Chile fördert und unterstützt internationale Startups

Mehr Zukunft als Vergangenheit

16.03.2015 von Dirk Stähler
Wohin gehen Gründer mit innovativen Ideen aber ohne Kapital? Anschubfinanzierungen suchen viele direkt im Silikon Valley und übersehen ein weltweit herausragendes Programm für Gründer.

Wer bereit ist mit ein paar Einschränkungen zu leben, dem bieten sich in der Hauptstadt Chiles - 10.000 Kilometer südlich von San Francisco - Bedingungen, die selbst im Silikon Valley nicht zu finden sind. Aber nicht nur für Gründer ist interessant, was die Regierung des lateinamerikanischen Andenstaates aufgebaut hat. Auch Verantwortliche in Politik und Förderinstitutionen sollten nach Chile schauen, wenn sie Anregungen für das digitale Deutschland suchen.

Start Up Chile Co - Working Gebäude in Santiago de Chile
Foto: Dirk Stähler

In den letzten Jahren hat sich das Land zu einem Magneten für Startups entwickelt. Das 2010 von der staatlichen Wirtschaftsförderung Chiles ins Leben gerufene Programm Start-Up Chile hat maßgeblichen Anteil daran. Es verfolgt das Ziel, Startups aus aller Welt in einer frühen Phase der Gründung - zumindest temporär - in Chile anzusiedeln. Die Teilnehmer erhalten für sechs Monate eine Förderung von ca. 40.000 Dollar, ein Jahresvisum, Büroflächen, Zugang zu internationalen Mentoren und PR-Kanälen. Finanziert wird das Programm aus Geldern des Wirtschafts-, Entwicklungs-, Außen- und Innenministeriums. Das Besondere ist, dass der chilenische Staat im Gegenzug keine Beteiligung an den Startups fordert. Wer dies ließt stellt sich unweigerlich die Frage, wo ist der Haken?

Das Motiv hinter Start-Up Chile

Die chilenische Regierung möchte mit Start-Up Chile keinen Profit durch die schnelle Inkubation und den Verkauf von Unternehmen machen. Ziel ist es, internationales Wissen ins Land zu holen und an die chilenische Gesellschaft weiterzugeben. In einem Land, das noch vor wenigen Jahren von neoliberalen Gedanken der Chicagoer Schule dominiert wurde, ist das ein gewaltiger Schritt.

Start-Up Chile war das erste Programm seiner Art und wird mittlerweile in vielen Ländern kopiert. Vergleichbare Programme existieren mittlerweile in Kanada, Jamaika, Peru, Brasilien und Australien. Aber das Original ist immer noch etwas Besonderes. Luke Ball, Direktor für Acceleration & Experience bei Start-Up Chile, fasst es in einem Satz zusammen: "Weltweit gelingt es keinem anderen Land eine so große Menge an Gründern, in so kurzer Zeit und so erfolgreich durch ein Start-Up Programm zu schleusen. Alle vier Monate nehmen wir 100 neue Gründer auf".

In den letzten fünf Jahren förderte Chile mehr als 1.000 Gründer aus 75 Ländern. Es wird also Zeit nachzuschauen, ob das Programm wirklich die erwarteten Resultate erbringt oder nur eine gut vermarktete Geschichte über den Aufbau der digitalen Industrie in einem Schwellenland ist. Dazu haben wir mit Gründern und den Verantwortlichen gesprochen, kritische Fragen gestellt und Einblicke in Startups am anderen Ende der Welt erhalten.

Was Start-Up Chile auszeichnet

40.000 Dollar ohne Verpflichtung? Nicht ganz. Die ersten 20.000 Dollar erhalten Gründer direkt nach Ankunft im Land. Die zweite Hälfte wird ausgezahlt, wenn eine vorgegebene Anzahl von Punkten "erarbeitet" wurde. Mit einem detaillierten Bewertungssystem steuert die chilenische Regierung den Nutzen für Gründer und Gesellschaft. Es geht nicht ausschließlich um den wirtschaftlichen Erfolg der geförderten Unternehmen. Natürlich sollen sie erfolgreich am Markt agieren und sind angehalten die Fördergelder angemessen zu verwenden. Den Gründern wird aber viel Spielraum eingeräumt.
Nikita Gulin - Gründer von pycno - formuliert den Nutzen für sein Unternehmen: "Gerade für uns als Startup mit eigener Hardwareentwicklung war es besonders interessant schnell einen Prototyp zu entwickeln, ohne dass Geldgeber großen Einfluss auf unsere Arbeiten nehmen. Der Bau von Prototypen erfordert hohe Investitionen, bei denen Kapitalgeber normalerweise mitentscheiden möchten. Bei Start-Up Chile waren wir sehr frei in der Verwendung der Gelder".

