Mit 64 Bit Unix im Visier

22.06.2001
Die Akzeptanz der Anwender wird zeigen, ob Intel bereits mit der ersten IA-64-Generation in der oberen Liga mitspielen kann. Nach der langen Anlaufzeit sind Itanium-Rechner nun bereit, ihre Trümpfe auszuspielen.

Von: Otto Klusch

Die ersten Server und Workstations mit der 64-Bit-Itanium-CPU stehen seit Ende Mai zur Verfügung. Sie basieren auf der "Explicitly-Parallel-Instruction-Computing"-Technik (EPIC) von Intel. Dieses Hardwaredesign erlaubt es, Anwendungen aufzusplitten und die einzelnen Teile in parallelen Prozessen zu verarbeiten - mit deutlich schnelleren Resultaten als bei herkömmlichen Prozessoren. Die Itanium-CPU kann bis zu 2,1 GBit/s verarbeiten: genug, um eine komplette Bibliothek wissenschaftlicher Fachzeitschriften in weniger als einer Minute zu transferieren.

Als Hauptvorteile von EPIC nennen die Itanium-Entwickler unter anderem die große Anzahl an Registern (128) sowie die parallelen Anweisungsebenen, die Highend-Transaktionsverarbeitungen beispielsweise von Decision-Support-Systemen sehr gut unterstützen. Durch die hohe Gleitkommaperformance eignen sich diese CPUs für komplexe Berechnungen und die schnelle Ausführung wissenschaftlicher Anwendungen wie Simulation oder Modellierung.

Der 64-Bit-Prozessor soll Anwendungen unter Unix, Windows oder Linux mit einer erheblich höheren Geschwindigkeit laufen lassen. Trotz des neuen Chipdesigns und Befehlssatzes unterstützt die Itanium CPU nach wie vor existierende 32-Bit-Anwendungen - allerdings nur im langsameren Emulationsmodus. Das EPIC-Konzept erlaubt die gleichzeitige Abarbeitung von 20 Rechenoperationen, deutlich mehr als andere 64-Bit-Prozessoren.

Heutige 32-Bit-Prozessoren können im Arbeitsspeicher bis zu 4 GByte an Daten adressieren. Einige Betriebssysteme beanspruchen davon schon die Hälfte für sich. Die IA-64-Architektur bietet Anwendungen einen weitaus größeren Spielraum: Sie adressiert bis zu 18 Exabyte (18 Milliarden GByte) über den 266 MHz schnellen Front-Side-Bus. Die Prozessoren verwenden nicht nur 64-Bit-Adressen, sie können auch 64 Bit gleichzeitig bearbeiten. Diese Fähigkeit ist eng mit der Systembus-Struktur verknüpft, die aber erst die zweite 64-Bit-CPU-Generation ab dem McKinley besser ausnutzt. Er soll Mitte 2002 auf den Markt kommen.

IA-64 unterstützt "Very Long Instruction Words" (VLIW), die sich aus einer Kombination von mehreren Befehlen zusammensetzen. Bisher wurde diese Technik nur in speziellen Prozessoren für Einzelanwendungen eingesetzt. Da sich Intel mit den IA-64-Chips endgültig von der x86-Architektur verabschiedet hat, entfallen auch die Schwächen im Fließkommabereich. Für einen zusätzlichen Leistungsschub sorgt die Parallelbearbeitung von Befehlen. Die EPIC-Technik ist dem Risc-Ansatz deutlich überlegen, denn sie kann Programmverzweigungen im voraus bestimmen und Programmschritte spekulativ durchführen.

Intel sieht den Itanium-Chip auch als Entwicklungsplattform für die nächste IA-64-Generation "McKinley". Größere Marktanteile für die IA-64-Plattform sind erst zu erwarten, wenn Hard- und Software in ausreichender Zahl verfügbar sind. Analysten rechnen damit, dass dies erst mit McKinley eintreten wird. Viele der heute schon lieferbaren 800 Anwendungen für die Itanium-Rechner benötigen weitere Optimierungsschritte, um die Feinheiten der neuen Chiparchitektur besser zu nutzen. Sun hat hier mit 12 000 ausgereiften Applikationen für Sparc einen deutlichen Vorsprung.

