Pocket PC 2002 - Wintel auf PDAs

05.02.2002 von JÜRGEN MAUERER 
Microsoft will mit seinem Betriebssystem 'Pocket PC 2002' Palm OS als dominierende PDA-Plattform ablösen. Wir haben den Nachfolger von Windows CE 3.0 unter die Lupe genommen.

Noch vor einem Jahr hatte Microsoft mit seinem Betriebssystem Windows CE 3.0 auf dem PDA-Markt nur wenig zu melden. Die Geräte mit Palm OS beherrschten die Szene eindeutig. Palm und Handspring nahmen gemeinsam einen Marktanteil von etwa 90 Prozent ein. Die Hersteller der Pocket PCs wie Compaq, Hewlett-Packard und Casio teilten sich den kümmerlichen Rest.

Seit Anfang des Jahres jedoch konnten die Pocket PCs gegenüber Palm-OS-PDAs erheblich Boden gut machen. So sank der Marktanteil von Palm, Handspring & Co im Jahr 2001 laut Gartner Dataquest weltweit von 90 Prozent auf nur noch 65 Prozent. Die Pocket PCs kommen zusammen auf knapp 25 Prozent. Neuesten Zahlen von IDC zufolge hatte Compaq im vierten Quartal 2001 einen Marktanteil von 9,6 Prozent, Hewlett-Packard von 6,2 Prozent.

Die Windows-Geräte zielen vor allem auf den Einsatz in Unternehmen ab. Mit dem neuen Betriebssystem Pocket PC 2002 will Microsoft jetzt die Palm-OS-Plattform endgültig vom Thron stoßen. Wir zeigen, was der Nachfolger von Windows CE 3.0 bietet. Einen Test von vier PDAs mit Pocket PC 2002 finden Sie hier.

Basis: Windows CE 3.0

Pocket PC 2002 (Codename Merlin) basiert auf dem Kernel von Windows CE 3.0; der Code ist jetzt mit dem des Handy-Betriebssystems Stinger von Microsoft identisch. Das OS entspricht damit nicht dem Nachfolger von Windows CE 3.0 (Codename Talisker). Windows CE 4.0 ist laut Microsoft vielmehr für den Embedded-Markt ausgelegt und zielt auf den Einsatz in Haushaltsgeräten oder Set-Top-Boxen.

Windows CE ist ein modulares 32-Bit-Betriebssystem, das ähnlich wie Windows NT in verschiedenen Schichten aufgebaut ist. Der dem HAL (Hardware Abstraction Layer) aus NT vergleichbare OEM Adaption Layer (OAL) trennt beispielsweise die Hardware vom Kernel des Betriebssystems und stellt das korrekte Zusammenspiel zwischen Kernel und Hardware sicher. Vorteil: Für unterschiedliche Hardware muss nicht jedes Mal das komplette Betriebssystem neu angepasst werden.

Pocket PC 2002 läuft im Unterschied zu Windows CE 3.0 nur noch auf ARM-Prozessoren, konkret auf Intels StrongARM-CPU und künftiger XScale-Architektur. Ähnlich wie vor Jahren das Desktop-OS nur auf Intel- oder x86-kompatiblen CPUs lief, bahnt sich damit auch im Kleinen eine Art Wintel-Imperium an. Von den derzeit erhältlichen Win-CE-PDAs lässt sich nur der Compaq iPaq auf Pocket PC 2002 updaten. Besitzer von HP Jornadas (SH3-Prozessor) sowie Casio-PDAs von (NEC-CPU) schauen in die Röhre.

Damit ergibt sich eine ähnliche Situation wie derzeit bei Palm OS-PDAs, die allesamt (noch) mit einem Dragonball-Prozessor von Motorola arbeiten. Die Konzentration auf eine CPU-Architektur hat jedoch auch einen Vorteil. Denn bisher waren viele Programme von der Hardware sprich dem Prozessor abhängig; nicht jede Windows-CE-Software lief auf jedem Pocket PC. Diese Inkompatibilität gehört mit der Konzentration auf ARM-CPUs nun der Vergangenheit an.

Oberfläche

Die Oberfläche von Pocket PC 2002 ähnelt der des Desktop-Betriebssystems Windows XP. Nutzer können die Display-Anzeige ähnlich wie beim Luna-Konzept von XP mit Skins individuell anpassen. Microsoft bietet dazu auf seiner Pocket-PC-Webseite verschiedene Muster sowie ein Tool für eigene Kreationen der Startseite zum Download an.

