Upgrade-Politik in der Kritik

Microsoft drückt Windows 10 mit aller Macht in den Markt

08.02.2016 von Martin Bayer
Windows 10 sei das sich am schnellsten ausbreitende Windows aller Zeiten, frohlockt das Microsoft-Management. Maßgeblich dazu beitragen dürfte die noch bis Mitte des Jahres angebotene Option, Rechner mit den älteren Releases Windows 7 und 8.1 kostenlos auf den neuesten Windows-Stand zu bringen.

Das Betriebssystem mag besser sein als seine Vor­gänger und so manchen Fehler der Vergangenheit ausbügeln. Doch mit seiner Politik, die User regelrecht zum Upgrade zu drängen und ihnen die Installationsdateien quasi unter der Hand auf den Rechner zu schmuggeln, macht sich der Software­konzern nicht nur Freunde.

Schnell und umfassend sollte sich Windows 10 im weltweiten IT-Kosmos ausbreiten. Das war die oberste Maxime der Microsoft-Strategen in Redmond, als sie das neue Betriebssystem Mitte vergangenen Jahres auf den Weg brachten. Der Plan scheint aufzugehen, vor allem auch im Zuge des kostenlosen Upgrades, das der weltgrößte Softwarehersteller Anwendern von älteren Windows-Releases noch bis Ende Juli dieses Jahres anbietet. Anfang 2016 vermeldete die Microsoft-Spitze neue Rekordzahlen, was die Verbreitung von Windows 10 anbelangt. In einem Blog-Eintrag sprach der Softwarekonzern von über 200 Millionen Devices, die weltweit mit Windows 10 liefen. Damit lege die neue Generation das schnellste Wachstumstempo aller bis dato herausgekommenen Windows-Versionen an den Tag.

In die jüngsten Zahlen eingerechnet ist jedoch auch die Spielekonsole Xbox. Die Zahl der unter Windows 10 laufenden PCs taxierten die Web-Analysten von Net Applications zu Jahresanfang auf 164 Millionen Rechner. Damit seien im Dezember 2015 rund zehn Prozent aller PCs weltweit mit dem neuen Microsoft-System gelaufen. Allerdings habe sich das Wachstum mittlerweile verlangsamt. Legte der Marktanteil in den Monaten zuvor noch um 1,4 beziehungsweise 1,3 Prozentpunkte zu, waren es im Dezember nur noch 1,1 Prozentpunkte. Nichtsdestotrotz hält Microsoft an seinen ambitionierten Zielen für Windows 10 fest. Bis 2018 soll das System weltweit auf einer Milliarde Geräte laufen, lautet die Maßgabe von CEO Satya Nadella.

Zumindest im Business-Umfeld könnte die Microsoft-Rechnung aufgehen. So schnell wie auf Windows 10 hätten die Unternehmen nach Schätzungen von Gartner noch nie auf ein neues Betriebssystem von Microsoft gewechselt. Die Marktforscher rechnen damit, dass bis Januar 2017 insgesamt die Hälfte aller Firmen weltweit mit der Installation von Windows 10 begonnen haben werden. "Wir gehen davon aus, dass Unternehmen deutlich schneller als noch bei Windows 7 wechseln werden", prognostizierte Gartner-Analyst Steve Kleynhans.

PC-Plattform erodiert immer weiter

Auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick überzeugend wirken, hat Microsoft ein Pro­blem. Windows 10 ist ein Betriebssystem für den PC – und diese Geräteklasse ist weltweit auf dem Rückzug. Laut den Marktforschern von IDC ist der Absatz im vergangenen Jahr auf den tiefsten Stand seit 2008 gesunken. Weltweit verkauften die Hersteller 2015 insgesamt 276,2 Millionen Rechner, das waren 10,4 Prozent weniger als noch vor einem Jahr.

