Office aus dem Web: Leihen statt kaufen

15.12.1999 von THOMAS RIESKE 
Kaum haben sich die Anwender daran gewöhnt, mit jeder neuen Office-Version ihre Hardware nachrüsten zu müssen, ist Umdenken angesagt. Die großen Softwarehersteller wollen die Funktionalität ihrer Boliden webbasiert anbieten. Ein einfaches Terminal genügt zum Arbeiten.

Mehrere Hundert MByte Plattenplatz belegen die großen Office-Pakete nach der Installation. Und egal, ob der Anwender nur eine Komponente nutzt oder alle: Er bezahlt immer den vollen Preis. Nun glauben einige Hersteller, diese Mankos durch einen neuen Ansatz überwinden zu können: Sie wollen die Funktionalität ihrer Büro-Suiten über das Internet anbieten. Die beschrittenen Wege sind dabei unterschiedlich: Microsoft setzt auf den Terminal Server, Sun auf Java-Applets, die im Browser ablaufen. Sun will den Dienst gratis anbieten, Microsoft möchte Geld sehen, hält sich aber mit Preisangaben vorerst noch zurück.

Vorreiter in Sachen Web-Office ist Sun. Der UNIX-Spezialist aus Palo Alto hat seit der Übernahme von StarDivision StarOffice im Angebot. Unmittelbar nach der Fusion gab man bekannt, dass dessen Einsatz nun auch im kommerziellen Bereich kostenfrei sei. Getreu dem Firmenmotto The network is the computer ist nun geplant, ein webbasiertes Modell der Bürosoftware anzubieten. StarPortal soll als Ergänzung zur Desktop-Version ebenfalls gratis sein.

Mit diesem Vorstoß kommt Sun eindeutig Erzrivale Microsoft ins Gehege. Dieser kann zwar auf beruhigende 90 Prozent Marktanteil im Bereich Office-Software blicken. Doch die Redmonder wollen das zukunftsträchtige Terrain gar nicht erst anderen überlassen. Im Gegenzug kündigten sie daher rasch ein webfähiges Office Online an. Schließlich hatte man zu Beginn des Internet-Booms dessen Möglichkeiten schon einmal unterschätzt. Und das Marktpotenzial für Internet-Leihsoftware ist beachtlich: Bereits 2002 sind in diesem Bereich mehr als elf Milliarden US-Dollar zu verdienen schätzen die Marktforscher von IDC.

Verschlafen haben beide Firmen, sich naheliegende Domain-Namen zu sichern. So harrt Starportal.com bis jetzt eines Besitzers, und auf Officeonline.com hat sich Adverlink mit einer virtuellen Shoppingmeile breitgemacht.

Zumindest die Frage der Domain-Reservierung haben zwei kleinere US-Firmen schon gelöst. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit bieten Desktop.com und MyWebOS.com ihre Bürohelfer online an, befinden sich aber noch in der Betaphase. Doch die Offerten der beiden Newcomer erscheinen zurzeit wenig attraktiv: Kalender, Adressverwaltung, Notizzettel sowie eine kleine Textverarbeitung dürften kaum Anwender zum Umstieg verleiten.

Sun: StarPortal

Mit der StarPortal-Initiative will Sun die Produktivität von Star-Office über das Web verfügbar machen. Das Bearbeiten der Benutzerdaten soll unabhängig von der verwendeten Rechnerplattform möglich sein. Soweit die Firmen-Vision.

Funktionieren soll das Ganze in Zusammenarbeit mit Partnerfirmen, in erster Linie Internet Service Providern. Ihnen stellt Sun den PortalServer zur Verfügung, der unter Solaris, Linux und NT läuft. Gleichzeitig will Sun den Quellcode von StarPortal offen legen. Dies geschieht aber nicht unter der General Public License, da Sun die Oberaufsicht über den Quelltext behalten will. Aktuell führt Sun in den USA einen Pilotversuch mit ausgewählten Kunden durch. Bis April 2000 will man die derzeitige Alpha-Version gegen das Final Release austauschen.