Neu sind zusätzliche Symbole in der Taskleiste, über die man schneller auf Termine oder eingegangene Nachrichten zugreifen sowie die Lautstärke regeln kann. Für besseren Komfort sorgen Pop-up-Fenster, die den Anwender über angekommene E-Mails, SMS oder MSN-Messenger-Botschaften informieren.

Microsoft hat auch auf die Kritik am Task-Management bei Windows CE 3.0 reagiert und den so genannten Smart-Minimize-Button (im Menü kleines x rechts oben) eingeführt. Er beendet die Anwendungen allerdings nicht, sondern stellt sie nur in den Hintergrund. Die Folge: Sie benötigen weiterhin Speicherplatz. Wer auf Nummer Sicher gehen will, kann die Anwendungen im Menü Einstellungen/System/Speicher/Ausgeführte Programme endgültig schließen. Häufig genutzte Anwendungen bleiben jedoch im Speicher-Cache, so dass sie sich beim erneuten Gebrauch schneller öffnen.

Synchronisation und PIM

Die Hersteller der von uns getesteten PDAs mit Pocket PC 2002 liefern zur Synchronisation der PIM-Daten (Adressen, E-Mails, Termine, Aufgaben) die Programme Outlook 2000 und ActiveSync 3.5 mit. Mit Letzterem lassen sich nun auch Unterordner in Outlook synchronisieren. Damit erhält man im Posteingang die gleiche Struktur wie auf dem Desktop-PC.

Die neue Version von ActiveSync eignet sich nicht nur für den Abgleich der Adress- oder Kalender-Daten, sondern auch für die Übertragung von komplexeren Daten. Grund: Die Software integriert die PDAs unter dem Eintrag "Mobile Geräte" in den Windows Explorer. Dadurch lassen sich auch umfangreiche Dateien problemlos per Drag and Drop auf den Minirechner verschieben. Allerdings ist hier Vorsicht geboten, da ActiveSync die Daten automatisch in das PDA-Format konvertiert. Man kann diese Einstellung jedoch auf dem PC ändern.

ActiveSync 3.5 bringt zusätzlich besseren Support für USB-Verbindungen mit. Für die Synchronisation von 5600 Adressen via USB-Cradle brauchten alle Testgeräte 115 Sekunden. Ein drastischer Unterschied ergibt sich, wenn man die Minirechner über die serielle Schnittstelle an den PC andockt. Dann dauert die Synchronisation der gleichen Datenmenge 510 Sekunden, also mehr als das Vierfache.

Mit Pocket PC 2002 können Adressen jetzt auch nach Firmennamen sortiert werden; neu ist ebenfalls die Jahresübersicht im Kalender. Diese dient vor allem dazu, schneller zu einem bestimmten Tag zu wechseln. Üblicherweise zeigt die Tagesansicht 13 Stunden an und listet erst in der Tagesordnungsansicht alle anstehenden Termine auf. In der Wochen- und Monatsansicht erkennt man Verabredungen anhand von Balken; klickt man darauf, erscheinen die Details. Leider zeigen die Pocket PCs Aufgaben und Termine des Tages nicht gleichzeitig an; über den Heute-Bildschirm hat man allerdings Zugriff auf alle aktuellen Termine. Die Erinnerung an fällige Dates erfolgt je nach Einstellung per Klingelton und/oder über das Leuchten der LED-Anzeige.

Pocket Office

Beim Office-Paket sind die Änderungen eher marginal. So kommen Pocket Word und Excel jetzt mit einer Rechtschreibprüfung und Kontextmenüs. Letztere klappen auf, indem man mit dem Stift etwas länger auf eine markierte Textstelle drückt. Dabei baut sich ein roter Kreis um die Stiftspitze auf, bis das Menü aktiviert ist. Dadurch hat Microsoft zum Beispiel das Formatieren von Text erleichtert.

ActiveSync konvertiert die Texte oder Tabellen der Desktop-Versionen automatisch in das PDA-Format; allerdings bleiben dabei nicht alle Formatierungen erhalten. So zeigt Pocket Word etwa hoch- oder tiefgestellte Zeichen des Original-Dokuments nicht an. Auch Tabellen (Word und Excel) kommen nicht immer geordnet auf dem PDA an. Hat man diese auf dem PDA bearbeitet und transferiert sie zurück auf den PC, hat man im schlimmsten Fall eine unformatierte, chaotische Tabelle vor sich.