Als Ursachen für die schwindenden Absatzzahlen identifizierten die Analysten eine weiterhin sehr starke Nachfrage nach mobilen Endgeräten wie beispielsweise Smartphones und – die kostenlose Upgrade-Möglichkeit auf Windows 10. Nachdem viele Anwender wohl mit dem Abschied von Windows XP und dem Wechsel auf Windows 7 einen neuen Rechner angeschafft haben, sehen sie nun wenig Anlass, sich erneut einen PC zuzulegen, zumal es die Hardwareanforderungen meistens nicht verlangen. Damit bleibt der Effekt aus, an den die PC-Hersteller seit vielen Jahren gewöhnt waren: dass mit dem Release eines neuen Windows automatisch auch der PC-Verkauf angekurbelt wird.

Vertreter aus der PC-Industrie kritisieren mittlerweile offen die "Gratispolitik" Microsofts. "Ich glaube nicht, dass die Upgrade-Strategie von Microsoft richtig war", sagte erst kürzlich Yang Yuanqing, CEO des weltgrößten PC-Herstellers Lenovo, in einem Interview mit der "dpa". Windows 10 sei zwar ein gutes System, hätte jedoch vor allem mit neuen Geräten eingeführt werden sollen, die optimal auf das neue Windows abgestimmt sind. Das beschere den Kunden dann auch ein PC-Erlebnis, mit dem sie zufrieden seien. Installiere man Windows 10 dagegen auf älteren Maschinen, stelle sich diese positive Erfahrung nicht ein – im Gegenteil: Häufig tauchten Probleme auf, deretwegen sich Kunden beschwerten.

Mittlerweile häufen sich aber auch die Beschwerden von Kunden über die allzu offen­siven Upgrade-Maßnahmen Microsofts. So bekommen sämtliche Rechner, die unter Windows 7 beziehungsweise 8.1 laufen, automatisch über das Windows-Update die Installationsdateien – immerhin bis zu rund 6 GB – für Windows 10 aufgespielt, auch wenn die Nutzer ihr Betriebssystem gar nicht upgraden wollen. Diese Praxis beschäftigt mittlerweile auch die Gerichte. So spricht die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg von "Zwangs-Downloads" und geht seit Mitte Dezember 2015 dagegen vor. "Diese Geschäftspraxis ist inakzeptabel, da sie eine unzumutbare Belästigung darstellt", bewertet Cornelia Tausch, Vorstand der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, die Praxis von Microsoft. Nutzer müssten sich nach dem Download aktiv um eine Beseitigung der Installationsdateien bemühen.

Zwangs-Downloads füllen Speicher

Problematisch ist das Vorgehen aus Sicht der Verbraucherschützer, wenn Anwendern nur wenig Speicherplatz auf ihrer Festplatte oder SSD zur Verfügung steht. Auch bei Internet- Anschlüssen, die nur ein bestimmtes Daten­volumen im Monat zulassen, könne ein solcher "Zwangsdownload" zu Problemen führen. Die Verbraucherschutzzentrale hat Microsoft deshalb bereits abgemahnt. Allerdings habe sich der Konzern bis dato geweigert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. "Wir werden die Geschäftspraxis von Microsoft daher einer gerichtlichen Prüfung unterziehen", stellte Tausch klar.

Ärger gibt es zudem noch an anderen Stellen. Seit Anfang Dezember vergangenen Jahres häufen sich im Netz die Klagen von Nutzern, deren Rechner nach dem Windows-10-Upgrade nicht mehr richtig funktionierten. Microsoft droht in diesem Zusammenhang eine Sammelklage. Dazu kommt, dass immer noch zahl­reiche Hardwaretreiber von Windows 10 nicht unterstützt werden. Der Support etlicher PC-Hersteller, darunter auch renommierter Namen wie Dell und Hewlett-Packard, habe daher einzelnen Kunden mit bestimmten Schwierigkeiten geraten, das Problem mit einem Downgrade zu lösen, berichtete das amerikanische Online-Magazin "Laptop Mag" im vergangenen November.

