Powerquest dreht die Zeit zurück

13.10.1999
Egal ob Benutzerfehler, Absturz oder defektes Software-Update, "Second Chance" rekonstruiert den Zustand vor dem Malheur. NetworkWorld testete den Systemretter.

Von: Hartmut Lüerßen

Am Montag morgen um zehn Uhr ist die Welt noch in Ordnung. Der Rechner läuft, der Kaffee steht auf dem Tisch, die besten Voraussetzungen, um eine neue Software zu installieren. Bis halb elf geht alles gut, dann bricht das System auf dem Client zusammen. Ab diesem Zeitpunkt entstehen dem Unternehmen Kosten für unproduktive Arbeitszeit und User-Support. Im ungünstigsten Fall vergeht ein ganzer Arbeitstag oder länger, bis der Rechner neu aufgesetzt ist. Eine Alternative, die Supportkosten zu senken, wäre, vermehrt auf Thin Clients zu setzen. Dann beschränkt sich der Service hauptsächlich auf den Applikationsserver. Eine andere Alternative hat Powerquest entwickelt, allerdings ausschließlich für Windows-9.x-Clients: "Second Chance".

Anwender erhalten im wahrsten Sinne des Wortes eine zweite Chance, indem das Werkzeug etwa den Systemzustand vor einem defekten Software-Upgrade wiederherstellt oder nach einem Absturz verlorene Daten rekonstruiert. Das Ergebnis ist eine Art Schnell-Recovery, das aber weder ein Backup ersetzt, noch hundertprozentig vor Datenverlusten schützt. Die Technik funktioniert theoretisch recht simpel. Second Chance überwacht als Hintergrundprozeß die Festplattenaktivitäten und speichert geänderte Dateien auf Windows-Ebene oder darüber in sogenannten Checkpoints. Diese belegen die Dateien mit einem Schreibschutz, so daß trotz Änderungen oder Löschen einer Datei die Checkpoint-Version erhalten bleibt. Kehrt der Anwender zu dem Checkpoint zurück, reaktiviert er gewissermaßen den inaktiven, schreibgeschützten alten Zustand der Datei. So setzt die Lösung auch das Rechnersystem auf einen funktionsfähigen Zustand zurück. Ihre Grenzen erreicht die Software bei Hardware-Problemen oder Fehlern, die sich unterhalb der Betriebssystemebene von Windows abspielen, wie Änderungen an den Partitionen einer Festplatte oder unter Dos gelöschte Dateien. Second Chance überwacht nur die physikalischen Laufwerke des Rechners, keine Netzlaufwerke und auch keine Austauschmedien. Soweit zur Theorie.

Installation und Setup

Am Ende der Installation, die unauffällig über Wizards läuft, sollte man die bootfähige Sicherheitsdiskette erstellen, die sich notfalls aber auch über die Web-Seite von Powerquest generieren läßt. Anschließend legt entweder der Anwender selbst oder der Administrator zentral die regelmäßigen Zeitpunkte für automatische Checkpoints fest und bestimmt den maximalen Speicherplatz, den sie auf der Festplatte einnehmen dürfen. Standardmäßig gibt die Lösung 200 MByte vor, der Wert läßt sich jederzeit über die Management-Konsole anpassen. Um den Speicherplatz für die Checkpoints möglichst gering zu halten, überwacht die Software weder die temporären Verzeichnisse noch den Internet-Cache und speichert große Dateien nicht komplett, sondern nur deren Änderungen. Große Checkpoints entstehen deshalb vor allem bei Software-Installationen oder Upgrades, wenn die Setup-Routinen viele Änderungen in den Systemdateien vornehmen. Beim Wechsel von Windows 95 auf 98 sind das etwa 150 MByte.

