Projektmanagement

Projektleiter - Chefs ohne Macht

08.09.2014 von Michael Schweizer
Projektleitung ist eine Strapaze –und für IT-Experten eine große Karrierechance, sagt die Management-Trainerin Hedwig Kellner.

Frau Kellner, an einem Projektleiter zerren sein Vorgesetzter, seine Mitarbeiter und, wenn vorhanden, der externe Kunde, und alle in eine andere Richtung. Warum sollte man sich diese Position antun?

Als ehemalige Projektleiterin und Trainerin bei der Software AG kennt Hedwig Kellner die Freuden und Anstrengungen der IT-Projektarbeit aus eigener Erfahrung. Für sie ergab sich daraus eine Karriere in der Unternehmensberatung mit leitenden Funktionen unter anderem bei Mummert + Partner und bei Kienbaum. Heute arbeitet Hedwig Kellner als freie Unternehmensberaterin, trainiert Manager und solche, die es werden wollen. Ihre Bücher, zum Beispiel „Projekte konfliktfrei führen: Wie Sie ein erfolgreiches Team aufbauen“, „Soziale Kompetenz für Ingenieure, Informatiker und Naturwissenschaftler“ und „Die Kunst, mit meinem Geld auszukommen“ erscheinen in angesehenen Verlagen.
Foto: Hedwig Kellner

Kellner: Weil sie für Informatiker die große Karrierechance ist. Firmen wollen nicht mehr ungeprüft den besten Entwickler zum Chef der Entwicklung machen, wo er dann vielleicht als Chef versagt und als Entwickler nicht mehr zur Verfügung steht. Sondern sie wollen testen, wie er Projekte leitet. Wenn er das schafft, eignet er sich auch für eine Linienfunktion.

Testen heißt hier ins kalte Wasser werfen?

Kellner: Man kann es auch positiv sehen. Als Projektleiter lernt man die vier grundsätzlichen Führungsfunktionen. Erstens Delegieren. Zweitens Motivieren – wenn man selbst Spaß an der Arbeit hat, kann man daraus nicht schließen, dass andere ihn auch haben. Drittens Planen: Was schiefgehen kann, geht irgendwann schief, darauf muss man vorbereitet sein. Viertens Kontrolle: Das Auge des Bauern macht die Kühe fett. Sobald man Verantwortung für die Arbeit anderer hat, lernt man, sie zu kontrollieren.

Als Leiter ist man ja immer Einzelkämpfer.

Projektleiter haben normalerweise keine formelle Autorität. Deshalb müssen sie natürliche Autorität haben oder simulieren, so Hedwig Kellner über eine der Herausforderungen für Projektmanager.
Foto: Antrey - Fotolia.com

Kellner: Nein, um ein Projekt erfolgreich zu leiten, muss man sich im Unternehmen gut vernetzen. Man ist geradezu gezwungen, nützliche Kontakte zu knüpfen. Projektleiter sammeln Wissen für das nächste Gehaltsgespräch. Sie erfahren, wo sie sich intern bewerben können.

Was ist für einen Projektleiter das Schwierigste?

Kellner: Projektleiter haben normalerweise keine formelle Autorität. Deshalb müssen sie natürliche Autorität haben oder simulieren.

Wie macht man das?

Kellner: Beginnen wir mal damit, wie man es nicht machen sollte. Mit Projektleitungen werden oft junge Leute betraut. Die treten häufig zu kumpelhaft auf. Am Anfang hat man dann eine tolle Stimmung im Team. Aber wehe, man muss Druck machen oder unbeliebte Aufgaben verteilen.

Ein zweites Problem für Projektleiter kann sein, dass sie von etablierten Führungskräften, mit denen sie kooperieren müssen, nicht anerkannt werden. Da heißt es sinngemäß: Mit dir rede ich nicht, schick deinen Chef. Der Projektleiter muss hier klarmachen, dass er seine Position nicht aus eigener Anmaßung ausübt, sondern im Auftrag des Unternehmens.

Drittens sollte ein Projektleiter nie so dumm sein, bei Schwierigkeiten im Team seinen Chef um Hilfe zu bitten, denn der wird dann auch weiterhin in seine Arbeit hineinregieren. Entweder man erreicht das Ziel mit dem Team alleine oder eben nicht.

Können wir zur Positivliste übergehen?

Kellner: Wichtig ist selbstbewusstes Auftreten. Ein Projektleiter sollte sich anhören, was alle zu sagen haben, und dann souverän entscheiden. Das signalisiert: Ich hab’s im Griff.

Ein Projektleiter muss allen sympatisch sein

Das kann man aber auch übertreiben.

Kellner: Ja, wenn man es falsch macht. Ein Projektleiter muss allen sympathisch sein. Er muss immer freundlich und höflich sein und Zeit für einen Plausch haben. Ich habe noch keinen Stinkstiefel oder Autisten als erfolgreichen Projektleiter erlebt.

Klingt alles zusammen sehr schwierig.

Kellner: Man muss es eben lernen. Das wäre der nächste Tipp für angehende Projektleiter: Kauf dir ein gutes Führungshandbuch oder besuche ein gutes Seminar. Delegieren, Motivieren, Planen und Kontrollieren sind nicht selbsterklärend, sondern man muss bestimmte Methoden sauber beherrschen. Führungskräfte müssen gut in Führung sein, nicht unbedingt auch fachlich. Das ist für IT-Leute und Ingenieure, die sich gerne übers Fachliche definieren, schwierig.

