Experten mahnen Mut zum Self Service an

Private Clouds nicht immer echt

16.07.2013 von Werner Kurzlechner
Anzeige  Virtualisierung ist nicht gleich Private Cloud. Analysten weisen auf diesen kleinen, aber gewichtigen Unterschied hin, weil nur eine echte Cloud auch alle erhofften Vorteile liefert. Manchmal gibt es aber gute Gründe, mit weniger zufrieden zu sein.

Oft ist die Wolke nur eine Fata Morgana. Jedenfalls behauptet Forrester Research, dass 70 Prozent der vermeintlichen „Private Clouds" in Unternehmen in Wahrheit gar keine Clouds seien, sondern lediglich Ausprägungen von Virtualisierung. „Cloud-Washing", nennt Analyst James Staten das Phänomen. Auch die Marktforscher von Freeform Dynamics stellten bereits vor einigen Monaten fest, der Weg von der Virtualisierung in die Cloud verlaufe häufig keineswegs so direkt, geradlinig und unausweichlich wie angenommen. Aber reicht ein bestimmter Virtualisierungsgrad nicht oft genug aus? Und ist diese Grenzziehung am Ende nicht nutzlose Wortklauberei?

IT droht Kontrollverlust

Ganz so einfach lässt sich das Problem leider nicht wegwischen. Es besteht im Wesentlichen darin, dass die Mitarbeiter auch Cloud Computing haben wollen, wenn man ihnen das verspricht. Die User geben sich nicht auf Dauer damit zufrieden, dass die IT-Abteilung ein bisschen virtualisiert, was ihr in den Kram passt – und mehr eben nicht. Konkret heißt das zum Beispiel: Ein Rechenzentrum mit hochgradig virtualisierter Umwelt, einem Web-Portal für die Mitarbeiter mit Zugang zu Virtual Machines und einer Messmethode zum Tracking der Ressourcennutzung ergibt für die Unternehmens-IT jede Menge Sinn, ist aber lange noch keine Private Cloud. Und deshalb besteht in dieser Konstellation immer die Gefahr, dass die Mitarbeiter auf eigene Faust in der Public Cloud nach für sie geeigneten Lösungen suchen – mit den bekannten Risiken und mit dem damit verbundenen Kontrollverlust für die IT.

Was aber macht eine echte Cloud aus? Eine Definition dafür kommt aus den USA vom National Institute of Standards and Technology (NIST). Sie umfasst fünf Kriterien, die erfüllt sein müssen: erstens Selbstbedienung für die User nach Bedarfslage, zweitens Zugang zu Breitbandverbindungen, drittens ein gemeinsamer Ressourcenpool, viertens die Möglichkeit zur elastischen Skalierung der Ressourcen und fünftens Messung der Service-Leistungen. Trifft einer dieser Punkte nicht zu, handelt es sich nicht um eine Cloud im Sinne der NIST. Wie der NIST-Informatiker Peter Mell erläutert, soll die Definition Firmen helfen zu überprüfen, inwieweit sie Cloud-Merkmale erfüllen und Cloud-Modelle umsetzen. „Das ist wichtig, weil sich bei einer echten Cloud mit höherer Wahrscheinlichkeit die erhofften Cloud-Vorteile einstellen: Einsparungen, geringerer Energieverbrauch, schnellerer Einsatz von Lösungen und Kunden-Empowerment", so Mell.

Manchmal reichen 80 Prozent

Gleichwohl prägt die NIST-Definition ein sehr technischer Blickwinkel. Hilfreich ist es, sich daran zu orientieren, ohne sich sklavisch daran zu halten. „Manchmal ist eine 80-prozentige Cloud gut genug", erläutert Andi Mann, Manager beim Anbieter CA Technologies, gegenüber unserer amerikanischen Schwesterpublikation NetworkWorld. Entscheidender als die Frage, ob alle fünf Merkmale abgehakt sind, sei die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Kunden. „Letztlich dreht sich alles um den Business-Service", so Mann. Ein Beispiel für die Verzichtbarkeit eines Kriteriums unter gewissen Voraussetzungen: Wenn Unternehmen nur statische, also immer gleiche Workloads verarbeiten, können sie folglich bestens auf elastische Skalierung verzichten. „Im technischen Sinne müsste man das dann eine höchst effiziente virtuelle Umwelt nennen", so Mann.

In der Praxis ist es deshalb häufig so, dass die Anwender sich nach weitgehender Virtualisierung in kleinen Schritten hin zur echten Cloud bewegen. Eine Studie von Freeform Dynamics bestätigt diesen Eindruck. Danach haben nur wenige Unternehmen bisher eine echte Private Cloud installiert. Die Mehrheit zieht es vor, mehrere kleinere Verbesserungen an der Infrastruktur vorzunehmen. Sie alle zusammen sollen die Infrastruktur auf ein neues Niveau heben, das dem Ansatz von Cloud-Services nahe kommt. Eine Mehrheit der Befragten geht auch davon aus, dass Erfahrungen mit Virtualisierung eine gründliche Basis für Private Clouds bieten. Allerdings meinen nur zwei Fünftel, dass eine Private Cloud der nächste natürliche Schritt nach der Virtualisierung sei.

Prinzipiell sind die Anwender laut Freeform Dynamics für neue Verrechnungs- und Self-Service-Modelle bei der Nutzung von Ressourcen und Applikationen – einem entscheidenden Schritt zur Private Cloud – offen. Nach Beobachtung von Studienautor Andrew Buss fehlt es praktisch aber noch oft an einer individualisierten Billing-Kultur für die unternehmensweiten Abnehmer von IT-Leistungen. Weniger schematische Abrechnungsmodi würden den Übergang in die Private Cloud jedenfalls erleichtern. Eine weitere Hürde sei das oft fragmentierte IT-Management in den Firmen, was beispielsweise die Planung von automatisierten Workloads erschwert. Nach Ansicht von Freeform Dynamics sind auf dem Weg in die Wolke auch Änderungen bei der Organisation der IT-Abteilung und beim Einsatz integrierter Management-Tools erforderlich.

Abflug torpediert

Für die gängige Praxis, dass viele vermeintliche Private Clouds in Wirklichkeit gar keine seien, gebe es selbstverständlich triftige Gründe, mutmaßt Forrester-Analyst James Staten. Nach seiner Beobachtung erfordert die Steuerung echter Private Clouds spezielle Administratoren für diesen Bereich. Aus Angst vor Macht- und Bedeutungsverlust blockierten deshalb IT-Administratoren den Abflug in die Wolke. Staten plädiert deshalb für den Mut, neues zu wagen und sich auf Self-Service und dynamische Skalierbarkeit einzulassen. Mit der Zuständigkeit für angemessene Security-Protokolle, Verfügbarkeit der nötigen Ressourcen und Virtualisierungs-Komponenten bleibe für die IT auch im Cloud-Zeitalter jede Menge Arbeit zu erledigen. Wer sich diesem Paradigmenwechsel verweigert, begibt sich laut Staten auf dünnes Eis. Auf Sicht drohe dann die Massenflucht der User in die Schatten-IT.