Second Chance verwaltet die Checkpoints historisch und läßt innerhalb des vorgegebenen Speicherplatzes maximal 24 Checkpoints pro Tag zu, egal ob sie automatisch generiert werden oder durch den Anwender aus gegebenem Anlaß. Innerhalb dieser Höchstgrenze kann ein neuer Checkpoint jederzeit per Mausklick definiert werden; ein eindeutiger Name beugt späteren Verwechslungen vor. Man kann sich im "Second Chance Viewer" entweder die gesamten vorhandenen Dateien der überwachten Laufwerke anschauen oder nur die Dateien, die sich geändert haben. Unveränderte Ordner erscheinen in grau; Ordner, die geänderte Dateien beinhalten, sind gelb. Neu erzeugte Ordner zeigt der Viewer in grün an. Auf Dateiebene stimmt die Optik nicht ganz mit dem Farbcode der Ordner überein. Zwar erscheinen auch hier die unveränderten Dateien in grau, aber Dateien, die modifiziert wurden, sind nicht gelb sondern blau. Neu erzeugte Dateien sind ebenfalls grün, gelöschte Dateien rot. Die Oberfläche ist sehr intuitiv gestaltet und einfach zu bedienen, der linke Bereich des Fensters im Second Chance Viewer entspricht von der Gestaltung dem Windows Explorer. Der obere rechte Teil des Fensters zeigt den Inhalt des im Explorer-Tree ausgewählten Laufwerks oder Ordners, im unteren Teil des Fensters erscheint eine Liste der Dateien und Ordner, die der Anwender nach dem angewählten Checkpoint angelegt hat.

Wenn der Rechner nach einem Absturz nicht mehr bootet, kommt die Rettungsdiskette ins Spiel. Sie öffnet eine DOS-Kommunikationsbox, über die der Anwender den gewünschten Checkpoint "x" aufruft. Sobald das System zurückgesetzt ist, fährt es auf Tastendruck wieder hoch. Zwar sind nach dem Checkpoint x erschaffene Dateien unter Windows nicht sichtbar, sie lassen sich jedoch über den "Second Chance Viewer" wieder herstellen. Daß Second Chance auch einzelne Dateien aus unterschiedlich alten Checkpoints herstellen kann, macht das System-Werkzeug sehr flexibel.

Einsatz im Unternehmen

Second Chance läßt dem Anwender nur wenige Möglichkeiten, sich selbst zu überlisten. Eine besteht darin, zwischen zwei Checkpoints eine Datei anzulegen und aus Versehen wieder zu löschen, eine weitere darin, einen wichtigen Checkpoint unbeabsichtigt zu entfernen. In solchen Fälle helfen nur noch Datenrettungstools.

Im Unternehmen eignet sich Second Chance vor allem für Tele-Arbeiter oder Mitarbeiter im Außendienst, für die das Support-Team sehr schwer zu erreichen ist. Weil das Werkzeug so einfach zu bedienen ist, können sich auch unerfahrenere Anwender in vielen Fällen selber helfen. Aber auch für die stationären Windows-9.x-Clients dürfte sich die Investition schnell lohnen. Schließlich sind viele IT- und Support-Abteilungen chronisch unterbesetzt und selten stehen Austausch-PCs in ausreichender Zahl zur Verfügung. Zwar legen viele Mitarbeiter ihre Dateien auf einem abgesicherten Server ab, was die Gefahr des Datenverlustes durch einen lokalen Absturz enorm verringert, dennoch kommt es immer wieder zu Ausfallzeiten aufgrund von Benutzerfehlern. Sei es durch eigenhändiges Kaputtreparieren oder durch private Software, die zu einem Systemkonflikt führt: Die Supportkosten eines Clients übersteigen die Anschaffungskosten jährlich um ein Vielfaches.

Second Chance ist kein Allheilmittel, sondern eine sinnvolle Ergänzung für einen abgesicherten Arbeitsplatz. Wie immer kommt es vor allem auf die Disziplin des Anwenders an, wie hilfreich das Werkzeug im Notfall ist. Genau wie ein Virenscanner nur dann schützt, wenn man ihn nutzt und regelmäßig mit den neuesten Virendefinitionen bestückt, nutzt Second Chance nur dann, wenn die Mitarbeiter die Lösung akzeptieren und in ihren Arbeitsrhythmus integrieren. Das Minimum an Checkpoints kann der Administrator vorgeben, wenn er das Tool über Softwareverteilung auf den Clients installiert oder über "Remote-Management"-Software verwaltet. Die deutsche Version erscheint im November zum Preis von 170 Mark für eine Einzelplatzlizenz, für 100 bis 249 Workstations verlangt Powerquest 49 Mark pro Platz. Einen Haken hat Second Chance: Es mag die Kosten für den Benutzer-Support verringern, die "Spielfreude" der Kollegen am Arbeitsplatz dagegen nicht. Schließlich darf mit Second Chance auch mal was daneben gehen.