Offen und vernetzt

28.10.1999
Der Forderung der Kunden nach kompletten, vernetzten Lösungen müssen auch die Anbieter von Betriebssystemen in Zukunft Rechnung tragen. Über die Entwicklungsrichtung der Software herrscht Einigkeit: Ausrichtung an Standards, Integration zusätzlicher Dienste und 64-Bit-Unterstützung.

Von: Frank-Michael Schlede

Die Zeiten der "Betriebssystemkriege", beispielsweise zwischen Unix und Windows NT, scheinen vorbei zu sein. Bei Anwendern und Anbietern steht der Nutzen einer EDV-Lösung im Vordergrund. Zu dieser Überzeugung könnte ein Beobachter kommen, wenn er die Aussagen der großen IT-Firmen vergleicht: Fast alle diese Unternehmen, ganz gleich ob Novell, Microsoft, Compaq oder Hewlett-Packard, stellen sich eher als Lösungs- denn als Betriebssystemanbieter dar.

Doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt, daß das unter einer Softwarelösung arbeitende System, und das schließt auch die sogenannten Netzwerk-Betriebssysteme mit ein, doch von Bedeutung ist. Die Aufregung, die unter den Herstellern durch die steigende Bedeutung von Linux entstand, macht deutlich, wie wichtig die Entscheidung für ein Betriebssystem immer noch ist. Es stellt die unverzichtbare Basis einer jeden Applikation dar. Auch die Anstrengungen der verschiedenen Anbieter, immer neue und verbesserte Merkmale in ihre Systemsoftware zu integrieren, läßt darauf schließen, daß es auch in den nächsten Jahren noch erbitterte Kämpfe um die Anteile in dem Marktsegment geben wird.

Marktforschungsinstitute wie IDC betrachten nach wie vor nur getrennte Bereiche des Marktes. So prognostiziert eine Studie aus diesem Jahr für die sogenannten LAN-Betriebssysteme in Westeuropa bis zum Jahr 2003 ein jährliches Wachstum von 12 Prozent. Dazu zählen die Analysten von IDC neben der Netware-Familie von Novell unter anderem auch Windows NT, IBMs OS2 Warpserver und den Micrcosoft LAN-Manager.

Die Hauptkriterien für diese Klassifizierung sind "klassische" LAN-Fähigkeiten, also File- und Print-Sharing, während die Applikations-Server explizit ausgenommen werden. Die Anbieter ziehen die Grenze ganz und gar nicht so streng, sondern sagen für die nahe Zukunft eine Vereinheitlichung der Fähigkeiten der Betriebssysteme voraus.

Mehrwert durch Dienste

Michael Naunheim, Leiter Marketing bei Novell in Deutschland, legt den Schwerpunkt der Netware-Lösungen auf den Mehrwert des Netzwerk-Betriebssystems: "Wir haben im Lauf der Zeit immer mehr Dienste integriert und sind uns sicher, daß dies der richtige Weg ist. Aus dem klassischen File- und Print-Server wird mehr und mehr eine Plattform, die Dienste für den Einsatz im Inter- und Intranet zur Verfügung stellt." Dieser Aspekt wird seiner Meinung nach durch den Einsatz der "Netware Directory Services" (NDS) erreicht.

Er sieht damit auch die Möglichkeit gegeben, Netware-Server als Integrationsplattform in heterogenen Netzwerken einzusetzen: "Offene Schnittstellen und Services werden zusammen die entscheidenden Faktoren beim zukünftigen Einsatz von Betriebssystemplattformen bilden."

Der gleichen Meinung ist auch Dr. Volkert Wolf, Softwarearchitekt bei IBM Deutschland: "In diesem Umfeld sind es in den nächsten Jahren die offenen Standards, die entscheiden, ob und wie erfolgreich ein Anbieter sein wird." Damit gibt er die Entwicklungsrichtung für die ganze Palette der Betriebssysteme, die IBM anbietet und pflegt, vor: "Ganz gleich, ob man von der Mainframe-Plattform OS/390, unserem Unix AIX oder Linux spricht, offene, sichere Schnittstellen und die Integration von Web-Services sind die wichtigsten Vorgaben in diesem Bereich."

Den Beweis dafür, daß die Richtung stimmt, bringen die "Web Sphere"-Produkte. Die Anwender verlangen immer mehr Komplettangebote, bestehend aus Betriebssystem und Web-Anwendungen: "Es wird eine Art Web-Hülle um das Betriebssystem gelegt, die einen deutlichen Mehrwert bietet."

