Hohe Bandbreite über Kupfer-Telefonkabel

Mit 100 Mbit/s ins Internet - Breitband-Hoffnung DSL-Vectoring

11.01.2013 von Jürgen Hill
Vectoring, auch als DSL-Vectoring bezeichnet - kaum ein Wort beflügelt derzeit die Diskussionen um den Breitbandausbau und Highspeed-Internet in Deutschland mehr. Wir erklären, was hinter dem Begriff steckt.

Mit 100 Mbit/s ins Internet. Lange Zeit war diese Geschwindigkeit lediglich Business-Kunden mit entsprechend teuren Verträgen vorbehalten. Mittlerweile sind derlei Geschwindigkeitsdimensionen auch für Konsumenten und kleinere Unternehmen sowie Selbstständige bezahlbar geworden. Voraussetzung ist allerdings, dass sie entweder in einem der Glasfaser-Ausbaugebiete (in München baut etwa der City-Carrier Mnet die Innenstadt mit Glasfaser aus) wohnen oder arbeiten oder per Kabel-TV-Provider erschlossen sind. Anbieter wie Kabel Deutschland bauen ihre Netze derzeit ebenfalls für 100 Mbit/s-Internet aus.

Bandbreitenexplosion: Allein die steigende Nachfrage nach Video lässt den Bandbreitenbedarf bis 2020 auf 100 Mbit/s steigen.
Foto: Alcatel-Lucent

Lediglich der klassische DSL-Kunde, der über das Kupfertelefonkabel an das globale Netz angebunden ist, scheint in die Röhre zu schauen. In gut ausgebauten Gebieten mit einer teilweisen Glasfasererschließung kann er zumindest VDSL Bandbreiten von bis zu 50 Mbit/s erhalten. Und der ADSL-Kunde hat zumindest die Chance auf Bandbreiten bis zu 20 Mbit/s. Allerdings nur die Chance, wie die praktischen Erfahrungen eines Kollegen aus dem Dezember 2012 zeigen: Aufgrund der schlechten Leitungsqualität in einem Neubaugebiet in einem Vorort Münchens erhält er maximal DSL 2000.

Für unseren Kollegen und alle anderen gibt es seit Herbst 2012 neue Hoffnung in der Breitbanddiskussion: DSL-Vectoring beflügelt als Zauberwort die Fantasie, weil die Technik Bandbreiten von bis zu 100 Mbit/s verspricht.

Doch was steckt hinter DSL-Vectoring?

Für das DSL-Vectoring sprechen auch deutlich geringere Investitionskosten im Vergleich zum Glasfaserausbau.
Foto: Alcatel-Lucent

DSL-Vectoring geht auf eine Entwicklung der Bell Labs von Alcatel-Lucent zurück. Im Gegensatz zu den anderen DSL-Techniken betrachteten die Forscher in den Bell Labs nicht mehr ein Adernpaar in der Telefonleitung für einen Anschluss, sondern den Kabelstrang als Ganzes. Auf diese Weise waren sie in der Lage, auftretende Störungen (Nebensprechen, Cross Talking) mit effizienten, aber komplexen Algorithmen zu unterdrücken.

DSL-Problematiken

Bisherige DSL-Verfahren haben nämlich mit dem Nachteil zu kämpfen, dass sie auf den ungeschirmten Kupferkabeln mittlerweile Frequenzen im Megahertz-Bereich verwenden, während die Kabel ursprünglich nur für die klassische Telefonie - also nur für wenige Kilohertz - ausgelegt waren. In der Praxis führt dies gleich zu mehreren Problemen.

Entwicklung: Aus den klassischen Kabelverzweigern wurden im VDSL-Zeitalter Schaltschränke mit kompletter Vermittlungstechnik.
Foto: Deutsche Telekom

So strahlt DSL etwa Störungen auf die benachbarten Adernpaare ab, sodass diese nicht das volle Frequenzspektrum nutzen können - der Kunde erhält also nicht die maximale Bandbreite. Gleichzeitig haben die Störungen noch eine weitere Konsequenz: Es können nicht alle Adernpaare einen Telefonkabelstrangs für DSL genutzt werden. Und zu guter Letzt haben die Störungen noch eine weitere Folge. Die Reichweite, also die Entfernung, bis zu der ein DSL-Signal noch störungsfrei empfangen werden kann, ist begrenzt.