"Das erste Ziel der Regierung war es, Chile weltweit als Startup-Standort bekannt zu machen. Dafür war es erforderlich Gründer ins Land zu holen. Das haben wir erreicht. Als nächstes wollen wir Einfluss auf die chilenische Gesellschaft nehmen, selbst High-Tech Unternehmen zu gründen. Da sind wir auf einem sehr guten Weg, wie die Wachstumszahlen bei den Teilnehmern aus Chile zeigen. Die Regierung ist sehr zufrieden mit den Ergebnissen", erläutert Ball den Hintergrund.

Aber es ist kein Laissez-faire. Start-Up Chile behält die Ziele im Blick und steuert das Programm sehr genau. Während des Förderzeitraums von sechs Monaten sind alle Teilnehmer verpflichtet, aktiv Beiträge zur Entwicklung des digitalen Chiles zu leisten. Darunter fallen zum Beispiel Tätigkeiten als Mentoren an chilenischen Universitäten, die Durchführung von regionalen Projekten, die Vorbereitung und Ausrichtung von Workshops für chilenische Gründer oder Publizierungen in internationalen Medien. "Jeder Teilnehmer muss einen Beitrag zur Entwicklung der Startup Szene in Chile leisten. Man bekommt Punkte für die Organisation von Veranstaltungen wie Startup Weekends, Programmier-Workshops für Frauen und vieles mehr. Ich selbst habe rund 50 Personen in verschiedenen Universitäten als Mentor betreut", erklärt Lisandro Pavetti, Gründer von Guarnic. Was zunächst nach Zusatzarbeit klingt, wird von allen befragten Teilnehmern im Ergebnis als sehr wertvolle Erfahrung empfunden.

Pycno-Gründer Nikita Gulin (li.) bei der Arbeit im chilenischen Sommer.
Foto: Dirk Stähler

Seit der Gründung im Jahr 2010 wurden insgesamt rund 50 Millionen Dollar in die Ideen internationaler Gründer und die Entwicklung der Startup Szene in Chile investiert. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von über 260 Milliarden Dollar ist das selbst für das nach OECD Kriterien immer noch als Schwellenland klassifizierte Chile keine große Summe. Und der Erfolg zahlt sich aus. Die Arbeiten von pycno werden zum Beispiel bereits in der chilenischen Landwirtschaft - nach dem Bergbau der wichtigste Industriebereich - getestet. "Für uns ist Chile mit seinen großen landwirtschaftlichen Anbauflächen ideal. In England war es sehr schwierig interessierte Farmer zum Test unserer Prototypen zu bewegen. Britische Farmer haben eigentlich genug von allem. Sie bekommen ausreichend Regen und haben fruchtbares Land. In der Regel wollen sie nichts Neues ausprobieren. Hier war das völlig anders. Es besteht ein Interesse an neuen Ideen. Angefangen bei den Farmern bis zur chilenischen Regierung" erklärt Gulin die Reaktion der hiesigen Wirtschaft auf Start-Up Chile.

Welchen Nutzen hat Chile

Von den 1.000 geförderten Unternehmen verließen 80 Prozent nach sechs Monaten wieder das Land. Davon 34 Prozent in Richtung USA. Ist das Programm vielleicht doch nur für internationale Gründer hilfreich und hat wenig Nutzen für Chile?

