Ohne Lösungen ist wenig los

16.10.1998
Auch Groupware-Lösungen verändern sich: Hier bringt das Intranet ein hohes Maß an Flexibilität und Einfachheit in die Unternehmenskommunikation. Konsequent haben sich daher Groupware-Systeme für die Kommunikation auf Basis der IP-Protokolle geöffnet und stellen ihre Anwendungen zur Verfügung.

Von: Stefan Krüger

Noch ehe die Fachwelt richtig Zeit hatte, Sinn und Unsinn, Segen und Fluch des Internet erschöpfend auszudiskutieren, ist es zur Selbstverständlichkeit geworden. In weniger als zwei Jahren ist die Web-Adresse ein Bestandteil des Kommunikationsalltags geworden, ähnlich wie Telefon- oder Hausnummer. Die strukturellen Probleme des Internet - keine garantierten Bandbreiten, keine gesicherten Übertragungswege, geringe Performance, Sicherheitslücken - haben seinen Erfolg in keiner Weise aufgehalten. Mehr noch: die Idee einer an jedem Ort, zu jeder Zeit verfügbaren Kommunikationsstruktur ist offenbar so attraktiv, daß sie für Einsatzgebiete verwendet wird, die mit der Ursprungsidee nichts gemein haben.

Kommunikation im Internet

Die unternehmensinterne Kommunikation über das Internet abzuwickeln erscheint auf den ersten Blick tatsächlich widersinnig. Das liegt in erster Linie an einigen Eigenheiten des zugrundeliegenden Kommunikationsprotokolls TCP/IP (Transmission Control Protocol/Internet Protocol). Dieser verbindungslose Paketdienst (dies gilt nur für den IP-Teil) zerlegt Informationen zunächst in Datenpakete, um sie dann - mit einer Empfängeradresse versehen - voneinander unabhängig zu verschicken. Währenddessen existiert keine direkte Verbindung zwischen Absender und Empfänger. Nach Ankunft werden die aus allen Richtungen eintrudelnden Datenpakete wieder zur ursprünglichen Information zusammengesetzt.

Es gehört zu den Besonderheiten des Protokolls, daß niemand vorher angeben kann, über welche und wie viele Vermittlungsknoten ein Paket läuft. Ein Datenpaket passiert ohne weiteres 20 bis 30 Stationen, bis es sein Ziel erreicht. Gleichzeitig gibt es keine Möglichkeit, vorherzubestimmen, welche Wege oder Knoten nicht verwendet werden dürfen. Die Software der jeweiligen Knotenrechner regelt das automatisch. Stellt diese eine Störung am nächsten Knoten fest, schickt sie die Daten auf einen anderen Kurs. Durch wechselseitige Informationen der Router oder der Knotenrechner über die Verfügbarkeit von Kommunikationswegen konfiguriert sich das Internet gewissermaßen in eigener Regie immer wieder neu.

Der Sinn dieser Technik ist einfach: ein Steckenbleiben von Daten, etwa bei einem ausgefallenen oder überlasteten Rechner auf einem vom Absender vorgeschriebenen Leitungsweg, auf alle Fälle zu verhindern. Sicherung (nicht Sicherheit im Sinne von Vertraulichkeit) der Kommunikation ist die oberste Devise. Und gerade das ist auch das Positive an der Kommunikation im Internet: Irgendwann und irgendwie kommt (fast) alles an. Umgekehrt muß ein Absender damit rechnen, daß zumindest einige seiner Datenpakete auch einen Knoten passieren, den sein ärgster Widersacher kontrolliert, und daß hier womöglich heikle Informationen herausgefischt werden.

