"Digitales Wirtschaftswunder" auf der CeBIT

Microsoft will Aufbruchsstimmung in Deutschland

16.03.2015 von Martin Bayer
Microsoft beschwor auf der CeBIT ein neues digitales Wirtschaftswunder. Dafür gelte es, jetzt die richtigen Weichen zu stellen. Der Softwarekonzern will dafür mit seinen Produkten und Techniken die Entwicklung rund um Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge stärker forcieren.

Wir können die Erfolgsgeschichte des Standorts Deutschland digital fortschreiben, wenn wir jetzt entschlossen die Voraussetzungen für ein digitales Wirtschaftswunder schaffen", sagte Klaus von Rottkay, Mitglied der Geschäftsleitung und COO bei Microsoft Deutschland.

Es gehe um die entscheidende Frage, ob die Bundesrepublik eine Führungsrolle als digitalisierter Industriestandort übernehmen will - oder das Feld agilen Ländern wie Südkorea, China oder den USA überlässt.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen rund um Industrie 4.0 und dem Internet of Things (IoT) stehe Deutschland an einer Zeitenwende, so der Microsoft-Manager. "Das digitale Wirtschaftswunder kann hier und jetzt beginnen, wenn wir Industrie 4.0 und das Internet der Dinge als Jahrhundertchance für den Standort Deutschland begreifen und die Weichen richtig stellen", erklärte von Rottkay.

Stecken mitten in der digitalen Revolution

Die Verantwortlichen des weltgrößten Softwarekonzerns sehen sich mit ihren Lösungen offenbar durchaus in der Lage, die Schalthebel mit umzulegen. Das sei auch dringend nötig, warnte von Rottkay. "Wir stecken mitten drin in der digitalen Revolution der Industrie." Allerdings fehle es in den Reihen der Anwenderunternehmen teilweise noch am Willen, dies umzusetzen. Sechs von zehn Firmen hätten noch keine Strategie, wie mit den anstehenden digitalen Herausforderungen umzugehen sei, stellte der Microsoft-Mann unter Berufung auf eine Studie von Crisp Research fest.

