Preview: ATI Radeon 9700

19.07.2002 von NICO ERNST 
In vier Wochen will ATI NVIDIA vom 3D-Thron stoßen - dann wird der Radeon 9700 ausgeliefert. Die technischen Daten des ersten DirectX-9-Chips liegen schon vor und sind mehr als vielversprechend.

Neben dem bereits serienreifen Radeon 9000 plant ATI einen Generalangriff auf den Grafikmarkt. Die Speerspitze dafür stellt der unter dem Codenamen "R300" entwickelte Grafikchip dar.

Wie unserem Test zu entnehmen ist, verdient der Chip R250 den Namen seiner Grafikkarte "Radeon 9000" nicht wirklich - er ist in vielen Punkten ein Radeon 8500, der zudem noch langsamer als der Vorgänger getaktet ist. Der R300, der als "Radeon 9700" erscheinen wird, ist dagegen eine komplette Neuentwicklung. Erstmals wurde der Chip auf der "Computex 2002" gesichtet, damals allerdings noch in einer frühen Version. Anders als auf dem folgenden Bild oben links zu sehen, verfügte diese Version noch nicht über eine externe Stromversorgung.

In der Tat ist der Floppy-Stecker äußerlich die erste Neuerung, die ins Auge springt - unbestätigten Angaben zufolge soll der Radeon 9700 mit seinen 107 Millionen Transistoren in 0,15 Mikron über 42 Watt unter Last verbrauchen. Das überfordert selbst großzügig ausgelegte AGP-Schaltungen.

256-Bit-Speicher...

Doch diesen enormen Transistoraufwand braucht ATI auch, um die Vielzahl neuer Funktionen im Chip unterzubringen. Entworfen hat den Grafikprozessor das von ArtX übernommene Design-Team, das auch für den Chip Flipper in Nintendos Gamecube verantwortlich war.

Wie schon die Matrox Parhelia kommt der Radeon 9700 mit einem 256 Bit breiten Speicher-Interface - Matrox konnte daraus jedoch keine sensationelle Performance ziehen. Bei ATI könnte das anders sein, denn die vier einzelnen Speicher-Controller sind unabhängig.

Über eine Switch-Logik werden die Zugriffe auf vier externe, 64 Bit breite Speicherkanäle verteilt. Für das DDR-SDRAM selbst kommen wie schon beim GeForce4 ab Modell 4400 ausschließlich Bausteine im BGA-Gehäuse zum Einsatz.

... und AGP 8x

Laut ATI sind die vier Speicherkanäle völlig unabhängig und können so auch gleichzeitige Schreib- und Lesezugriffe verarbeiten. Die gesamte Bandbreite soll 20 GByte/s betragen, der GeForce4 Ti 4600 kommt nur auf 10,4 GByte/s. Die Speicherausstattung der Radeon 9700 beträgt maximal 256 MByte, die ersten Karten werden jedoch nur mit 128 MByte geliefert werden. Das ist aber auch bei anspruchsvollen Anwendungen mehr als ausreichend.

Wer solche Speicherbandbreiten zur Verfügung hat, will Texturen und Geometriedaten auch schnell aufs Board bekommen. Dafür steht beim Radeon 9700 AGP 8x zur Verfügung.

Acht Pipes und DirectX-9-Shader

Gegenüber dem Radeon 8500 hat ATI beim Radeon 9700 die Zahl der Rendering-Pipelines auf acht verdoppelt. Jede dieser Pipes verfügt über eine eigene Texturierungseinheit sowie einen Pixel-Shader.

Diese Pixel-Shader beherrschen laut Angaben von ATI und Microsoft alle Anforderungen von DirectX9. Da diese Grafikschnittstelle noch nicht vorgestellt wurde, sind die Informationen darüber spärlich gesät.

