Nur wer richtig sucht, der findet

31.05.2002
Die Erfahrungen oder das Know-how von einzelnen Mitarbeitern in Wissen zu überführen, das allen im Unternehmen zur Verfügung steht, ist für Firmen ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor. Damit sie "Knowledge" systematisch verwalten und brauchbare Ergebnisse liefern können, müssen Wissensmanagement-Systeme auf semantische Techniken zurückgreifen.

Von: Prof. Dr. Jürgen Angele

In konventionellen Wissensmanagement-Systemen liegt "Knowledge" üblicherweise in strukturierter, halb- und unstrukturierter Form vor. An dieses Wissen heranzukommen ist in vielen Fällen schwierig. Suchanfragen, die auf Schlüsselwörtern basieren, scheitern meist bereits daran, den richtigen Suchbegriff zu finden oder den Kontext der Anfrage festzulegen. Darüber hinaus findet eine rein syntaktische Suche nach Begriffen statt, ohne die Bedeutung der Wörter innerhalb der einzelnen Dokumente zu berücksichtigen. So ergibt beispielsweise die Eingabe des Begriffes "Bank" eine Unmenge von Links, die sowohl im Zusammenhang mit Finanzdienstleistern als auch mit Sitzgelegenheiten stehen und in denen der Anwender dann weitersuchen muss.

Eine effiziente Wissensabfrage setzt voraus, dass solche Unklarheiten ausgeschlossen sind. Dies stellen semantische Techniken sicher. Die Basis bilden Wissensmodelle, so genannte Ontologien. Sie definieren die Begriffe, die für eine Domäne relevant sind und wie diese zusammenhängen. Ontologien vermitteln ein allgemein anerkanntes Verständnis dieser Domäne, das Personengruppen und Anwendungen miteinander teilen. Die Begriffe der Domäne werden von der Ontologie in eine so genannte Taxonomie eingeordnet, also eine Begriffshierarchie. Diese wiederum wird um Beschreibungen und Attribute der Begriffe und deren Relationen untereinander erweitert.

Semantische Techniken verstehen den Anwender

Das gemeinsame Modell legt für alle Beteiligten fest, welche Bedeutung Begriffe haben. Deshalb verschiebt sich die Kommunikation von der syntaktischen Ebene hin zur semantischen. Das heißt, nicht mehr Worte stehen im Mittelpunkt, sondern die Inhalte der verteilten Informationsquellen - und das unabhängig davon, ob es sich um Datenbanken, Dokumente oder das Internet handelt. Die Verknüpfung von Suchanfragen mit Wissensmodellen stellt sicher, dass der Nutzer Ergebnisse erhält, die dem entsprechen, was er wirklich sucht.

Da Ontologien für einen Wissensbereich auch Regeln beschreiben, können zusätzlich über Regelmechanismen implizite Verknüpfungen erkannt werden. Dazu ein Beispiel: In einer Regel lässt sich beispielsweise festhalten, dass die Teilnehmer eines Workshops "Knowledge-Management" über Wissen zu diesem Thema verfügen, auch wenn das in keinem Dokument explizit beschrieben ist.

Wissensmanagement mit Mehrwert

Für den Aufbau einer individuellen semantischen Wissenslandschaft lässt sich die vorhandene IT-Infrastruktur eines Unternehmens nutzen. Entlang der so genannten Semantic Value Chain sind vier Stufen zu unterscheiden, die jeweils einen Mehrwert in den Anwendungen generieren:

- Modellierung,

- Suche,

- Extraktion und

- Generierung.

Der erste Schritt ist die werkzeugunterstützte Modellierung von Wissensbereichen und Domänen. Der Aufbau der Wissensmodelle (Ontologien) mit Hilfe spezieller Tools bildet die Grundlage von Applikationen wie der bedeutungs- und kontextabhängigen Suche nach bestimmten Inhalten. Quasi nebenbei gibt die Modellierung zudem häufig Aufschluss darüber, in welchen Unternehmensbereichen Wissenslücken bestehen beziehungsweise wo eine falsche Informationsversorgung stattgefunden hat.

Ontologien vereinfachen und beschleunigen die Suche nach Informationen und das Navigieren durch Wissensbestände. Die modellierten Konzepte und deren Beziehungen erlauben dem Anwender einen einfachen Zugriff auf die Themen, die für ihn relevant sind. Dabei führen eine thematische Einordnung und Synonymlisten automatisch dazu, dass die richtigen Suchbegriffe verwendet werden. Gibt der Benutzer etwa den Begriff "Vertrag" ein, gibt das Knowledge-Managementsystem alle damit verbundenen Begriffe aus. Er kann dann spezifizieren, ob er einen Vertrag mit einem Kunden oder einem Lieferanten sucht.