Digitalisierung in der Industrie
Autobauer, Einzelhandel und sogar Tagebau
Wir zeigen gelungene Beispiele für die digitale Transformation deutscher und internationaler Unternehmen.
Red Tomato Pizza Dubai
Wer in Dubai Hunger auf Pizza bekommt, dem gereicht ein Knopfdruck zum Italo-affinen Gourmet-Glück. Der Red Tomato-Lieferdienst bietet einen Kühlschrank-Magneten an, der über die Koppelung an ein Smartphone dafür sorgt, dass die Lieblingspizza ofenfrisch und frei Haus schnellstmöglich anrückt.
Hamburger Hafen
Der Hamburger Hafen ist Europas zweitgrößter Containerhafen. Um die Effizienz der begrenzten Verkehrswege zu verbessern und größere Gütermengen umschlagen zu können, hat die für das Hafenmanagement zuständige Hamburg Port Authority (HPA) zusammen mit der SAP und der Deutschen Telekom in einem Pilotprojekt die IT-Logistikplattform "Smart Port Logistics" aufgebaut. Die IT-Lösung soll die Unternehmen, Partner und Kunden des Hafens enger miteinander vernetzen.<br /><br />Durch ein IT-gestütztes Verkehrsmanagement will man LKW-Fahrern Echtzeit-Informationen zu Frachtaufträgen und zur Verkehrslage bereitstellen. Dadurch sollen Staus im Hafen und auf den Zufahrtswegen sowie Wartezeiten minimiert und der Warenfluss optimiert werden. Die IT-Logistikplattform ist mit mobilen Applikationen ausgestattet, über die Lkw-Fahrer Verkehrsinformationen und Dienstleistungen rund um den Hafen mithilfe mobiler Endgeräte wie Tablet-PCs oder Smartphones abrufen können.
Drive Now
In kaum einem Industriezweig vollzieht sich die Digitalisierung so vielschichtig wie im Automotive-Sektor. Einen besonderen Stellenwert nehmen dort seit einigen Jahren die "individuellen Mobilitätsleistungen" ein - besser bekannt unter dem Schlagwort Carsharing. Der Münchner Autobauer BMW hat gemeinsam mit seiner Tochter Mini und dem Autovermieter Sixt das DriveNow-Programm ins Leben gerufen. Gefunden und gebucht wird ein Fahrzeug in der Nähe per Smartphone-App, bezahlt wird per Kreditkarte.
SK Solutions
SK Solutions koordiniert mithilfe einer neuen Plattformlösung Kräne und andere Maschinen auf Baustellen. Eingebaute Sensoren sammeln Echtzeit-Daten für die Live-Analyse; Bewegung und Steuerung der Baustellenperipherie werden daraufhin automatisch angepasst, um Unfälle und Kollisionen zu verhindern, die sonst - möglicherweise auch erst in einer Woche - passieren würden.
Xbox Live
Disketten und Cartridges sind längst passé - nun wendet sich die Gaming-Industrie langsam aber sicher auch von der Disc ab. Wie Sonys PlayStation Network bietet auch der Xbox Live-Service inzwischen viel mehr als nur Multiplayer-Schlachten. Games- und Video-on-Demand-Dienste machen physische Datenträger nahezu überflüssig. Zahlreiche Apps wie Youtube, Netflix oder Skype verwandeln die aktuellen Spielkonsolen in Multimedia-Stationen.
Novartis & Google
Der Schweizer Novartis-Konzern gehört zu den wenigen großen Playern der Pharma-Industrie, die die Digitalisierung vorantreiben. Zu diesem Zweck haben sich die Eidgenossen die Lizenz gesichert, Googles Smart Lens-Technologie für medizinische Zwecke nutzen und vermarkten zu dürfen. Konkret arbeiten die Wissenschaftler derzeit an neuartigen Kontaktlinsen. Diese sollen sowohl Diabetikern als auch Menschen die auf eine Sehhilfe angewiesen sind, zu mehr Lebensqualität verhelfen. Das funktioniert mittels Sensoren und Mikrochip-Technologie sowie der Koppelung an ein smartes Endgerät. Zum einen soll die Kontaktlinse so in der Lage sein sollen, den Blutzuckerspiegel eines Menschen über die Augenflüssigkeit zu messen, zum anderen die natürliche Autofokus-Funktion des menschlichen Auges wiederherstellen.
Dundee Precious Metal
Die kanadische Minengesellschaft Dundee Precious Metal setzt unter Tage klassische Netztechnik wie WLAN oder 10-Gigabit-Glasfaser ein, um den Bergbau zu automatisieren und Edelmetalle effizienter zu fördern. Laut CIO Mark Gelsomini arbeitet das Unternehmen dank der neuen Technik nun 44 Prozent effizienter.<br /><br />Im ersten Schritt wurden klassische Kommunikations-Devices auf Voice over IP und Voice over WLAN umgestellt sowie neue Sensorsysteme verbaut. Fernziel ist, dass die Geräte unter Tage künftig ferngesteuert von der Oberfläche gesteuert werden, um so die Zahl der Bergleute, die einfahren müssen, zu reduzieren.
Axel Springer
Beim größten deutschen Medienhaus Axel Springer nimmt die Digitalisierung einen hohen Stellenwert ein. Im Jahr 2012 erwirtschaftete Springer mit den digitalen Medien erstmals mehr als mit seinen Print-Erzeugnissen. Doch nicht nur Paid-Content-Modelle wie "Bild Plus" sorgen für klingelnde Kassen - auch das Jobportal Stepstone.de, die Beteiligung an der Fitness-App Runtastic, die Etablierung des Reisemagazins travelbook.de, sowie zuletzt die Übernahme der Plattform Immowelt zeugen von dieser Entwicklung.
General Motors
General Motors hat eine eigene Software-Entwicklungsabteilung mit 8000 Developern aufgebaut und damit einen Outsourcing-Vertrag mit HP abgelöst, der den Konzern drei Milliarden Dollar im Jahr kostete. Der Autobauer entwickelt die Software-Lösungen für seine Autos und den internen Gebrauch nun komplett selbst, um besser auf Kundenwünsche eingehen zu können.
Deichmann
Wenn es um Schuhe geht, ist derzeit kein Unternehmen in Deutschland erfolgreicher als Deichmann. Das dürfte auch daran liegen, dass das Familien-Unternehmen als erster Schuhhändler Deutschlands einen Online-Shop installierte - im Jahr 2000. Inzwischen fährt Deichmann eine Omnichannel-Strategie und möchte den Online-Handel konsequent mit klassischen Einzelhandels-Geschäftsmodellen verknüpfen...
Deichmann
... Konkret sollen im Herbst die beiden Modelle "Ship2Home" und "Click&Collect" starten: Kunden sollen Schuhe, die im Laden nicht auf Lager sind, bequem nach Hause ordern können oder - andersherum - online in die Filiale. Social Networking, Blogging und Apps gehören ebenfalls zum Konzept von Deichmann. Dabei scheut man sich auch nicht davor, neuartige Konzepte zu testen. So bot das Unternehmen für einige Zeit auch virtuelle Schuhanproben an - die sich allerdings nicht durchsetzten.
Kreuzfahrtschiff "Quantum of the Seas"
Satelliten-Wifi auf Hochsee, Cocktails an der Bionic-Bar, digitaler Meerblick in der Innenkabine, bargeldloses Zahlen an Bord mit RFID-Armbändern und lückenloses Gepäck-Tracking: Die "Quantum of the Seas" von Royal Carribean kreuzt als schwimmendes High-Tech-Paradies in der Karibik und lässt keinen Geek-Wunsch offen.
Rewe
Die Frankfurter Allgemeine bescheinigt dem Lebensmittel-Konzern, es sei "wie kein anderes in seiner Branche dem Zeitgeist gnadenlos auf der Spur". Dabei ist die Rewe Group im Vergleich zum Konkurrenten Tengelmann erst recht spät auf den Digitalisierungszug aufgesprungen. Der erste Schritt war die Einführung von Online-Bestellungen, ...
Rewe
... inzwischen erlauben viele Rewe-Kassenterminals auch die Bezahlung per Smartphone. Überraschend hat sich das Unternehmen Anteile am Online-Möbelhändler Home24 gesichert. Warum? Rewes E-Commerc-Chef Lionel Sourque verrät: "Wir müssen von diesen Verrückten lernen, denn uns fehlt das Online-Gen in unserer Händler-DNA."
Commonwealth Bank of Australia
Die Commonwealth Bank of Australia ist das beste Beispiel dafür, dass es sich lohnt, beim Thema Digitalisierung Early Adopter zu sein. Im Jahr 2008 lief die digitale Umstrukturierung an - inzwischen hat das australische Finanzinstitut alle Privat- und Unternehmenskonten in ein einheitliches digitales System übertragen und ist dank neuer Strukturen laut den Management-Beratern von Bain&Company die Nummer 1 in Australien beim Online-Banking. In der Gunst der jungen Kunden liegt das nahezu vollständig digitalisierte Finanzinstitut ebenfalls an erster Stelle.

