Spielzeug für Linux-Frickler

Meizu MX4 Ubuntu Edition im Praxistest

08.08.2015 von Manfred Bremmer
Mit dem Meizu MX4 bekommt Ubuntu Touch/Phone nun endlich die Hardware, die es verdient hat: Das mit Octacore-Chipsatz und anderen Highend-Features ausgestatte Smartphone zeigt aber auch auf, dass das Linux-Betriebssystem noch lange nicht marktreif ist.

Ubuntu-Hersteller Canonical bemüht sich schon seit geraumer Zeit, mit seinem Linux-Betriebssystem auch den Smartphone-Markt zu beglücken. Nachdem 2013 eine großangelegte Kampagne auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo, bei der 32 Millionen Dollar eingesammelt werden sollten, kläglich scheiterte, ging der Plan zwei Jahre später gleich mehrmals auf. Einigermaßen zumindest. So stehen mit dem BQ Aquaris E4.5, dessen großen Bruder E5 HD und dem Meizu MX4 Entwicklern und Linux-Anhängern aktuell sogar gleich drei Smartphones mit dem mobilen Linux-Derivat zur Verfügung.

Das Meizu MX4 Ubuntu Edition setzt das noch junge Mobile-Betriebssystem angemessen in Szene.
Foto: Meizu

Den von Canonical angepeilten Desktop-Modus, eine Art Heiliger Gral für die Ubunut-Anhänger, kann man derzeit allerdings selbst bei dem stärksten der drei Modelle, dem hier stellvertretend getesteten Meizu MX4, nicht ausprobieren: Der verbaute Octacore-Prozessor von Mediatek (MT6595) und 2GB RAM reichen nicht aus, damit das Smartphone nach Anschluss von Monitor, Tastatur und Maus als PC-Ersatz arbeiten kann.

Konvergenz, der heilige Gral der Ubuntu-Anhänger, wird leider auch mit dem Meizu MX4 nicht erreicht.
Foto: Canonical

Von diesem Manko abgesehen, bietet das Meizu-Flaggschiff hardwaretechnisch die besten Grundlagen, um Ubuntu Phone gut in Szene zu setzen: Das optisch stark an die ersten Entwürfe (!) für das iPhone 6 erinnernde Smartphone verfügt über einen 5,36-Zoll-IPS-Display mit 1920 x 1152 Pixeln Auflösung (417 dpi), der in einem zierlichen, seitlich nur 2,6 Millimeter dünnen Rahmen steckt.

Auch die übrige Ausstattung kann sich sehen lassen: So bediente sich Meizu beim Akku aus dem Repertoire von Sony und spendierte dem MX4 eine leider fest verbaute 3.100 mAh-Batterie. Ebenfalls von den Japanern kommt der aus der aktuellen Xperia-Z-Serie bekannte Kamerasensor IMX220 Exmor RS. Das Modul schießt Bilder mit 20,7-Megapixel-Auflösung sowie 4k-Videos - beides wie sich herausstellte aber leider nur in der normalen Android-Version. Außerdem unterstützt das Meizu MX4 Ubuntu Edition GSM, UMTS, LTE (Cat 4) sowie WLAN-ac und funkt mit Bluetooth 4.0. Auf NFC wurde indes verzichtet. Für die Navigation ist ein GPS-Empfänger mit Glonass-Unterstützung an Bord.

Gewöhnungsbedürftige Software

Gestensteuerung: Wischt man von unten Richtung Displaymitte erscheint eine Gesamtansicht aller installierten Scopes.

Während es bei der Hardware keine Unterschiede zur Android-Version des Meizu MX4 gibt, geht das Gerät beim Betriebssystem eigene Wege. Anders als etwa das von Samsung genutzte Tizen imitiert Ubuntu Touch (konkret Version 15.04 (r2)) nämlich nicht einfach die Android-Oberfläche, sondern setzt auf eine eigene Benutzerführung. Dies sorgt für willkommene Abwechslung von der mehr oder weniger bekannten Bedienung von iOS-, Android- Windows Phone oder noch Blackberry-Geräten, erfordert jedoch auch ein Umdenken. So gibt es bei Ubuntu Phone nicht (nur) das übliche App-System, sondern die Scopes genannten Themensammlungen, zu denen man durch horizontales Wischen vom linken Rand weit Richtung Mitte Seite gelangt.

Bei den Scopes handelt es sich um spezielle Übersichtsseiten, vergleichbar mit Widgets unter Android, in denen die Inhalte aus verschiedenen relevanten Quellen zu einem bestimmten Thema wie "Heute", "Nearby", "Musik" oder "Video" zusammenlaufen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Inhalte lokal gespeichert sind oder im Web vorgehalten werden (Beispiel Youtube-Videos). Auf dem Ubuntu-Gerät sind bereits etliche Scopes vorinstalliert, weitere finden sich im Ubuntu Store. Mit etwas Programmierfertigkeit soll es zudem möglich sein, Scopes nach eigenen Vorstellungen zusammenzustellen. Hier bietet sich möglicherweise auch eine Gelegenheit für Medienunternehmen, sich mit einem eigenen Scope bei einem Markterfolg von Ubuntu Phone ganz vorne zu positionieren.