Deshalb wird bei VDSL auch von der Vermittlungsstelle bis zu den Kabelverzweigern - das sind die grauen Schaltkästen am Straßenrand - Glasfaser verwendet und nur auf den letzten Metern zum Anwender das klassische Telefonkabel genutzt. Doch selbst hier macht sich das Nebensprechen störend bemerkbar. In der Praxis gelten deshalb Reichweiten von 300 bis 500 Metern sowie Bandbreiten von bis zu 50 Mbit/s als realistisch.

Schnittstelle: Im grauen Kabelverzweiger treffen Glasfaser und Kupferkabel aufeinander.
Foto: Alcatel-Lucent

Mit ihrem neuen Verfahren zur Störungsunterdrückung, also dem DSL-Vectoring, verspricht Alcatel nun, bei VDSL Entfernungen von bis zu 1.000 Metern per Kuper-Telefonkabel überbrücken zu können. Und dies mit Bandbreiten von bis zu 100 Mbit/s. Gleichzeitig hat die Technik für die Carrier im heiß umkämpften Breitbandmarkt noch einen anderen Vorteil: Glaubt man den Berechnungen von Alcatel-Lucent, betragen die Kosten für eine VDSL-Vectoring-Implementierung nur ein Drittel der Investitionen, die für einen Glasfaserausbau bis zum Gebäude (Fibre to the Building/Home, FTTB/FTTH) erforderlich sind. Damit könnten die Netzbetreiber also die bis 2020 erwarteten Breitbandanforderungen der Kunden mit relativ geringen Investitionskosten realisieren.

DSL-Vectoring hat jedoch einen Haken

Damit Vectoring die wechselseitigen Störungen der einzelnen Leitungen in einem Kabelbündel unterdrücken kann, müssen diese koordiniert bearbeitet - also alle Adernpaare eines Telefonkabels in ihrer Gesamtheit kontrolliert und gemanagt werden. Damit widerspricht die Technik dem hierzulande verfolgten Regulierungsgedanken der entbündelten Teilnehmeranschlussleitung (TAL), die es jedem Netzanbieter und Service-Provider erlaubt, von der Telekom die nackte Kupferader zu mieten, um mit eigener Technik entsprechende DSL- und Telefonieangebote zu vermarkten. Beim Einsatz von DSL-Vectoring wäre dies in dieser Form nicht mehr möglich. Ebenso könnten nicht zwei Anbieter gleichzeitig DSL-Vectoring in einem Telefonkabelstrang einsetzen.

Vor diesem Hintergrund hatte die Telekom im Herbst angekündigt, dass sie DSL-Vectoring exklusiv auf der letzten Meile für ihre Kunden verwenden wolle. Entsprechend lautstark war der Aufschrei der Konkurrenten, die auf den letzten Metern zum Kunden auf die Telekom-Telefonleitung angewiesen sind.

Die Bonner reagierten daraufhin mit einem Kompromissvorschlag, den sie als Antrag bei der Bundesnetzagentur einreichten: Anbieter, die Vectoring ab dem Kabelverzweiger nutzen wollen, sollen verpflichtet werden, entsprechende Produkte auch für die Konkurrenz bereitzustellen.

Mit DSL-Vectoring können auch auf dem Kupferkabel 100 Mbit/s übertragen werden.
Foto: Deutsche Telekom

Die Antwort der Konkurrenten folgte prompt. Einig wie selten, kritisierten die sonst oft zerstrittenen Lobby-Vereinigungen VATM, Breko und Buglas den neuen Telekom-Antrag. So erzürnt sich beispielsweise der VATM (Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten) darüber, dass bereits die Telekom-Ankündigung des Vectoring-Ausbaus ein künftiges Zugangsverbot für die Konkurrenz zur Folge habe.

Der Breko (Bundesverband Breitbandkommunikation) sieht darin eine massive Attacke auf den Breitbandausbau der City- und Regional-Carrier in Deutschland. Und der Buglas (Bundesverband Glafaseranschluss e.V.) wirft der Telekom gar vor, eine Re-Monopolisierung anzustreben. Das letzte Wort in dem Streit hat die Bundesnetzagentur. Sie hat in dieser Angelegenheit bereits ein Prüfverfahren eingeleitet, und am 24. Januar 2013 fand eine erste Anhörung über den Telekom-Antrag statt. Zwar will die Bundesnetzagentur so schnell eine Entscheidung herbeiführen, doch einen konkreten Zeitplan hat die Behörde nicht preisgegeben. (mje)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche.