Mobile Datenautobahn ohne Verkehr

15.12.2000
Erneut leisten sich TK-Unternehmen einen Marketing-Fauxpas. Getrieben vom UMTS-Erfolgsdruck gehen die vier nationalen Cellcos jetzt sukzessive mit dem Always-on-Vorbrenner GPRS an den Markt, obwohl Handys ebenso wie schlüssige Produkte fehlen.

Von: Konrad Buck

Kaum zu glauben, aber ebenso wie beim WAP-Dienst (WAP = Wireless Application Protocol) starten die Cellcos auch ihren GPRS-Service (GPRS = General Packet Radio Service) ohne Handys. Nur wenige Auserwählte, so scheint es, sollen in den zweifelhaften Genuss etwas breitbandigerer Datendienste kommen. Der Verdacht drängt sich auf, dass es jetzt Sache von "Friendly Usern" sein soll, mögliche Anwendungsbereiche auszuloten. Zu dieser Verlegenheit hinzu kommt der Umstand, dass neben GPRS ein zweiter breitbandiger Datendienst lanciert wird. Nahezu parallel zu dem jetzt beginnenden Always-on- und Internet-Technik-gestützten GPRS haben E-Plus und Mannesmann jetzt HSCSD-Dienste (HSCSD = High Speed Circuit Switched Data) eingerichtet.

Die Datenraten, die dort auf Bündelung von bis zu vier GSM-Kanälen mit je 9,6 kBit/s beruhen, kommen locker an die in GPRS-Netzen zunächst möglichen Transferraten heran. Zumal dann, wenn die Mobilfunk-Carrier ihre GSM-Datenkanäle demnächst per Protokoll-Update von 9,6 auf 14,4 kBit/s aufrüsten. Bei E-Plus und D2 ist der aufgebohrte Kanal derzeit in Arbeit. Einziger Unterschied: Dem GPRS-Anwender kostet der Datenkanal weniger, wird statt per Minute nach übertragener Datenmenge berechnet und außerdem bleibt der Sprachverkehr von der Datenübertragung vollkommen unbehelligt. Wer gerade einen Datendienst nutzt, kann gleichzeitig Gespräche annehmen oder Anrufe tätigen.

Pilotbetrieb mit Kundenbeteiligung

Kein Wunder also, dass die Betreiber E-Plus und Viag Interkom, die sich als erste in die "neue Mobilfunk-Generation" wagten (siehe Tabelle), dies eher still und leise taten. Als erstes Unternehmen hat E-Plus sein Netz umgestellt.

Allerdings gestaltet sich der Betriebsbeginn bei näherem Hinsehen als "Friendly-User-Test": Jeder Interessent kann sich seit dem 4.12.2000 für einen GPRS-Dienst anmelden, der in der ersten Phase noch nicht kommerziell betrieben wird. Auffällig an der Tarifierung im Pilotbetrieb ist die enge Anbindung an WAP: Der Spezialtarif bietet ein Kilobyte (etwa eine WAP-Seite) für neun Pfennig, also ungefähr 50 Prozent des WAP-Tarifs. Die Lösung ist bis Ende März befristet. Zur CeBIT 2001 soll ein endgültiges Tarifmodell stehen.

GPRS-Handys noch nicht ausgereift

Zum Netzstart hat E-Plus nach Angaben von Unternehmenssprecherin Gundula Friese nahezu alle Basisstationen mit GPRS ausgerüstet und kann seinen Dienst im gesamten Bundesgebiet anbieten. Allerdings könne das Netz Anfang Dezember erst maximal 80 Prozent seiner Leistungsfähigkeit bieten. Grund dafür seien die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausgereiften GPRS-Handys. Ausrüster Nokia spielt hier aufgrund der offenbar erwarteten niedrigen Nutzerzahlen nicht mit. Dennoch zeigte sich E-Plus-Chef Uwe Bergheim noch auf der Systems 2000 überzeugt, mit Services wie einem "Online Organizer", einem "E-Plus Voice Assistant" oder mit "Unified Messaging", alle für das erste Quartal 2001 geplant, neue Kundschaft anzulocken und bestehende zu mehr Minutenkonsum zu verleiten.

Die Billingsysteme stehen

Dicht auf den Fersen folgt Viag Interkom. Die Münchener nahmen erste Zellen ihres Netzes am 6. Dezember in Berlin und weiteren Ballungszentren wie den Großräumen Frankfurt, Düsseldorf, Leipzig, Dresden, Potsdam und Magdeburg in Betrieb. Flächendeckung, so Viag-Interkom-Sprecher Roland Kuntze, sei im Januar 2001 gegeben. Technikausrüster ist auch hier die Düsseldorfer Nokia GmbH. Das Netz erlaubt Übertragungsraten von rund 50 kBit/s, die zu Testzwecken überlassenen Handys zunächst rund 25 kBit/s. Das Billing-system des Unternehmens sei auf die paket- statt leitungsvermittelte Übertragung vorbereitet. An Kosten für den GPRS-Auftritt sind insgesamt 100 Millionen Mark veranschlagt. Firmenkunden können über das Netz aufs Intranet zugreifen. Ortsabhängige Dienste (Location Based Services) werden kurz nach dem GPRS-Launch eingerichtet. Nutzungspreise geben die Münchener noch nicht bekannt.

