Rechenleistung kontra Preis

11.10.2002
Hewlett-Packard will die Reihe der Alpha-Server langfristig durch Intel-gestützte Rechner ersetzen. Die Kunden fragen sich, ob sie jetzt noch Alpha-Systeme kaufen sollen, ob sie besser gleich auf Itanium-Server umsteigen oder lieber auf Produkte von Sun setzen.

Von: Stephan Eichenseher

Die "Schränke" erinnern an die Einrichtung in Science Fiction Filmen. Groß und im kühlen Design stehen sie in den klimatisierten Rechenzentren rund um den Globus. Innen verarbeiten 64-Bit-Prozessoren Daten auf Hochtouren. Sie berechnen Aktienkurse, Flugbahnen und die Verformung von Turnschuhen. Weil sie in der Investition wesentlich teuerer sind als 32-Bit-Server mit Intel-Prozessoren, sind die 64-Bit-Rechner mit Alpha-Chips von Hewlett-Packard oder Sparc-Prozessoren von Sun überall dort im Einsatz, wo es auf die Rechenleistung ankommt. So jedenfalls war es bisher. Nun tritt der weltgrößte Chiphersteller Intel an, um seinen Itanium-Prozessor zum zentralen Baustein künftiger 64-Bit-Rechner zu machen.

Für die Verantwortlichen wird die Situation durch die Veränderungen auf dem Markt nicht leichter. Schließlich ringen sie um große Investitionen, die für die nächsten Jahre allen Anforderungen genügen müssen. 64-Bit-Computing ist damit sicher kein Feld für Glaubensbekenntnisse und Entscheidungen, die aus dem Bauch heraus gefällt werden. Investitionen sollten vielmehr auf der Basis eines detaillierten Anforderungsprofils getätigt werden, denn jedes der Systeme hat seine besonderen Eigenschaften.

Die Vorteile einer 64-Bit-Plattform liegen in der höheren Leistung beim Rechnen mit großen Zahlen, genauen Zahlen und großen Datenmengen. Außerdem steht Anwendungen viel Speicher zur Verfügung. Dem gegenüber steht der relativ hohe Preis und der höhere Speicherbedarf.

Alpha-Systeme: die Schnellen

Mit der Konzeption des Alpha-Chips begann Digital Equipment Corp. (DEC) 1988. Hohe Rechenleistung sollte erreicht werden durch eine hohe Taktfrequenz, die parallele Ausführung mehrerer Anweisungen und den Einsatz mehrerer Prozessoren. Der Prozessor war von vornherein auf Langlebigkeit ausgelegt. DEC rechnete mit einer Lebenszeit von 25 Jahren. Aus dieser Überlegung heraus hat Alpha auch als einziger Chip einen Adressbus der vollen Länge von 64 Bit.

Die Alpha-Entwickler haben der RISC-Gedanken konsequent umgesetzt. Außer dem Laden der Daten und dem Zurückschreiben in den Speicher laufen alle Prozesse innerhalb der CPU ab. Das machte den Baustein regelmäßig zum Sieger von Performancetests mit Benchmark-Tools. Im Jahr 1993 bringt DEC den Alpha schließlich auf den Markt. Als Betriebssysteme stehen Open VMS und Tru64 zur Verfügung. OpenVMS wurde von DEC bereits Ende der 70er-Jahre für die 32-Bit-VAX-Serie entwickelt. Tru64 ist eine Unix-Variante, die ebenfalls von Digital übernommen wurde. Sie zeichnet sich besonders durch ihre Clustering-Funktionen aus.

Die Alpha-Technologie machte DEC schnell zu einem erfolgreichen Player auf dem Servermarkt. So erfolgreich, dass Compaq die Firma vor vier Jahren aufkaufte und so zum damals zweitgrößten Hersteller aufstieg. Damit kam der Prozessor noch mehr in Fahrt. Im Sommer 2001 ging eine Erschütterung durch die IT-Landschaft: Compaq kündigte an, den Alpha-Chip nur noch bis zur Modellreihe "EV79" weiter zu entwickeln. Die eigene Forschungsabteilung und das 64-Bit-Know-how wurden an Intel veräußert und sollen im Itanium-Prozessor weiter leben. Viele Kunden fragen sich daher, ob sich die Anschaffung eines Alpha-Systems überhaupt noch lohnt. Nachdem sich die erste Aufregung der Experten gelegt hatte, zeigte sich jedoch, dass der Baustein noch lange nicht tot ist. Denn Compaq kündigte ein umfassendes Absicherungsprogramm für Alpha-Kunden an, mit dem der Anbieter Investitionen der Kunden in die Alpha-Technik schützen will. Dazu gehören "Trade-in"-Optionen, Produktgarantien und Teststellungen. Nach der Übernahme von Compaq hat Hewlett-Packard die Zusagen bestätigt. Zudem hat HP klare Roadmaps für den Übergang von Alpha auf Itanium vorgelegt. Bis 2006 werden die künftigen Modelllinien EV7 und EV79 ausgeliefert. Den Support garantiert der Hersteller bis zum Jahr 2011.

