Multimedia im Studentenzimmer

14.10.1998
Das private Studentenwohnheim Hans-Dickmann-Kolleg in Karlsruhe hat Maßstäbe in der Vernetzung von Wohnheimen gesetzt: Als Technik wurde vor zwei Jahren ATM gewählt - obwohl es damals wenige Installationen gab und die Technik als risikobehaftet galt. Mit großem Ehrgeiz und der Unterstützung von Universitätsseite, von Partnern und Sponsoren gelang das Vernetzungskunststück.

Von: Ralf Thomas Klar

Das Hans-Dickmann-Kolleg (Hadiko) ist das größte Studentenwohnheim in Karlsruhe und eines der letzten in Deutschland unter freier studentischer Selbstverwaltung. Die knapp 900 Studenten, die hier wohnen, hatten schon seit Jahren die Absicht, die sechs Häuser ihres Wohnheimes zu vernetzen. Ende 1995 konnten die letzten finanziellen Hürden aus dem Weg geräumt werden, so daß dem Start des "Hadi-Net"-Projektes nichts mehr im Wege stand.

Primäres Ziel war die Errichtung eines Netzwerkes, das von Anfang an eine hohe Leistungsfähigkeit besitzt. Die Konzeption sollte es erlauben, weitere Dienste zu integrieren und im Bedarfsfall die Übertragungsraten zu erhöhen, ohne die Installation ändern zu müssen. Damit sollte die Möglichkeit geschaffen werden, das Netz schon in der Anfangsphase für multimediale Projekte zu nutzen.

Erste Vernetzung vor zehn Jahren

Die ersten zaghaften Versuche, ein Netz aufzubauen, liegen mehr als zehn Jahre zurück. Damals wurden in einer Nacht- und Nebelaktion Kabel verlegt, um zwei Computer über die serielle Schnittstelle zu verbinden.

Als die Bewohner vor sechs Jahren in Eigenregie ein Kabelfernsehnetz installierten, wurden in weiser Voraussicht zwischen den Häusern Leerrohre verlegt, die auch für eine spätere Nutzung im Rahmen eines Wohnheimnetzes gedacht waren.

Wieder gingen ein paar Jahre ins Land, bis vor zwei Jahren eine engagierte Gruppe von Bewohnern den Aufbau eines leistungsfähigen und fortschrittlichen Netzwerkes in Angriff nahm. Zum Glück konnte bei der Planung völlig frei gearbeitet werden. Denn abgesehen von zwei kleinen Cheapernet-Flurnetzen gab es keinerlei Installationen. Außer den zwischen den Häusern liegenden Leerrohren waren keine baulichen Einschränkungen vorhanden. So war die Entscheidung für ATM unter den angeführten Prämissen nur konsequent, hatte jedoch zu jener Zeit einen Anflug von Größenwahn.

Selbst erfahrene Netzwerkfirmen hatten damals noch Berührungsängste, und funktionierende ATM-Installationen waren doch eher selten. Das Wissen um die möglichen Probleme beim Einsatz dieser hochmodernen Technik schürte aber den Ehrgeiz der Studenten, so daß sie mit noch mehr Einsatz ihr Ziel verfolgten.

Es wurde eine Befragung innerhalb der Bewohnerschaft gestartet, um den genauen Bedarf für die erste Ausbaustufe des Netzes zu bestimmen. 230 Bewohner wollten so schnell wie möglich einen Netzwerkanschluß und erklärten sich auch bereit, bei den anfallenden Arbeiten mitzuhelfen.

Sponsoren warten ab

Nachdem das Konzept ausgearbeitet war, mußten Partner und Sponsoren gefunden werden. Alle angeschriebenen Firmen zeigten starkes Interesse, waren jedoch aufgrund des geplanten Einsatzes der zwar innovativen aber damals risikobehafteten ATM-Technik zurückhaltend. Viele stellten ihre weitere Unterstützung in Aussicht, wenn denn erst mal ein lauffähiges Netzwerk bestünde. Es galt also, eine sichere Finanzierung zu erarbeiten. In langwierigen Gesprächen mit den Vertretern des privaten Trägervereins des Wohnheimes und mit den Vertretern der studentischen Selbstverwaltung gelang es den Netzinitiatoren jedoch, die Finanzierung zu sichern. Zum Schluß stand eine beträchtliche Summe zur Verfügung: 160.000 Mark, wovon die Bewohner 50.000 Mark aufbrachten.