Bei all dem handelt es sich nicht etwa um "Fehler" des Internet, sondern um sein grundlegendes Konstruktionsprinzip. Wenn es beispielsweise darum geht, Informationen unabhängig von Ort und Zeit zu beschaffen oder bereitzustellen, ist die Einfachheit und Flexibilität der Kommunikation gerade der große Vorteil. Wer sich etwa für neuseeländische Cricket-Ergebnisse oder für den Flugplan von Air Alaska interessiert, wird sich weder an einer etwas holprigen Übertragung noch am Sicherheitsstandard stören, und wenn der isländische Geheimdienst mitliest, weil die Daten einen Knoten in Reykjavik passieren, wird er es auch verschmerzen. Für ihn stellt diese Kommunikation die einzige Möglichkeit dar, um überhaupt an solche Informationen zu kommen. Der Verzicht auf die gesicherte Bandbreite und einen verbindungsorientierten Dienst ermöglicht gerade eine Kommunikation, die universell, einfach und sicher (im Sinne von verfügbar) ist.

Internet-Technologie innerhalb des Unternehmens

Warum nutzen aber Unternehmen die Internet-Technologie nicht nur für die Kommunikation nach außen, also für sporadische Verbindungen mit aller Welt, sondern zunehmend auch für die interne Kommunikation? Die gravierenden Bedenken gegen eine Verwendung dieser Technologie sind zwar ausgeräumt, wenn die Kommunikation ganz hinter den Schotten des eigenen Firewalls abläuft: Fremde, unberechtigte Teilnehmer lassen sich auf diese Weise zuverlässig ausschließen, und die Bandbreite ist aufgrund der überschaubaren Zahl der Knoten einigermaßen fest vorherbestimmt. So lassen sich die Nachteile der Kommunikation auf Basis der Internet-Technik verhindern - wo aber bleiben die Vorteile? Zwei wesentliche Punkte sind:

Erstens lassen sich heterogene Unternehmensnetze mit Hilfe von TCP/IP auf einfache und kostengünstige Weise verbinden. TCP/IP ist - nicht zuletzt wegen des Internet-Booms - ein für alle Systeme verfügbarer Standard. In die interne Kommunikation läßt sich die Niederlassung in Uruguay ebenso einfach integrieren wie der Außendienstmitarbeiter. Zweitens umfaßt Internet-Technik ja nicht nur eine Kommunikationsstruktur, sondern auch Standards wie HTTP (Hypertext Transfer Protocol) und HTML (Hypertext Markup Language), die dafür sorgen, wie eine Web-Seite aussieht und daß ihre Links funktionieren. Auf Basis dieser Standards lassen sich plattformunabhängige Clients ansprechen. Damit können Unternehmen auf einfache Weise Anwender in ihre Kommunikation einbinden und müssen sich doch hinsichtlich der verwendeten Plattformen nicht festlegen: von PC und Mac über AS/400 bis zum Mainframe - und künftig vielleicht sogar bis zum Armaturenbrett eines Lastwagens oder Autos - stehen Browser als universelles Benutzer-Interface zur Verfügung.

Damit ist auch schon das Intranet eines Unternehmens geschaffen - die Verbindung aller DV-Ressourcen eines Unternehmens, unabhängig von Plattformen und Systemen. Am Bildschirm sehen die Anwender ihren Browser, der nun aber nicht mehr Informationen aus aller Welt zeigt, sondern Hausmitteilungen, Urlaubsanträge, Beschaffungsvorschläge, Stellenausschreibungen, Konferenzpläne oder Routenvorschläge. Gegenüber dem globalen Web ist das unternehmenseigene Netz mit einer Firewall abgeschirmt, so daß die interne Kommunikation sicher läuft. Hierbei ist eine Verbindung vom Intranet zum Internet keineswegs zwingend. Die Vorteile liegen auf der Hand: die Standardisierung der Schnittstellen vereinfacht Installation und Administration, sie spart Kosten, ohne daß darunter die Flexibilität leidet. Das Konzept fand denn auch in Unternehmen spontan Anklang: 1996 setzten bereits 64 Prozent aller Fortune-1000-Unternehmen in USA ein Intranet ein, weitere 32 Prozent planen dies innerhalb dieses Jahres.