Paul Ottelini, Executive Vice President und General Manager der Intel Architecture Group, bezeichnet die Geburtsstunde der neuen Prozessorgeneration als kritisches Ereignis für Intel, denn das Unternehmen rechnet mit einer bis zu zwanzigjährigen "Lebenserwartung" dieser Chip-Architektur. Ottelini sagt eine bevorstehende Lernkurve für die Entwicklung von Itanium zu McKinley voraus, die durch Funktionen der zweiten IA-64-Generation wie Infiniband-Unterstützung, beträchtlich höhere Taktraten, mehr parallele Funktionseinheiten und größere Cache-Bereiche auf der CPU getragen werde. Intel erwartet, dass in diesem Jahr 25 Hersteller 35 Itanium-gestützte Rechner auf den Markt bringen werden.

Mit Preisen von 80 000 Mark liegen Itanium-Server mit zwei CPUs aus der "Poweredge"-Familie von Dell etwa in der Preiskategorie von Pentium-4-Acht-Prozessor-Systemen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der IA-64-Generation könnte eine ähnliche Auswirkung auf die Preisgestaltung von Highend-Systemen haben, wie vor einigen Jahren die Einführung Intel-basierender Workstations. Damals erreichten Wintel-Rechner die Performance von Unix-Workstations und führten zu sinkenden Hard- und Softwarepreisen in diesem Marktsegment.

Unternehmen, die mit ihren IT-Systemen bereits am Ende der Skalierbarkeit angelangt sind und für Anwendungen mehr als 64 GByte Arbeitsspeicher benötigen, sollten eine Anschaffung von Itanium-Systemen in Erwägung ziehen. Die großen Serverhersteller bringen pünktlich zur Itanium-Freigabe IA-64-Systeme auf den Markt.

IA-64-Systeme

Dell hat den Rack-Server "Poweredge 7150" von Grund auf neu entwickelt. Er unterstützt bis zu vier 733- oder 800-MHz-Itanium-Prozessoren, 64 GByte Hauptspeicher sowie maximal vier Festplattenlaufwerke mit insgesamt 144 GByte Speicherkapazität. Um das Softwareangebot für diese Rechnergeneration zu vergrößern, arbeitet Dell mit mehr als 20 Herstellern wie EST, IBM, SAP und Veritas zusammen. Darüber hinaus unterstützt der Direktvermarkter sowohl Microsoft als auch Red Hat bei der Entwicklung ihrer 64-Bit-Betriebssysteme. Die Itanium-Workstation "Precision" positioniert Dell als Entwicklungs- und Testumgebung für Softwareentwickler und Großunternehmen, die eine Migration von Anwendungen auf die 64-Bit-Architektur planen.

Auch Fujitsu Siemens Computers kommt mit Itanium-Rechnern auf den Markt. Der "Primergy N4000" und die "Celsius-880"-Dual-Prozessor-Workstation sollen ab Juli 2001 erhältlich sein. Der N4000-Server arbeitet im Rack mit bis zu vier Itanium-CPUs und ist mit maximal 64 GByte Arbeitsspeicher sowie 14 Festplatten für eine Speicherkapazität von gut 500 GByte ausgestattet. Das für geschäftskritische Umgebungen vorgesehene Highend-System unterstützt mit seinem "Very-Large-Memory"-Design (VLM) insbesondere sehr große Datenbankanwendungen.

Die Celsius-880-Workstations sollen sich besonders für Anwendungen rund um EDA (Electronic Design Automation), Wissenschaft, CAD/CAM (Computer Aided Design/Manufacturing), DCC (Digital Content Creation) und Finanzdienstleistungen eignen.

Zu den von Hewlett-Packard angebotenen Itanium-Systemen zählen die Server Rx 4610 und Rx 9610 sowie die Workstation I 2000. Der Rx-9610 arbeitet mit 733- oder 800-MHz-Prozessoren. Jeweils vier CPUs lassen sich in einer Zelle nutzen. Eine Cc/Numa- Architektur (Cache-Coherent/Non-Uniform Memory Access) kombiniert bis zu vier Zellen zu einem Gesamtsystem. Hewlett-Packard liefert den Rx-9610 zunächst mit 64 GByte und später mit 128 GByte Hauptspeicher aus. Das Serversystem ist für den Einsatz unter HP-UX 11 v1.5 ausgelegt, dem eigenen 64-Bit-Unix-Betriebssystem. Diese Version ist laut Hewlett-Packard für IA-64 optimiert.

