Mit Powerline ins Internet

21.08.2000 von Jörg Luther
Internet aus der Steckdose ist bald für jedermann zu kaufen: Rechtzeitig zu Weihnachten soll das iPower-V.90-System von PolyTrax in die Geschäfte kommen. Wir haben die ersten Vorseriengeräte getestet.

Die Datenübertragung über Stromleitungen - neudeutsch: Powerline Communications (PLC) - ist an sich nichts Neues. Schon seit einiger Zeit nutzen Energieversorgungsunternehmen die PLC-Technik auf analoger Basis zum unidirektionalen Datentransport (etwa von Kontrollsignalen). Moderne Digitaltechniken erschließen neuerdings das Stromnetz aber auch als Datenübertragungsmedium für die bidirektionale Kommunikation zwischen Rechnern oder zwischen PC und Internet.

Die Münchner Powerline-Spezialisten von PolyTrax haben mit der PCL-Technologie jetzt eine Anwendung für Otto Normalverbraucher entwickelt: Die Gateways und Modems der iPower-V.90-Serie sollen mehreren PCs die gemeinsame Nutzung eines Internetzugangs sowie die lokale Vernetzung erlauben. Als Netzwerk- und Internetanschluss für die einzelnen Rechner dient dabei die Steckdose.

Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft will PolyTrax das Internet aus der Steckdose in die Läden bringen. Vorgesehener Kostenpunkt: rund 350 Mark für das iPower-Set aus V.90-Gateway und Powerline-Modem.

Powerline-Technik

Zur Datenübertragung via Steckdose nutzt die implementierte PolyTrax-II-Technik Trägerfrequenzen im kHz-Bereich. Die Modulation der Daten erfolgt mit Hilfe eines DSP im OFDM/QAM-Verfahren. Das Kürzel OFDM/QAM steht für Orthogonal Frequency Division Multiplex / Quadratic Amplitude Modulation, eine eng mit den im xDSL-Bereich verbreiteten Techniken verwandte Modulationsart. Die PolyTrax-II-Technik nutzt das gesamte zur Verfügung stehende Frequenzband und verteilt die Signale per Frequency Hopping  über die verfügbaren Einzelfrequenzen.

Für den Einsatz in Europa beschränkt die CENELEC-Norm EN50065-1 die dazu nutzbaren Frequenzen auf vier Bänder zwischen 9 und 148,5 kHz. Für die private Nutzung dienen dabei das B- (95 bis 125 kHz) und das D-Band (140 bis 148,5 kHz). Unter diesen Bedingungen lassen sich momentan 155 KBit/s, nach Einschätzung von PolyTrax maximal 500 KBit/s übertragen. In den USA und Japan, wo die obere Grenzfrequenz bei 500 kHz liegt, erzielt das PolyTrax-II-Verfahren schon jetzt Datenübertragungsraten von 2,5 MBit/s. Durch den Einsatz verbesserter Modulations- und Kompressionstechniken will man demnächst 5 MBit/s erzielen.

Ob sich ähnliche Datenraten in näherer Zukunft auch hier zu Lande verwirklichen lassen, erscheint eher fraglich: Die an den PLC-Bereich anschließenden Frequenzbänder werden durch Lang- (bis 283,5 kHz), Mittel- ( bis 1,6 MHz) und Kurzwellenfunk (bis 26,1 MHz) beansprucht. Vor allen Dingen Amateurfunk-Enthusiasten, aber auch staatliche Dienste wie Polizei und Militär beanstanden schon jetzt Störungen durch Powerline-Applikationen und wehren sich verbissen gegen die mögliche Herausgabe von Frequenzbänder für die Datenübertragung per Stromleitung.

PolyTrax iPower V.90

Das iPower-V.90-Basispaket besteht aus einem Powerline/V.90-Gateway sowie einem PLC -Modem. Das Gateway stellt eine Kombination von V.90- und Powerline-Modem dar und verfügt lediglich über zwei Anschlüsse: Ein herkömmliches Kabel mit Stecker in TAE-F- oder TAE-N-Kodierung stellt die Verbindung zur Telefondose her. Als Netzwerk-Port dient der Stromanschluss, über den das Gerät auch seine Betriebsspannung bezieht.

Das Powerline-Modem erlaubt, den PC nahezu beliebig weit von der Telefondose abzusetzen, solange eine im selben Stromkreis befindliche Steckdose für den Anschluss zur Verfügung steht. Als maximale Reichweite des Verfahrens nennt PolyTrax 300 bis 500 Meter. Das Modem sieht dem Gateway zum Verwechseln ähnlich, verfügt jedoch statt des Telefonanschlusses über ein RS232-Interface zur Kommunikation mit dem PC.

Die Installation des Systems gestaltet sich simpel: Die beiden Komponenten sind jeweils mit dem Stromnetz zu verbinden, das Gateway zusätzlich mit einer Telefondose. Das Powerline-Modem nimmt über die serielle Schnittstelle Verbindung zum PC auf und wird am Rechner als Modem installiert. PolyTrax stellt dazu eine entsprechende .inf-Datei für Windows-9.x-Systeme zur Verfügung. Die Einwahl ins Internet erfolgt über das DFÜ-Netzwerk.

