Prognosen via Datenanalyse

Predictive Analytics: Darauf müssen Unternehmen achten

16.07.2015 von Jürgen Mauerer
Predictive Analytics wirft auf Basis von komplexen Datenanalysen einen Blick in die Zukunft. Doch wie aussagekräftig sind die Prognosen? Bei der Implementierung einer Predictive-Analytics-Lösung drohen viele Fallstricke – von der Auswahl der Daten über die Methodik bis hin zur unzureichenden Analyse der Geschäftsprozesse. Unternehmen sollten Predictive Analytics daher als kontinuierlichen, iterativen (Lern-)Prozess sehen.

Absatzprognosen für ein bestimmtes Produkt in verschiedenen Regionen, dynamische Preisgestaltung oder Vorhersage des Stromverbrauchs - es gibt mittlerweile viele Beispiele für Predictive Analytics. Ziel ist es, auf Basis von Data Mining, maschinellem Lernen und anderen statistischen Methoden Vorhersagen über die Wahrscheinlichkeit von künftigen Ereignissen zu treffen. Das wirft einige Fragen auf: Wie stichhaltig sind diese Prognosen? Worauf müssen Unternehmen bei der Implementierung einer Predictive-Analytics-Lösung achten? Welche Vorgehensweise (Strategie, Auswahl der Daten, Methodik) ist zu empfehlen? Wie lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse erfolgreich in die Geschäftspraxis übertragen?

Anders als hier dargestellt, ist der Weg zu Predictive Analytics nicht unbedingt geradlinig.
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Mehrwert aufzeigen nach Analyse des Geschäftsmodells

Dirk Böckmann, Vorstand und Partner bei der Avantum Consult AG, einer Tochter des SAP-Dienstleisters All for One Steeb AG, sieht grundsätzlich bei Unternehmen noch Aufklärungsbedarf. "Unsere Kunden beschäftigen sich erst nach und nach mit dem Potenzial ihrer Daten für Predictive Analytics. Wo solche Projekte jedoch bereits durchgeführt wurden, ist die Kundenzufriedenheit fast ausnahmslos am höchsten."

Vor jedem Pilotprojekt steht erst eine ausführliche Analyse der Situation des Kunden. Welche Einflussfaktoren treiben das Geschäftsmodell? Wann sind die Umsätze niedrig, wann hoch? Wann steigt der Gewinn? Welche Ziele hat der Kunde? Um welche externen Informationen müssen die internen Daten angereichert werden, damit Ursache und Wirkung richtig zueinander passen? "Auf Basis der ausgewählten Daten bauen wir ein Modell, das aufzeigt, welchen Mehrwert unser Kunde mit besser abgesicherten Prognosen für sein Business konkret erzielen kann. So kommen wir zum Business Case", sagt Böckmann. Anhand individueller Kennzahlen werde darin ein konkretes Ziel festgelegt, das der Kunde über Predictive Analytics erreichen will.

„Wir kombinieren verschiedene Modelle und verfeinern die Datenanalyse Schritt für Schritt, um die Vorhersagegenauigkeit zu verbessern.“ Dirk Böckmann, Avantum
Foto: Avantum Consult AG

Ein Beispiel: Avantum unterstützte einen Pharmagroßhändler mit einer Predictive-Lösung bei der Optimierung der Absatzplanung. Kernkennzahl war hier die sogenannte Fehlmenge, die anzeigt, dass ein Produkt wegen zu hoher Nachfrage ausverkauft ist, beispielsweise Schnupfensprays bei Erkältungswellen. Kann ein Pharmagroßhändler in diesem Fall nicht liefern, bestellen die Apotheken bei der Konkurrenz. Die Fehlmenge hatte hier zu Umsatzeinbußen von bis zu drei Prozent geführt. Ziel war es daher, diese Fehlmenge mit besseren Absatzprognosen zu reduzieren.

Auswahl der Datensätze

Nach der Analyse der Geschäftsprozesse und dem Festlegen der Ziele folgt die Auswahl der Daten, die für die konkrete Analyse relevant sind. "Ausgangspunkt ist immer die konkrete Fragestellung. Sie können nicht die komplette Datenbasis verwenden", erläutert Dr. Michael Milnik, Team Lead Customer Analysis bei der Blue Yonder GmbH, einem Anbieter von Predictive-Analytics-Lösungen. Dabei sei es meist wirtschaftlich sinnvoller, die Daten zuzuschneiden, die später über Algorithmen und Vorhersagemodelle ausgewertet werden.

"Es ist äußerst wichtig, gemeinsam mit Experten die Projekte schrittweise zu erarbeiten und auch die Datenquellen sukzessive zu erweitern." Michael Milnik, Blue Yonder
Foto: Blue Yonder

Im obigen Beispiel bildeten alle internen Daten rund um die Produkt-/Waren-Gruppe Schnupfenspray die Basis für die Analyse. "Stehen bei der Prognose einzelne Kunden oder Kundengruppen im Fokus, sind vor allem die Kundendaten relevant, weniger die Produktdaten. Die Auswahl der Datensätze hängt also immer von der Fragestellung ab, lässt sich aber Schritt für Schritt erweitern", so Milnik weiter. Interne Daten werden meist um externe Informationen wie Wetterdaten oder Ferien- und Feiertagstermine ergänzt, um aussagekräftige Prognosen zu erhalten.