Neben dem Netzaufbau wurde zu jener Zeit die Anbindung an das Campusnetz der Universität geplant. Analoge Standleitungen oder ISDN-Verbindungen schieden aus, da die zu erzielenden Übertragungsraten als zu gering erachtet wurden. Es blieb zum Schluß die Wahl zwischen einer Lichtwellenleiterverbindung der Telekom oder einer optischen Richtfunkstrecke. Ein Angebot der Telekom erwies sich auch nach zähem Verhandeln als inakzeptabel, weswegen die Anschaffung einer Laserstrecke beschlossen wurde. Um mit dem zukünftig schnell wachsenden Bandbreitenbedarf mithalten zu können, entschied man sich für eine 155-MBit/s-Variante. Da der Markt klein und übersichtlich war, reduzierte sich die Auswahl auf den "CBL Laser-Link 2000/HD" und den "Omnitron FDDI/5000". Die Universität hatte zwar die Übernahme der Kosten für die Anbindung zugesagt, jedoch infolge der prekären Finanzlage die vorgesehenen Mittel kürzen müssen. Somit gab es keine Wahlmöglichkeit mehr, und es wurde der etwas günstigere Omnitron-Laser gekauft.

Unter den vielen Angeboten für den Aufbau der ersten Netzausbaustufe, die mit 230 Anschlüssen angesetzt war, kamen zwei in die Schlußauswahl. Das Angebot der Telekom beinhaltete zwar die kompletten Installationsarbeiten, jedoch hätte nur eines der sechs Häuser verkabelt werden können. Auf diese Art wäre nur ein geringer Teil der Anschlüsse gleich zu Anfang genutzt worden. Die Aussicht auf langwierige Diskussionen, welches der Häuser das auserwählte sein sollte, trug nicht gerade zur Beliebtheit dieses Konzeptes bei. Interessanter war das Angebot der Firma Arcom aus Eislingen. Sie bot nicht nur attraktive Preise, sondern erfüllte auch alle gestellten Anforderungen. Damit könnten alle Bewohner, die einen Anschluß beantragt hatten, ihn auch bekommen. Allerdings verlangte dieses Angebot deutlich mehr Eigenarbeit der Bewohner - was diesen sogar sehr willkommen war.

60 Bewohner halfen mit

Sämtliche Installationsarbeiten mußten von den Bewohnern erledigt werden. Mitarbeiter der Firma wiesen die Studenten im Rahmen von vor Ort abgehaltenen Schulungen ein. Dazu gehörten das Verlegen von Lichtwellenleitern und Twisted-Pair-Kabeln, der Anschluß von Dosen oder Patchpaneln, die Konfiguration der ATM-Komponenten et cetera. Um die Arbeiten zügig durchzuführen, wurden Gruppen gebildet, die eigenverantwortlich ihre Aufgaben übernahmen. Dies waren zum Beispiel

die Aufbaugruppen der einzelnen Häuser, die für den Anschluß der Zimmer verantwortlich waren, die Lichtwellenleiterverleger, die Benutzerverwaltung, die Benutzerbetreuung und die Öffentlichkeitsarbeit.

Ohne die Mitarbeit von rund 60 Bewohnern wäre das Projekt nie so schnell fortgeschritten.

Natürlich gab es auch Probleme, aber es wurde immer eine Lösung gefunden. Beispielsweise erwiesen sich die bestehenden unterirdischen Leerrohre zwischen den Häusern als zu dünn, um fertig konfektionierte Lichtwellenleiter einzuziehen. Also wurden die LWL nur an einem Ende konfektioniert, dann eingezogen und vor Ort gespleißt.

Bis heute sind insgesamt etwa 4500 Mannstunden geleistet worden. Durch den Einsatz professioneller Technik ist keine studentische Bastellösung entstanden, sondern ein Netzwerk, das den Vergleich zu High-Tech-Installationen nicht zu scheuen braucht, diese wahrscheinlich auf Grund der von den Studenten eingebrachten Begeisterung sogar überbietet.

