Microsofts .NET als Open Source?

25.07.2001 von Michael Swaine
Neuerdings öffnet Microsoft .NET den Open-Source-Entwicklern und gibt seine Kontrolle der Software auf. Warum aber unterstützt Microsoft die Öffnung von .NET? Sollte das nicht hellhörig werden lassen?

Verfechter von Open Source und frei zugänglicher Software bemühen sich, die Technologie der .NET-Initiative Microsofts alleiniger Kontrolle zu entziehen. Selbstgefällig brüsten sie sich mit ihrer Cleverness, und Microsoft gibt sogar seinen Segen dazu. Warum aber unterstützt Microsoft gerade das Open Sourcing von .NET? Sollte das die Open-Source-Gemeinde nicht hellhörig werden lassen?

Seit die Berufungsgerichte bestätigt haben, dass Microsoft seine Monopolstellung unrechtmäßig zu seinem Vorteil genutzt hat, stellt der Konzern sich selbst als einen völlig anderen, viel offeneren Monopolisten dar: Microsoft räumt OEMs mehr Freiheiten hinsichtlich der auf den Desktops anzubringenden Icons ein (wir berichteten) und greift nun auch offene Standards auf. Daneben wird der Zugang, zumindest für Großkunden, zu verschiedenen Quellcodes eröffnet und große Teile der .NET-Initiative werden einer internationalen Organisation für Standards zur Billigung vorgelegt. Und Microsoft zieht ECMA-Standards als Grundlage heran, um ECMA-geprüfte Versionen seiner Entwicklungstools für .NET zu erarbeiten.

Ein enormes Unterfangen

Manche Open-Source-Firmen und Entwicklergruppen, die Microsoft weder schätzen noch trauen, haben nun beschlossen, aus dieser neuen Offenheit ihren Vorteil zu ziehen. Sie wollen, völlig unabhängig von Microsoft-Code oder -Lizenzen, einen Open-Source-Klon von .NET entwickeln. Das ist ein enormes Unterfangen, aber dennoch nicht unmöglich. Dass die Open-Source-Gemeinde einer solchen Herausforderung gewachsen ist, kann mit den GNU/Linux-Entwicklern angeführt werden. Was sie jetzt mit .NET umsetzen wollen, ist nicht mehr und nicht weniger als das, was sie bereits erfolgreich für Unix umgesetzt haben.

Miguel de Icaza, der Mitbegründer von Ximian, leitete die Open-Source-Entwicklung des GNOME-Desktop-Environments. Er und Ximian haben bereits große Fortschritte mit Mono gemacht. Mono ist der Versuch, für Linux den C# Compiler, die Virtual Machine und die Common Language Runtime zu reproduzieren - jene .NET-Entwicklungstools, die Microsoft ECMA vorgelegt hat. Icaza hofft, "mit ein wenig Hilfe seiner Freunde" gegen Ende des Jahres in der Lage zu sein, ausführende Windows-Dateien, von einem Microsoft-.NET-Compiler erzeugt, auf einer Linux-Plattform zum Laufen zu bringen.

.NET - mehr als ein Set von Tools

Miguel de Icaza sagt, er möchte .NET "integrieren und expandieren" und es zur Stärkung der eigenen Position und zum Vorteil der Open-Source-Entwickler nutzen. Doch .NET ist mehr als nur ein Set von Entwicklungstools. Da ist zum Beispiel Hailstorm, die von Microsoft favorisierte Architektur und das bevorzugte Set von Webservices für .NET.

Das DotGNU-Projekt hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, lieber gleich die ganze .NET-Strategie vollständig zu ersetzen, einschließlich Hailstorm, statt nur eine Open-Source-Implementation von .NET zu entwickeln. Und .NET Opensource, ein weiteres der Dutzenden von .NET-Open-Source-Projekten, zielt auf einen Klon der .NET Runtime. Hier ist eine beachtliche Menge Code bereits geschrieben. Microsoft hat einige dieser Initiativen teils sehr lautstark unterstützt und sogar zugestimmt, mit Hilfe von Corel Linux-Versionen seines C# und CLI (Common Language Interface) zu entwickeln, obwohl diese nicht Open-Source-Produkte sein werden.

Nicht Software ist das Geschäft

Dennoch, ein deutlicher Hinweis darauf ist bereits gefallen, dass der Konzern kaum ruhig dasitzen und zusehen wird, wie die Open-Source-Gemeinde ihm das Geschäft kaputt macht, das mit .NET so mühevoll aufgebaut wird: "Die Lizenz für Mono-Software muss kompatibel sein zu Microsofts Lizenzpolitik", sagte Microsofts Produktmanager der .NET-Framework-Gruppe. Da Mono als ein Ersatz für Microsoft-Produkte und ohne Anwendung von Microsoft-Produkten entwickelt wird, ist nicht ganz klar, wie hier Microsofts Lizenzen ins Gespräch kommen. Falls nicht ohnehin bereits von Lizenzen für die anderen Teile von .NET die Rede war.

Denn wenn Microsoft ein solides Geschäftsmodell für diese anderen Teile von .NET hat, mag der Konzern vielleicht bereit sein, die Kontrolle - und einige finanzielle Einnahmen - seiner .NET-Entwicklungstools aufzugeben. Vor allem da Microsoft es wahrscheinlich immer noch als eines seiner Hauptziele betrachtet, Java endgültig auszuschalten. Mit Hilfe der Open-Source-Gemeinde, die die .NET-Entwicklungstools plattformübergreifend einsetzt, kann nun genau dies gelingen. Und es sieht auch ganz danach aus, als habe Microsoft schon ein solch solides Geschäftsmodell für den Rest von .NET.

Die lukrative Kontrolle der Transaktionen

Clay Shirky von O'Reilly und Partnern hat überzeugend dargelegt, dass Microsoft die Kontrolle über die Software nur lockert im Tausch gegen die Kontrolle über die Transaktionen in der neuen Software-Welt mittels gemeinsam genutzter Webservices. Hailstorm ist mit der Art, wie es Anwender sowie Anfragen an Services authentifiziert und mögliche Services definiert, das Zentrum dieser Kontrolle. Und Shirky zieht die Schlussfolgerung, dass eine Hailstorm-Transaktion nicht ablaufen kann, ohne mit Servern zu kommunizieren, die Microsoft gehören oder von Microsoft lizenziert sind, schon aus rein technischen sowie rechtlichen Gründen. Und Microsoft wird für jede dieser Transaktionen eine Gebühr verlangen. Das wiederum klingt doch wirklich nach einem soliden Geschäftsmodell.

Aber das klingt auch so, als müsste jeder ernsthafte Konkurrent von Microsoft in diesem Bereich den ehrgeizigen Weg des DotGNU-Projekts gehen und einen vollständigen Ersatz für .NET schaffen, weil unmöglich nur Teile von .NET zu ersetzen sind. Und da das, wie Miguel de Icaza zugegeben hat, ein enormes Unterfangen ist, wird vielleicht verständlicher, warum Microsoft sich so wenig Sorgen um das Open Sourcing von .NET macht. (fkh/bmu)

Über den Autor

Michael Swaine ist Redaktionsdirektor des Dr. Dobb's Journal. Er lebt im Silicon Valley und schreibt seit 1980 über PC-Technologie. Sie erreichen Michael Swaine über seine Website.