Mobil und doch geortet

03.05.2002
Für welche neuen Mobilfunkdienste sind die Verbraucher bereit zu zahlen? An dieser Frage scheiden sich die streitbaren Geister. Ortsbezogene Services gelten als viel versprechende neue Einnahmequelle für Provider und Serviceanbieter. Ein Blick auf die Technik zeigt die Möglichkeiten und die Gefahren auf.

Von: Andreas Th. Fischer

Im Mobilfunkmarkt ist laufend Kreativität gefragt. Die Branche feilt an neuen Angeboten, nachdem einstige Hoffnungsträger wie WAP (Wireless Application Protocol) sich mehr oder weniger als Flop erwiesen haben. Als der Wachstumsmarkt schlechthin gelten seit ein bis zwei Jahren ortsbezogene Dienste. In vier Jahren wird das Geschäft mit den so genannten "Location Based Services" (LBS) laut einer Studie des britischen Marktforschungsunternehmens Ovum weltweit bis zu 20 Milliarden Dollar Umsatz bringen.

Mit etwas weniger, nämlich 18,5 Milliarden Dollar bis 2006, rechnet Analyses. Gemäß den Erhebungen der Experten wurden im vergangenen Jahr bereits 2 Milliarden Dollar mit LBS verdient - bei Gesamteinnahmen mit Mobildiensten von 200 Milliarden Dollar. Auch in wenigen Jahren wird Europa laut Analyses noch einer der größten Mobilfunkmärkte weltweit sein: Rund 31 Prozent der LBS-Einnahmen sollen auf dem Alten Kontinent erwirtschaftet werden, 21 Prozent in den USA. Ähnlich wie die beliebten SMS (Short Message Service) werden ortsbezogene Dienste laut Prognose der Marktforscher vor allem bei Privatanwendern ein Erfolg.

Versprechungen und Tücken

Das Aufspüren von Personen und Waren mittels mobiler Techniken bietet noch nie gesehene Möglichkeiten, die in manchen Fällen allerdings auch an die eher düsteren Prognosen eines George Orwell erinnern. Wie so vieles funktionieren LBS nur auf Gegenseitigkeit: Der Nutzer teilt dem Provider über ein Handy seinen Standort mit, gibt ihm also sensible Informationen, dafür erhält er so genannte "Value-Added-Services". Beispielsweise, wo der nächste Bankautomat ist oder ein Spezialitätenrestaurant. Allerdings ist es auch problemlos möglich, ein Bewegungsprofil aufzuzeichnen, oder zu prüfen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort war. In Finnland sollen Häftlinge ihre Freigänge bereits mit lokalisierbaren Handys in der Tasche absolvieren; internationale Unternehmen planen laut Medienberichten, ihre ausländischen Mitarbeiter in südamerikanischen Ländern mit implantierten GPS-Sendern gegen Entführungen zu schützen.

Selbst im Teddybär wird Mobilfunktechnik nach Ansicht von Mummert + Partner bald eine Rolle spielen. Laut Prognose der Marktforscher könnten Eltern ihre Kinder künftig per Mobiltechnik beaufsichtigen. Die Sende- und Empfangstechnik wird dazu im Kuscheltier oder der Kleidung versteckt und gibt fortan ständig Informationen über den Aufenthaltsort der Sprösslinge weiter. Dank Anwendungen wie diesen rechnet die Unternehmensberatung mit einem Durchbruch im Massenmarkt bereits in drei Jahren.

Die Technik dahinter

GSM- und auch die künftigen UMTS-Netze (Universal Mobile Telecommunications System) sind wabenförmig aufgebaut: Die Basisstationen der Provider bilden ein Netz aus zahlreichen Zellen, die als Gesamtheit die versorgte Fläche abdecken. Daher heißt ein Mobiltelefon in englischsprachigen Ländern auch nicht "Handy", sondern "cellular phone".

