PDA mutiert zum Handy

26.04.2001 von JÜRGEN MAUERER 
Im Sommer kommt das VisorPhone nach Deutschland. Das Erweiterungsmodul verwandelt Handsprings Visor-PDA in ein vollwertiges GSM-Handy. Wir haben dessen Funktionalität und Internettauglichkeit getestet.

Der Trend ist eindeutig: Der PDA der Zukunft wird zur eierlegenden Wollmilchsau. Telefonie, Internetanbindung, MP3-Wiedergabe oder das Abspielen von Videofilmen sollen die derzeit noch dominierenden PIM-Funktionen wie Adressenverwaltung oder Terminplanung in den Hintergrund drängen. De facto wachsen Handy und PDA immer mehr zusammen. Neue Smartphones wie das Trium Mondo oder das Microsoft-Projekt Stinger stehen für diese Entwicklung.

Eine etwas andere Strategie wählt PDA-Hersteller Handspring mit seinem Telefonmodul VisorPhone. Die Idee ist clever: Steckt man das Modul in den Springboard-Slot an der Rückseite der Visor-PDAs, mutiert der mobile Minirechner zu einem GSM-Handy mit Display in PDA-Größe. Auf diese Weise kann man mit dem Visor telefonieren sowie ohne zusätzliches Handy im Internet surfen. Damit wird das unbequeme Hantieren mit zwei Geräten bei der Einwahl in das World Wide Web hinfällig.

Das VisorPhone gibt es derzeit ausschließlich in den USA. Im Sommer soll das Erweiterungsmodul aber auch hierzulande erhältlich sein. Das deutsche Modell arbeitet jedoch nur auf der amerikanischen 1900-MHz-Frequenz und den deutschen D-Netzen (900 MHz). E-Netz-Kunden von VIAG Interkom und E-Plus (1800 MHz) schauen damit in die Röhre.

Der Preis für den deutschen Markt steht noch nicht fest. Legt man den US-Preis als Anhaltspunkt zugrunde, müssen die Käufer tief in die Tasche greifen. Das VisorPhone kostet in den USA ohne Kartenvertrag 499 US-Dollar, mit Kartenvertrag 299 US-Dollar.

Fehlstart inklusive

Nach Einlegen der SIM-Karte (in unserem Fall D2 und D1) und Laden des Lithium-Ionen-Akkus ist das VisorPhone einsatzbereit. Dank des separaten Akkus saugt das Telefonmodul nicht an der Stromversorgung des PDAs. Der Ladevorgang nimmt etwa zwei Stunden in Anspruch. Mit vollem Akku kommt das VisorPhone auf eine Standby-Zeit von rund 90 Stunden.

Da im VisorPhone wie in allen Springboard-Karten die Software integriert ist, sind keine zusätzlichen Treiber erforderlich. Die eigenständige Logik in den Modulen belastet zudem den Prozessor des PDAs nicht.

Die Plug&Play-Funktion des VisorPhone streikte im Test jedoch mehrmals. Nur in etwa drei Viertel der Versuche erschien die grafische Oberfläche der Telefonanwendung sofort nach dem Andocken auf dem Display. In den anderen Fällen kam kurz nach dem Einsetzen des Moduls die Meldung "Schwerwiegender Fehler" (Fatal Exception) mit der Aufforderung zum Reset. Allerdings entschloss sich das VisorPhone nach etwa 15 Sekunden Wartezeit dann doch noch, zu starten. Der ärgerliche Effekt trat sowohl beim Visor Deluxe als auch beim Visor Edge auf.

Telefonieren: So geht's

Ist das VisorPhone im Springboard-Slot verankert, erscheint auf dem PDA-Display die grafische Oberfläche des Moduls. Die weitere Bedienung des Telefons erfolgt per Stift auf dem Touchscreen. Im aktiven Zustand zeigt das PDA-Display die Telefontastatur und fordert zunächst zur Eingabe der PIN-Nummer auf. Während der anschließenden Suche nach einem Mobilfunknetz schlägt ein animiertes Handspring-Logo auf dem PDA-Display Saltos. Die LED-Anzeige auf der Gehäuseoberseite des Phones blinkt währenddessen rot. Ist das Mobilfunknetz empfangsbereit, gibt die LED-Anzeige grünes Licht und der Name des Netzbetreibers erscheint links oben auf dem Touchscreen.

Das Telefonieren mit dem PDA-Handy erweist sich als einfach und intuitiv. Man gibt über die virtuelle Tastatur die gewünschte Nummer ein und aktiviert mit dem Stift das Telefonhörer-Symbol. Anschließend beginnt der PDA zu wählen. Die Sprachübertragung erfolgt über das Visor-Mikrofon und einen im VisorPhone sitzenden Lautsprecher. Zudem liefert Handspring ein Headset mit.

Darüber hinaus bietet das VisorPhone die Option, einen Anruf direkt aus dem Adressbuch oder der Aufgabenliste zu starten. Dazu muss die Telefonnummer aber im Menü sichtbar sein. Nach dem Markieren des Kontakts im Adressbuch öffnet sich bei eingeschaltetem Telefonmodul automatisch ein Fenster, über das man die entsprechende Nummer via Stift anwählen kann. Weitere Features des VisorPhones sind Kurzwahltasten, Rufweiterleitung, eine Telefonkonferenz mit maximal drei Teilnehmern sowie Makeln (während laufender Gespräche zu anderen Telefonaten wechseln).

Sprachqualität

Während des Telefonats zeigt eine digitale Uhr auf dem Display die Gesprächsdauer an. Über die Schaltfläche "Hang Up" lässt sich der Anruf jederzeit beenden. Während des Tests traten keine Probleme beim Telefonieren auf. Selbst ein Telefonat im fahrenden Auto war möglich.