Beide Komponenten signalisieren über sechs frontseitige LEDs ihren Betriebszustand. Ein Miniatur-Drehschalter auf der Geräterückseite erlaubt das Umschalten zwischen 16 verschiedenen Modulationsvarianten für die Übertragung via Stromnetz. Hier lässt sich je nach Betriebsumgebung die Transferrate maximieren oder die Störsicherheit optimieren.

Einsatzmöglichkeiten

In der aktuellen Vorserien-Version erlaubt das iPower-V.90-System lediglich das Dial-up eines einzelnen Rechners. Die Retail-Version wird jedoch ein Protokoll mitbringen, über das sich mehrere Rechner mit gemeinsamem Internetzugang lokal vernetzen lassen. Wunder darf man davon allerdings nicht erwarten: Die über das RS232-Interface angebundenen Rechner teilen sich im lokalen Datenverkehr die verfügbare Bandbreite von 115,2 KBit/s.

Etwas besser sieht es bei der voraussichtlich im ersten Quartal 2001 verfügbaren ISDN-Version des PolyTrax iPower aus. Statt der seriellen Schnittstelle soll dort USB zum Anschluss der Rechner dienen, als interne Transferrate sind 500 KBit/s angepeilt.

MP3 über die Steckdose

In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen entwickelt PolyTrax daneben auch ein Verfahren zur Übertragung von Musik über das 230V-Netz. Dabei sollen die Audiodaten per DSP in Realtime MP3-kodiert und via Powerline übertragen werden. Mit einem MP3-Decoder ausgestattete Lautsprecher könnten dann die Audiodaten direkt an der Steckdose abgreifen.

Auch zu Kontroll- und Steuerfunktionen lässt sich die Datenübertragung per Steckdose einsetzen. Neben der Industrie-Automation betrifft das vor allem den Bereich der vernetzten Wohnung. Schon heute gibt es Anwendungsbeispiele für die Steuerung von Licht, Jalousien oder der Klimatisierung via Powerline. Die Kommunikationsmöglichkeiten des iPower-Systems in Verbindung mit seiner relativ hohen Bandbreite erschließen hier eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten - vom berühmt-berüchtigten Internet-Kühlschrank bis zur Wohnungssteuerung über das Internet.

iPower V.90 im Test

Um die Verwendbarkeit des iPower V.90 unter allen Widrigkeiten des täglichen Lebens zu untersuchen, testen wir zwei Systeme im Kreuzbetrieb in zwei verschiedenen Umgebungen. Den Einsatz im privaten Umfeld simuliert der Test in einem Reihen-Doppelhaus. Hier untersuchen wir vor allem mögliche Störwirkungen von zwei iPower-Systemen auf nahe beieinander liegenden 230V-Installationen. Für den Betrieb im Büro- und Produktionsumfeld installieren wir das iPower-Pärchen in Büro- und Produktionsbereich einer Bogen-Offsetdruckerei. Mehrere Kopiergeräte und zwei große Offset-Druckmaschinen erzeugen in dieser Umgebung Netzrückwirkungen und damit starke Störquellen für die iPower-Modems.

Beim Anschluss an das Stromnetz geben sich die Geräte völlig unproblematisch. Der Betrieb mit anderen Elektrogeräten zusammen an einer Mehrfachsteckdose kann die iPower-Modems nicht beeindrucken. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Sobald in den Stromkreis das Schaltnetzteil eines bestimmten Testnotebooks eingebracht wird, blockiert dies jegliche Kommunikation zwischen den Powerline-Modems. Andere Notebooks und PC-Netzteile dagegen verursachen - selbst bei Anschluss an der gleichen Mehrfachdose - keine messbaren negativen Rückwirkungen.

In Sachen Störanfälligkeit geben sich die Powerline-Modems keine weiteren Blößen: Weder das Anlaufen eines Kühlschranks in der Wohnungs-Umgebung noch das parallele Starten zweier Druckmaschinen beeinflussen die Datenübertragung merklich. Auch eine gegenseitige Beeinflussung der in zwei verschiedenen Doppelhaus-Hälften operierenden Systeme lässt sich im Test nicht nachweisen. PolyTrax empfiehlt allerdings aus Sicherheitsgründen den Einsatz von Sperrfiltern im Sicherungskasten des Hauses, um die Wohnung quasi zum abgeschlossenen Netzwerk zu machen.