Investition in die Zukunft

Ende April 96 ging das Backbone in Betrieb und läuft seitdem stabil. Im darauffolgenden Sommer wurde die Anbindung zur Universität in Betrieb genommen, hatte aber einige Anfangsprobleme. Seit Dezember 96 arbeitet sie zufriedenstellend. Die Zahl der angeschlossenen Benutzer liegt jetzt bei knapp über 300. Etwa 350 Wohneinheiten sind verkabelt, was einer Anschlußquote von 40 Prozent entspricht.

Die Topologie des Hadi-Net richtet sich nach den räumlichen Gegebenheiten. Aufbauend auf den Grundsätzen der strukturierten Verkabelung wurde ein sternförmiges Glasfasernetz zur Verbindung der sechs Häuser verlegt (siehe Bild 1). Zum Einsatz kamen dabei 12-faserige Multimode-Lichtwellenleiter. Innerhalb der Häuser wurden jeweils zwei Verteilstationen aufgebaut, von denen aus die einzelnen Zimmer über Twisted-Pair-Kabel der Kategorie 5 angeschlossen sind. Dadurch ist gewährleistet, daß auf jedem Teil des Netzes mindestens 100 MBit/s gefahren werden können.

RZ-Anbindung via Laser

Das ATM-Backbone wird mit 155 MBit/s betrieben. Der eingesetzte ATM-Konzentrator, ein "Cellplex 7000" von 3Com, verfügt mit einer Backplane-Kapazität von 2,4 GBit/s über ausreichende Reserven. In den Häusern erfolgt in Switching-Technik der Übergang von ATM auf Ethernet. Den Switches folgen Ethernet-Hubs, welche die angeschlossenen Zimmer zu kompakten Segmenten zusammenfassen. Die Segmente werden nach dem Anschluß aller Zimmer aus durchschnittlich 22 Rechnern bestehen. Da die Switches über zwölf Ethernet-Ports verfügen, stehen noch einige Ports zum direkten Anschluß von Servern, Netzwerkkomponenten oder privilegierten Usern (Netmaster, Webmaster, et cetera) bereit.

Die Anbindung an das Campusnetz der Universität erfolgt über eine optische Laserrichtfunkstrecke, die ebenfalls mit 155 MBit/s betrieben wird. Das hier montierte FDDI-5000 System von Omnitron konnte anfänglich die ATM-Zellen nicht fehlerfrei übertragen. Nachdem die Elektronik der Geräte überarbeitet wurde, erfüllen sie nun die Spezifikationen. Auf seiten der Universität wird dann auf 10 MBit/s-Ethernet umgesetzt, da das Rechenzentrum der Universität Karlsruhe bis jetzt keinen ATM-Zugang zur Verfügung stellt. Ebenfalls sieht sich das Rechenzentrum nicht in der Lage, den Wohnheimrechnern einen direkten Internet-Zugang zu ermöglichen, weswegen ein Zugriff auf Internet-Dienste nur für Standarddienste über Proxies möglich ist.

Augenblicklich sind zwei Sparc-1-Stationen von Sun als reine Netzwerkrechner in Betrieb, die Grundfunktionen wie Name-Service, Mail-Dienste, Proxy-Dienste und Netzmanagementfunktionen erfüllen. Server, deren Ressourcen den Benutzern zur Verfügung gestellt werden, sind zwar vorgesehen, können aber wegen fehlender finanzieller Mittel nicht angeschafft werden. Aus diesem Grund sind auch weiterhin Sponsoren aus der Wirtschaft willkommen.

Bei mehr als 300 Benutzern stellte sich auch die Frage nach der Betriebssicherheit. Mittlerweile wurde durch teilweise redundante Auslegung von Teilbereichen des Netzes eine sehr hohe Betriebssicherheit erreicht. Ausfälle von Hubs oder Switches können in kürzester Zeit behoben werden. Selbst wenn der zentrale ATM-Kozentrator (der noch nicht mit redundanten Komponenten ausgestattet ist) ausfällt, kann innerhalb weniger Stunden ein Backbone-Notbetrieb auf Ethernet-Basis aufgebaut werden. Einzig ein Ausfall der Laserstrecke würde zu einer längeren Unterbrechung der Anbindung führen, wobei jedoch der Hersteller den Austausch innerhalb von 48 Stunden zugesichert hat. Nachdem aus dem Konzept etwas Handfestes entstanden war, zeigten sich die anfänglich angeschriebenen Firmen eher bereit, sich von der großzügigen Seite zu zeigen. Besonders Hirschmann und Alcatel unterstützten das Hadi-Net-Projekt durch große Sachspenden.