Kostenanstieg nach der Einführung

Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß die Kombination aus einem universellen Protokoll und einem Browser zwar eine Kommunikationsinfrastruktur, aber noch keine Lösung bildet, die in einem Unternehmen produktiv eingesetzt werden kann. Die Intranet-Standards beschreiben lediglich eine Infrastruktur, in der sich Daten bewegen, die am Ende der Browser darstellt. Dies ist zweifellos ein gewaltiger Schritt nach vorne, aber in der ersten Intranet-Begeisterung übersah mancher, daß die Daten in diesem Intranet nicht nur verteilt und angeschaut werden, sondern erst einmal hineinkommen (im Internet kann man sich dabei auf andere verlassen), verwaltet und gepflegt werden müssen. Diverse Untersuchungen zum Intranet stimmen zumindest darin überein, daß etwa 80 Prozent der Gesamtkosten nach der Einführung anfallen: für die Pflege der Web-Seiten, die nur dann nützlich sind, wenn sie ständig auf aktuellem Stand bleiben.

Nicht nur für die Aktualität seines Web-Angebots muß das Unternehmen im Intranet sorgen. So lassen sich zum Beispiel Routenvorschläge für Außendienstmitarbeiter oder Lastwagen mit einem Intranet zwar gut verteilen, ohne eine entsprechende Applikation ist ein produktiver Einsatz aber kaum vorstellbar. Stünde für Eingabe, Änderung, Auswahl oder Abfrage nicht mehr als der nackte Browser zur Verfügung, so hätte die DV des betreffenden Unternehmens gegenüber den Zeiten klassischer Client-Server-Lösungen einen Rückschritt gemacht. Anwendungsbezogene, benutzerfreundliche Masken, direkte Abfragen oder die anwenderorientierte Vorauswahl setzen weiterhin programmierte Applikationen voraus - auch wenn in den unteren Kommunikationsschichten TCP/IP arbeitet. Dies gilt speziell dann, wenn komplexe Ablaufstrukturen eingebaut werden müssen.

An den Grenzen des Standards

Auf einfache Fragen, wie beispielsweise

"wer darf/muß welches Dokument sehen" oder "wann werden alte Informationen von wem wieder entfernt",

wissen die teilweise kostenlos verteilten Browser allein keine Antworten. Die Verwaltung von einigen tausend Web-Seiten setzt entsprechende Tools voraus sowie interne Web-Datenbanken, die die "leere Schachtel" Intranet-Struktur mit Inhalt füllen.

Dabei ist allerdings auch klar, daß jede Intranet-Lösung, die über die reine Kommunikation und das Verteilen von Dokumenten hinausgeht, die Anwendung von Internet-Standards überfordert. So gibt es beispielsweise keine Internet-Standards für die Replikation, die für die Integration mobiler Offline-Einheiten besonders wichtig ist. Vor diesem Problem, von den Standards der Internet-Technik zu anwendungsfertigen Lösungen zu gelangen, stehen alle Hersteller, und alle setzen dabei auf die gleichen Komponenten: HTML, SMTP, POP3, LDAP, Secure Socket Layer und proprietäre Erweiterungen.

Hin zu diesem Punkt konvergieren Intranet und die Groupware-Lösungen, zum Beispiel auch Lotus Notes, das die mit Abstand größte Verbreitung in den Unternehmen aufweist. Mittlerweile hat sich überall die Erkenntnis durchgesetzt, daß ein Intranet funktioniert. Im Grunde verschenken die Anwender den größten Teil der Funktionen, wenn sie das IP-Netz nur für den Austausch von EMails nutzen. Jenseits vom bloßen Nachrichtenaustausch jedoch beginnt die Welt der Groupware-Lösungen, für deren Funktionieren es zunächst unerheblich ist, auf welcher Infrastruktur sie aufbauen. (hjs)

Stefan Krüger

ist Product Marketing Manager Communications bei Lotus Development in München. Zuvor arbeitete er fünf Jahre bei Compunet.