PCs: Ein Markt für Masochisten

07.08.2006
Es geht wieder einmal abwärts mit dem deutschen PC-Markt. Die Krise dauert mindestens bis 2008. Einige Hersteller werden ihr Ende nicht mehr erleben.

Mitte Juli setzte Bernd Bischoff zum Sturm auf die 35-Stunden-Woche an: In einem viel zitierten "President's Letter" an die Belegschaft plädierte der Chef des Computerbauers Fujitsu-Siemens (FSC) für unbezahlte Mehrarbeit an den Produktionsstandorten in Augsburg und Sömmerda, um einen überraschenden Einbruch der PC-Nachfrage finanziell zu kompensieren. Bischoff wusste damals bereits, was die Öffentlichkeit erst in der vergangenen Woche offiziell erfahren sollte - der deutsche PC-Markt steckt seit Jahresbeginn wieder mitten in einer Krise. Und Deutschland ist der Kernmarkt von FSC.

Erstmals seit vier Jahren schrumpften hierzulande die Gesamtverkaufszahlen. Der Rückgang belief sich auf vier Prozent, im zweiten Quartal wurden 1,87 Millionen Rechner abgesetzt. Dabei hat sich FSC noch recht wacker geschlagen, denn die verkaufte Stückzahl sank im Vergleich zum Vorjahr nur um zwei Prozent. Acer hingegen musste ein Minus von 7,5 Prozent verbuchen, der Aldi-Lieferant Medion verkaufte sogar ein Drittel weniger Computer als im zweiten Quartal 2005. Positiv überraschten hingegen Dell und Hewlett-Packard (HP) mit zweistelligen Zuwächsen. Der PC-Umsatz aller Anbieter zusammen brach um zwölf Prozent ein.

Geschrumpft sind die Chancen, Rechner massenhaft über Discounter abzusetzen. Die Folgen für die spezialisierten Volumenhersteller lassen sich eindrücklich an der Aktienkursentwicklung von Gericom und Medion in den vergangenen Jahren ablesen: Es ging abwärts, meistens ungebremst. Gelitten hat auch die Anziehungskraft der großen Elektronikmärkte, namentlich Media Markt und Saturn. Berichten zufolge hat die gemeinsame Holding MSH im ersten Quartal 2006 flächenbereinigt einen Umsatzrückgang von fünf Prozent verzeichnet.

LCD-Fernseher statt PCs

Im Gegenzug lebt der Fachhandel wieder etwas auf. "Weil derzeit relativ neue und komplexe Technologien auf dem Markt sind, braucht der Kunde mehr Beratung", sagt Meike Escherich, die für Gartner Dataquest den PC-Markt analysiert. Antworten auf Fragen zur Heimvernetzung sowie zur Windows-Alternative Linux erwarte man sich eher vom Profi an der nächsten Ecke - "schließlich hat nicht jeder einen Sohn, der weiterhilft", vermutet Escherich. Außerdem würden die Kunden nach dem zweiten oder dritten PC wählerischer werden und nicht mehr jedes Gerät kaufen, nur weil es vermeintlich billig ist.

Alt, aber bezahlt...

Auch die Fußball-WM spielte eine Rolle für den schleppenden Computerabsatz. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) setzte im Mai ein Nachfrageschub nach (Flachbild-)Fernsehern ein. "Die Kunden gaben ihr Geld lieber für andere Geräte aus als für PCs", bestätigt auch Gartner-Analystin Escherich. Dabei war schon das erste Quartal 2006 für Rechnerbauer schlecht gelaufen, denn zum Weihnachtsgeschäft 2005 hatten die Anbieter den Handel mit Computern geflutet, die es erst abzuverkaufen galt.

Seit 2004 war die Nachfrage zudem durch einige Faktoren beflügelt worden, die sich inzwischen in Luft aufgelöst haben. Exemplarisch hierfür seien die Konsequenzen aus der Marktsättigung bei Digitalkameras genannt: Wer in den letzten Jahren eine filmlose Kamera gekauft hat, wollte in der Regel auch einen neuen Rechner, um die Fotos zu bearbeiten und zu speichern. Zeitgleich mit dem Sondereffekt ist der Austausch von Desktops gegen Notebooks auf ein normales Niveau gefallen - bedingt auch durch die mit der Zahl der Arbeitsplätze sinkende Nachfrage und allgemeine Kaufzurückhaltung von Firmen: Die Zuwachsrate bei mobilen Computern lag erstmals im einstelligen Bereich (plus acht Prozent). Der Einbruch bei den Desktops um 13 Prozent ließ sich damit nicht mehr kompensieren.

Zweifel am Vista-Effekt

Von der Einkaufskraft der großen Unternehmen ist kein zusätzlicher Schub zu erwarten. Nach einem guten Ersatzgeschäft 2005 sei die Spitze des nächsten Austauschzyklus in Firmen frühestens im Jahr 2008 erreicht, heißt es dazu unisono und wenig euphorisierend von Gartner sowie IDC. Nebenbei bemerkt, werden die Rechner zu allem Überfluss auch noch immer zuverlässiger: Laut Gartner sind die jährlichen Ausfallraten in den vergangenen zwei Jahren um 25 Prozent gesunken. Dabei sind Desktops deutlich robuster als Notebooks, was angesichts der Einsatzszenarien nicht übermäßig verwundert.