Bei den Desktop-Betriebssystemen ist Windows 10 seinen Vorgängern 8.1 und XP auf den Fersen. Deutlich in Führung liegt allerdings nach wie vor Windows 7.
Foto: NetMarketShare

Für Ärger sorgt auch, dass Windows 10 mehr Daten über das Nutzungsverhalten der User sammelt als jedes andere Windows-System zuvor. Werkzeuge wie die Sprachassistentin Cortana sowie der neue Browser Edge speichern Vorlieben der Anwender und schlagen darauf basierend bestimmte Apps und Dienste vor. Viele dieser Schnüffelfunktionen sind standardmäßig aktiviert. Experten raten den Nutzern daher, schon bei der Installation von Windows 10 nicht die Standardeinstellungen zu übernehmen, sondern die Konfiguration der Privatsphäre selbst in die Hand zu nehmen.

Das ultimative Windows: Laufend neue Updates

Währenddessen halten die Microsoft-Strategen unbeirrbar an ihrem Kurs fest. Künftig will der Hersteller sein Windows-System laufend inkrementell weiterentwickeln. Anwender sollen neue Funktionen der nächsten Stufen im Zuge von Updates automatisch eingespielt bekommen. Dabei wird es keine Major-Releases mehr geben, sondern nur mehr verschiedene Versionen von Windows 10, die fortlaufend durchnummeriert werden. So kam das große Herbst-Update 2015 – Codename „Treshold“ – unter der Version 1511 auf die Rechner der Anwender. Und die nächsten Erweiterungen stehen bereits an. Mitte Januar wurde die zweite Insider-Preview für die im Sommer geplante Ausbaustufe „Redstone“ gestartet.

