Rechnung als Erfolgsfaktor

02.06.2000
Bei der Auswahl und dem Einsatz von Billing-Systemen müssen TK-Anbieter und Internet-Serviceprovider heute eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen. Der erste Teil dieses Beitrags behandelt die Projektinstallation, die Vorgehensweise und die Erstellung des Konzeptes.

Von: Ralf Müller

Einer der wichtigsten Aspekte bei der Einführung eines Abrechnungssystems ist der ganzheitliche Ansatz. Beginnend bei der Unternehmensstrategie und den -zielen muss im Einklang damit die Produkt-, Service-, Kommunikations- und Kundenwertstrategie bestimmt und festgelegt werden. Daraus leiten sich die Unternehmensprozesse beziehungsweise die entsprechenden Teilprozesse ab und ob der Billing-Prozess zum Kern- oder Wertschöpfungsprozess oder zu einem Unterstützungsprozess gehört. Unter Berücksichtigung der bestehenden IT-Landschaft und der organisatorischen Bedingungen im Unternehmen ergibt sich daraus das Konzept und das Anforderungsprofil für das Billing-System. Dieses Profil bildet die Basis für die Auswahl des Systems sowie die Implementierung. Erfolgreich verläuft die Einführung nur dann, wenn die Unternehmensprozesse abteilungsübergreifend vom Customer Care bis zum Rechnungswesen auf die Rechnungsstellung ausgerichtet, die Organisation entsprechend strukturiert und alle betroffenen Mitarbeiter gezielt geschult wurden. Die IT spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige unterstützende Rolle.

Erster Schritt: Projektinstallation

Der Erfolg oder Misserfolg eines komplexen Projektes wird besonders von der Startphase bestimmt. Im ersten Schritt definiert das Management (Geschäftsführung und Bereichsleiter) in Arbeitskreisen basierend auf der Unternehmensstrategie das Projektziel und das erwartete Resultat.

Zur strategischen Ausrichtung für die Einführung eines Billing-Systems müssen die folgenden Punkte diskutiert werden:

-Strategische Marktpositionierung

-Unternehmenskommunikation

-Kundenwertstrategie

-Innovationsstrategie

-Produkt- und Servicestrategie, zukünftige Entwicklungen in den kommenden drei Jahren, beispielsweise bei Carriern IP- und Breitbandprodukte, Produkt-Bundeling et cetera

Abschließend werden der Lenkungsausschuss - hierin muss unbedingt die GF vertreten sein - und das Projektteam installiert.

In der zweiten Phase werden basierend auf der strategischen Ausrichtung des Unternehmens die folgenden Rahmenbedingungen analysiert und festgelegt:

-Wie wird die Kommunikation zum Kunden zur Zeit betrieben und wie soll sie bezüglich der Rechnungsstellung zukünftig aussehen (Rechnungslayout) oder muss sie angepasst werden?

-Sollen unter Abwägung der Chancen und des Aufwandes auch Up- und Cross-Selling-Ziele verfolgt werden?

-Ist "Time to Market" ein wesentliches Erfolgskriterium? Besonders Carrier und Online-Provider haben heute mit neuen Produkten, Tarifen und Services nur noch einen Vorsprung von drei bis sechs Monaten gegenüber dem Wettbewerb. Ist die Flexibilität des Billing-Systems nicht so ausgelegt, dass mit vertretbarem Aufwand die neuen Produkte, Tarife oder Services in kurzer Zeit (weniger als ein Monat) im System abzubilden sind, kann das zu gravierenden Wettbewerbsnachteilen für das Unternehmen führen.

-Welche Produktinnovationen und -entwicklungen plant das Produktmanagement in den kommenden drei Jahren? Dabei dürfen auch die künftigen Entwicklungen der Tarife und Services nicht vergessen werden. Zur Zeit ist beispielsweise die Entwicklung und das Angebot von Breitbanddiensten ein Thema bei den Carriern und Serviceprovidern. Es ist bis heute kein Billing-System bekannt, das die unterschiedlichen Tarif- und Servicestrukturen abrechnen kann. Das liegt unter anderem auch daran, dass das Produktmanagement nicht schon in der "Brainstorming-Phase" einer Entwicklung berücksichtigt, wie diese neuen Produkte und Dienste abgerechnet werden sollen. Die Anforderungen werden leider zu spät an die Entwickler der Billing-Systeme gestellt.

-Enorm wichtig ist die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. In der Carrier-Branche gilt die Faustformel, dass jede Rechnung weniger als zehn Mark kosten darf. Welcher Kostenrahmen noch rentabel ist, bestimmt sich aus den aktuellen Gegebenheiten, den Strukturen und den Zielen des Unternehmens. Berücksichtigt werden muss in jedem Fall, dass das Billing-System innerhalb von drei bis fünf Jahren abgeschrieben wird, weil es danach veraltet ist.