Für die installierten Apps gibt es einen eigenen Scope, gleichzeitig ist es möglich, seine App-Favoriten links in die versteckte Seitenleiste zu pinnen - diese wird erst nach einem leichten Wischer von der linken Seite sichtbar. Oben befindet sich noch eine Schnellzugriffleiste, zieht man die Leiste über einem Symbol nach unten, öffnet sich ein Menü für verschiedene thematisch passende Einstellungen. Wischt man von unten Richtung Displaymitte erscheint eine Gesamtansicht aller installierten Scopes.

Bedingte Alltagstauglichkeit

Die bei Ubuntu Phone realisierte Gestensteuerung hat natürlich ihren Charme, erfordert aber auch einen gewissen Lernaufwand und birgt die Gefahr, Neugierige abzuschrecken. Dies gilt auch für die langen Ladezeiten von gut drei Sekunden, die regelmäßig beim Öffnen eines neuen Scopes oder einer App auftraten. Diese Verzögerungen wurden bereits beim Testen eines anderen Ubuntu-Phones, dem Aquaris E4.5 Ubuntu Edition von BQ, beobachtet und der schwächeren Hardware zugeschrieben. Wie der Vergleich mit dem Meizu MX4 zeigte, ist eher die Software schuld - ein Problem, das Canonical schleunigst in Ordnung bringen sollte.

Wie erschwerend hinzukommt, zeigt sich die bedingte Alltagstauglichkeit von Ubuntu Phone auch noch anderen Stellen. So wurde etwa das Testgerät bei der Nutzung ungewöhnlich heiß und zeigte sich trotz 3.100 mAh-Akkus wenig ausdauernd - länger als einen Tag hielt das Smartphone auch bei mäßigem Gebrauch nie durch. Für den Einsatz im Unternehmensumfeld wurden etwa die fehlende Unterstützung von Exchange oder WLANs mit RADIUS-Absicherung vermisst.

Apps sind noch Mangelware

Daneben fehlen natürlich auch zahlreiche Apps für die private oder berufliche Nutzung - ein typisches Henne-Ei-Problem, mit dem neben Playern wie Jolla auch größere Anbieter wie Microsoft oder Blackberry zu kämpfen haben. Immerhin ist zur Navigation Nokia Here als native App verfügbar, bei Facebook und Twitter behilft man sich mit Web-Apps, bei anderen gewohnten Anwendungen sieht es hingegen mau aus.

Im Ubuntu Store finden sich Scopes und Apps - nur leider nicht sehr viele.

Wie es sich für eine anständige Linux-Distribution gehört, gibt es auch für Ubuntu Phone ein Terminal als Alternative zur grafischen Benutzeroberfläche. Die Konsole ist allerdings nicht vorinstalliert, sondern muss über den Ubuntu Store geholt werden. Anschließend können zumindest Linux-Experten damit das Gerät rooten und allerhand Schabernack veranstalten - der Autor dieses Artikels kennt sich leider damit nicht aus und zieht die moderne Fingerbedienung der Eingabe von Kommandozeilen vor.

Fazit: Was lange währt…ist leider noch nicht gut

Bei allem Charme, den das Bedienkonzept von Ubuntu Phone mit sich bringt: Das System ist nur sehr bedingt alltagstauglich und auch das Meizu MX4 Ubuntu Edition daher bestenfalls als Zweit- oder Dritthandy nutzbar. Die Gründe dafür sind vielfältig: Fehlende Apps, keine Exchange-Unterstützung, eine sehr kurze Akkulaufzeit und - besonders schwerwiegend - die langen Ladezeiten von Apps und Scopes.

Echte Ubuntu-Fans, die das Gerät ohnehin die Hälfte der Zeit über das Terminal bedienen, werden vermutlich gnädig über solche Kinderkrankheiten hinweg sehen. Problematisch ist dagegen, dass die Ubuntu-Smartphones bereits relativ problemlos für Otto Normalverbraucher erhältlich sind: Das 300 Euro teure Meizu MX4 sowie die mit 170 (BQ Aquaris E4.5 Ubuntu Edition) beziehungsweise 200 Euro (BQ Aquaris E5 HD Ubuntu Edition) günstigeren BQ-Geräte können bei Meizu beziehungsweise im Online-Shop der Spanier bestellt werden.

Falls der Linux-Distributor Canonical an seinem Plan festhält, Ubuntu Phone zu einem ernsthaften Konkurrenten von Android, iOS & Co. aufzubauen, sollte er entweder bei der Entwicklung mehr Gas geben - oder die Verfügbarkeit entsprechender Geräte wie zu Beginn stark limitieren, um den Ruf des Betriebssystems nicht von vorneherein zu ruinieren.

Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition
Aquaris E5 HD Ubuntu Edition

Was das Meizu MX4 Ubuntu Edition als Hardwareplattform betrifft, ist es mit seinem hochauflösenden Bildschirm und der schicken Optik sicher ein mehr als angemessenes Smartphone für das neue Betriebssystem. Wer als echter Ubuntu-Fan nur die weitere Entwicklung von Ubuntu Phone im Blick behalten will, kann dies aber sicher auch mit einem der beiden BQ-Smartphones tun - diese sind auch nicht unansehnlich, deutlich günstiger und erfüllen ebenfalls ihren Zweck.

Aquaris E4.5 Ubuntu Edition
Aquaris E4.5 Ubuntu Edition
Aquaris E4.5 Ubuntu Edition
Aquaris E4.5 Ubuntu Edition
Aquaris E4.5 Ubuntu Edition
Aquaris E4.5 Ubuntu Edition
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