Bei der Eingabe der Texte kann der Anwender zwischen mehreren Varianten wählen. Neben der virtuellen Tastatur gibt es jetzt den so genannten Block Recognizer, der dem von Palm OS bekannten Graffiti ähnelt. Die neue Texteingabe soll Palm-Anwendern den Umstieg auf Pocket PCs erleichtern.

Die Handschriftenerkennung Transcriber liegt jetzt nicht mehr wie bei Windows CE 3.0 nur auf der CD bei, sondern ist bereits im ROM vorinstalliert. Bei unserem Test klappte die Arbeit mit Transcriber nach etwas Übung ohne große Probleme. Es dauert etwa eine Sekunde, bis die Software ein handgeschriebenes Wort in Maschinenschrift umwandelt. Richtig komfortabel sind jedoch alle drei Texteingabe-Varianten nicht. Vielschreiber sollten daher zusätzliches Geld lockermachen und sich für ihren PDA eine Klapptastatur besorgen.

Lesen auf dem PDA

Auch zum Lesen von Nachrichten, PDFs oder E-Books sind die Pocket PCs trotz des kleinen Displays mit einer Auflösung von 240 x 320 Pixel relativ gut geeignet. Lesestoff und Software jedenfalls gibt's genug. Adobe etwa bietet seit Ende letzten Jahres die Vollversion des Acrobat Readers für Pocket PCs zum kostenlosen Download an. Die gut funktionierende Software stellt PDF-Dokumente im Acrobat-5-Format und darunter dar und konvertiert die Dateien in eine für das PDA-Display taugliche Größe. Allerdings findet nicht das komplette Dokument auf dem Bildschirm Platz. Die nicht sichtbaren Teile lassen sich aber per Stift oder Navigationsbutton auf die Display-Fläche scrollen.

Mittlerweile bieten immer mehr Online-Shops E-Books für den MS-Reader an, den es auch für die Desktop-Versionen Windows XP, 2000 und ME gibt. Bei Pocket PC 2002 hat Microsoft nachgelegt. Der E-Book-Reader unterstützt jetzt Digital Rights Management (DRM Level 5), eine geräteabhängige Verschlüsselung, und gewährleistet damit das Urheberrecht der Autoren. Um in den Genuss der digitalisierten Literatur zu kommen, muss sich der Nutzer allerdings zuvor beim umstrittenen Authentifizierungsservice Microsoft Passport registrieren.

Alles drahtlos

Microsoft hat Pocket PC 2002 vor allem für den Einsatz in Unternehmen optimiert. Daher liegt einer der Schwerpunkte auf drahtlosen Verbindungen. PDAs sollen drahtlos untereinander sowie mit dem Internet in Verbindung stehen. Davon profitieren würden insbesondere Außendienstmitarbeiter, die sich von unterwegs in das Firmennetz einloggen.

Die neuen Terminal Services von Pocket PC 2002 erfüllen genau diesen Zweck. Via VPN können Mitarbeiter auf das Netzwerk ihres Unternehmens zugreifen. Für die nötige Sicherheit sollen siebenstellige alphanumerische Passwörter sorgen, die die vierstelligen PINs ergänzen. Auch an eine Schnittstelle für Virenschutzprogramme hat Microsoft gedacht. Mit dem Terminal-Service-Client kann man per Remote Access zudem Windows-2000- und -XP-Server fernsteuern.

Microsoft hat noch weitere drahtlose Verbindungstechniken in das Betriebssystem integriert. Das neue PDA-OS unterstützt Bluetooth und den WLAN-Standard 802.11b. Zudem ist die Verbindung mit GPRS-Handys möglich. Ein spezieller Manager erleichtert die Konfiguration der gewünschten Verbindung.

Positiv: Pocket PC 2002 unterstützt jetzt auch das OBEX-Protokoll (Object Exchange). Damit kann man per Infrarot Daten mit Palm-OS-PDAs und IrDA-Handys austauschen. Bei unserem Test klappte das reibungslos.

Internet

Beim Pocket Internet Explorer hat Microsoft ebenfalls nachgebessert. Die aktualisierte Version stellt neben HTML 3.2 jetzt auch WAP-Seiten (Version 1.2.1) sowie cHTML (i-Mode) und XML/XSL dar. Der Pocket-IE unterstützt JavaScript 1.1 und ActiveX, Java und Cascading Style Sheets 2.0 allerdings nicht. Über einen eigenen Button in der Menü-Bar kann man jetzt auch Bilder ausblenden, um den Aufbau einer Internet-Seite zu beschleunigen. Mit dem Pocket IE ist es zudem möglich, Dateien aus dem Netz herunterzuladen.

