Praxiswissen ist gefragt

25.05.2001
Linux spielt unter den Betriebssystemen eine immer größere Rolle. Entsprechende Experten werden deshalb immer gefragter. Die Schulungs- und Distributionsanbieter reagieren darauf mit der Entwicklung von Linux-Kursen. Doch die Zertifikate sind sehr unterschiedlich zu bewerten.

Von: Horst Werner, Wolfgang Kiersch

Früher haftete Linux das Vorurteil an, nur von Freaks genutzt zu werden. Inzwischen hat sich dies grundlegend geändert - der Pinguin hat die Geschäftswelt erobert. Die Unternehmen wissen die Vorteile des "alternativen" Betriebssystems zu schätzen und scheuen vor dessen Einsatz nicht mehr zurück: Laut einer Studie der International Data Corporation (IDC) verzeichnete Linux in den vergangenen zwei Jahren das stärkste Wachstum unter den Betriebssystemen und hat nun einen Marktanteil von 27 Prozent. Gründe dafür sind unter anderem dessen hohe Affinität zum Internet sowie die steigende Nachfrage nach Web-gestützten Anwendungen. Da es sich bei Linux um ein Open-Source-Produkt handelt, kann jedes Unternehmen Zertifizierungen vergeben. Für einen Linux-Experten stellt sich daher die Frage, ob ein Zertifikat seine Jobchancen verbessert und wenn ja, welche der angebotenen Zertifikate bei den Unternehmen begehrt sind.

Red-Hat-Schulung für Profis

Bei Red Hat können sich die Interessenten distributionsabhängig zum "Red Hat Certified Engineer" (RHCE) qualifizieren. Herstellerunabhängige Zertifizierungen bieten sowohl das Linux Professional Institute (LPI) sowie Sair (Software Architecture Implementation and Realisation). Sair ist eine Entwicklergruppe von Zertifizierungs- und Testunterlagen für die GNU-GPL-Open-Source-Gemeinde (Gnu’s Not Unix/General Public License). Darüber hinaus entwickelt auch das Unternehmen Comptia ein herstellerunabhängiges Linux-Zertifikat.

GFN, einer der größten unabhängigen Netzwerk-Schulungsanbieter in Deutschland, hat sowohl die Qualifizierung von Red Hat als auch die des Linux Professional Institute im Programm. "Wir sehen in der Kombination der beiden Linux-Zertifikate eine gegenseitige Ergänzung", so Holger Theobald, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Theobit, einem Linux-Trainingspartner der GFN. "Die Zertifizierung von Red Hat ist auf Grund ihres hohen Niveaus empfehlenswert. Anschließend kann man mit geringem Mehraufwand die Zertifizierung des LPI noch draufsetzen und qualifiziert sich so auch herstellerunabhängig." Insgesamt gehe der Trend zu heterogenen Betriebssystemen. Somit sei nicht nur der Linux- oder Microsoft-Spezialist gefragt, sondern Anwender, die mit unterschiedlichen Systemen umgehen können. Der Einsatz heterogener Betriebssystem-Architekturen eröffne die Chance, diese nach ihren Vorteilen und Schwerpunkten einzusetzen. Laut Theobald haben dies die Firmen erkannt und setzen schon jetzt häufig auf mehrere Betriebssysteme.

Red Hat bietet seit zwei Jahren in Deutschland die Möglichkeit, sich zum Red Hat Certified Engineer zu qualifizieren. Die Prüfung zum RHCE dauert einen Tag und umfasst sowohl einen Theorie- als auch einen Praxisteil. Die Kandidaten müssen im so genannten "Debug-Modul" einen mit Fehlern präparierten Computer wieder zum Laufen bringen, einen Multiple-Choice-Test ablegen sowie einen Installations- und Konfigurationsteil absolvieren. Laut Jens Ziemann, Training Manager Central Europe bei Red Hat, ist neben theoretischem Wissen auch eine gute Portion Praxiserfahrung nötig, um die Prüfung in der vorgegebenen Zeit zu bewältigen. Aufgrund der hohen Anforderungen sei eine Durchfallquote von 40 Prozent durchaus üblich. "Nur die wirklich fitten Leute kommen durch", sagte Ziemann.