Ohne Headset lieferte der Visor Edge eine gute Sprachqualität. Beim Visor Deluxe hingegen trat ein permanentes Störgeräusch auf. Der Grund: Das Plastikgehäuse des Deluxe-PDAs schirmt das hochfrequente (HF-)Signal des VisorPhones nicht so stark ab wie das Metallgehäuse des Visor Edge. Dadurch koppelt die HF-Strahlung des Telefonmoduls leichter in den PDA ein und erzeugt Störungen.

Probleme mit dem Headset

Mit Headset trat das unangenehme Störgeräusch bei beiden Test-PDAs recht stark auf. Das Headset-Kabel wirkt dabei als Antenne und der Eingang des Headsets scheint gegen das HF-Signal nicht stark genug abgeblockt zu sein. Etwas Linderung schaffte das Ausschalten der Systemsignale des Visor-PDA unter dem Menü Einstellen. Das Störgeräusch blieb aber weiterhin unangenehm genug.

Erst das Abschirmen der Antenne des VisorPhone mit den Fingern oder einem Trichter aus Alufolie schaffte Abhilfe. Mit diesen "Maßnahmen" wird das HF-Signal der Antenne gedämpft, gleichzeitig vermindert sich aber die Sende- und Empfangsreichweite. Handspring will diesen Fehler durch ein Firmware-Update bis zum Marktstart im Sommer beheben. Ob ausschließlich Firmware zum Abschirmen von HF-Störungen genügt, darf allerdings bezweifelt werden.

SMS und Internet

Der Versand von Kurznachrichten (SMS) funktioniert problemlos. Nach dem Betätigen des SMS-Knopfs des VisorPhone zeigt das PDA-Display das entsprechende Menü an. Jetzt braucht man nur noch die Telefonnummer des Empfängers sowie den gewünschten Text in Form von Graffiti oder über die virtuelle Tastatur des PDA einzugeben. Nach dem Klick auf die Senden-Taste schickt das PDA-Handy die Botschaft auf die Reise.

Handsprings Telefonmodul lässt sich außerdem als GSM-Modem für die Einwahl ins Internet einsetzen. Damit hat der Benutzer eine All-in-One-Lösung für den Webzugang - das umständliche Hantieren mit zwei Geräten (PDA und WAP-Handy) entfällt. Allerdings schafft das VisorPhone nur eine GSM-Datenrate von 9,6 KBit/s.

Konfiguration und Browser

Bevor man jedoch loslegen kann, ist zunächst das Netzwerk zu konfigurieren. Dies erfolgt unter dem PDA-Menü Einstellen/Netzwerk durch die Eingabe des Internet-Providers, Benutzernamens, Kennworts und der Telefonnummer des Providers. Im Untermenü Details haben wir ferner das Anmeldeskript auf Ende gestellt, um die Einwahl ins Internet zu beschleunigen. Nach Installation eines Webbrowsers ist der Handy-PDA schließlich einsatzbereit. Handspring empfiehlt dazu den Browser Blazer 1.1 seiner Tochterfirma Bluelark Systems.

Solchermaßen vorbereitet, klappte die Internetverbindung relativ reibungslos. Schnell angesurft sind speziell für PDAs aufbereitete Internetseiten ohne Grafiken mit reinen Textinformationen. Das PDA-Angebot der tecChannel.de-Redaktion finden Sie unter tecchannel.de/mobile/pda/. Doch auch herkömmliche HTML-Seiten lassen sich mit dem Blazer auf dem PDA-Display sinnvoll darstellen, da der Browser die Option bietet, Grafiken herauszufiltern.

Fazit

Handspring hält mit dem VisorPhone sein Versprechen: Das Telefonmodul für den Springboard-Slot verwandelt den Visor-PDA tatsächlich in ein voll funktionsfähiges GSM-Handy. Ein "richtiges" Handy kann der mobile Minirechner aber wegen seines unhandlichen Formats und Gewichts nicht ersetzen. Mit 250 Gramm ist der Visor-PDA samt Phone fast drei Mal so schwer wie ein herkömmliches Handy seiner Preisklasse.

Von der Funktionalität her bietet das Modul alles, was man sich wünscht: Telefon, SMS, E-Mail und vor allem die Modemfunktion. Mit letzterer steht dem Benutzer endlich eine All-in-One-Lösung für den mobilen Internetzugang zur Verfügung. Positiv ist auch die einfache Bedienung des VisorPhone sowie dessen eigene Stromversorgung, die den Akku des PDAs nicht belastet.

Beim Headset und der HF-Festigkeit muss Handspring allerdings noch dringend nachbessern. Mit den momentan auftretenden Störgeräuschen wird das Telefonieren zur Qual.

Obwohl der Preis für den deutschen Markt noch nicht feststeht, wird das VisorPhone ein teures Vergnügen werden. Nimmt man den US-Preis als Anhaltspunkt (499 US-Dollar ohne Kartenvertrag, 299 US-Dollar mit Vertrag), dürfte das Telefonmodul hierzulande zwischen 700 und 1200 Mark kosten. In Verbindung mit dem PDA kommen so schnell 2000 Mark zusammen. Daher dürfte das VisorPhone insbesondere für Early Adopters und Geschäftsleute interessant sein. jma)

Anm: Wie uns Handspring am 04.05.2001 mitteilte, handelte es sich bei dem von tecChannel.de getesteten VisorPhone angeblich um ein Vorseriengerät. Bis zum deutschen Marktstart im Sommer will das Unternehmen die Mängel bei der Sprachqualität durch ein anderes Headset sowie ein Firmware-Update beseitigen. Näheres finden Sie in dieser News.