Netzwerk-Basiswissen, Teil 1

07.01.2005 von PROF. DR. Stephan Euler
Zum wirklichen Verständnis von Netzwerktechnik ist ein solides Basiswissen die Grundvoraussetzung. Diese Artikelserie verschafft Ihnen das notwendige Know-how. Der erste Teil behandelt die technischen Grundlagen.

Lange Zeit waren die beiden wohl wichtigsten Kommunikationsnetze Post und Telefon. Diese beiden Netze sind gleichzeitig Repräsentanten für zwei Netzwerktypen.

Bei dem Postdienst werden einzelne Sendungen (Briefe, Pakete oder Ähnliches) vermittelt. Jedes Paket trägt die Zieladresse. Innerhalb des Netzes wird anhand dieser Zieladresse der Laufweg festgelegt: Briefkasten - örtliches Postamt - Postverteilzentrum - ... - Empfänger. Aber selbst wenn man mehrere Briefe gleichzeitig an den gleichen Adressaten aufgibt, ist nicht garantiert, dass die Briefe den gleichen Weg nehmen und gleichzeitig ankommen. Typischerweise wird an jedem Punkt nur über den nächsten Schritt entschieden.

Diese Art der Vermittlung nennt man "Paketvermittlung". Charakteristisch sind:

Serie: Netzwerk-Basiswissen

Teil 1

Technische Grundlagen

Teil 2

Netzwerktypen und -topologien

Teil 3

Schichten- und Referenzmodelle

Diesen und weitere Artikel zum Thema finden Sie im neuen tecCHANNEL-Compact Netzwerk-Know-How, das ab dem 14. Januar 2005 im Handel ist. Sie können die Ausgabe auch versandkostenfrei in unserem Online-Shop bestellen.

Leitungsvermittlung

Demgegenüber wird beim klassischen Telefonnetz eine feste Verbindung zwischen den beiden Teilnehmern aufgebaut. Der Anrufer meldet seinen Verbindungswunsch an. Daraufhin wird im System eine Leitung zu dem Ziel aufgebaut.

Wenn die Gesprächsverbindung zu Stande kommt, wird für die Dauer des Gesprächs eine feste Übertragungsrate exklusiv reserviert. Man spricht daher von "Leitungsvermittlung". Wesentliche Eigenschaften sind:

Leistungsfähigkeit

Für die Realisierung verschiedener Dienste sind unterschiedlich leistungsfähige Netzwerke erforderlich. Primäre Kriterien sind dabei Durchsatz und Verzögerung.

Durchsatz oder Bandbreite gibt an, wie viele Daten in einer Zeiteinheit übertragen werden können. Das übliche Maß ist Bit pro Sekunde beziehungsweise die daraus abgeleiteten Einheiten wie etwa Mbit/s oder Gbit/s. Die Angabe 10 Mbit/s beispielsweise bedeutet, dass das Netzwerk 10 Millionen Bit in einer Sekunde übertragen kann. Umgekehrt lässt sich aus dieser Angabe berechnen, wie viel Zeit die Übertragung eines einzelnen Bits benötigt.

Für das Beispiel des 10-Mbit/s-Netzwerks ergibt sich ein Wert von 0,1 µs (Mikrosekunden). Dies ist allerdings nur die Zeit, bis der Sender das nächste Bit abschicken kann. Man darf diesen Wert nicht mit der Laufzeit bis zum Empfänger verwechseln. Wenn man sich die einzelnen Datenbits als eine Folge von Impulsen auf der Zeitachse vorstellt, kann man sagen, dass ein Bit (Impuls plus Pause) 0,1 µs breit ist.

Bandbreite

Die Bandbreite wird durch die technische Realisierung der Leitung bestimmt. Eine Bandbreite von 10 Mbit/s bedeutet, dass irgendwo im System ein Takt von 10 MHz vorgegeben wird. Die Angabe von Frequenzen folgt der üblichen Konvention von Zehnerpotenzen, 10 MHz bedeutet 10x10^6 Hz. Daraus abgeleitet versteht man unter 10 Mbit/s auch 10x10^6 bit/s.

Demgegenüber erfolgt die Größenangabe von Computerspeicher in Potenzen von 2. Ein kbit umfasst 2^10=1024 bit. Die unterschiedliche Interpretation muss im Prinzip immer berücksichtigt werden. So dauert etwa die Übertragung einer Datenmenge von 1 kbit über eine 1-kbit/s-Verbindung nicht exakt eine Sekunde. Vielmehr berechnet sich der exakte Wert zu:

Glücklicherweise ist der Unterschied recht gering (1.024 im Vergleich zu 1.000). Da in den allermeisten Fällen nur die ungefähre Größenordnung benötigt wird, kann man diese Feinheit zunächst ignorieren und den kleinen Fehler in Kauf nehmen.

Latenz

Die zweite wichtige Charakteristik einer Verbindung ist die Verzögerung oder Latenz (von lat. lateo = verborgen, versteckt, unbekannt sein).