Wir haben den Webzugang über die Infrarot-Schnittstelle eines WAP-fähigen Handys vom Typ Nokia 6210 getestet, da dies für den mobilen Mitarbeiter derzeit (noch) die gebräuchlichste Form der Einwahl ins Internet ist. Bluetooth und WLAN-Verbindungen sind zwar komfortabler, stecken aber derzeit wegen kaum verfügbarer Hardware noch in den Kinderschuhen. Die Direktverbindung PDA-Handy über ein Kabel hat den Nachteil, dass die Spezialkabel relativ teuer (rund 40 Euro) und mit einem neuen Handy nicht kompatibel sind.

Bevor man im Web surfen kann, steht die Konfiguration im Menü Einstellungen/Verbindungen an. Hier ist das Handy zunächst als IrDA-Modem zu definieren, bevor man Internet-Provider, Einwahlnummer, Benutzernamen und Kennwort angibt. Komplizierter wird es, wenn man sich mit einem schnelleren GPRS-Handy ins Internet einwählen will. Hier benötigt man unter anderem die spezifische Server-Adresse des Anbieters sowie die IP-Adresse. Eine Anleitung für die GPRS-Konfiguration der Pocket PCs finden Sie hier.

Pocket PC 2002 kommt anders als der Vorgänger Windows CE 3.0 mit dem Instant-Messaging-Tool MSN Messenger zur Kommunikation in Echtzeit. Der Messenger enthält wie der E-Mail-Client die so genannte My-Text-Funktion, die mit individuell zu definierenden Textbausteinen schnellere Antworten auf Textbotschaften ermöglicht.

Multimedia

Microsoft hat in Pocket PC 2002 die neue Version 8 des Windows Media Players integriert, der unter anderem MP3- und MPEG1-Dateien abspielt. Der Media Player eignet sich auch als Diktiergerät. Im Vergleich zu den Palm-OS-PDAs haben die von uns getesteten vier Geräte mit Pocket PC 2002 (Cassiopeia E-200G, Toshiba Pocket PC e570, HP Jornada 568, iPaq H3850) erheblich bessere Audio-Eigenschaften, da sie einen leistungsfähigeren Lautsprecher sowie einen Kopfhöreranschluss besitzen.

Auch bei Pocket PCs macht das Abspielen von Filmen - sei es im MPEG1- oder WMV-Format - nur bedingt Freude. Das liegt zum einen an den kleinen Displays, zum anderen an der mitunter stockenden Wiedergabe der Videos.

Weiterer Haken: Spielt man einen fünfminütigen Video-Clip mehrmals hintereinander ab, ist der Akku der Pocket PCs bereits nach 55 Minuten leer. Da längere Video-Dateien zu groß für den RAM-Speicher der PDAs sind, muss man nach anderen Datenträgern Ausschau halten. Hier bietet sich vor allem IBMs Microdrive für den CF-Slot vom Typ II an, das in der 1-GByte-Variante allerdings rund 360 Euro kostet.

Dank des Farb-Displays und der StrongARM-CPU eignen sich die Pocket PCs auch sehr gut für PDA-Spiele. Mittlerweile gibt es diverse Klassiker wie SimCity 2000 oder Moorhuhn auch für den mobilen Minirechner. Ludigames etwa bietet mit dem Action-Spiel Infectious Ground bereits ein 3D-Spiel für die Pocket PCs an. Dieser Markt dürfte sich künftig positiv entwickeln, zumal mit Intels XScale eine sehr leistungsfähige CPU-Architektur für PDAs vor der Tür steht.

Fazit

Microsoft könnte mit Pocket PC 2002 der endgültige Durchbruch auf dem PDA-Markt gelingen. Der große Pluspunkt: Das PDA-Betriebssystem ist für den Einsatz in Unternehmen optimiert und unterstützt aktuelle drahtlose Techniken wie Bluetooth, Wireless LAN und GPRS. Palm OS hat derzeit in dieser Hinsicht (noch) nichts Vergleichbares zu bieten.

Die Win-CE-PDAs haben im Jahr 2001 gerade wegen des großen Erfolgs in Unternehmen Marktanteile gewonnen. Palm-OS-PDAs hingegen werden von Privatkunden bevorzugt. Da Firmen meist große Stückzahlen abnehmen, überrascht der Zugewinn der Pocket PCs nicht. Mit Pocket PC 2002 wird sich dieser Trend verstärken, zumal Microsoft auch die Multimedia-Funktionen verbessert hat. Palm & Co. müssen sich warm anziehen. (jma)