Die leistungsfähigen Pixel-Shader arbeiten laut ATI mit Floating-Point-Logik bei 128-Bit-Genauigkeit. Sie sollen auch ausreichen, um Echtzeitmanipulationen an Video-Streams vorzunehmen.

Eindrucksvolle Bilder

ATI zeigte aber bei der Vorstellung in München schon, dass so viel Parallelität im Grafikchip in Verbindung mit hoher Speicherbandbreite nicht nur für Spezialeffekte wie Wasseroberflächen zu gebrauchen ist. Wenn beispielsweise vier Texturen mit verschiedenen Transparenz- und Beleuchtungsoberflächen kombiniert werden, lässt sich der Eindruck eines Autolackes mit Perlmutteffekt erzielen.

Die Pixel-Shader alleine können natürlich, wie NVIDIA das schon vorgemacht hat, ebenfalls realistische Oberflächen erzeugen - und wie bei NVIDIA, hat sich ATI Tierfell als Demo-Objekt ausgesucht.

Neue Video-Engine

Wie schon der Radeon 9000 beherrscht auch der Radeon 9700 die Echtzeitmanipulation von Video-Streams. Das folgende Bild demonstriert das Fullstream-Feature des kleinen Bruders.

Beim Radeon 9700 soll mit dem Feature "Videoshader" nicht nur das bloße Filtern von Artefakten erreicht werden. ATI will beispielsweise Oberflächeneffekte und Bildverzerrungen am Video durch die Shader berechnen lassen. Bisher benötigt Software wie Adobes "Premiere" oder "AfterEffects" dafür Rechenzeiten von mehreren Stunden.

Zwar nannte ATI Adobe nicht explizit als Partner, der den Videoshader unterstützt. Die Kanadier befinden sich aber nach eigenen Angaben in Verhandlungen mit "mehreren Software-Herstellern". Auch wenn der Radeon 9700 primär ein 3D-Chip ist, wäre er im Bereich Video-Editing damit eine Sensation, fallen doch die sündteuren DSP-Karten für Spezialeffekte weg. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit muss sich aber erst noch in der Praxis zeigen.

Fazit

Neben den genannten Funktionen hat ATI auch seine Geometriekompression "Hyper Z" modernisiert sowie das Full-Scene-Antialiasing verbessert. Klare Angaben zum Takt des Chips fehlen noch, er wird mit "über 300 MHz" erscheinen. Inoffizielle Quellen sprechen von maximal 330 MHz. Der Speichertakt wird um 650 MHz liegen.

Performance-Daten liegen noch nicht vor, so dass man auch hier den inoffiziellen Quellen glauben mag, die von über 14.000 3D-Mark-Punkten mit einem Pentium 4 bei 2,53 GHz sprechen. Auch bei Unreal Tournament 2003, das erst Mitte August erscheint und über zahlreiche Shader-Effekte verfügt, soll der Radeon 9700 dem GeForce4 Ti 4600 deutlich davonlaufen.

So sich das bewahrheitet, kann ATI mit dem neuen Chip wirklich erstmals den in allen Bereichen schnellsten und funktionsreichsten Grafikprozessor stellen. Doch vermutlich nicht lange: NVIDIAs "NV30" soll ebenfalls mit einem 256-Bit-Interface für den Speicher und DirectX-9-Shadern erscheinen, und zwar im Oktober.

Damit gilt es für ATI, schnell hohe Stückzahlen und regelmäßigen Treiber-Support zu liefern. Und selbst wenn NVIDIA Ende des Jahres wieder schneller sein sollte, hat ATI noch einen Trumpf im Ärmel. Er heißt Radeon 9500 und soll eine preisgünstigere Version des High-End-Produkts sein, die vermutlich schon in 0,13 Mikron hergestellt wird. Bisher hat der designierte Leistungskönig Radeon 9700 einen zumindest fürstlichen Preis von rund 300 US-Dollar für komplette Boards. Die deutschen Preise stehen noch nicht fest. (nie)