Netzsprinter

26.11.1998
Neuerdings kann der Anwender Daten mit 1000 MBit/s durchs LAN jagen: Gigabit-Ethernet macht’s möglich. Die Technik findet offenbar auch bei den Herstellern Anklang, wie unsere Marktübersicht belegt.

Von: Bernd Reder

Zweifellos ist "1000Base-X" der Shooting-Star unter den Netzwerktechniken. Einige Befürworter sahen in Gigabit-Ethernet (GE) den "Killer" für ATM und in der Kombination mit Switching auf Layer 3 auch gleich noch den Totengräber für den Router. Die Reaktionen aus dem Lager der ATM- und Router-Hersteller fielen entsprechend heftig aus. Inzwischen hat sich der Pulverdampf ein wenig verzogen und die Diskussionen werden sachlicher.

Immer stärker kristallisiert sich eine Arbeitsteilung zwischen GE und ATM heraus. Im Weitverkehrsbereich und großen unternehmensweiten Netzen ist der Asynchrone Transfermodus weiterhin auf dem Vormarsch, wenn auch nicht so schnell, wie noch vor Jahren vorhergesagt. Für die Technik spricht, daß sie sich besser zur Übertragung von Daten über die SONET-Netze (Synchronous Optical Network) der Carrier eignet. Ein zweiter Pluspunkt sind die ausgefeilten Managementfunktionen, auf die speziell Firmen und Service-Provider angewiesen sind, die große Netze verwalten müssen.

Im LAN- und Campus-Backbone sowie zur Anbindung von "Power Workgroups" ist dagegen GE eine Alternative zu ATM. Die Gigabit Ethernet Alliance nennt beispielsweise in einem neuen Whitepaper fünf typische Szenarien für die Migration zu 1000Base-X:

Switch-zu-Switch-Verbindungen umstellen, um "Pipes" mit 1000 MBit/s zwischen 100/1000-Switches aufzubauen, GE-Verbindungen zwischen Switches und Servern etablieren, um den Anwendern einen schnelleren Zugang zu Applikationen und Daten auf den Servern zu bieten, ein Switched-Fast-Ethernet-Backbone auf GE umstellen, ein Shared-FDDI-Backbone-Netz aufrüsten, indem FDDI- beziehungsweise Ethernet-to-FDDI-Switches/Router durch GE-Systeme ersetzt werden, die Rechner von Arbeitsgruppen mit besonders hohem Datenaufkommen, etwa Konstruktionsabteilungen, mit GE-Adaptern ausstatten und direkt an entsprechende Switches oder Repeater anbinden.

Doch auch GE hat seine Tücken, vor allem in großen LANs. Diese Netze lassen sich wegen der Broadcasts nur schlecht skalieren. Bislang teilten Fachleute solche Strukturen mit Hilfe von Routern in kleinere Einheiten auf. In einem flachen GE-Netz ohne Routing würde allerdings das Problem mit Broadcasts auftreten. Erschwerend kommt hinzu, daß ein solches "flaches" GE-Netz den Spanning-Tree-Algorithmus (IEEE 802.1d) verwendet, um redundante Trunks zu verwalten. Müssen Daten auf einen Backup-Trunk umgelenkt werden, so benötigt Spanning Tree dazu mitunter bis zu 30 Sekunden. Bei Datenraten von mehreren 100 MBit/s würde dies dazu führen, daß der Switch Millionen von Datenpaketen zwischenpuffern müßte.

Kein Standard bei Layer-3-Switching

Ein Ausweg ist, GE-Switches mit Routing-Funktionen (Layer-3-Switching) auszustatten. Viele Anbieter tun dies mittlerweile; ihre Geräte routen meist für IP- und IPX-Pakete, manche zusätzlich Appletalk oder DECnet. Allerdings lauern auch hier einige Fallstricke. So existiert bis jetzt kein einheitliches Layer-3-Switching-Verfahren. Neben paketorientiertem Routing, das in "Application Specific Integrated Circuits" (ASICS) implementiert wird, gibt es beispielsweise Tag-Switching, IP-Switching und Multiprocotol over ATM.

Layer-3-Switches lassen sich groß in zwei Kategorien einteilen: Routing- und Forwarding-Switches. Bei Routing-Switches ist dieselbe Hardware sowohl für die Routing-Protokolle als auch für den Weitertransport der Pakete zuständig. Forwarding-Systeme greifen dagegen auf einen vorhandenen externen Router zurück. Deshalb tauschen sie auch keine Routing-Informationen mit Hilfe von Protokollen wie "Open Shortest Path First" (OSPF) oder dem "Routing Information Protocol" (RIP) aus.

Es ist noch nicht absehbar, welche Technik das Rennen machen wird. Die meisten GE-Switches mit Layer-3-Funktionen gehören heute zur Kategorie der Routing-Switches. Dem Anwender bleibt deshalb gegenwärtig nichts anderes übrig, als sich für einen Hersteller und damit eine bestimmte Technik zu entscheiden.

