Nadella ist nach Bill Gates und Steve Ballmer erst der dritte Steuermann, der den Supertanker der IT-Industrie mit einem Umsatz von knapp 80 Milliarden US-Dollar und über 120.000 Mitarbeitern lenkt. Nadella, der bereits seit über 20 Jahren im Unternehmen ist und zuletzt für die immer wichtiger sowie erfolgreicher werdenden Cloud-Dienste verantwortlich zeichnete, steht vor einer Mammutaufgabe: Auf der einen Seite muss er die Reorganisation des Unternehmens vorantreiben.
Unter der Parole "One Microsoft" wird seit knapp einem Jahr der Konzern mit dem Ziel umgebaut, Microsoft in ein funktionsorientiertes Unternehmen - im Gegensatz zur bisherigen produktorientierten Organisation - zu transformieren. Mitarbeiter sollen ihre klassische Produktdenke hinter sich lassen und in ganzheitlichen Services denken. Gleichzeitig wird das Unternehmensziel neu definiert bzw. neu ausgerichtet. Quasi ein neues Selbstverständnis und Verortung im globalen Kontext.
Auf der anderen Seite muss der 1967 im indischen Hyderabad geborene Frontmann zahlreiche Jonglierkeulen bewegen: Das gute, aber nur mäßig erfolgreiche Windows 8.1 will sich am Markt nicht so richtig durchsetzen. Und scheinbar schon gar nicht im Bereich des Wachstumsfelds der Tablets. Hier wählt Nadella einen Freemium-Ansatz und verschenkt ausgewählte Editionen für Tablets und Smartphones mit einer Größe von unter 9 Zoll an Hardware-Hersteller. Diese jahrelangen Partner sollen nicht nur auf Android setzen, sondern verstärkt auf Windows und so die so wichtigen cloudbasierten Services in den Markt tragen. Der gelernte Informatiker, der vor seiner Zeit bei Microsoft bei Sun Microsystems beschäftigt war, muss mit seinem Team aber auch die Cross-Platform-Services positionieren. Microsoft hat bereits seit Langem erkannt, dass eine pure Fokussierung auf die eigenen Plattformen wie Windows keine zukunftsfähige Strategie ist. Die Fragmentierung bei Geräten, getrieben durch Apple und Googles Android, bedingt eine plattformunabhängige und umfassende Bereitstellung auf diesen Geräten. Services wie Skype, den Microsoft 2011 für 8,5 Milliarden US-Dollar übernommen hat, sind schon lange auf allen Plattformen vertreten.
Jedoch wurde das für den Konzern wichtige Produkt Office der immer größer werdenden Zahl an iPad-Nutzern lange vorenthalten. Die Entwicklungen hat zwar Steve Ballmer angestoßen. Er konnte sich aber mutmaßlich nicht für eine rasche Markteinführung entscheiden. So war es einem Nachfolger vorbehalten, im März dieses Jahres die gelungene Version für das iPad vorzustellen. Hier wurde von Microsoft erneut der Freemium-Ansatz gewählt: Bei diesem Modell werden Basisfunktionen quasi verschenkt und gratis angeboten. Das vollständige Produkt ist jedoch kostenpflichtig. Durch diesen Ansatz schaffte es Microsoft nicht nur, binnen weniger Wochen über 28 Millionen Downloads für Word, Excel und Co. auf dem iPad zu generieren, sondern gewann darüber hinaus eine signifikante Anzahl von Abonnenten für den Cloud-Dienst Office 365.
Ein ähnliches Vorgehen wird zeitnah für Tablets erwartet, welche mit Android laufen. Durch diesen Schritt wird die Relevanz der Softwareplattform endgültig über die der Hardwareplattform gestellt. Die Hardware wird zu einem imagebeladenen, "dummen" Stück Metall, das durch die (Microsoft )Cloud-Services aufgewertet wird und so für die Anwender den eigentlichen Nutzen erzielt.
Zahlreiche Baustellen bei Microsoft
Nadella muss sich aber auch um weitere interne und externe Baustellen kümmern: Er muss den Konzern für das "Internet der Dinge" rüsten, Partner und Kunden vom neuen Kurs überzeugen, das Geschäft mit Privatanwendern ankurbeln und das Beste aus dem vermeintlichen Schnäppchenkauf der Mobilfunksparte von Nokia machen. Hierzu zählt auch die Integration der 25.000 ehemaligen Nokia-Mitarbeiter. Es geht hier insbesondere um die Sicherung von Kompetenzen und Ressourcen. Microsofts primäres Ziel ist es, hier nicht nur Geräte zu verkaufen, sondern von der weltweiten Logistikkette, den damit verbundenen Kompetenzen und Marktzugängen zu profitieren.
Gleichfalls wichtig ist die Sicherung der Produktionskapazitäten. Hierdurch kann Microsoft sich gegen die großen Smartphone-Hersteller und deren Vasallen, die Auftragsfertiger, positionieren. Microsoft muss sich nicht mehr hinten anstellen oder drücken lassen, wenn Windows-Phone-Geräte produziert werden sollen - auch technische Visionen können vorangetrieben werden.