Mit seinen vier Prozessoren eignet sich das Itanium-basierende "E-Server"-Modell x380 von IBM für datenintensive Anwendungen.

Mit der neuen Intellistation Z Pro bietet IBM auch eine Itanium-Workstation, die sich zum Beispiel für aufwändige Berechnungen oder lebensechte Computeranimationen eignet. Experten des NCSA, die mit der Itanium-gestützten Intellistation Z Pro das Strömungsverhalten von Gasen erforschen, haben 650 Millionen Rechenschritte pro Sekunde (650 Megaflops) nachweisen können. Die Preise der IBM-Workstation starten ab 38 700 Mark.

IA-64-Anwendungen

Ende Mai hat Microsoft die Auslieferung der 64-Bit-Betriebssystemvarianten "Windows XP" und "Windows Server 2002" zusammen mit Itanium-Rechnern verschiedener Anbieter bekannt gegeben. Windows XP, Codename "Whistler", soll Ende des Jahres auf den Markt kommen. Derzeit ist der Release Candidate 1 (RC1) fertig gestellt. Windows Server 2002 liegt als Beta3-Release vor und heißt vorerst "Windows Advanced Server (AS) Limited Edition (LE) Version 2002". Nutzer dieser Versionen erhalten ein Gratis-Update auf die Vollversionen bei deren Fertigstellung. Die 64-Bit-Versionen von XP entstanden parallel zu den 32-Bit-Ausgaben des Betriebssystems und bieten deshalb ähnliche Leistungsmerkmale. Allerdings fehlt der Windows Media Player, Netmeeting, CD-Brenner-Unterstützung und Remote Assistance in der 64-Bit-XP-Ausgabe. Die derzeit mit der Hardware vertriebenen OEM-Ausgaben sind noch nicht mit der Windows Product Activation (WPA) versehen.

Die Softwarehersteller aus Redmond bieten bislang erst wenige dedizierte 64-Bit-Anwendungen. Die bekannteste ist der SQL-Server-2000-Nachfolger. Mit der Fertigstellung des McKinley-Chips im nächsten Jahr werden wahrscheinlich eine Reihe von verbesserten IA-64-Applikationen auf den Markt kommen.

Turbolinux, Red Hat und Suse sind drei der Linux-Distributionen, die schon in die Entwicklungsphase von Linux für IA-64 involviert waren. Vor einigen Tagen brachten sie ihre IA-64- Betriebssystem-Varianten heraus. Im Gegensatz zu früher, als die Programmierer Linux an die x86-Hardware anpassen mussten, hat die Entwicklergemeinde diesmal direkt mit Intel zusammengearbeitet, um das 64-Bit-Linux zu optimieren und eine Feinabstimmung zu ermöglichen.

Der 64-Bit-Kernel von AIX 5L Version 5.1, dem neuen Release des IBM-Unix, unterstützt neben den Power-Chip-Unix-Sytemen auch die Itanium-Architektur. Das Betriebssystem nutzt die AIX 5L APIs und Header Files, so dass nach einer Rekompilierung Linux-Anwendungen lauffähig sind.

Sun hatte noch vor einem Jahr das eigene 64-Bit-Betriebssystem Solaris 7 für Intels IA-64 Prozessor optimiert. Sowohl das Application Programming Interface (API) als auch das Device Driver Interface (DDI) sind für alle Solaris-Plattformen identisch. Auch die für die Sparc-Plattform entwickelten 64-Bit-Anwendungen der ISVs sollten durch eine Rekompilierung der Treiber und Applikationen die Itanium-Plattform unterstützen. Von Sun war keine Stellungsnahme zu erhalten, ob die zwischenzeitlich aufgetretenen Unstimmigkeiten zwischen Intel und Sun diese Kompatibilitätsbemühungen endgültig zum Erliegen gebracht haben. Linux und einige Unix-Varianten haben mit dem Itanium-Prozessor die Chance, sich als kostengünstiges Serversystem durchzusetzen und den Zeitvorsprung gegenüber Microsoft zu nutzen, bevor die Vorabversionen durch Serienprodukte ersetzt werden. Ob die von Intel in einer siebenjährigen Entwicklungszeit entstandene erste IA-64-Generation zum Meisterwerk oder zum Gesellenstück wird, muss sich noch zeigen. Spätestens mit McKinley dürfte es Intel jedoch gelingen, sich im 64-Bit-Markt zu etablieren.