Netzwerk-Basiswissen, Teil 3

01.03.2005 von PROF. DR. Stephan Euler
Zum wirklichen Verständnis von Netzwerktechnik ist ein solides Basiswissen die Grundvoraussetzung. Unsere Artikelserie verschafft Ihnen dieses Know-how. Der dritte Teil behandelt das OSI-Referenzmodell.

In vielen Fällen kommunizieren Sender und Empfänger nicht direkt, sondern über Zwischenstufen. Betrachten wir folgendes Beispiel: Herr A. möchte 12 Flaschen Rotwein von Chateau Rothschild in Bordeaux kaufen. Seine Nachricht kann man wie folgt darstellen:

[Herr A.] [12 Flaschen Rotwein] [Chateau Rothschild]

Herr A. spricht weder Französisch noch kennt er die Anschrift von Chateau Rothschild. Daher wendet er sich an seinen Weinhändler als Vermittler. Der Weinhändler kennt einen Großhändler in Bordeaux, spricht selbst allerdings auch kein Französisch. Er übersetzt daher die Bestellung in Englisch und schickt folgende Nachricht an den Großhändler:

[Herr A.] [12 bottles red wine] [Chateau Rothschild] [Großhändler in Bordeaux]

Der französische Großhändler entfernt seine eigene Adresse, übersetzt in Französisch und leitet die Bestellung weiter.

[Herr A.] [12 bouteilles vin rouge] [Chateau Rothschild]

Der gesamte Ablauf der Bestellung ist in Bild 1 im nächsten Abschnitt dargestellt. Dabei ist als zusätzliches Element noch die Übertragung der Nachricht als Brief per Post eingetragen.

Serie: Netzwerk-Basiswissen

Teil 1

Technische Grundlagen

Teil 2

Netzwerktypen und -topologien

Teil 3

Schichten- und Referenzmodelle

Diesen und weitere Artikel zum Thema finden Sie im neuen tecCHANNEL-Compact Netzwerk-Know-How, das bis März 2005 im Handel ist. Sie können die Ausgabe auch jetzt und später versandkostenfrei in unserem Online-Shop bestellen.

Protokollstapel

Das Bild zeigt, wie die eigentliche Kommunikation über mehrere Zwischenstufen abläuft. Auf diesem Weg wird die Nachricht zweimal übersetzt. Wichtig ist dabei, dass die einzelnen Schritte unabhängig voneinander erfolgen. Für die Bestellung ist es unwesentlich, ob die beiden Händler sich in Englisch oder irgendeiner anderen Sprache verständigen, solange sie sich auf eine gemeinsame Sprache verständigen können. Entsprechend brauchen die beiden Endbenutzer die Übertragungssprache nicht zu verstehen.

Für jede Schnittstelle muss nur zwischen den beiden beteiligten Partnern ein Protokoll verabredet werden. Die gesamte Übertragung beinhaltet eine Kette von Protokollen - den so genannten Protokollstapel (engl. protocol stack). Auf der Sendeseite wird die Protokollkette von oben nach unten abgearbeitet bis die Nachricht physikalisch verschickt wird. Beim Empfänger durchläuft die Nachricht die Kette dann in umgekehrter Reihenfolge. Typisch ist dabei, dass auf der Sendeseite die unteren Ebenen zusätzliche Informationen anfügen (im Beispiel die Adresse des französischen Großhändlers), die dann beim Empfänger auf der gleichen Ebene wieder entfernt werden.

Diese Situation - die beiden Kommunikationspartner verständigen sich indirekt über eine Reihe von Zwischenschichten - stellt die große Herausforderung für heterogene Netzwerke dar. Ein typisches Beispiel ist die Kommunikation zwischen einem Web-Browser, der auf einem PC unter Windows2000 läuft, und einem Web-Server auf einem Großrechner mit dem Betriebssystem Linux. Trotz aller Unterschiede in Hard- und Software können die beiden Anwendungen sich verständigen.

OSI-Referenzmodell

Zum Verständnis der Abläufe in Netzwerken ist eine standardisierte Darstellung der verschiedenen Protokollebenen hilfreich. Eine klare Definition funktionaler Ebenen erlaubt eine starke Kapselung. Die Schnittstelle zwischen zwei Ebenen kann dann leicht ausgetauscht werden, ohne dass es zu Rückwirkungen auf die anderen Protokolle kommt.

Eine formale Definition der verschiedenen Schichten entwickelte die ISO (International Standards Organization) ab etwa 1977. Resultat ist das Schichtenmodell ISO/OSI 7. Bild 2 zeigt die 7 Schichten des Referenzmodells. In diesem Modell sind weiterhin die Schnittstellen zwischen den Schichten festgelegt. Man unterscheidet zwischen Protokollen und Diensten. Protokolle definieren die Schnittstelle zwischen zwei Systemen auf einer Ebene. Demgegenüber sind in der OSI-Terminologie Dienste Funktionen, die eine Schicht der nächsthöheren Schicht zur Verfügung stellt.

Die Schichten im Detail

Bitübertragung

Die Bitübertragungsschicht (physical layer) stellt einen Bitstrom zwischen Sender und Empfänger bereit. Auf dieser Ebene spielt die Bedeutung der Bits keine Rolle. Vielmehr geht es darum, wie die einzelnen Bits übertragen werden. Darunter fallen Fragen wie Übertragungsmedien, Stecker, Darstellung einzelner Bits, Aufbau einer Verbindung, et cetera.

Sicherung

Bei der Bitübertragung können Fehler auftreten. Aufgabe der Sicherungsschicht (data link layer) ist es, solche Fehler zu erkennen und durch entsprechende Mechanismen zu korrigieren. Dazu werden Blöcke von Datenbits zusammen gefasst. Die so gebildeten Datenrahmen (data frames) werden mit zusätzlichen Bits zur Kennung von Anfang und Ende versehen. Weitere Kontrollbits erlauben dem Empfänger, die korrekte Übertragung des Rahmens zu überprüfen. Erkennt der Empfänger Fehler, kann er sie bis zu einer gewissen Grenze korrigieren. Ist der Rahmen so gestört, dass eine Korrektur nicht mehr möglich ist, fordert der Empfänger den Sender auf, den Rahmen erneut zu senden.

Vermittlung

Der Weg den die Daten nehmen sollen wird in der Vermittlungsschicht (network layer) festgelegt. Diese Festlegung kann beispielsweise zu Beginn einer Verbindung erfolgen. Alternativ kann auch für jedes Paket neu die gerade optimale Route bestimmt werden. Man spricht auf der Vermittlungsschicht nicht mehr von Rahmen, sondern von Paketen. Die Vermittlungsschicht enthält in der Regel auch Abrechnungsfunktionen, um die entstandenen Gebühren zu erfassen.

Wenn auf dem Weg vom Sender zum Empfänger mehrere Knoten liegen, werden in jedem der Knoten die drei untersten Schichten benötigt.

Transport

Die Transportschicht (transport layer) ist die erste Ende-zu-Ende Schicht. Das heißt, das Programm in der Transportschicht der Sendeseite kommuniziert mit einem passenden Gegenstück auf Empfängerseite. Aufgabe der Transportschicht ist, größere Datenmengen von den oberen Schichten zu übernehmen, falls notwendig in kleinere Einheiten zu zerlegen und dann an die Vermittlungsschicht weiter zu geben. Die Transportschicht ist auch zuständig für den Aufbau der Verbindung.

Sitzung

Die Sitzungsschicht (session layer) bietet eine übergeordnete Sicht der Verbindung. Eine Sitzung kann verschiedene Verbindungen beinhalten, zum Beispiel für Hin- und Rückkanal, oder in zeitlicher Folge wenn die Verbindung nicht permanent gehalten wird.

Darstellung

In der Darstellungsschicht (presentation layer) werden die von unten gelieferten Daten interpretiert und in die für das System richtige Darstellung gebracht. Beispielsweise werden für die Übertragung Standardrepräsentationen für Daten wie Zeichen, Festkommazahlen, et cetera definiert. In der Darstellungsschicht erfolgt dann die Umsetzung aus der allgemeinen Repräsentation in das maschinenspezifische Format. Zu den weiteren Aufgaben in dieser Schicht gehören Verschlüsselung und Datenkompression.

Anwendung

Die Anwendungs- oder Verarbeitungsschicht (application layer) stellt dem Benutzer bestimmte Dienste zur Verfügung. Dazu gehören der Dateitransfer, das Anmelden auf anderen Rechnern oder die Kontrolle von Prozessen.

Fazit

Das ISO/OSI 7 Schichtenmodell bietet eine gute Grundlage zum Verständnis sowie zur vergleichenden Beurteilung von eingesetzten Technologien. Die gewählte Einteilung in sieben Schichten sollte allerdings nicht zu starr gesehen werden. In vielen Fällen erweist sich die Einteilung als teilweise zu fein oder zu grob. Die höheren Schichten sind oft in weniger Schichten realisiert. Beispielsweise hat die im Internet verwendete TCP/IP Architektur insgesamt nur vier Schichten. Tanenbaum benutzt in seinem Standardwerk [1] ein vereinfachtes Modell mit fünf Schichten. Umgekehrt ist es sinnvoll, bei genauerer Untersuchung der unteren Schichten weitere Zwischenschichten einzuführen.

In der Praxis hat das Modell nie die von den Initiatoren erhoffte universelle Bedeutung erlangt. Durch den aufwendigen und zeitraubenden Standardisierungsprozess setzten sich oft am Markt mehr pragmatisch entstandene, aber frühzeitig verfügbare Systeme durch. Universitäten als Vorreiter neuer Techniken haben eine andere Kultur als die ITU/ISO Gremien. Hier gilt mehr das Interesse an funktionierenden Programmen als an detailgenauen Spezifikationen ("Grober Konsensus und laufender Code"). (mec)

Literatur

[1] Andrew S. Tanenbaum. Computernetzwerke. Prentice Hall, 2000

Serie: Netzwerk-Basiswissen

Teil 1

Technische Grundlagen

Teil 2

Netzwerktypen und -topologien

Teil 3

Schichten- und Referenzmodelle

Diesen und weitere Artikel zum Thema finden Sie im neuen tecCHANNEL-Compact Netzwerk-Know-How, das bis März 2005 im Handel ist. Sie können die Ausgabe auch jetzt und später versandkostenfrei in unserem Online-Shop bestellen.