Eine semantische Anfrage führt zu einer deutlich höheren Zahl von Treffern, weil nach einer logischen Kombination der eingegebenen Begriffe sowie der dazugehörigen Unterbegriffe und Synonyme gesucht wird. Je komplexer das Thema, desto höher die Anzahl der Begriffe. Sucht ein Nutzer beispielsweise nach allen Marketingaktivitäten für das Produkt X eines Unternehmens, reicht es aus, wenn er die Begriffe "Marketing" und "Produkt X" eingibt. Die Suche wird dann automatisch um die Begriffe Marketing Communications, Events, Messen, Mailings, Produktmarketing et cetera erweitert. Der Anwender hat außerdem die Möglichkeit, bestimmte Begriffe auszuschließen und die Anfrage damit individuell zu gestalten. Die logischen Verknüpfungen gewährleisten, dass kein relevantes Ergebnis unter den Tisch fällt. Mithilfe eines Subkonzeptes lässt sich die Suche bei Bedarf weiter eingrenzen, über ein Superkonzept dagegen ausweiten.

Die relevanten Informationen extrahieren

Im Gegensatz zu Wissensmanagementlösungen, die "Topic Maps" für das Einordnen und Kategorisieren von Begriffen verwenden, lassen sich bei ontologiebasierten Systemen strukturierte Datenquellen integrieren. Durch eine einfache Verknüpfung des Wissensmodells, etwa mit einer Datenbank, können strukturierte Informationsquellen parallel zu einer semantischen Suche ausgewertet werden. Das Ergebnis sind dann keine Verweise auf Dokumente, sondern konkrete Antworten auf Fragen.

Auch dazu ein Beispiel: Ein Mitarbeiter in einem Unternehmen sucht Experten für Java-Programmierung. Eine Dokumenten-Suchanfrage zum Thema Java-Programmierung wird dazu mit einer Aufstellung von Mitarbeitern kombiniert, die aus einer beliebigen Quelle stammen kann, etwa der Personaldatenbank. Das Ergebnis ist dann eine Liste mit Java-Programmierern, die im Unternehmen tätig sind. Ebenso einfach lassen sich neue Fakten in das System integrieren. Informationen, die beim Erstellen von Dokumenten produziert werden, können ohne zusätzlichen Aufwand über Templates eingebracht werden. Solche Vorlagen werden ohnehin beim Erstellen von Dokumenten genutzt. Tabellen und Listen aus dem Internet lassen sich über so genannte Wrapper einbinden. Mithilfe von Annotierungswerkzeugen können zudem interessante Informationen aus Dokumenten, Tabellenkalkulationen und Webseiten von Hand extrahiert, gesammelt und automatisch verarbeitet werden.

Neues Wissen schaffen

Durch die Kombination mehrerer Informationen aus verteilten und heterogenen Quellen ist es möglich, implizites Wissen transparent zu machen und neues Wissen abzuleiten. Dieses aufbereitete "Knowledge", das aufgrund logischer Schlussfolgerungen gewonnen wurde, heißt "Inferenz". Solche Ableitungen lassen sich in einem semantischen Wissensmanagement-System automatisch durch den Einsatz einer Inferenzmaschine erzeugen. Die Basis sind Regeln und Relationen. Solche Relationen können folgendermaßen aussehen:

- arbeitet_in (Mitarbeiter, Projekt): Mitarbeiter arbeitet in einem Projekt mit.

- behandelt_Thema (Projekt, Thema): Ein Projekt behandelt ein bestimmtes Thema.

In diesem Fall lautet die über die Relationen definierte Regel: Arbeitet ein Mitarbeiter X in einem Projekt Y und behandelt Projekt Y das Thema Z, dann hat Mitarbeiter X Kenntnisse zum Thema Z. Auf die Frage "Wer hat Kenntnisse zum Thema Z?" würde die Antwort lauten "Mitarbeiter X", obwohl diese Aussage in keiner Informations- beziehungsweise Datenquelle explizit formuliert ist. Es handelt sich dabei um inhärentes Wissen, das ausschließlich durch dynamische Abfragemodelle generiert werden kann. Auf dieser Basis lassen sich unterschiedliche Quellen in das System integrieren. Das Ziel ist, alle Wissensquellen, die in einem Unternehmen vorhanden sind, zu integrieren und zu nutzen.

Die Weiterentwicklung des World Wide Web in ein Semantic Web basiert ebenfalls auf dem Einsatz semantischer Technologien (Näheres dazu in der Online-Version dieses Beitrages). Diese Vision vom Web als weltweiter Informationsquelle, in der Systeme Inhalte verstehen und interpretieren können, bietet ein enormes Potenzial für das Wissensmanagement. So lassen sich beispielsweise externe Informationen aus dem Semantic Web mit internem Wissen aus einem Intranet und Fileserver-Dokumenten verbinden. (re)

Zur Person

Prof. Dr. Jürgen Angele

studierte an der Universität Karlsruhe Informatik. Danach war er in der Industrie sowie in Forschung und Lehre tätig. Vor drei Jahren gründete er zusammen mit Hans-Peter Schnurr, Steffen Staab und Professor Rudi Studer die Ontoprise GmbH.