Bleibt "Windows Vista" beziehungsweise die Verzögerung des neuen Betriebssystems. Dessen Vorgänger "Windows XP", seit genau fünf Jahren auf dem Markt, hat einen ungewöhnlich langen Lebenszyklus hinter sich. Da mit "Vista" bekanntlich erst 2007 zu rechnen ist, kann von dieser Seite keine rasche Belebung des PC-Marktes erwartet werden. "Ob sich der Vista-Effekt rasch positiv in den Gesamtzahlen bemerkbar macht, wage ich zu bezweifeln", sagt Gartner-Analystin Escherich.

Dass deutsche Unternehmen und Privatanwender auf breiter Front neue Rechner kaufen, weil sie unbedingt Vista booten wollen, darf in der Tat als ausgeschlossen gelten. "Neue CPUs, Betriebssysteme und Anwendungen helfen der Nachfrage nur auf die Sprünge", sagt die Marktbeobachterin, "wenn dem Kunden der zusätzliche Nutzen verständlich gemacht werden kann." Dieses Metier war jedoch noch nie eine Kernkompetenz der PC-Volumenhersteller - deren größter Vermarktungs-Coup der vergangenen Jahre bestand daraus, die traditionell graubeigen Gehäuse durch schwarze Oberflächen zu ergänzen.

Also ruhen die Hoffnungen wieder einmal auf dem vierten Quartal. Der Weihnachtsmann wird es schon richten - beziehungsweise die Angst vor der Mehrwertsteuererhöhung, die in Deutschland für Anfang 2007 ins Haus steht. Doch wenn dadurch das vierte Quartal für die PC-Szene besser als befürchtet verlaufen sollte, verschlechtern sich umgekehrt die geschäftlichen Aussichten für die ersten Monate im kommenden Jahr.

Zu viele Hersteller

Was bleibt, ist das obligatorische Wehklagen angesichts des permanenten Preisdrucks und der Herstellerkonsolidierung im Markt - wobei die klassische Flurbereinigung mittels Aufkäufen (à la IBM und Lenovo) eher selten ist. Zumeist passen lokale Anbieter einfach ihr Portfolio an, das anschließend ohne Rechner auskommen muss. Mit jedem Krisenjahr wird allerdings auch die Frage lauter, wieso es für ein austauschbares Allgemeingut weltweit überhaupt mehrere Dutzend Hersteller geben muss, die sich in erster Linie anhand ihrer Logos differenzieren.

So erinnern die Anbieter in der PC-Branche ein wenig an Hamster - sie rennen sich im Laufrad die Lunge aus dem Hals, weil alle anderen auch rennen; sie drücken die Preise, weil alle anderen auch drücken; sie erfinden nichts Neues, weil ja auch sonst niemand etwas Neues erfindet. Stattdessen wartet man lieber darauf, dass Microsoft, Intel und die übrigen Zulieferer Innovationen aus der Tür schieben. Die verzweifelten Versuche der Industrie, den Markt mit neuen Konzepten wie Tablet-, Media-Center- und Ultra-Mobile-PCs (UMPC) anzukurbeln, waren nicht von Erfolg gekrönt: Nett, aber zu teuer und nicht geeignet für den Massenmarkt, heißt es seit Jahren.

Keine Killerapplikation in Sicht

Erschreckend ist jedoch weniger die erneute Krise des Segments als vielmehr die Erkenntnis, dass es weit und breit keinen Grund zu geben scheint, wieso der deutsche PC-Markt eines Tages wieder kräftig anziehen sollte. Die Musik spielt derzeit im Handy, im Internet sowie in den Geschäftsprozessen, und dafür braucht es nun einmal keine neuen Clients. Was fehlt, sind die in der IT-Branche berühmt-berüchtigten Quantensprünge, Paradigmenwechsel und Killerapplikationen. Die Chance, wie in der Handy- und Automobilindustrie eine emotionale Verbindung mit dem Produkt zu schaffen, hat die PC-Industrie zudem leichtfertig verspielt.

Summa summarum herrschen düstere Aussichten: "Der PC-Markt in Deutschland wird 2006 knapp vier Prozent zulegen", schätzte Escherich vor rund einem Monat die Situation ein. Angesichts der aktuellen Zahlen des zweiten Quartals ist jedoch sicher, dass die Gartner-Analystin ihre Prognosen nach unten korrigieren wird. Verglichen mit den sich abzeichnenden "Anpassungen" bei den rund 2400 FSC-Beschäftigten in Augsburg und Sömmerda lässt sich das jedoch leicht verschmerzen: Wofür, fragen sich nicht nur FSC-Mitarbeiter, braucht der Konzern überhaupt längere Arbeitszeiten in der Produktion, wenn der Ausstoß in den kommenden Jahren bestenfalls stagniert? (Computerwoche / ala)