Was sollte ein Projektleiter tun, bevor das Projekt beginnt?

Kellner: Er sollte sich möglichst lange vorher bei allen Beteiligten persönlich plaudernd bekannt machen. Und er sollte akzeptieren, dass Meetings wichtig sind. IT-Leute finden Meetings doof, aber sie sollten versuchen hineinzukommen. Meetings sind das Palaver der Fellpflege. Vor allem der Smalltalk in den Pausen ist das Geheimnis des Erfolgs. Auf keinen Fall sollte man in den Pausen mit dem Smartphone in einer Ecke verschwinden.

Offenbar gerät man als Projektleiter bereits mit der Sphäre in Berührung, wo Politik oft mehr zählt als Ergebnisse.

Kellner: Umso wichtiger ist es, mit dem oder den Vorgesetzten zu einer klaren Kompetenzabgrenzung zu kommen. Das betrifft zum Beispiel das Budget: Wie weit darf der Projektleiter es eigenständig überziehen, ab wo braucht er eine Genehmigung? Es betrifft die Position gegenüber dem Team: Darf der Projektleiter eingreifen, wenn Mitarbeiter zur Mittagspause außer Haus verschwinden? Der Projektleiter muss sich im Vorfeld absichern: Er darf nicht zulassen, dass man ihm unbrauchbare Leute ins Team setzt oder gute abzieht. Oder dass ihm ein Mitarbeiter auf der Nase herumtanzt und er sich nicht wehren kann, weil er keine disziplinarischen Mittel hat.

Nicht alles, was ein Projektleiter als richtig erkennt, wird er im wirklichen Unternehmensleben auch praktizieren können.

Kellner: Es gibt aber auch einfache Selbsthilfen, für die man von niemandem abhängig ist. Ein Tipp lautet: Auch wenn du kreatives Chaos magst – achte auf einen ordentlichen Arbeitsplatz. Ein aufgeräumter Schreibtisch verbreitet die nonverbale Botschaft, dass du einen guten Plan hast und ihm folgen kannst.

Haben Sie noch so einen unkomplizierten Tipp?

Kellner: Achte auf dein Äußeres. Kleide dich so, wie es auf der nächsthöheren Führungsebene üblich ist. Normalerweise also nicht wie ein Künstler oder Clochard. Aber auch dunkle Anzüge und Kostüme empfehlen sich nur, wenn dein unmittelbarer Vorgesetzter und seine Peers sie nicht als übertrieben empfinden. Ziehe dich so an wie da, wo du nach der nächsten Beförderung sein willst.

Belastende Projekte

Die Psychologin Anja Gerlmaier und der Sozialwissenschaftler Erich Latniak vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen erforschen seit Jahren die "Projektifizierung" der IT-Arbeit. Typisch für IT-Projekte sind eher unstrukturierte, wenig routinisierte Aufgaben, die sich im Zuge der Bearbeitung und des Kundenkontakts immer wieder ändern. Projektteams arbeiten meist nicht ständig, sondern zeitweise und problembezogen zusammen. Die meisten Mitarbeiter sind in mehrere Projekte gleichzeitig eingebunden, auch Leiter sind nicht selten für mehrere Projekte auf einmal verantwortlich. Die Arbeit ist nicht (mehr) so organisiert, dass man sich auf eine Aufgabe konzentrieren kann, bis sie abgeschlossen ist.

Anja Gerlmaier vom Institut Arbeit und Qualifikation berät Unternehmen, wie sich der Druck in Projekten mildern lässt.
Foto: Privat

All dies kann belastend sein. IT-Experten, die vor allem in Projekten arbeiten, sind müder, nervöser, schlafen schlechter und haben mehr Magen-, Kopf- und Rückenschmerzen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Gerlmaier und Latniak beraten Unternehmen mit konkreten Vorschlägen, wie sich der Druck mildern lässt.

GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement

"Projektmanagement - Das Grundlagenseminar", "Wirkungsvoll führen - auch ohne Weisungsbefugnis", "Hätt ich bloß… Anregungen zum effektiveren Entscheiden im Projekt", "Strategien umsetzen mit Scrum und agilem Management" und "Frauen als erfolgreiche Projektmanagerinnen" - solche Seminare und Workshops veranstaltet die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement. Der in Nürnberg ansässige Verband will Projekt-Management durch Qualifizierung, Zertifizierung und wissenschaftliche Arbeit auf professionelle Grundlagen stellen.

Die GPM tritt mit ihren etwa 6000 Mitgliedern als deutsche Vertretung der International Project Management Association (IPMA) auf und vergibt die IPMA-Zertifikate Level D (Certified Project Management Associate) bis A (Certified Projects Director), außerdem eigene Zertifikate für Berater, Trainer und Qualifizierungscoachs. Die Mitglieder sind auch zu regionalen Stammtischen eingeladen. Mit dem "Deutschen Studienpreis Projektmanagement" prämiert die GPM jährlich bis zu drei Forschungsarbeiten aus dem Hochschulnachwuchs.