Microsofts Tops & Flops 2015 -
Top: Windows 10
Mit Windows 10 hat Microsoft seinem Betriebssystem eine lange überfällige und dringend notwendige Frischzellenkur verpasst. Und im Großen und Ganzen haben die Redmonder einen guten Job gemacht: Die Nachteile von Windows 8 wurden überwunden, die Vorteile von Windows 7 zurückgebracht. Dazu hielten Neuerungen wie die digitale Assistentin Cortana oder die Universal Apps Einzug. Das schlagkräftigste Argument für Windows 10 dürfte allerdings das Gratis-Update für Windows 7 und 8-Nutzer sein. Natürlich gibt es auch am neuen Windows-Betriebssystem Schattenseiten: Update-Zwang und Dauer-Überwachung sorgen für Kritik. Dennoch: Windows 10 ist das beste Microsoft-OS seit Windows 7.
Flop: Microsoft Edge
Bislang ist uns nicht wirklich klar, was Microsoft mit dem Release des neuen Edge-Browsers erreicht hat. Klar, Edge ist sicherer als der Internet Explorer und außerdem integraler Bestandteil von Windows 10. Allerdings konnte der IE-Nachfolger in Performance-Tests zunächst nicht mit der Konkurrenz mithalten. Auch wenn erste Updates für Besserung bei der Performance gesorgt haben - fehlende Funktionen und Features sorgen dafür, dass wir Microsofts Edge erst einmal weiterhin nur dafür verwenden, die Konkurrenz-Produkte von Mozilla, Google und Co. herunterzuladen. Auf Windows Phones präsentiert sich Edge übrigens deutlich besser.
Top: Surface Pro 4 & Surface Book
Und auf einmal war Microsoft ein ziemlich hipper Hardware-Hersteller: Mit dem Surface Pro 4 konnte Microsoft den ohnehin schon grandiosen Vorgänger noch einmal übertrumpfen. Das neue Design sorgt in Kombination mit den aktuellen Intel Skylake-Prozessoren dafür, dass Hitzeprobleme beim Surface der Vergangenheit angehören. Das Surface Book ist hingegen ein echter "Showstopper": ein 2-in-1, in dessen Keyboard eine GPU und ein Zusatzakku "wohnen" ist einfach verdammt cool. Doch auch hier gibt es Licht und Schatten: Aktuell haben beide Devices mit Driver-Problemen zu kämpfen - ganz ähnlich wie das Surface Pro 3, als es frisch auf dem Markt war.
Flop: Windows 10 Mobile
Die mobile Version von Windows 10 bietet hingegen wenig Anreiz für Android- und Apple-User, die Seiten zu wechseln. Insbesondere der - verglichen mit der Konkurrenz - immer noch spärlich befüllte Windows App Store dürfte für viele Smartphone-Fetischisten ein Ausschlusskriterium darstellen. Continuum als einziges, echtes Alleinstellungsmerkmal ist zu wenig.
Top: HoloLens
Obowohl noch kein Release-Termin für Microsofts AR-Device feststeht, kann man HoloLens ohne Zweifel als Erfolg für die Redmonder verbuchen. Denn die Enthüllung der Augmented-Reality-Brille hat im Januar für mehr Furore gesorgt, als jedes bisher erschienene Microsoft-Produkt. Die ersten Hands-Ons waren zudem ziemlich beeindruckend. Schade ist allerdings, dass HoloLens erst im Laufe des Jahres 2016 erhältlich sein wird - und dann vorerst nur für Entwickler. Eigentlich ist sich niemand wirklich sicher, was man überhaupt genau mit dem Ding anfangen soll. Und wieviel es kostet. Und überhaupt. Aber die Technologie ist beeindruckend.
Flop: Microsoft Band 2
Was ist schwarz wie HoloLens, geformt wie HoloLens, aber dennoch ein - naja - nicht ganz so faszinierendes Stück Technik? Richtig - das Microsoft Band 2. Die zweite Generation des Microsoft Fitness-Trackers überzeugt genauso wenig wie die erste. Der Grund: Verglichen mit der iOS- und Android- Konkurrenz mangelt es an Anwendungen. Zwar liefern die Redmonder auch für das Band regelmäßig Updates, aber bislang reichen die Bemühungen einfach nicht aus, um auf dem Wearables-Markt Fuß zu fassen. Vielleicht warten die Jungs um Satya Nadella aber auch nur auf den Start von Windows 10 IoT?
Top: Continuum
Das Windows 10 Mobile-Feature Continuum birgt hingegen Begeisterungspotential. Ja, man braucht dazu Peripherie (entweder das Microsoft Display Dock oder ein Miracast-Dongle), aber Continuum macht das Smartphone zum PC. Insbesondere im Zusammenspiel mit den hauseigenen Office-Apps zeigt sich, dass Continuum ein echtes Alleinstellungsmerkmal von Windows Phone und Windows 10 Mobile ist.
Flop: Project Astoria & Islandwood
Mit den Plänen, iOS- und Android-Apps auf die Windows-Plattform zu portieren überraschte Microsoft in diesem Jahr. Entsprechend enttäuschend war dann die mehr oder weniger sang- und klanglose Einstellung von Project Astoria (Android). Project Islandwood (iOS) ist demnach derzeit die einzige Hoffnung für App-Junkies. Allerdings befindet sich das Projekt in einem "Alpha Preview"-Stadium - eventuell gibt es auf der nächsten Build-Konferenz mehr Infos.
Top: Xbox One Experience
Die Windows-10-Erfahrung auf Microsofts Spielkonsole Xbox One profitiert von zwei entscheidenden Neuerungen: das Streamen von Xbox-Spielen auf den PC und die Rückwärtskompatibilität für zig Spieletitel der Vorgänger-Konsole Xbox 360. Noch dazu ist auch das Win10-Update für die Xbox One kostenlos. Das neue Design kommt zwar nicht bei jedem Xbox-Besitzer gut an, bietet jedoch eine wesentlich bessere Übersicht. In den nächsten Monaten folgen weitere Features: Unter anderem wird Cortana bald auch auf der Xbox One assistieren.
Flop: Einschränkungen bei OneDrive
Zum Ende des Jahres haben sich die Jungs von Microsoft noch einen groben Schnitzer erlaubt. Zunächst versprach man seinen (Consumer-)Kunden unbegrenzten Cloud-Speicher, dann war wie aus dem Nichts plötzlich alles anders. Die Kunden liefen Amok, Microsoft entschuldigte sich. Ein fader Beigeschmack bleibt.
Top: Office 2016
Microsofts Dauerbrenner Office kommt in der 2016er Version mit zahlreichen Verbesserungen daher. Insbesondere in Sachen Collaboration haben die Redmonder aufgesattelt. Das dürfte Enterprise-Kunden freuen und dafür sorgen, dass Microsoft Office auch künftig in der sich stark wandelnden Software-Branche seinen Platz hat.