Chassis-Geräte versus stapelbare Systeme

Ein weiteres wichtiges Kriterium bei der Auswahl von GE-Switches ist, ob beziehungsweise inwieweit sich das System erweitern läßt. Zur Zeit drängen etliche Anbieter mit Geräten in den Markt, die 8 bis 16 Ports für 10/100Base-X und einen GE-Uplink haben. Für kleinere Backbones mit Arbeitsgruppen von etwa zwölf Stationen sind diese Systeme ausreichend.

Sie stoßen jedoch schnell an ihre Grenzen, wenn sie in Netzen eingesetzt werden, die schnell wachsen. Statt dann Edge-Switches mit Dutzenden von Fast-Ethernet-Ports zu installieren, sollte der Netzwerkmanager besser auf einen großzügiger dimensionierten GE-Switch mit 70 bis 200 Ports zurückgreifen.

Das bedeutet jedoch nicht, daß der Anwender auf ein entsprechend großes und damit kostspieliges Chassis-basiertes Gerät zurückgreifen muß, das er dann im Laufe der Zeit mit Modulen "auffüllen" kann. Solche Systeme, etwa die der "Corebuilder"-Serie von 3Com, der "Black Diamond 6800" von Extreme Networks oder der "Waveswitch 9200" von Plaintree, eignen sich in erster Linie für Unternehmen mit großen Netzen und einem üppigen DV-Etat. Der Trend geht jedoch, wie bei den Fast-Ethernet-Systemen, in Richtung stapelbarer Geräte (Stackables), die sich nach Bedarf erweitern lassen.

Ein Argument für Chassis-Systeme ist allerdings, daß sie in der Regel Erweiterungsmöglichkeiten in Richtung anderer Techniken bieten. Dies kann speziell in heterogenen Umgebungen von Vorteil sein, in denen beispielsweise Ethernet- und Token-Ring-LANs und ATM vertreten sind. Einige Geräte, wie etwa der ESX-4800 von Fore Systems, verfügen deshalb über Einschübe für ATM OC 12.

Übernahmewelle bei GE-Anbietern

Bei Investitionen in Backbone-Techniken spielt eine große Rolle, von wem der Anwender sein GE-Equipment bezieht. Gerade bei GE waren es zunächst kleine Firmen, vorzugsweise aus den USA, die Systeme auf den Markt brachten. Inzwischen stehen auch in diesem Segment die Zeichen auf Konsolidierung, sprich die Großen schlucken die Kleinen, wie einige Beispiele belegen: Granite ist jetzt bei Cisco, Yago wurde von Cabletron geschluckt, ATM-Spezialist sicherte sich jüngst durch den Kauf von Berkeley Networks Know-how bei GE und Packet Engines wurde zur Beute von Alcatel. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern.

Zu den Start-up-Firmen, die sich im Gigabit-Ethernet-Markt behaupten, gehören Extreme Networks, Foundry Networks und Alteon. Speziell die beiden erstgenannten bauten in den vergangenen Monaten ihr Produktportfolio aus. Vor allem, um dem Vorurteil entgegenzuwirken, kleine Unternehmen könnten nur Systeme mit geringer Port-Dichte konzipieren, die sich kaum skalieren ließen.

Preise auf dem Weg nach unten

Nach Angaben der Marktexpertin Tam Dell’Oro hatte Extreme Networks im zweiten Quartal bezogen auf die Zahl ausgelieferter Ports von Layer-3-GE-Switches einen Marktanteil von 22 Prozent, neun Prozent mehr als im Quartal zuvor. Spitzenreiter im ersten Halbjahr war unangefochten Bay Networks/Nortel Networks mit 45 beziehungsweise 43 Prozent. Auf dem dritten Platz rangierte im Q2/1998 mit 12 Prozent 3Com. Etwas anders stellt sich das Bild dar, wenn man die Umsätze als Maßstab zugrunde legt: Bay dominierte hier im zweiten Quartal klar mit 57 Prozent vor 3Com (22 Prozent) und Extreme Networks (8 Prozent).

Zur Zeit werden die Karten im GE-Markt jedoch neu gemischt: Zum einen treten neue "Mitspieler" in diesem Bereich auf, beispielsweise Compaq, Intel oder auch Hewlett-Packard mit seinen "Procurve"-Systemen. Zweitens beginnt bei GE das gleiche Spiel wie bei Fast-Ethernet, sprich die Preise pro Port geraten ins Rutschen. Hewlett-Packard etwa verlangt gegenwärtig pro Switched-GE-Anschluß rund 1900 Dollar. Im kommenden Jahr erwartet die Gigabit Ethernet Alliance einen weiteren Sturz auf 1070 bis 1610 Dollar. Zudem drängen Firmen aus Fernost mit preiswerten Switches in den Markt, allerding meist mit Systemen für Arbeitsgruppen. Den Anwender wird es freuen.