Datenübertragungsraten

Modulationsverfahren und verwendetes Frequenzband für die Datenübertragung lassen sich bei den Powerline-Modems über Miniatur-Drehschalter auf der Gehäuse-Rückseite modifizieren. Dabei ist stets darauf zu achten, dass Gateway wie Modem im gleichen Modus fahren. Anderenfalls häufen sich die Übertragungsfehler, was am hektischen Aufblinken der Fehler-LED zu erkennen ist. Als Betriebsmodi mit den höchsten Datenraten erweisen sich im Test die auf B- wie D-Band operierenden QAM-Varianten, die PolyTrax empfiehlt und vorkonfiguriert. Gemessen werden zwei Werte: die Transferrate zwischen PC und via Powerline angeschlossenem Gateway sowie der effektiv erreichte Datendurchsatz beim Zugriff auf das Web.

Übertragungsraten (QAM-Modi)

Modus

Schalterstellung

Maximale Transferrate PC-Gateway (KBit/s)

Mittlere Transferrate PC-Gateway (KBit/s)

Effektive Durchsatzrate bei Internetzugriff (KBit/s)

Messdaten für Testumgebung Druckerei

QAM 4, B/D-Band, doppelte Amplitude

0

60

37

19

QAM 4, B/D-Band

1

81

69

22

QAM 16, B/D-Band

2

102

80

34

QAM 64, B/D-Band

3

94

80

34

Vier ähnliche, jedoch mit halbierter Amplitude operierende Modulationsvarianten erbringen ähnliche, leicht nach unten abweichende Messergebnisse. Daneben offerieren die Powerline-Modems noch acht Betriebsmodi, die lediglich das B-Band nutzen. Wie zu erwarten, sackt hier durch den eingeschränkten Frequenzbereich die Durchsatzrate deutlich ab. Es ergeben sich Werte zwischen 7 und 12 KBit/s bei maximalen Transferraten von 15 bis 23 KBit/s.

Fazit

Das iPower-V.90-System von PolyTrax präsentiert sich schon in der Vorserien-Version als performante und wenig störanfällige Internet-Access-Lösung. Der Hauptvorteil liegt im Wegfall der, besonders in privaten Haushalten störenden, Verkabelung. Bis zur Serienversion sollte PolyTrax noch die fummeligen und unpräzisen Schalter zur Auswahl der Modulationsart durch eine PC-gesteuerte Softwarelösung ersetzen.

Als Netzwerkersatz genügt die gebotene Transferrate für die Übertragung kleinerer Files zwischen Rechnern und für Netzwerkspiele; für massive Filetransfers ist das System allerdings zu schwach. Dasselbe wird - auf Grund der Einschränkung der nutzbaren Frequenzbänder in Europa - auch für die ISDN-Variante des Systems gelten. Wer zu Hause oder im Büro ein performantes Netzwerk braucht, muss weiterhin auf herkömmliche LAN-Komponenten zurückgreifen.

Falls es PolyTrax nicht gelingt, den Preis für das System zu senken, wird sich die iPower-Technik nur schwer gegen die Ethernet-Vernetzung für zu Hause durchsetzen. Ein typisches LAN-Starter-Kit mit Mini-Hub , zwei NICs und Twisted-Pair-Kabeln kostet zwischen 150 und 200 Mark. Die Vernetzung zweier Rechner über iPower V.90 soll dagegen nach momentaner Vorstellung des Herstellers rund 500 Mark kosten. Bei einem derart drastischen Preisunterschied wird wohl so mancher auch in Zukunft lieber "Strippen" ziehen. jlu)

Quickinfo

Produkt

PolyTrax iPower V.90

Anbieter

PolyTrax

Preis

ab 350 Mark

Verfügbarkeit

ab Dezember

Anschließbar an

Rechner mit serieller Schnittstelle, unabhängig vom Betriebssystem

Testkonfiguration

Zum Test stehen zwei Basispakete des iPower-V.90-Systems - jeweils mit Powerline/V.90-Gateway und Powerline-Modem - zur Verfügung. Wir testen die beiden Systeme im Kreuzbetrieb in einem Reihen-Doppelhaus sowie den Büro- und Produktions-Bereichen einer Bogen-Offsetdruckerei.

Die Tests in der Wohnumgebung sollen vor allen Dingen aufzeigen, ob und inwiefern der Betrieb zweier iPower-Systeme in unmittelbarer Nachbarschaft zu Problemen führt. In der Druckerei dagegen untersuchen wir in erster Linie den Einfluss der durch die Produktionsmaschinen verursachten Netzstörungen auf die Datenübertragung.

Als Testrechner kommen folgende PCs zum Einsatz:

Alle vier Rechner verfügen über 64 MByte Hauptspeicher und laufen unter Windows 98 SE.

Zur Ermittlung der Transfer- und Durchsatzraten dient das Tool Net.Medic 1.22 von Lucent NPS. Die Messungen erfolgen auf dem Compaq Presario 5536 in der Druckerei, während dort ein Produktionszyklus mit zyklischem An- und Abfahren der Druckmaschinen läuft. Zur Ermittlung der Werte greifen wir per Web auf eine per PHP3 dynamisch generierte, gut 1 MByte große Adressliste zu. Diesen Test wiederholen wir für jede der 16 Modulations-Optionen des iPower-Systems.