Tipps zum Projektmanagement

Ratgeber Projekte - Mehr Mut zum Abbruch

08.06.2014 von Johannes Strasser
Hierzulande ist es unüblich, Projekte abzubrechen - auch wenn es sinnvoll wäre. Am Ende werden Ergebnisse präsentiert, und wenn diese noch so lückenhaft sind. Oftmals existiert keine Fehlerkultur im Unternehmen, die einen sauberen Projektabbruch erlaubt.

Zumindest in der Theorie erachten es die meisten als sinnvoll, ein totes Pferd nicht noch zu schinden. Doch in der Praxis wird genau das oft getan: Auch wenn das Projekt eigentlich nicht mehr zu retten ist, wird es gegen alle Widerstände bis zum bitteren Ende durchgezogen. Die Gründe für dieses Verhalten sind mannigfaltig. Die Frage ist nur, wie es sich ändern lässt.

Wann sollte man ein Projekt abbrechen?

Thomas Brustbauer, Managing Director bei InsData, einer Tochter des österreichischen Versicherungskonzerns Uniqa, hat es während seiner langjährigen Tätigkeit als Projektverantwortlicher noch nie erlebt, dass ein laufendes Projekt abgebrochen wurde. Im Gegenteil: Die Beteiligten argumentieren gern, dass man für das Geld, das bereits in das Vorhaben hineingesteckt wurde, auch irgendetwas herausbekommen müsse.

Thomas Brustbauer berichtet aus seiner Projekterfahrung
Foto: Brustbauer/InsData

"Ich glaube, dass hier eine stark menschliche Komponente ins Spiel kommt", kommentiert der langjährige Projekt-Manager seine Erfahrungen: "Mitten im Projekt hängen noch zu viele Emotionen an der Sache. Das Team hat den Ehrgeiz, sein Versprechen zu halten. Und auf der anderen Seite möchte der Kunde auch, dass sein Geld für etwas gut war; er hofft, dass das Projekt doch noch irgendwie positiv zu Ende gebracht wird."

Wie Brustbauer aus seiner Praxis weiß, werden Projekte oft entweder bereits ganz am Anfang verworfen oder aber erst kurz vor Abschluss. Am Ende bleibt dem Projektteam häufig keine Wahl mehr; die Ergebnisse müssen präsentiert werden - wie lückenhaft diese auch sein mögen. Da rückt der Produktionstermin immer näher, aber es gibt noch kein Produkt. Oder das Projektteam hat zu lange gebraucht, und das, was man entwickelt hat, gibt es mittlerweile fertig auf dem Markt zu kaufen.

Fazit: Eine "Fehler-Kultur" tut Not

Auf die Frage, wann ein Projekt abzubrechen ist, gibt es keine pauschale Antwort. Die Verantwortlichen müssen in der Lage sein, die Nicht-Machbarkeit zu erkennen und dann die Reißleine ziehen.

Dazu bedarf es im Unternehmen aber auch einer Kultur, die einen Abbruch überhaupt ermöglicht. Führt ein Projekt-Stop im Unternehmen dazu, dass die Teammitglieder an Ansehen verlieren, ziehen viele Projektleiter einen Abbruch gar nicht erst in Erwägung. Oft stellt sich auch die Frage, ob die Leute, die eigentlich den Schlussstrich ziehen könnten, überhaupt von der Schieflage informiert sind. Wird die Informationskultur in Unternehmen nicht gepflegt, muss die Kenntnis über das sterbende Projekt erst einmal "durchdampfen".

Wo man sich darüber im Klaren ist, dass Projekte auch einmal scheitern können, ist der Abbruch in der Realität nur noch halb so schlimm. Aber häufig wird diese Erkenntnis einfach negiert. Wer dann glaubt, er könne ein Projekt abbrechen, ohne Schaden zu nehmen, ist bestenfalls grenzenloser Optimist, wenn nicht gar ein Illusionist.

Wie schafft man einen Projekabbruch ohne Gesichtsverlust?

"Ich kenne Leute", so berichtet Brustbauer aus seiner Projektleiter-Erfahrung, "die ein Leben lang nicht aus der Ecke der Versager herausgekommen sind." Und das nur, weil kurz vor Ende ihrer Projekte klar wurde, dass das Produkt einfach nicht den Qualitätskriterien entsprach, weshalb wohl oder übel nochmal ein bis zwei Jahre Tests hineingesteckt werden mussten.

Für Brustbauer liegt das Problem aber beileibe nicht nur beim Projektverantwortlichen. Vielmehr fehle in Europa meist die Unternehmenskultur, in der man auch mal einen kalkulierten Fehler machen dürfe: "Aus Amerika höre ich immer, ein Unternehmer, der nicht dreimal in Konkurs gegangen ist, ist kein guter Unternehmer. So was wäre in Europa undenkbar. Ein Projektleiter ist ja auch ein kleiner Unternehmer. Wenn er einmal einen Fehler macht, wird ihm hierzulande nie mehr verziehen."

Anstatt diese Leute zu ächten, sollte man ihre Erfahrungen nutzen - zum Beispiel in Projektleiterschulungen. Hier können sie den anderen Teilnehmern berichten, was eigentlich schief gelaufen ist. Das nähme allen die Angst davor, selbst mal einen Fehler zu machen.