Microsoft selbst sieht von Rottkay in der Rolle als Technik- und Plattformlieferant, um die Grundlagen für neue Produktions- und Fertigungsszenarien zu schaffen. In diesem Zusammenhang verwies der Manager auf verschiedene Leitplanken für die künftige Strategie des Softwarekonzerns. Dazu gehöre beispielsweise mehr Offenheit. Rottkay verwies in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit, in Verbindung mit Microsoft-Anwendungen auch konzernfremde Online-Speicherdienste wie Dropbox nutzen zu können. Bessere Integrationsmöglichkeiten gebe es beispielsweise durch die Nutzung von Linux auf Microsofts Cloud-Plattform Azure.

Außerdem verwies der Manager auf mehr Kooperationen mit anderen Anbietern wie IBM, Oracle, Salesforce und SAP. Kunden hätten zudem heute mehr Transparenz darüber, was die Entwicklungsstrategie Microsofts betrifft. Das werde deutlich an den über zwei Millionen Downloads der Preview von Windows 10. Rund 800.000 Feedbacks habe der Hersteller dazu bekommen, die in die Fertigstellung des finalen Release mit einfließen sollen. Außerdem habe der Konzern mittlerweile seine Cloud-Roadmap öffentlich gemacht.

Socken, Aufzüge und Wasserhähne werden intelligenter

Wie sich die Microsoft-Produkte im Rahmen der Digitalisierung nutzen ließen, präsentiert der Konzern auf der CeBIT anhand verschiedener Beispiele. Dazu gehört beispielsweise die "smarte Socke" von Sensoria und Jack Wolfskin. Sensoren könnten Daten über den Laufstil des Trägers sammeln und so Hinweise auf das richtige Schuhwerk beziehungsweise das Training geben.

Die ThyssenKrupp Elevator AG hat zusammen mit Microsoft und dem Dienstleister CGI ein intelligentes MonioringSystem entwickelt, mit dessen Hilfe sich Aufzüge vernetzen und überwachen lassen. Mit Hilfe von Microsft Azure Machine Learning sei zudem gelungen ein neues präventives Wartungssystem zu bauen. Anstatt erst im Fall einer Störung zu reagieren, könnten nun Service-Techniker bereits vor dem drohenden Ausfall eines Fahrstuhls eingreifen. "Wir diitalisieren unser Industrieprodukte und erweitern so unser Geschäftsmodell, erklärte Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender von ThyssenKrupp Elevator.

Der Armaturen-Hersteller Dornbracht baut auf Microsoft-Technik, um Wasseranwendungen in Bad, Spa und Küche intelligenter steuern zu können. CTO Matthias Dornbracht zeigte ein App, mit der sich der Temperatur und Wassereinlauf in einer Badewanne per Tablet steuern ließen. Ein weiteres Szenario seien vernetzte Duschanwendungen in Hotels. Das System sei in der Lage, die Duschgewohnheiten der Gäste zu lernen. Damit könnte die Zimmerbelegung wie auch die Wassererwärmung besser an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Das spare Energie und Kosten. Als Mittelständler müsse man die Chancen der Digitalisierung nutzen, sagte Dornbracht. Man müsse die eigene Vorstellungskraft radikal erweitern und kreativ werden.

Wo und in welchem Umfang konkret Microsoft-Produkte in den genannten Einsatzszenarien zum Einsatz kommen, blieb indes unklar. Von Rottkay sprach von einer ganzen Palette verschiedener Techniken und Produkte, die hier ineinander griffen. Als zentrale Plattform für die Anwendungen identifizierte der Manager jedoch die Cloud-Plattform Azure.