Politik und Filter

22.03.2001

In Europa stellt das "Grünbuch über den Schutz der Menschenwürde in den audiovisuellen und den Informationsdiensten" (Europäische Kommission KOM (96) 483) einen wichtigen Ausgangspunkt für alle Überlegungen dar, im öffentlichen Raum den Internet-Content durch Filtertechnik zu zähmen. Jugendschutz ist dabei das Hauptmotiv.

In den "Ergebnissen der Konsultationen zum Grünbuch", einem "Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen" vom 13.6.1997, heißt es ausdrücklich, dass zum Zweck des Jugendschutzes Filtersoftware bereitgestellt werden soll (Europäische Kommission SEK (97) 1203, Seite 6). Der Text wendet sich an Anbieter von Inhalten im Internet.

Das Dokument regt außerdem an, mit Hilfe des "PICS"-Protokolls ein System der freiwilligen Kennzeichnung von Inhalten und der Selbstkontrolle von Anbietern aufzubauen (Europäische Kommission SEK (97) 1203, Seite 6 und Seite 11). Filter in Web-Zugangsgeräten sollen also nicht versuchen, die Inhalte selbst zu analysieren. Nach den Vorstellungen der Kommission sollen sie die Label auswerten, welche die Anwender ihren Angeboten geben.

Erneut zeigt sich, wie sehr das Thema "Jugendschutz" im Vordergrund steht. Vor allem die "Wirksamkeit der Systeme elterlicher Kontrolle" (Europäische Kommission SEK (97) 1203, Seite 6) soll gestärkt werden. Dabei rufen die Autoren nach "Instrumenten", die in Zusammenarbeit mit den "Betreibern und Nutzern" die Strafverfolgung bei der Verbreitung rechtswidriger Inhalte erleichtern sollen (Europäische Kommission SEK (97) 1203, Seite 11). Das lässt vermuten, dass die Filter auch protokollieren und identifizieren sollen.

Noch einmal aufgegriffen hat die Kommission ihre Forderungen später in ausdrücklichen "Empfehlungen": "Konsultationsgespräche haben deutlich gezeigt, dass die Gewährleistung des Jugendschutzes und des Schutzes der Menschenwürde unverzichtbar ist, wenn sich der Sektor audiovisuelle und Informationsdienste zu einem Klima des Vertrauens entwickeln soll". Das Konzept der Selbstkontrolle spielt in diesem Dokument eine noch größere Rolle. Darüber stellt die Kommission nun einen Verhaltenskodex auf, der unter anderem eine offene Kennzeichnung jugendgefährdender Sites durch die Anbieter umfasst. Die Einstufung der Inhalte soll technisch auszuwerten sein, so dass zwei Zensurmechanismen zur Verfügung stehen: "Filtersoftware, die von den Nutzern installiert und aktiviert wird", und "Filteroptionen, die von den Anbietern aktiviert werden".

Das Papier propagiert demnach ein kooperatives und verantwortungsvolles Verhalten von Sendern und Empfängern im Internet. Endanwender sollen in der Lage sein, ihre Vorstellungen von "gutem" und "schlechtem" Inhalt per Filter temporär im Zugangsgerät zu verankern. Eltern und Anbietern öffentlicher Terminals soll eine Möglichkeit gegeben werden, Kindern, Kunden und Mitarbeitern den Zugang zu einzelnen Sites zu versperren. Die Autoren bemühen sich, ihre Einstellung zur Meinungsfreiheit im Web als positiv darzustellen. Sie stellen außerdem immer wieder den Wert einer frühen medienkritischen Erziehung von Kindern in den Vordergrund.

Wie sehr das Ziel des "Vertrauens ins Internet" wirtschaftlich motiviert ist, zeigt sich in der "Empfehlung des Rates vom 24. September 1998 zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriezweigs der audiovisuellen Dienste und Informationsdienste durch die Förderung nationaler Rahmenbedingungen für die Verwirklichung eines vergleichbaren Niveaus in bezug auf den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde" (PDF-Dokument, 63 KByte). Darin heißt es, dass das Klima des Vertrauens "benötigt" wird, um das "Potential des Industriezweigs voll zu nutzen", und dass Maßnahmen zur Gewährleistung von "Jugendschutz" und "Menschenwürde" dieses Ziel "fördern" könnten. Auf den ersten Blick mag es sympathisch erscheinen, dass hier wirtschaftliches Interesse offensichtlich gesellschaftliches Engagement zur Folge hat. Kritiker allerdings weisen auf die Prioritäten hin, die hier offensichtlich gesetzt werden: Sorge um die Menschenwürde dient als Mittel zum Zweck.

Auch Deutschland setzt auf Selbstkontrolle

In Deutschland folgen Wirtschaft und Politik dem Ruf der EU nach Filtersystemen, die auf Selbsteinschätzungen der Anbieter beruhen. Das Engagement kam in Gang, als die Boulevardpresse in den Jahren 1999 und 2000 immer wieder Fälle von Nazi-Hetze und Kinderpornographie im Web aufgriff und das Internet dabei als Hort des Grauens verteufelte, in dem man bei jedem Schritt auf Gewaltverherrlichung und Pornographie stoße. Gerade Eltern und ältere Bürger ohne eigene Internet-Erfahrung adaptierten damals ein negatives Bild des weltweiten Netzes. Dies wiederum rief die Anbieter auf den Plan, die befürchten mussten, diese Gesellschaftsgruppen als potenzielle Kunden im Netz zu verlieren.

Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin und später das Bundesinnenministerium griffen daraufhin recht schnell die EU-Vorschläge auf. Wenig später schloss sich die CDU diesen Forderungen an. Tatsächlich verwirklicht wird nun offenbar ein System, dass – ebenfalls, wie es die EU forderte – auf dem "PICS-Protokoll" zur Selbst-Einstufung basiert. Das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG) nahm 1997 Online-Angebote in die Bestimmungen zum Jugendschutz auf und forderte Vorkehrungen, auch in diesem Bereich Angebote für Erwachsene von Jugendlichen fernzuhalten.

Die Bertelsmann-Stiftung entwickelt in Zusammenarbeit mit der unter ihrer Leitung gegründeten Internet Content Rating Association (ICRA) eine Lösung, die auf einem Grundfilter beruht, der vom Endanwender oder seinem Administrator mit unterschiedlichen Negativlisten ausgestattet werden kann. Das System soll kostenlos verteilt werden.

Sofern die Anbieter beispielsweise jugendgefährdende Inhalte ehrlich und richtig klassifizieren, können dann kommerzielle Anbieter und gesellschaftliche Organisationen ihren Kunden oder Angehörigen Filter mit unterschiedlichen Gewichtungen anbieten – beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften oder auch die Polizei. Institutionen wie das BKA sollen Listen zuliefern, die nicht allein auf Selbsteinschätzungen der Anbieter beruhen, sondern auch auf kriminalistischen Wertungen. (jo)