Das eigentliche Endgerät, das Smartphone, wird zwar weiterhin hoch emotional aufgeladen sein und das Design wird über den Erfolg entscheiden. Die Geräte werden trotz steigender Leistungsparameter immer "dümmer". Ihre eigentliche Intelligenz liegt in Anwendungen und deren Know-how und DNA liegt in der Cloud. Deshalb gilt es, auf Cloud-Diensten basierenden Service zu mobilisieren. Und hier hat sich Microsoft bedingt durch eigene Rechenzentren und umfassenden Service in den letzten Jahren zu einem wichtigen Anbieter entwickelt.
Mobile first, Cloud first
"Mobile first, Cloud first" lautet das neue Microsoft-Mantra. Es ist die Fortsetzung und Erweiterung der von Steve Ballmer eingeführten Neuausrichtung des Unternehmens als "Devices and Services Company". Microsoft hat in den letzten Jahren die wesentlichen Geschäftsfelder hierauf ausgerichtet. Hierzu zählt neben dem Client-Betriebssystem und Office insbesondere das Rechenzentrum. Hier hat Microsoft in den letzten Jahren Milliarden in Infrastruktur und Produkte investiert. Der von Microsoft entwickelte ganzheitliche Ansatz sorgt dafür, dass ein nahtloses Angebot vom Rechenzentrum in Anwenderunternehmen, über Services von Hostern bis hin zu den Microsoft-Cloud-Services entsteht.
Gegenwärtig ist weder zu erkennen, dass es die großen Cloud-Anbieter wie Amazon (mit AWS) in einem solchen Umfang in das Unternehmensrechenzentrum zieht, noch dass Größen im Rechenzentrum - wie etwa VMware - umfassende vergleichbare eigene Cloud-Rechenzentren aufbauen. Durch diese Marktsituation hat Microsoft einen zeitlichen Vorteil gegenüber Marktbegleitern, der zu Geld gemacht werden kann. Hinzu kommen die zahlreichen Services, wie Office 365, Skype, Outlook.com oder Yammer, die Microsoft in den eigenen Rechenzentren betreibt.
Bei der "Mobile First, Cloud First"-Strategie geht es um die Mobilisierung von Geschäftsprozessen und privaten Aktivitäten auf Grundlage von Cloud-Technologie. Ist die Strategie erfolgreich und wird in einigen Jahren aus einem Cloud-first- ein Cloud-only-Verständnis, hat Microsoft es abermals geschafft, die Massen an sich zu binden. Ein Unternehmen wie Microsoft weiß genau, wie solche Austausch- und Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen werden. Das liegt auch daran, dass Microsoft die Regeln der Massenmärkte wie kaum ein zweiter Anbieter der IT-Industrie kennt. Durch Netzwerk- und Verbundeffekte wurden ganze Märkte ersonnen, geschaffen, entwickelt und besetzt. Und bevor ein Spieler wie Microsoft in ein neues Spiel - einen neuen Markt - eintritt, wird der eigene Mehrwert ermittelt.
Cui bono - wer profitiert?
Nahezu alle großen ITK-Anbieter - so auch Microsoft - bewegen sich mit großen Schritten in Richtung Cloud Computing. Sie entwickeln neue Geschäftsbereiche und -modelle. Auch wenn wir uns momentan noch gar nicht vorstellen können, wo wir in fünf Jahren stehen werden, weil uns die Dimensionen fehlen, den gegenwärtig enormen Umbruch beurteilen zu können, kann im Falle Microsoft davon ausgegangen werden, dass das Unternehmen in fünf Jahren einen Großteil des Umsatzes mit Produkten oder Services generiert, die vor vier Jahren in dieser Form noch nicht einmal auf dem Markt waren. Derzeit verdient Microsoft sein Geld maßgeblich durch den Verkauf von Business-Produktivitäts- und Betriebssystem-Software.
In diesen entscheidenden Produktbereichen verliert Microsoft sowohl an Marktanteilen als auch an Marge. Beim Windows-OS kann kurz- bis mittelfristig von einem weltweiten Marktanteil von 70 Prozent ausgegangen werden. Langfristig - also für die Jahre nach 2018 - ist ein Marktanteil von 55 Prozent zu erwarten. Relevante Herausforderer sind Apple und Google, teilweise Linux. Die Operating-Marge wird sich sicherlich auf einem niedrigeren Betrag einpendeln. Gegebenenfalls gibt es hier eine Steigerung durch Pro-Lizenzierung im Business-Umfeld. Wird die Ausrichtung auf Businesskunden fokussiert, die Cross-Plattform-Strategie richtig exekutiert und auch der Consumer-Markt besser bedient, werden auf jeden Fall die Mitarbeiter und Aktionäre von Microsoft profitieren. (mje)
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