Alles, was der Anwender zur Nutzung des Angebots braucht, ist ein Java-fähiger Browser und einen Zugang zum entsprechenden Service Provider. Im Browser läuft ein vom Server geladenes Applet, das die Office-Funktionalität bereitstellt. Für eine ausreichende Performance beim Arbeiten soll eine ISDN-Verbindung genügen.

Zur Verschlüsselung der Kommunikation gelangt SSL zum Einsatz. Darüber hinaus empfiehlt Sun, die abgelegten Daten mit der Verschlüsselungssoftware PGP vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Damit überlässt man die entscheidende Frage des Datenschutzes dem Anwender. In den meisten Fällen dürfe der damit jedoch überfordert sein.

Wie das Unternehmen von Scott McNealy trotz kostenlos verteilter Office-Software Geld verdienen will, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis. Ein StarCare genanntes Paket offeriert Supportdienste für die Serviceprovider. Denn auf deren Seite wird einiges an Hardware vorausgesetzt. Und auf den notwendigen Servern und Disk-Arrays soll natürlich möglichst das Sun-Logo stehen.

Microsoft: Office Online

Mit gewohnt markigen Worten kommentierte Steve Ballmer die Weboffice-Initiative des Konkurrenten Sun. Eine ernsthafte Konkurrenz für Microsofts Office-Paket könne er darin nicht erkennen, meinte der Microsoft-Präsident. Dennoch stellte er eine webbasierte Version der eigenen Büro-Suite in Aussicht, allerdings ohne auf konkrete Terminpläne und Benutzungsgebühren einzugehen.

Microsofts Office Online ist kein wirklich neues Produkt. Vielmehr bildet der Windows Terminal Server die normale Funktionalität der Bürosoftware auf den Clients ab. Diesen Dienst stellt Microsoft nicht selbst zur Verfügung, sondern lagert ihn an Kooperationspartner, vorzugsweise Internet Service Provider, aus. Über die können sich die Kunden auf dem Terminal Server einwählen und online ihren gewohnten Windows-Desktop und Office-Programme nutzen. Als Client-Plattform kommt natürlich primär Windows zum Zuge. Für Macintosh- und Unix-Systeme bietet Citrix einen passenden Client an.

Als optimale Anbindung empfiehlt Microsoft DSL. Wer auf Grafiken verzichten mag, könne sich auch mit einem 28.8er Modem einen guten Eindruck verschaffen, heißt es weiter aus Redmond.

In erster Linie wendet man sich mit dem neuen Angebot an kleine und mittlere Unternehmen, die nicht viel in die eigene IT-Infrastruktur investieren wollen. Dadurch gewinnt der Sicherheitsaspekt an Bedeutung, denn wer möchte schon, dass vertrauliche Firmendaten bei der Konkurrenz auftauchen. Microsoft bietet als grundlegenden Schutz das Remote Display Protocol an, das aber lediglich die Kommunikation zwischen Client und Internetserver verschlüsselt. Wie die gespeicherten Daten vor fremden Zugriff geschützt werden, ist allein Sache der Kooperationspartner.

Geld verdient Microsoft durch den Verkauf der notwendigen Technik und des zugehörigen Know-Hows an seine Partnerfirmen. Wie diese die Kosten weitergeben, entscheiden sie selbst. Im Rahmen von Zusatzleistungen wie Web-Hosting, Netzwerkmanagement und Supportdiensten sollte es ihnen möglich sein, für den Kunden attraktive Pakete zu schnüren.

Die Newcomer MyWebOS und Desktop

Während die Protagonisten noch mit geschlossenen Benutzergruppen im Alpha-Stadium experimentieren, befinden sich Desktop.com und MyWebOS.com bereits in der Beta-Phase. Beide Firmen bieten kostenlose Desktop und Gratis-Applikationen allgemein zugänglich über das Internet an.