Voraussetzung: Leistungsstarke Datenbankinfrastruktur

Grundlegende Voraussetzung für die effiziente Datenanalyse ist ein leistungsfähiges Data Warehouse beziehungsweise eine geeignete Big-Data-Infrastruktur, die auch große Datenmengen schnell auswertet. Blue Yonder setzt beispielsweise das analytische In-Memory Datenbanksystem von Exasol ein. Das System kommt mit verschiedenen Formen von Daten zurecht, vereinheitlicht und verbindet diese. Im Rahmen von Predictive Analytics ist es unerlässlich, Daten aus unterschiedlichsten Quellen zu aggregieren und zu analysieren. Sämtliche Datenquellen (Maschinen, Prozesse, Produkte, Wetterdaten etc.) und Systeme (ERP, CRM, BI etc.) müssen miteinander integriert werden.

Eine weitere Herausforderung ist es, die große Vielfalt von Datentypen und Formaten sowie die Qualität der einzelnen Daten umfassend zu verstehen und daraus entsprechende Einsichten zu gewinnen. Die Daten sollten natürlich alle Kriterien für hohe Qualität erfüllen wie Korrektheit, Konsistenz, Vollständigkeit, Aktualität oder Einheitlichkeit. Insbesondere für Predictive Analytics müssen genügend historische Daten vorhanden sein, damit sich diese mit geeigneten Prognosetechniken aussagekräftig in die Zukunft fortschreiben lassen.

Iterativer Prozess mit passendem Methoden-Mix

Es gibt viele unterschiedliche Methoden und Vorhersagemodelle, um aus Daten Prognosen abzuleiten. Sie reichen von klassischen Data-Mining-Methoden wie Clustering oder Regressionsanalyse über Elemente der Spieltheorie bis hin zum maschinellen Lernen. Bei Letzterem werden die Algorithmen so trainiert, dass sie aus den vorliegenden Daten lernen, selbstständig ein Datenmodell erzeugen und dieses für Prognosen oder Entscheidungen einsetzen.

"Ziel ist es, den besten Ansatz für den Kunden zu finden. Wir füttern die verschiedenen Vorhersagemodelle mit den ausgewählten Daten, kombinieren verschiedene Modelle und verfeinern die Datenanalyse dadurch Schritt für Schritt, um die Vorhersagegenauigkeit zu verbessern", erläutert Avantum-Manager Böckmann. Blue Yonder setzt eine eigene Methodik ein, die auf maschinellem Lernen mit neuronalen Netzen beruht." "Wir passen unseren Algorithmus aber speziell auf die Situation beim Kunden an und entwickeln ihn kontinuierlich weiter. Es ist unser Ziel, auf der Basis von ähnlichen Fällen ein Standardmodell für bestimmte Branchen zu erstellen", sagt Milnik von Blue Yonder.

Angesichts der Komplexität der Predictive-Analytics-Projekte mit vielen Variablen und Einflussfaktoren raten beide Experten den Unternehmen, schrittweise vorzugehen und mit einem kleinen Pilotprojekt zu starten, das in einem laufenden Prozess ständig weiterentwickelt wird. Dazu Milnik: "Es besteht immer das Risiko, dass die Vorhersagemodelle nicht das erwartete Ergebnis bringen. Das kann unterschiedlichste Ursachen haben. Beispielsweise kann es an der Datenqualität mangeln. Daher ist es äußerst wichtig, gemeinsam mit Experten bei unseren Kunden die Projekte schrittweise zu erarbeiten und auch die Datenquellen sukzessive zu erweitern."

Gute Prognose, schlechte Prognose

Ob sich der ganze Aufwand für das entsprechende Vorhersagemodell gelohnt hat, zeigt ein Vergleich der Prognose mit der Realität. Eine weitere Kenngröße für die Qualität einer Prognose wäre der Vergleich mit bislang im Unternehmen eingesetzten Methoden (zum Beispiel Regressionsanalyse in Verbindung mit dem Bauchgefühl des Managers) oder Konkurrenz-Algorithmen. "Die statistische Auswertung der Prognosen und die korrekte Maßzahl für die Prognosegüte ist ein wichtiger Bestandteil eines Projektes. Zum Beispiel sollten prognostizierte Absatzzahlen nicht über quadratische Abweichungen evaluiert werden, da Abweichungen von +/-10 wirtschaftlich aussagekräftiger sind", erklärt Milnik.

Nah dran: Die Qualität der Absatzprognose zeigt sich im Vergleich mit der Realität.
Foto: Blue Yonder

Erweist sich die Prognose als stichhaltig, gilt es, die Ergebnisse so in die Geschäftspraxis zu übertragen, dass sie einen Mehrwert ergeben. Nehmen wir das Beispiel Schnupfenspray: Hier konnte der Pharmagroßhändler dank der besseren Absatzvorhersage seine Lager rechtzeitig auffüllen, die Fehlmenge für Schnupfenspray auf 0,5 Prozent senken und seine Umsätze erhöhen. "Natürlich sagt der gesunde Menschenverstand, dass die Absatzzahlen von Schnupfenspray bei Kälte und schlechtem Wetter steigen. Predictive Analytics lässt aber durch die Kombination historischer Daten mit den Wetterprognosedaten viel granularere Einsichten zu, die letztendlich zu deutlich besseren Geschäftsergebnissen führen", sagt Böckmann.

Fazit

Es gibt nicht die eine richtige Predictive-Analytics-Methode für alle Unternehmen. Welche Methode und welcher Algorithmus am besten funktionieren, hängt vom individuellen Ziel und von der Fragestellung ab. Predictive Analytics ist zudem als immerwährender Prozess zu sehen mit dem Test und der Kombination verschiedener Datensätze und Vorhersagemodelle. Da sich die Modelle im Laufe der Zeit immer weiter verbessern, werden auch die Vorhersagen immer präziser. Unternehmen sollten daher mit einem kleineren Projekt starten und die Lösung dann Schritt für Schritt erweitern. (mb)