Viele Ideen für die Zukunft

Im Juni vergangenen Jahres ging der erste Multimedia-Hörsaal an der Universität in Betrieb. Im Rahmen der Einweihungsfeier wurde eine ATM-Verbindung vom Hadiko zu dem Hörsaal aufgebaut und eine Videokonferenz abgehalten.

Sitzungen der studentischen Selbstverwaltung wurden in das Netz eingespeist, so daß die Benutzer an den Computern dem Verlauf in Bild und Ton folgen konnten. Innerhalb der Wohnheime ist auch Internet-Telefonie möglich. Die meisten Benutzer verbringen ihre Zeit anfänglich jedoch mit den Standarddiensten, wobei das WWW eine herausragende Stellung einnimmt. Deswegen wurde unter anderem auch ein 4-GB-WWW-Proxy eingerichtet. Von fortgeschrittenen Usern werden aber auch Dienste wie Network File Sharing (NFS), Samba (eine Freeware-Software, die Windows- und NT-PCs erlaubt, auf Unix-Dateien zuzugreifen) oder Network Information Service (NIS) genutzt.

Im Dezember wurde die eigene DE-Domain konnektiert (Hadiko.de). Auf Grund des eingeschränkten Internet-Zuganges gestaltete sich der Aufbau des Name-Service etwas aufwendig. Der Hadi-Net-interne Name-Server arbeitet daher als Hidden-Primary-Server. Nach zähem Ringen hat das Rechenzentrum der Universität kürzlich der Einrichtung eines Portforwarders auf einer RZ-Maschine zugestimmt, der es nun ermöglicht, aus dem Internet auf den WebServer des Hadi-Net zuzugreifen.

Die Ideen für zukünftige Projekte sind vielgestaltig. Sie reichen von der VRML-Implementierung des kompletten Netzwerkes mit integrierter Schnittstelle zum Netzmanagementsystem bis zu interdisziplinären Lern-Servern, die multimedial aufbereitete Seminar-, Studien- und Diplomarbeiten, Musterlösungen von Klausuren und Tutorien und so weiter bereitstellen. Diese Projekte können jedoch erst in Angriff genommen werden, wenn entsprechende Server zur Verfügung stehen. Schon heute werden Einladungen und Protokolle von Sitzungen der studentischen Selbstverwaltung zunehmend papierlos über das Netz bereitgestellt. Außerdem wird eine WWW-Schnittstelle zu den bestehenden Datenbeständen der Selbstverwaltung entwickelt.

Ebenfalls wäre die Teilnahme an Projekten des Arbeitskreises "Wohnheime am Netz" der TU Clausthal http://www.tu-clausthal.de/student/wohnheime/ sehr wünschenswert. Da dies aufgrund des eingeschränkten Internet-Zugangs nicht möglich ist, wird in der näheren Zukunft der freie Zugang zum Internet eines der Hauptziele sein.

Was noch auf sich warten läßt, ist der Einsatz von ATM bis zu den Endgeräten. Die Vorteile des Hadi-Net lassen sich erst dann völlig ausnutzen. Aber es muß ja auch noch Ziele für das nächste Jahrtausend geben. (cep)

Ralf Thomas Klar

hat an der Universität Karlsruhe Physik studiert. Während der Aufbauphase des Hadi-Net koordinierte er die Arbeiten der einzelnen Gruppen.

Literatur

[1] Petrik, C. E.: Uni-Wohnheim am Internet, Gateway 12/1996, Seite 108 ff., http://www.halifax.rwth-aachen.de, Verlag Heinz Heise, Hannover

[2] Kiel, H.-U.: Studieren per Remote-Login, Gateway 3/1997, Seite 139 ff., Verlag Heinz Heise, Hannover