAN-Testzentren, denn ein Ende des Ringens um die Standards ist noch lange nicht in Sicht. Die SAN-Zukunft hat gerade erst begonnen. (ok)

Zur Person

Berthold Wesseler

ist freier Journalist in Brühl/Rheinland.