Orwellsche Visionen in Gates-Keynote

17.05.2000 von Frank Klinkenberg-Haass
Unter dem Namen 'Personal Web' präsentierte Bill Gates über 4000 Zuschauern in seiner Eröffnungsrede zur diesjährigen Comdex in Las Vegas eine schöne neue Microsoft-Welt.

Die Grundlage für seine Vision bildet die mittlerweile große installierte Basis an PCs, auf denen fast ausschließlich Windows läuft. In den Staaten haben laut Gates über 50 Prozent aller Rechner einen Zugang zum Internet. Auch die Dynamik des Internets sowie die positiven Entwicklungen im Bereich E-Commerce stützen die Visionen von Gates. So haben laut Gates alleine dieses Jahr über 17 Millionen US-Haushalte bereits online eingekauft und in der ersten Hälfte des Jahres rund 20 Milliarden US-Dollar umgesetzt.

Um diese Trends zu unterstützen, versprach Gates mehr Innovation in Windows. Die dafür vorgesehene Strategie manifestierte er unter dem Schlagwort "Personal Web". Gates führte seine Vision der neuen Technik in einer Präsentation mit orwellschen Zügen vor. Begonnen mit dem Autokauf über die Ford-Website stellte Gates seinen Plan einer schönen neuen Microsoft-Welt vor. Dabei bleibt der Anwender zusammen mit seinem PC über das Internet im ständigen Kontakt mit dem Auto. Am Beispiel einer Routenplanung, die automatisch Daten wie Treibstoffverbrauch und Inspektionstermine bei der Streckenplanung berücksichtigt, führte Gates die Vernetzung der Komponenten und deren Zusammenspiel vor. Auch die Auswahl und der eventuelle Kauf von Musikstücken für die Reise geschieht über das Netz, der Upload in das Fahrzeug drahtlos vom PC aus.

Die komplette Technik von Microsoft

Die technische Umsetzung geschieht dabei in Gates Vorstellung durch XML-basierte Websites. Während bislang allein der Anwender in der Lage ist, Informationen aus Websites zu ziehen, soll dies in Zukunft durch Softwareagenten geschehen, die dem Anwender direkt die gewünschten Informationen liefern.

Natürlich soll die zugehörige Technik komplett auf Microsoft-Produkten basieren. Windows 2000 Server spielt dabei eine zentrale Rolle. Besonders im Zusammenhang mit Windows 2000 konnte sich Gates Angriffe gegen Sun nicht verkneifen. Diesmal präsentierte er geclusterte Windows-2000-Systeme als bessere Alternative zu den klassischen "Big Boxes" großer Server im Sun-Stil. Gates verspricht dabei Skalierbarkeit, ein einfaches Management sowie eine "unglaublich" hohe Zuverlässigkeit.

Die Einführung von Windows 2000 sieht Gates als Meilenstein in der Geschichte Microsofts, ähnlich dem, der bei der Einführung von Windows 95 gesetzt wurde.

XML überall

Die Technologie soll dabei in sämtliche Bereiche des Lebens einziehen. Mit jedem Gerät, egal ob PC, Fernseher, Telefon, PDA oder einem Auto-PC sind die personalisierten Daten aus dem Netz zugänglich. Gates Ziel dabei:

"Empower people through great software any time, any place and on every device".

Gates wärmte in diesem Zusammenhang auch seine Vision vom vernetzten Haushalt wieder auf. Neben einer schnellen Verbindung ins Internet via Satellit oder ADSL, sollen im internen Hausnetz Musik, Photos und elektronische Bücher verschiedensten Geräten zur Verfügung stehen. Als Server dient dabei der heimische PC.

Daneben hat Gates auch eine Verwendung für das bislang mit wenig Erfolg verwöhnte Windows CE gefunden. Sogenannte Web Companions unter Windows CE sollen als Web-Boxen fungieren. Im Prinzip handelt es sich dabei um aufgebohrte Windows-CE-Notebooks, bei dem ein internes Modem und ein Installations-Wizard einen einfachen Zugang ins Internet ermöglichen sollen. Für diese Anwendungen stehen die Chancen für Windows CE zumindest besser.

Windows 98 als dummes Terminal

Bei der Präsentation des vor kurzem vorgestellten "MS Office Online" zeigte Gates' Strategie Risse: Zu Anfang seiner Rede sah er ein eigenständiges Windows auf jedem PC und verdammte damit ein weiteres Mal die von Sun favorisierten Network Computers (NCs). Ohne das Gates dies direkt erwähnte, war dann jedoch für jedermann sichtbar, wie Windows 98 im Microsoft Web-Office-Konzept auf die Funktion eines NCs reduziert wird. Das Betriebsystem dient beim Web-Office lediglich als Basis für den Terminal-Server-Client, denn alle Programme laufen komplett auf dem Server ab. Von Integration mit dem bestehenden, lokalen Windows-Desktop war keine Spur zu sehen. Statt dessen verbleiben alle Programme und auch die persönlichen Dateien der Anwender auf einem zentralen Windows 2000-Server.

Gates mühte sich dabei, die Vorteile des Konzepts herauszustellen: Egal ob Windows 98 oder Windows CE: Überall steht die gleiche Arbeitsumgebung zur Verfügung. Die Funktion des Client-Betriebssystems tritt dabei komplett in den Hintergrund.

Welche Berechtigung ein komplettes Desktop-Betriebsystem in diesem Umfeld noch hat, ließ Gates offen.

Kein Wort zum Microsoft-Prozess

Auf die aktuellen Geschehnisse rund um den Microsoft-Prozess ging Gates eingangs nur mit einer Frage ein: "Hat irgend jemand einen guten Anwaltswitz gehört?"

Auch sonst versuchte Gates, das Thema ins lächerliche zu ziehen: In einer speziell für seine Rede produzierten Comedy Show erschien Gates unter anderem als "Austin Gates" verkleidet als "Retter der Technologie". In einer anderen Szene kaufte sich Gates bei einer Fernsehrichterin für zwei Dollar frei. (mhe/fkh)