Latenz bezeichnet die Zeit, die eine Nachricht für den Weg vom Sender bis zum Empfänger benötigt. Die Latenz beinhaltet drei Komponenten:

1. Ausbreitungsverzögerung

2. Übertragungsverzögerung

3. Wartezeit

Die Ausbreitungsverzögerung tA resultiert aus der endlichen Geschwindigkeit mit der sich Signale ausbreiten. Kein Signal kann schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden. Die Lichtgeschwindigkeit hängt vom Übertragungsmedium ab. Als Richtwert kann der Wert c = 3.0 x 10^8 m/s für die Ausbreitung im Vakuum dienen. Damit kann man näherungsweise für die Ausbreitungsverzögerung bei einer Leitungslänge l den Wert tA=l/c ansetzen. Bei der Strecke Friedberg - Berlin (ca. 500 km) erhält man eine Ausbreitungsverzögerung, wie im Bild "Berechnung" gezeigt.

Die Übertragungsverzögerung tU ist durch die bereits oben diskutierte Dauer eines Bits bestimmt. Wir haben gesehen, dass bei einer Bandbreite von B bit/s ein einzelnes Bit 1/B s an Übertragungszeit benötigt. Für ein Objekt der Größe K ergibt sich dann

Die Definition bezieht sich auf größere Objekte, da in der Regel nicht ein einzelnes Bit, sondern immer größere Datenblöcke als eine Einheit gesendet werden.

Wartezeit

Die dritte Komponente - Wartezeit tW - spielt dann eine Rolle, wenn die Übertragungsstrecke nicht nur aus einer einzelnen Leitung, sondern aus mehreren Teilstücken besteht. Dann entsteht in den dazwischen liegenden Vermittlungsknoten eine Wartezeit.

Die gesamte Wartezeit hängt von der Verarbeitungsgeschwindigkeit der einzelnen Knoten, der Größe der Datenpakete sowie der Anzahl der Knoten ab. In praktischen Fällen ist die Wartezeit oft der größte Beitrag zur Latenz. Bei Paketvermittlung wartet ein Vermittlungsknoten häufig, bis er ein Paket vollständig erhalten hat, bevor er es weiter schickt. Bei hohem Verkehrsaufkommen muss das Paket zusätzlich auf eine freie Lücke warten. Typisch für beispielsweise einen transkontinentalen Kanal ist eine Latenz in der Größenordnung von 50 ms.

Die Latenz ist die Verzögerung vom Sender zum Empfänger. Häufig findet man auch die Angabe, wie lange ein Paket vom Sender zum Empfänger und wieder zurück benötigt. Man spricht dann von Roundtrip-Zeit (Englisch: Round-Trip Time, RTT). Zur besseren Unterscheidung benutzt man in Fällen, in denen eine Verwechslung auftreten könnte, für die einfache Verzögerung den Ausdruck Einweglatenz.

Bedeutung von Bandbreite und Latenz

Prinzipiell kann man sagen, je größer die Bandbreite und je kleiner die Verzögerung desto "besser" ist die Verbindung.

Allerdings hängen die konkreten Anforderungen von der jeweiligen Anwendung ab. Bei kleinen Objekten - zum Beispiel der Übermittlung eines Tastendrucks - dominiert die Verzögerungszeit. Bei einem Kanal mit 1 Mbit/s beträgt die Übertragungsverzögerung für 1 Byte

Dieser Wert ist im Vergleich zur gesamten Latenz nahezu vernachlässigbar. Bei größeren Objekten erfolgt die Übertragung in vielen kleineren Paketen. Die gesamte Übertragungsdauer - die vom Benutzer wahrgenommene Latenz - berechnet sich dann aus der Latenz eines einzelnen Pakets und der benötigten Zeit, um entsprechend viele Pakete zu übertragen. Für die Übertragung einer Videodatei mit 20 MByte berechnete man bei dem 1 Mbit/s Kanal für die reine Übertragungsverzögerung

In diesem Fall spielt die Laufzeit eines einzelnen Pakets keine Rolle. Die Übertragung lässt sich nur durch Erhöhen der Bandbreite signifikant verbessern. In Tabelle 1 sind für verschiedene Bandbreiten und RTT-Werte die resultierenden Werte der wahrgenommenen Latenz zusammen gestellt. Die Werte zeigen, dass die höhere Bandbreite erst bei größeren Datenmengen zu spürbaren Verbesserungen führt.

Latenz

Größe

1ms RTT

100ms RTT

Tabelle 1: Wahrgenommene Latenz in ms für verschiedene Verzögerungszeiten und Objektgrößen

1 Mbit/s

10 Mbit/s

1 Mbit/s

10 Mbit/s

1 Byte

1.008

1.0008

100.008

100.0008

1 kByte

9.192

1.8192

108.192

100.8192

1 MByte

8389.60

839.86

8488.61

938.86

Verzögerung-Bandbreite-Produkt

Während die ersten Daten auf dem Weg vom Sender zum Empfänger sind, kann der Empfänger bereits weitere Daten schicken. Ansonsten, wenn der Sender beispielsweise auf eine Empfangsbestätigung wartet, ist der Kanal nur schlecht ausgenutzt.