-Welche Bedingungen stellt das Kundenmarketing an die zukünftige Rechnungsstellung? Soll es für unterschiedliche Kundengruppen verschiedene Rechnungen geben? Welchen Einfluss haben die Kundenstrukturen auf das Billing-System?

-Welche Daten und Informationen soll das Billing-System an die Kundendatenbank für das Data Warehousing liefern?

-Inwieweit ist der Billing-Prozess bereits ein Bestandteil der CRM-Prozesse? Welchen Einfluss hat er und wird er zukünftig haben? Welche Anpassungen müssen bereichsübergreifend vorgenommen werden?

-Welche organisatorischen Strukturen ergeben sich daraus für das Unternehmen? Steht ausreichend Personal zur Verfügung?

-Welche IT-Umgebung mit welchen IT-Plattformen gibt es und welche Schnittstellen leiten sich daraus zum Billing-System ab?

-Letztendlich stellt sich die Frage, ob eine Billing-Engine oder gar ein Customer-Care-&-Billing-System benötigt wird. Gibt es noch kein Customer-Care-System, wird die Einführung eines Customer-Care-&-Billing-Systems empfohlen, um durchgängige IT-unterstützte CRM-Prozesse vom ersten Kundenkontakt bis zur Rechnungsstellung und eine einheitliche Kundendatenbank zu garantieren.

-Gibt es allerdings bereits ein Customer-Care-System, muss untersucht werden, wie proprietär es ist. Leider sind gerade die großen Systeme proprietär und bieten generell nur wenige Schnittstellen an. Meistens ist dadurch die Einbindung einer Billing-Engine mit einem hohen zusätzlichen finanziellen Aufwand verbunden. Häufig kommt es dann auch vor, dass dadurch die Anforderungen an das Billing-System nur noch sehr eingeschränkt erfüllt werden können. Darum sollte auch ein Austausch des bestehenden CustomerCare-Systems kein Tabu sein und als eine Alternative in der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchgerechnet werden. Einige Carrier und Serviceprovider sind diesen Weg schon erfolgreich gegangen.

Erstellung des Billing-Konzepts

Da hier bereichsübergreifende beziehungsweise unternehmensweite Themen behandelt werden und die grundlegenden Entscheidungen die Unternehmensstrukturen stark beeinflussen, ist die aktive Teilnahme des Managements ein Muss. So besteht das Projektteam unter anderem aus den Leitern Customer Care, Marketing/Vertrieb, IT, Rechnungswesen und Qualitätsmanagement.

Mit den Rahmenbedingungen und Festlegungen aus der Analysephase muss nun ein Billing-Betriebskonzept erstellt werden. Hierbei sind besonders die folgenden Punkte zu berücksichtigen:

-Abbildung der Kundenstrukturen (Geschäftskunden mit tiefen Vertragsstrukturen und kleine Geschäftskunden und Privatkunden mit flachen Vertragsstrukturen),

-Kommunikationsformen und Layout der Rechnung,

-Anpassung und Ausrichtung der Prozesse auf das Billing im Unternehmen,

-die eigentliche operative Abwick-lung der Billingläufe: besonders wichtig sind hier die Punkte Rating, Rechnungstestläufe, Klärung nicht eindeutig zuzuordnender Leistungen vor jedem endgültigen Rechnungslauf, eine unterschiedliche Behandlung von Vertragsdaten und Verbrauchsdaten, Fulfillment, Schnittstelle zu den Banken, Kundenbuchhaltung;

-Inhouse-Lösung oder Outsourcing und Koordination im letzteren Fall,

-die Integration der Billing-Engine oder des Customer-Care-&-Billing-Systems mit anderen Systemen und die Schnittstellen dazu,

-die Schnittstellen zum eigenen Switch (bei Carriern und ISPs),

-Integration in die bestehende IT-Landschaft und Beschreibung der Schnittstellen und ihrer Funktionsweise.

-Das Projektteam besteht in dieser Phase aus Projektleiter, Leiter der zukünftigen Billing-Abteilung, Kollegen aus dem Qualitätsmanagement und Customer Care. Die Ergebnisse beziehungsweise das Konzept werden dem Unternehmensmanagement/Lenkungsausschuss präsentiert und mit diesen abgestimmt.

Der zweite Teil des Beitrags geht ausführlich auf die Auswahl des Billing-Systems, die technische Implementierung und die organisatorische Einführung ein. Eine Übersicht über Billing-Systeme und ein Anwendungsbeispiel runden das Thema ab.

Zur Person

Ralf Müller

hat Physik, Angewandte Informatik und Mathematik studiert und Informatik mit Diplom abgeschlossen. Er ist Vorstand der Cure AG für Customer Management.