Ein weiterer Trend zeichnet sich in der Ausrichtung der Betriebssoftware auf 64-Bit-Unterstützung ab. Diesem trägt IBM durch die Kooperation mit dem kalifornischen Unix-Anbieter SCO im "Monterey"-Projekt Rechnung. Die meisten Hersteller, wie Sun mit Solaris 7, Hewlett-Packard mit HP-UX 11, IBM mit der aktuellen AIX-Version 4.3.3 und Compaq mit Digital Tru64-Unix, dem ehemaligen Digital Unix, haben bereits 64-Bit im Angebot.

Das bedeutet, die Systeme arbeiten auf allen Ebenen, sowohl im eigentlichen Betriebssystemkern als auch bei den Speicher- und Filesystemzugriffen mit 64-Bit-Adressen und -Zugriffen. Aber alle können ausschließlich auf den proprietären RISC-Plattformen der jeweiligen Hersteller eingesetzt werden.

Erst durch den unter der Bezeichnung "IA-64" zu erwartenden Intel-Prozessor, der allerdings erst im nächsten Jahrtausend zur Verfügung steht, werden die Fähigkeiten der 64-Bit-Betriebssysteme auch für den Massenmarkt interessant. Das Monterey-Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, rechtzeitig zum Erscheinungszeitpunkt der 64-Bit-CPU von Intel auch ein entsprechendes Betriebssystem auf Basis von SCO Unixware herauszubringen.

Zukunft für Intel-Plattformen

Mittlerweile hat sich auch Compaq dem Projekt angeschlossen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß der Anbieter zwar weitere Unix-Derivate, neben Tru-64- noch ein Tandem-Unix, mit diesen Fähigkeiten im Portofolio hat, aber auf Intel-Basis nur auf die Monterey-Lösung setzen will.

Auch hat Compaq die Weiterentwicklung von Windows-NT für die hauseigene Alpha-Plattform eingestellt. Somit zeigt sich immer klarer, daß die Betriebssystemanbieter die Zukunft im Bereich der 64-Bit-Intel-Systeme sehen. Zumal Marktführer Microsoft diesbezüglich eindeutige Mankos aufzuweisen hat: Windows 2000 ist nach wie vor eine reine 32-Bit-Lösung, die die Fähigkeiten der neuen Prozessorarchitektur nicht voll ausnutzen kann.

Hinzu kommt die Tatsache, daß sich die Einführung noch weiter zu verzögern scheint, obwohl schon einige Beta-Versionen zur Verfügung stehen. Mittlerweile scheint man auch bei Microsoft den Trend der Zeit erkannt zu haben, denn seit Anfang Oktober preist die Firma auf der Windows-2000-Web-Site die Vorzüge eines 64-Bit-Betriebssystems an, ohne daß dabei deutlich wird, wann ein solches aus dem Hause zur Verfügung steht.

Aber auch Microsoft ist sich sicher, daß die von allen anderen Herstellern propagierten Directory-Services einen entscheidenden Faktor im Kampf um Marktanteile darstellen werden. Als Konsequenz hat Microsoft mit Windows 2000 das bisherige proprietäre Domains-Konzept von Windows-NT auf eines umgestellt, das auf dem offenen "Lightweight Directory Access Protocol" (LDAP) basiert. Die Gates-Company hat damit einen, wenn auch kleinen Schritt in Richtung offener Schnittstellen getan.

Offenheit der Schnittstellen, ohne damit der Sicherheit des Betriebssystems Abbruch zu tun, ist auch bei den anderen "Mitspielern" in diesem Markt ein wichtiges Thema, neben den erweiterten Internet- und Web-Fähigkeiten. Für Klaus Hoeing, Unternehmenssprecher bei Hewlett-Packard in Deutschland, kommen noch weitere Faktoren hinzu: "HP-UX 11 ist heute schon so ausgelegt, daß der Übergang zur IA-64-Architektur problemlos möglich ist. Außerdem haben wir auf die einfache und konsistente Handhabung Wert gelegt."

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Sun Microsystems: Beim aktuellen Release Solaris 7 können fast alle Funktionen und sogar die Installation des Systems direkt über ein Browser-Interface vorgenommen werden. Diese Entwicklungen beweisen, daß die Bedeutung der Betriebssysteme ganz und gar nicht im Sinken ist. Auch wenn viele Hersteller wie IBM mit dem Begriff des "Pervasive Computing" und Sun Microsystems mit seinen "Jini-Lösungen" lautstark für den Einsatz sogenannter Netzwerk-Appliances werben, ist es doch allen klar, daß gerade beim Einsatz solcher Hard- und Software die entsprechenden Server und Betriebssysteme vonnöten sind. Im professionellen Umfeld wird es auch in den kommenden Jahren entscheidend sein, wie flexibel und sicher die jeweils eingesetzte Plattform die geschäftskritischen Anwendungen unterstützt. (sf)