Die beiden Big Player am hiesigen Mobilfunkmarkt überlassen die mit Sicherheit nicht ausbleibenden Startprobleme mit Netzen, Handys und Kunden lieber den Newcomern. Mannesmann Mobilfunk will "bis Ende dieses Jahres" sein GPRS-Netz starten, und zwar "mit hoher Flächendeckung". Zu konkreteren Aussagen ließ sich Unternehmenssprecher Matthias Andreesen nicht hinreißen. Handys seien auch erst "in den ersten Monaten des Jahres" verfügbar.

Privatkunden im Focus

Bereits seit September dieses Jahres finde der Ausbau des Netzes mit GPRS-Technik statt, im nächsten Jahr sei dann das komplette Netz damit ausgestattet. Ausrüster der Düsseldorfer sind Siemens und Ericsson. Beim Billingsystem, bei dem Vodafone-Mannesmann jüngst auf einen neuen Anbieter umgestiegen ist, war die paket- statt leitungsvermittelte Tarifierungsmöglichkeit bereits ein Ausschlusskriterium. Zu den Kosten für das Einrichten der GPRS-Technik will auch D2 keine Angaben machen. Bei den Diensten sehen auch die Düsseldorfer Mobilfunker das Thema WAP ganz vorne und richten ihr GPRS-Angebot auf Privatkunden aus. Erst ganz am Ende der Nutzungs-Skala sieht Matthiesen Anwendungen wie den Fernzugriff auf LAN oder Intranet beziehungsweise Transaktionen im Bereich E-Commerce. Wesentlich höheren Stellenwert räumt D2 dem HSCSD-Verfahren ein. Für den im November gestarteten Dienst bietet das Unternehmen jetzt das passende Nokia-Handy 6210 für rund 160 Mark an. Als Einführungspreis zahlen Kunden einen Monatsbeitrag in Höhe von 1,95 Mark zuzüglich der Minutenpreise. Für die GPRS-Preise schweben Mannesmann zwei Modelle vor: Rund 50 Pfennig/ Stunde GPRS-Onlinezeit plus 30 bis 50 Pfennig pro 10 KByte Daten. Oder eine Monatspauschale zu Preisen zwischen 10 und 20 Mark inklusive eines noch zu bestimmenden Datenvolumens, das bei Überschreiten ebenfalls 30 bis 50 Pfennig pro 10 KByte kosten soll.

115 kBit/s bleibt ein Wunschziel

Am längsten Zeit nimmt sich T-Mobil. Zumindest reiht sich der Telekom-Ableger nicht in die Reihe der Frühstarter ein und gibt sich vor allem wegen fehlender Stückzahlen bei GPRS-Handys gelassen. In Branchenkreisen wird sogar mit einem "wirklichen" Start erst weit nach der CeBIT 2001 gerechnet. Dann aber soll die Nutzung der paketvermittelten Handys nach Auskunft von Unternehmenssprecher Philip Schindera direkt in 100 Prozent des T-D1-Netzes, also auf 98 Prozent der Fläche Deutschlands, verfügbar sein. Immerhin hat der Ausrüster Motorola neben der Infrastrukturtechnik auch entsprechende Endgeräte parat. Das nach Angaben von Motorola weltweit erste GPRS-Handy ist bereits seit Mitte dieses Jahres verfügbar und kommt jetzt wenigstens in kleinen Stückzahlen auf den Markt.

Tarifmodelle in der Diskussion

An Kosten für die Netzumrüstung hat T-Mobil etwa 300 Millionen Mark ausgegeben. Dennoch werden in der Startphase netzseitig zunächst nur 48 kBit/s und etwas über 20 kBit/s für die Endgeräte zur Verfügung stehen. Mittlerweile haben sich im Übrigen alle Betreiber von der Argumentation verabschiedet, die UMTS-Zwischenstufe GPRS könne Datenraten von "theoretisch bis zu 115 kBit/s" erreichen.

Zur Orientierung, mit welchen Preisen Firmen- und Privatkunden rechnen müssen, legt T-Mobil zwei Tarifmodelle vor. Im Modell A wird pro GPRS-Nutzungstag eine Grundgebühr von 50 Pfennig, dazu 69 Pfennig pro angefangenen 10 KByte berechnet. Im Modell B fallen pro Nutzungsstunde 50 Pfennig sowie pro angefangenen 10 KByte 49 Pfennig an. Dies aber, so Schindera, seien lediglich Marktforschungspreise in der Testphase, um die Akzeptanz beim Kunden auszuloten. In puncto neuer Dienste nennt Schindera den mobilen Zugriff auf Firmennnetze und Intranets. Allerdings sehe sich das Unternehmen vorrangig als Anbieter der Netzplattform. Lösungen seien Sache der Partner, die über mehr Know-how verfügten.

(pri)