Fazit: Abhaken und besser machen

Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich vor dem völligen Gesichtsverlust zu schützen. Zum einen ist es wichtig, die Konsequenzen aufzuzeigen, die das Weiterführen des Projekts hätte; meist handelt es sich um einen hohen Geldverlust und das Verschwenden von Ressourcen. Damit findet man sicher das Gehör der Verantwortlichen. Zum anderen muss sich der Projektleiter trauen, Fehlentscheidungen einzuräumen und schlechte Leitungen beim Namen zu nennen. Auch hier beginnt der Fisch vom Kopf her zu stinken: Die Führung muss diese Form der Einsicht auch vorleben. Wer meint, keine Fehler gemacht zu haben, hat nicht gearbeitet.

Ist einem also tatsächlich mal ein Projekt danebengegangen, sollte man für sich und das Team die Fehler offen analysieren und ganz schnell ein kleines, aber erfolgreiches Projekt hinterherschieben. So lässt sich nach außen demonstrieren, dass zwar das eine Vorhaben gescheitert ist, dass man selbst aber in der Regel erfolgreich ist.

Welche Abbruchkriterien sollte man definieren?

Für Brustbauer ist es eigentlich ganz einfach: Da gibt es einen Projektauftrag, der die Ziele auflistet. Können die nicht eingehalten werden, sind die nicht erfüllten Ziele gleichzeitig die Abbruchkriterien. Oft ist ja schon im Laufe eines Projekts absehbar, dass die Kriterien nicht eingehalten werden können. Beispielsweise wenn zu einem bestimmten Meilenstein der Großteil des Gesamtbudgets bereits verbraucht ist. In diesem Fall sollte jemand laut "Stopp" rufen. Doch in der Praxis weiß oft keiner der Verantwortlichen so genau, was in den Tiefen des Projekts läuft. Da nimmt der eine oder andere gerne mal die Möglichkeit in Anspruch, den - mangelhaften - Fortschritt des Projekts zu kaschieren, bis es wieder besser läuft.

Fazit: Meilensteine ernst nehmen

Egal, ob man von Ziel- oder Abbruchkriterium spricht - es muss von Anfang an klar definiert sein, welcher Nutzen mit welchem Meilenstein zu erreichen ist. Und wird dieser Nutzen nicht erzielt, obwohl bereits ein großer Geldbetrag ausgegeben ist, sollte ein Projektabbruch als mögliche Variante ins Spiel gebracht werden.

Wie geht man mit dem Thema "Scheitern" um?

In vielen europäischen Unternehmen ist die Matrixorganisation fest verankert, so hat es Brustbauer erlebt. Und da tragen meist die Projektleiter das gesamte Risiko und müssen ihren Kopf hinhalten, wenn ein Projekt nicht so gut läuft. Hier wäre es, so Brustbauer weiter, wichtig, den Projektleitern mehr Macht an die Hand zu geben: "Wenn ich nur das Risiko trage und keinerlei Rückendeckung oder Handlungsbefugnis bekomme, versuche ich natürlich, jedes Risiko zu vermeiden. Ich übernehme also nur Projekte, die leicht zu überschauen sind. Und kann ich ein komplexes Projekt nicht abbiegen, versuche ich, ganz still zu sein und das Vorhaben irgendwie hinzukriegen."

Fazit: Scheitern gehört zum Leben

Fehler machen und daraus zu lernen ist durchaus in Ordnung. Anders verhält es sich, wenn ein Fehler immer wieder gemacht wrid. Daher sollte der Projektleiter schon vor dem Projektstart dafür sorgen, dass bestimmte Ereignisse als Wagnis eingestuft werden. Denn er muss die Schieflage während des Projekts aufzeigen.

Gibt es Projekte, die zu groß sind, um sie abzubrechen?

In der Praxis muss eine Schadensabwägung stattfinden. Theoretisch darf kein Projekt zu groß sein, um es abzubrechen. Aber es gibt Vorhaben, deren Abbruch die Firma in den Ruin treiben kann. Gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen kommt das vor.

Da wurde dem Kunden eine Lösung zum Fixpreis zugesagt, die sich nur mit einem immensen Mehraufwand realisieren lässt. Wird diese Erkenntnis erst spät im Projekt gewonnen, wenn schon der überwiegende Teil fakturiert wurde, so muss man sich möglicherweise trotz allem durchbeißen, weil man die Rückabwicklung finanziell nicht verkraften würde.

"In unserem Unternehmen haben wir genau aus diesem Grund die Projekte verkleinert", berichtet Brustbaur: "Länger als ein Jahr soll ein Projekt nicht dauern. Das ist ein gewisser Akt der Demut, weil wir erkannt haben, dass wir sind einfach kein multinationaler Riesenkonzern mit unendlichen Ressourcen sind."

Früher habe das Unternehmen manchmal Projekte an den Start geschickt, die fünf und mehr Jahre gedauert und über tausend Mitarbeiter gebunden hätten, sagt Brustbauer. Weil die Kapazität für solche Großprojekte fehlte, seien diese Projekte "leider nicht immer gelungen". Nachdem das Unternehmen seinen Rahmen der Machbarkeit definiert habe, liefen die Projekt gut.

Fazit: Machbarkeit realistisch sehen

Die Verantwortlichen eines Unternehmens sollten in in der Lage sein, die Machbarkeit eines Projekts realistisch einzuschätzen. Am Ende kann es viel Geld und Zeit sparen, wenn man zunächst einen Testballon steigen lässt: Das Projekt wird mit einem gewissen Betrag gestartet, und wenn zu einem vorher bestimmten Meilenstein klar ist, dass daraus nichts werden kann, bricht man ab. So hat der Projektverantwortliche die Möglichkeit, ohne die ständige Angst vor dem Versagen zu agieren. Zudem kann der Kunde sicher sein, dass sein Geld nicht im Sumpf eines mühsam am Leben erhaltenen Projektes versickert. (mje)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer-Schwesterpublikation Computerwoche.