Red Hat hat vier aufeinander aufbauende Kurse zur Prüfungsvorbereitung im Angebot, bei denen die Teilnehmerzahl auf acht bis zwölf Interessenten pro Lehrgang begrenzt ist. Kandidaten, die bereits über Linux-Erfahrung verfügen, können den 5-tägigen Crash-Kurs "RH 300" belegen. Die Kosten dafür liegen inklusive Examensprüfung bei 2500 Euro; wer nur die Prüfung ablegt, zahlt 750 Euro. Das Arbeitsamt fördert laut Ziemann in diesem Jahr deutschlandweit die Ausbildung von 1500 Teilnehmern zum RHCE.

Das Linux Professional Institute (LPI) entwickelt mit Unterstützung der Sponsoren Suse, Caldera, Turbolinux und IBM sowie Freiwilligen aus der Linux-Gemeinde eine herstellerunabhängige Zertifizierung für Linux. Michael Weyrauch, verantwortlicher Ansprechpartner für Linux-Schulungen bei Suse, sagte: "Uns geht es bei der Zertifizierung vor allem um das Betriebssystem und nicht um den einzelnen Distributor. Wir setzen auf ein allgemeines Linux-Zertifikat, das unabhängig vom Hersteller ist." Eine Schulung, die von einer Organisation und nicht von einem Unternehmen durchgeführt werde, habe eine höhere Qualität zur Folge. Seiner Ansicht nach ähneln sich die einzelnen Distributionen, sodass unterschiedliche Prüfungen unnötig seien. Die komplette LPI-Zertifizierung wird drei Abschnitte umfassen, allerdings hat das Linux Professional Institute erst "Level Eins" fertig gestellt. Die Absolventen werden online getestet; die zweistündige Prüfung kostet 100 Dollar.

Sair erstellt eine weitere herstellerunabhängige Zertifizierung im Linux-Bereich. Zurzeit hat das autorisierte "Sair Linux GNU Accredited Center for Education" (ACE) zwei Zertifizierungen im Angebot: Für Einsteiger zum Linux Certified Professional (LCP), für Fortgeschrittene zum Linux Certified Administrator (LCA). Der IT-Dienstleister Infotel bietet Vorbereitungskurse für die Online-Prüfungen an.

In Zukunft sind weitere Prüfungsabschnitte für die Qualifikation zum LCE (Linux Certified Engineer) und MLCE (Master of Linux Certified Engineer) geplant. Die Tests für diese beiden Level stehen derzeit allerdings noch nicht zur Verfügung.

Zertifikate werden unterschiedlich beurteilt

Fritz Geiger, Personalreferent bei Compaq, sagt: "Es gab bei uns noch keine Stellenausschreibung, in der Linux-Zertifikate gefordert wurden." Grundsätzlich sei es positiv, wenn Bewerber Ausbildungsnachweise vorlegen, allerdings sei man durch die "Inflation der Zertifikate aus dem Microsoft-Bereich" kritisch und prüfe diese genau.

Der Schulungsanbieter Innominate Training GmbH bildet jährlich 500 bis 700 Linux-System- und Netzwerkadministratoren aus. Ebenfalls im Programm ist die LPI-Zertifizierung, doch die Nachfrage danach ist äußerst verhalten. "Weniger als fünf Prozent der Kursteilnehmer machen die LPI-Prüfung", sagt Geschäftsführerin Jana Möckel. "Die erste Stufe ist ein Ankreuztest, der lediglich Grundwissen abfragt, das Administratoren so gut wie nichts nützt", erläutert sie. Mitte dieses Jahres werde die zweite LPI-Stufe veröffentlicht, die dann "ernsthaftes Administratorenwissen" vermitteln werde. Die Qualifikation zum RHCE bezeichnete sie dagegen als "anspruchsvoll".

Laut Jörg Ludwig, Direktor Linux Marketing und Sales Support bei IBM, sind Linux-Zertifikate bei der Bewerbung keine zwingende Voraussetzung. Die RHCE-Qualifikation werde jedoch gern gesehen und habe eine gute Reputation am Markt.

Bei der Berliner Linux-Software-Firma Innominate spielen Zertifikate bei der Bewerbung so gut wie keine Rolle. Personalmanagerin Annett Schöneberg sagt: "Nicht Zertifikate, sondern das Know-how entscheidet. Praktische Erfahrung und persönliches Interesse sind die ausschlaggebenden Kriterien." Für die Anforderungen von Innominate seien Zertifikate alleine keinesfalls ausreichend. Im Einzelfall könne aber eine Ergänzung des vorhandenen Wissens, beispielsweise durch das Red-Hat-Zertifikat, durchaus sinnvoll sein.

Zur Person

Horst Werner

arbeitet als freiberuflicher Fachjournalist in München.