Desktop.com ist allen voraus und bot seine Dienste bereits am 20.9.1999 an. Das Unternehmen will sich über Werbung und Portaldienste finanzieren und richtet sich direkt an Endkunden. Ein herkömmlicher Browser reicht aus, um nach der Anmeldung die Desktop-Funktionen und Applikationen zu nutzen. Viel Programmauswahl findet sich zurzeit jedoch noch nicht. Am ehesten wird der Anwender im Spielebereich fündig, in dem acht Programme vertreten sind. Der Bereich Produktivität gibt ebenfalls nicht allzu viel her. ein Notizblock und ein Taschenrechner machen noch lange kein Office. Auch die Ladezeiten waren bei unserem Besuch trotz Standleitung und schnellem Rechner recht zäh.

Dem Benutzer stehen zehn MByte Speicherplatz auf dem Server zur Verfügung. Darauf kann er nicht nur Dokumente ablegen, sondern auch Verknüpfungen zu Programmen, User-IDs und Passwörter. Zwar behauptet das Unternehmen lapidar, sein System sei sicher. Bedenklich fanden wir allerdings, dass zur Benutzung die Annahme von Cookies erforderlich ist, in denen der Login-Name unverschlüsselt zu finden ist.

Anfang Dezember 1999 startete mit MyWebOS der zweite Newcomer, der online einen kostenlosen Desktop samt Anwendungen zur Verfügung stellt. Das Geschäftsmodell basiert im Unterschied zu Desktop.com nicht auf Einnahmen aus der Werbung. Vielmehr soll das Geld durch den Verkauf von Entwicklungsumgebung und -werkzeugen fließen.

Ob man mit dem jetzigen Angebot jedoch viele Kunden anspricht, ist mehr als fraglich. Von einer kompletten Office-Suite ist MyWebOS meilenweit entfernt. Mit Kalender, Adressverwaltung, Notizzettel und einer abgespeckten Textverarbeitung steht lediglich ein Bruchteil der bekannten Büroapplikationen zur Verfügung. Deren Performance bricht überdies nicht gerade Geschwindigkeitsrekorde. Mit einer Wartezeit von zehn Sekunden und mehr zum Öffnen eines Programms befindet sich MyWebOS auf dem nur mäßigen Niveau von Desktop.com.

Zu dem wichtigen Thema Datenschutz findet sich auf der Webseite des Unternehmens kein einziger Satz. Wer also seine 20 MByte kostenfreien Serverplatz mit Daten füllt, weiß keineswegs, wie sicher diese gelagert sind.

Fazit

Betrachtet man die bisherigen Online-Initiativen, so kranken diese an zwei Hauptproblemen.

Ganz obenan stehen die Sicherheitsaspekte. Egal, ob bekannte Softwareschmiede oder weitgehend unbekannte Web-Dienstleister: Jeder, der mit einer Internet-basierten Office-Suite arbeitet, muss sich fest darauf verlassen können, dass seine Daten vor fremdem Zugriff sicher sind. Das gilt sowohl bei der Datenübermittlung zwischen Client und Server als auch nach dem Speichern. Man macht es sich zu einfach, wenn man die gesamte Verantwortung dafür auf seine Kooperationspartner abwälzt. Oder lapidar behauptet, das System sei einfach sicher.

Zweiter Problempunkt ist die Bandbreite im Internet. Selbst wenn es gelingt, die Telekommunikationskosten durch Flatrates erträglich zu gestalten: Die erforderlichen Bandbreiten für ein zügiges Arbeiten dürften wohl auch in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen. Wenn Microsoft die Anbindung zumindest via DSL empfiehlt, lassen sich die Dimensionen erahnen.

Ob der Kunde dabei mitspielt, ist mehr als zweifelhaft. Er wird sich nur umorientieren, wenn er gleichzeitig mit der neuen Technologie einen Mehrwert erhält. Mehr Probleme als er ohnehin schon mit den heutigen Applikationen hat, braucht er nicht. (tri)