Sparc-Architekturen: die Skalierbaren

Die Sparc-Plattform von Sun war anfangs keine Chip-Technik, sondern ein offener Standard. Ihre Bezeichnung wurde vom Hersteller als Abkürzung von "Scalable Processor Architecture" geprägt. Der Serverproduzent versuchte damit am Anfang der 80er-Jahre, einen Nachfolger für die veralteten Motorola-Chips seiner Unix-Workstations zu finden. Sie kam im 32-Bit-Design 1987 auf den Markt und wurde hauptsächlich von Texas Instruments geliefert. Die ersten 64-Bit-Maschinen, "Ultra Sparc" genannt, erschienen 1994. Sun setzte dabei stets auf das selbst entwickelte Unix-Betriebssystem "Solaris".

Aus der Standardspezifikation hat sich inzwischen ein hochleistungsfähiges "Rechengenie" entwickelt. Sun setzt dabei andere Schwerpunkte als die Alpha-Entwickler: Skalierbarkeit steht an erster Stelle der Anforderungen. Mehrere hundert können sich die Arbeit teilen. Der Ultrasparc-Prozessor gewinnt dabei laut Sun mit jedem zusätzlichen Chip vergleichsweise viel Leistung. Doppelt so viele CPUs machen ein Sparc-System annähernd doppelt so schnell.

Der Performancegewinn hängt allerdings von den Anwendungen ab. Die Effizienz eines Mehrprozessorsystems steigt, wenn eine Applikation viele Aufgaben parallelisieren kann. Die Stärke von Sparc-Systemen liegt vor allem in den Bereichen CAD, Strömungssimulationen und aufwändigen mathematischen Berechnungen. Aber auch Webserver und Plattformen für Thin-Client-Server profitieren von der Arbeitsteilung. Sun hat auf dieser Basis ein Thin-Client-Konzept entwickelt, dass auch für Multimedia-Anwender geeignet ist, zum Beispiel im Bereich der Content-Erzeugung.

Itanium-Chips: die Billigen

Intel hat allein durch seine Marktmacht im 32-Bit-Bereich Maßstäbe gesetzt. Mit den unterschiedlich erfolgreichen x86er-Baureihen und den Pentium-Modellen bestückt der Hersteller den gebräuchlichsten aller Clients und Server, den PC. Intel-Chips waren ursprünglich CISC-Prozessoren, in die im Laufe der Zeit immer mehr RISC-Konzepte aufgenommen wurden. Mit den Generationen x86 und Pentium wuchs nicht nur die CPU-Geschwindigkeit. Intel optimiert seit dem "P6" das so genannte Out-of-Order-Processing. Damit werden Sprünge in den Anweisungen vorhergesagt und die richtigen Speicherinhalte bereits für die Verarbeitung vorbereitet. Die Geschwindigkeit bei Multimedia-Anwendungen hat ebenso zugenommen.

Mit diesen Verbesserungen hat Intel den Schritt zu 64 Bit lange hinausgezögert. Die 32-Bit-Maschinen sind wesentlich günstiger, überall verfügbar und bieten vor allem eine einheitliche Plattform, auf der viele Betriebssysteme und Anwendungen laufen. Die Pläne für den Itanium, auch unter "IA-64" und "IPF" bekannt, liegen schon lange im Schub. HP und auch das Alpha-Entwicklerteam trugen ihren Teil dazu bei. Anders als der Konkurrent AMD brach Intel bei der Itanium-Entwicklung komplett mit der 32-Bit-Architektur und orientierte sich stark an den PA-RISC-Modellen von HP. Neben RISC und CISC führte der Hersteller die Technik des "Explicity Parallel Instruction Computing" (EPIC) ein. Bis zu 20 Instruktionen werden dabei in einem Takt abgearbeitet.

Vom Itanium-Chip sind bereits zwei Generationen auf den Markt gekommen. Das erste Modell hieß Merced, "Itanium 2" oder "McKinley" ist im Sommer vom Stapel gelaufen. Die kommende Ausgabe "Madison" wird für 2003 erwartet und soll Taktraten von bis zu 1,6 GHz erreichen. In die künftigen Modelle "Montecito" (2004) und "Chivano" (2005/2006) soll weitere von Compaq gekaufte Alpha-Erfahrung mit einfließen.

Die ersten Tests mit dem Itanium sind viel versprechend. Viel wichtiger als Benchmarks ist aber die Tatsache, dass der Name Intel auf der Packung steht. Damit ist auch der Erfolg gewiss. Mit der Marktkraft und den bereits verkündeten Kooperationen, zum Beispiel mit HP, ist Itanium auf dem Weg, der neue Industriestandard zu werden. Die ersten Modelle stehen bereits bei den Softwareentwicklern. Unter den Betriebssystemen sind HP-UX, Linux und Windows 2000.