Die Anzahl der Daten, die gleichzeitig auf dem Weg sind wenn der Sender permanent Pakete schickt, berechnet sich als Produkt aus Latenz und Bandbreite. In Bild 2 ist das so genannte Verzögerung-Bandbreite-Produkt grafisch als Röhre beziehungsweise Pipeline dargestellt.

Ein Kanal mit einer Bandbreite von 10Mbit/s und einer Latenz von 50 ms nimmt ein Volumen auf, wie im Bild "Beispiel" gezeigt.

Wenn der Empfänger das erste Bit empfängt sind bereits etwa 62 kByte Daten unterwegs. Signalisiert der Empfänger dem Sender, dass er keine weiteren Daten mehr aufnehmen kann, so benötigt der Sender wiederum die Latenzzeit von 50ms um reagieren zu können. Der Empfänger muss daher ausreichend Speicher vorhalten, um die Leitung noch leeren zu können. Andernfalls - wenn die Daten verloren gehen - müssen sie später erneut gesendet werden.

Anwendungen

In der Praxis sind die Anforderungen von Anwendungen an die Leistungsfähigkeit des Übertragungskanals sehr unterschiedlich. Häufig schwankt die Anforderung auch sehr stark während der Verbindungsdauer. So benötigt man während des Surfens im Internet während der meisten Zeit beim Lesen und Anschauen nur geringe Bandbreite. Demgegenüber wird beim Wechsel zu einer neuen Seite kurzfristig viel Bandbreite benötigt, um aufwendige Bilder oder Videos schnell zu laden.

Am anspruchsvollsten im Hinblick auf die Netzwerksanforderungen sind Anwendungen, die einen kontinuierlichen Datenstrom mit engen Randbedingungen für die Verzögerung erfordern. Ein klassisches Beispiel ist das Telefonnetz. Die erforderliche Datenrate ist zwar gering (64 kbit/s bei ISDN, 13 kbit/s bei GSM), aber die Daten müssen ohne große Verzögerung und für die Dauer der Verbindung ohne erkennbare Pausen übertragen werden. Aus diesem Grund werden Telefonverbindungen bis heute in großen Teilen mit leitungsvermittelnden Netzwerken realisiert. In Tabelle 2 sind für einige Anwendungen die erforderlichen Datenraten angegeben.

Datenraten

Anwendung

Datenrate

Tabelle 2: Datenraten für einige Anwendungen nach [1]

Sprachübertragung (Telefonqualität)

64 kbit/s

Audiosignale (hohe Qualität)

1-2 Mbit/s

Videosignale (komprimiert)

2-10 Mbit/s

Video

1-2 Gbit/s

Neben der absoluten Verzögerung kann auch die relative Schwankung eine Rolle spielen. Bei einer Videoanwendung ist beispielsweise die absolute Verzögerung nicht entscheidend. Ob das Video nach 50 ms oder 200 ms beginnt ist nur ein geringer Unterschied. Aber nach dem Starten des Videos müssen die einzelnen Bilder immer rechtzeitig im erforderlichen Takt (zum Beispiel 30 Bilder pro Sekunde) geliefert werden. Bei einem paketvermittelnden Netzwerk kann es zu Schwankungen der Laufzeit - so genanntem Jitter - kommen.

Im Extremfall überholt ein Paket das vor ihm gestartete Paket. Beim Empfänger kommt in solchen Fällen das Abspielen des Videos ins Stocken. Wenn die absolute Verzögerung keine große Rolle spielt, kann der Empfänger das Problem umgehen, indem er zunächst einige Bilder speichert und das Video erst mit einer entsprechenden Verzögerung abspielt. Dann können bei eventuellen Verzögerungen vermehrt Bilder aus dem Speicher wieder gegeben werden, bis der Sender neue Bilder schickt.

Ausblick

Im nächsten Teil der Artikelserie erklären wir die verschiedenen Netzwerktypen und -topologien anhand vieler anschaulicher Grafiken. Sie erfahren, was die Vor- und Nachteile der Topologien vom Punkt-zu-Punkt- bis zum Busnetz sind. Außerdem klären wir, anhand welcher Kriterien Netzwerktypen klassifiziert werden. (mec)

Literatur

[1] Erich Stein. Taschenbuch Rechnernetze und Internet. Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, 2001

Serie: Netzwerk-Basiswissen

Teil 1

Technische Grundlagen

Teil 2

Netzwerktypen und -topologien

Teil 3

Schichten- und Referenzmodelle

Diesen und weitere Artikel zum Thema finden Sie im neuen tecCHANNEL-Compact Netzwerk-Know-How, das ab dem 14. Januar 2005 im Handel ist. Sie können die Ausgabe auch versandkostenfrei in unserem Online-Shop bestellen.