Mehrere Zellen fassen die Anbieter in so genannten Zellgebieten zusammen, die jeweils von einer Vermittlungsstelle verwaltet werden. Damit ist schon eine erste Voraussetzung für ortsbezogene Dienste gegeben. Den Vermittlungsstellen muss bekannt sein, in welcher Zelle sich ein Nutzer mit seinem Handy gerade befindet, um ihm beispielsweise einen Anruf durchzustellen.

Jedes Mobiltelefon meldet sich in der Regel an derjenigen Zelle in der näheren Umgebung mit der höchs-ten Feldstärke an. Weil jede Zelle über eine eindeutige Identifikationsnummer (ID) verfügt, ist somit eine relativ grobe Ortung des Teilnehmers möglich. Dieses so genannte "Cell-ID"-Verfahren ist rein netzbasiert, das heißt, die Bestimmung des Aufenthaltsorts erfolgt nicht im Mobilgerät, sondern in der Infrastruktur des Providers. Die Cell-ID-Methode hat deshalb den großen Vorteil, dass keine neuen Handys angeschafft werden müssen. Die Ortung erfolgt mithilfe eines speziellen Servers, der die ID-Information in eine geographische Angabe umwandelt und anschließend anderen Applikationen zur Verfügung stellt. Die Berechnungszeit einer Abfrage beträgt im allgemeinen wenige Sekunden, je nach Schnelligkeit des Location-Servers und der Netzauslastung.

Die Exaktheit des Cell-ID-Verfahrens hängt von der Antennendichte des jeweiligen Providers ab. In eng besiedelten Gegenden mit vielen Basisstationen kann eine Ortung auf mehrere hundert Meter genau erfolgen. In ländlichen Gebieten ist dies meist nicht gegeben. Dort beträgt die Größe einer Zelle oft mehrere Kilometer.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Ortung per Cell-ID zu optimieren. Insbesondere kann der Netzbetreiber die Signallaufzeit zwischen Basisstation und Handy mit einbeziehen (Timing Advance). Diese Methode ist aber immer noch relativ ungenau, weil einerseits die Entfernung nur in 550-Meter-Schritten gemessen wird, und andererseits der Standort nur auf einer Kreislinie um die Antenne des Providers herum festgestellt werden kann. Bessere Ergebnisse würden sich nur durch die Kombination mehrerer Schnittlinien von verschiedenen, benachbarten Sendestationen erreichen lassen.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass Mobilfunksignale von Gebäuden und anderen Hindernissen abgelenkt und verfälscht werden. Durch Spiegelungen verlängert sich die Laufzeit eines Mobilfunksignals, und die Entfernung von der Basisstation zum Anwender wird falsch berechnet. Wie bei der einfachen Cell-ID-Bestimmung sind beim Timing-Advance-Verfahren keine Veränderungen an den vorhandenen Mobilgeräten nötig.

Alternative Methoden zur Ortsbestimmung

Neben der Cell-ID befinden sich noch zwei weitere Methoden der Ortsbestimmung in der Diskussion: "Enhanced Observed Time Difference" (E-OTD) und "Assisted GPS" (A-GPS). Die bereits vorgestellte Cell-ID eignet sich für einfache kommerzielle Dienste wie lokale Wettervorhersagen, Hinweise auf aktuelle Ereignisse in der näheren Umgebung oder Antworten auf die Frage nach dem nächsten freien Parkhaus. Viag Interkom (künftig O2) setzt Cell-ID beispielsweise für den Dienst "Genion" ein: Innerhalb der so genannten "Homezone" können die Anwender mit ihrem Handy zu den Festnetztarifen des Providers telefonieren.

Weil die Ortung über die ID der Zelle erfolgt, in der sich der Nutzer mit seinem Mobilgerät befindet, ist dem Netzbetreiber nur ungefähr bekannt, wo sich der Anwender befindet. Obwohl Cell-ID ein recht ungenaues Verfahren ist, lässt sich ein Großteil der neuen Applikationen damit realisieren. Nur besondere Dienste wie Notrufe oder Navigationssysteme erfordern leistungsfähigere Systeme wie E-OTD oder A-GPS. Auf diese gehen wir in der kommenden Ausgabe 10/02 ein.