Für den neuen Industriestandard ist es auch höchste Zeit geworden. Besonders die begrenzte Speicheradressierung machte den 32-Bit-Prozessoren zu schaffen. Datenbanken, Webapplikationen, E-Business und die klassischen Anwendungsfelder Finanzen, 3D-Berechnungen und Wissenschaft lechzen nach mehr Speicher und mehr Performance. Einerseits sind die Wachstumszahlen für die Geschwindigkeiten bei den 32-Bit-CPUs noch immer beeindruckend. Andererseits hat der Gigahertzwert schon lange an Bedeutung verloren. Durch die vielen Erweiterungen der ursprünglichen Architektur wurden die 32-Bit-Systeme zu komplex, zu heiß und verbrauchten zu viel Strom.

Auch wenn Itanium als Standard-Produkt durch die hohen Stückzahlen künftig wesentlich günstiger wird, bleibt das "High End Computing" immer teuer. Entscheidungen müssen daher langfristig gefällt werden. Die Verfügbarkeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Nur wenn ein System auch in fünf Jahren noch den Anforderungen genügt, kann sich die Investition lohnen. Zwei weitere finanzielle Überlegungen spielen eine große Rolle: Wie hoch sind die Managementkosten einer Lösung, und wie hoch ist der Ertrag, den ein Unternehmen aus der Lösung ziehen kann? Es geht also um die "Total Cost of Ownership" (TCO) und den "Return on Investment" (ROI).

Anwendungen bestimmen die Produktwahl

Während Alpha-Kunden einer schnellen Plattform für komplexe Rechenaufgaben gewiss sind, zu der obendrein dank der verbreiteten Betriebssysteme Tru64 und OpenVMS zahlreiche Anwendungen zur Verfügung stehen, sind die Tage ihrer Chips gezählt. Dennoch brauchen sie sich über die Zukunft nicht den Kopf zu zerbrechen, weil HP die Migration hin zu Itanium durch Customer-Programme geregelt hat.

Sun-Anwender profitieren von der Binärkompatibiliät des Sparc-Bausteins und dem einheitlichen Betriebssystem Solaris. Ältere Software läuft ohne erneuten Compiler-Vorgang auf den neuen Modellen - und soll darauf nach Angaben von Sun sogar schneller sein. Damit ist ihnen die Skalierbarkeit und langfristige Verfügbarkeit ihrer Systeme gesichert, zumindest theoretisch. In der Praxis gibt der Hersteller seine neuen Servermodelle auch für ältere Versionen des Betriebssystems frei. Wer seine Software aber nicht erneut kompiliert, kann nicht die volle Performance erwarten. Ein großer Vorteil der jüngsten Sun-Systeme ist die Möglichkeit, Ultra-Sparc-III-Cu-Prozessoren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf demselben Board zu mischen. Damit wird das Aufrüsten wesentlich einfacher.

Einerseits wissen Sun-Kunden ihr stabiles Solaris-System zu schätzen. Viele würden andererseits gern auch Linux darauf einsetzen. Das hat der Hersteller jedoch dem Low-End-Bereich seiner Server vorbehalten, wo er auf Intel-Prozessoren baut.

Für den Itanium spricht zum einen die höhere Performance gegenüber älteren Intel-CPUs Zum anderen besteht die Aussicht, dass den Baustein künftig viele Anwendungen und Betriebssysteme unterstützen. Intel wird alles daran setzen, dass der Prozessor sich, wie auch seine Vorgänger, zu einem Industriestandard entwickelt. Hohe Stückzahlen werden mittelfristig die Preise senken, womit die 64-Bit-Rechenleistung für mehr Kunden erschwinglich wird.

Wer sich noch nicht auf eine Plattform festgelegt hat, tut sich bei der Anschaffung eines High-End-Systems leichter. Ob er auf Sparc- oder Alpha-Chips setzt, hängt von den Anwendungsgebieten ab. Nur die wenigsten IT-Abteilungen werden aber tatsächlich bei Null anfangen. Hier gilt: Wer bereits eine Sun-Architektur im Hause hat, bleibt auch besser dabei. Alpha-Server bieten dagegen eine offenere Struktur, die durch die Vielzahl an möglichen Betriebsystemen auch in gemischten Umgebungen sehr gut funktioniert.

Der Itanium hat das Potenzial, die Plattform für High-End-Computing zu werden. Alpha-Kunden sollten auf den Chip migrieren, sobald die erforderlichen Anwendungen vorhanden sind. Sie stehen aber nicht unter Zeitdruck. (kpl)

Zur Person

Stephan Eichenseher

ist bei der Ibex AG für die Unternehmenskommunikation zuständig. Ibex integriert Alpha- und Sun-Systeme.