"Das sehen wir überhaupt nicht als Problem. Die Unternehmer verlassen Chile in der Regel um die nächste größere Finanzierungsrunde abzuschließen. Bis dahin haben sie aber einen erheblichen Beitrag für den digitalen Wandel im Land geleistet" erklärt Ball.
Auch die Chilenen Javier Smith und Nicolas Justiniano vom Startup EasyPoint sind von dem Nutzen des Programms überzeugt. "Man muss bedenken, dass Start-Up Chile von Null begonnen hat, weshalb wir mit dieser Form der Kritik vorsichtig sind. Aus unserer Generation bleiben jetzt viel mehr Menschen in Chile, da sie in den lokalen Veränderungen eine Chance sehen. Seit Jahren wächst der Anteil der Teilnehmer aus Chile kontinuierlich. In einigen Jahren wird die Mehrzahl aus Chile kommen. Genau das will Start-Up Chile erreichen. Man muss einfach Geduld aufbringen". Justiniano beschreibt es noch deutlicher: "Die ausländischen Gründer haben einen erheblichen Anteil daran die Einstellung in Chile zu verändern. Sie zeigen uns was es bedeutet, wenn man an seine Ideen glaubt und sie umsetzt. Das ist für die Startup Szene in Chile unbezahlbar".

Wo sich Start-Up Chile verbessern muss

Nach dem Ende von sechs Monaten Förderung erhielten nur rund 15 Prozent der Gründer eine Anschlussfinanzierung über private Investoren. "Selbst zu einem unbedeutenden Startup Tag kommen in London 200 Inverstoren. Hier in Chile sind es bei den Demo-Days vielleicht fünf. Man kann sagen es ist ein Teufelskreis: wenn keine Gründer vorhanden sind, kommen keine Investoren - sind keine Investoren da, kommen keine Gründer. Start-Up Chile hat das Problem aber erkannt und versucht mit dem Nachfolgeprogramm Scale gegenzusteuern", erläutert Gulin die Bemühungen Schwierigkeiten in der Anschlussfinanzierung zu beheben.

Pavetti hat eine andere Bewertung der Zahlen. "15 Prozent sind eine Menge. Wir sprechen über die Finanzierung von ein oder zwei Personen, die mit einer Idee in ein fremdes Land kommen um ein Unternehmen zu gründen. Wenn davon 15 Prozent nach sechs Monaten eine Anschlussfinanzierung erhalten sind das sehr gute Ergebnisse. Die Startup Szene in Chile sieht heute ganz anders aus als zum Beginn des Programms im Jahr 2010. Damals haben sich fast keine Chilenen beworben. Heute kommen rund 30 Prozent der Bewerber aus Chile. Man erkennt, dass das Programm einen Einfluss auf die Bereitschaft zur Gründung von Unternehmen hat. Und die Teilnehmer sind nicht nur im Programm weil sie aus Chile kommen. Viele von denen haben tolle Ideen. Man muss es auf lange Sicht betrachten. Chile hat heute eine deutlich interessantere Gründerszene als Argentinien, obwohl dort viel mehr Entwickler ausbildet werden. Wenn man bedenkt, wo die chilenische Startup Szene vor fünf Jahren stand und wo heute, dann ist Start-Up Chile der Motor hinter dem Ganzen".

Aber der Erfolg erzeugt auch organisatorische Probleme. Mit jeder Generation des Programms kommen 100 neue Gründer nach Santiago. Die Verantwortlichen haben wenig Zeit sich um jeden einzelnen zu kümmern. Aber Gründer wären keine guten Gründer, wenn sie dieser Tatsache nicht auch etwas Positives abgewinnen. "Zum Glück sind in jeder Runde 99 andere Startups mit ähnlichen Problemen wie du und die kann man fragen. Das ist auch was einen Gründer ausmacht. Schließlich sind wir Unternehmer und warten nicht bis jemand anderes unser Problem löst. Vielleicht ist es also gar nicht negativ zu betrachten, wenn wir nicht permanent betreut werden", erläutert Pavetti seine Perspektive.

Eine Herausforderung sehen die Gründer in der chilenischen Verwaltung. Besonders deutlich wird das bei dem Bezug von Hardware. Wer nur Software entwickelt bemerkt es kaum. Wer Hardware nach Chile importiert steht vor bürokratischen Hindernissen. Beispielsweise versendet Amazon keine Elektronik nach Chile. Die Beschaffung erfordert kreatives Geschick. Oft helfen Freunde im Ausland Ware einzukaufen und nach Chile weiterzuleiten. Immer sind hohe Importzölle zu zahlen, manchmal über dem Wert der eingeführten Produkte. Ein Problem, das die bereitgestellten 40.000 Dollar schneller schmelzen lässt als erwartet.
Georgiou beschreibt die Strategie von pycno um Kosten niedrig zu halten: "Hardware Startups sollten sich auf ein paar Probleme einstellen. Wir versuchen soviel wie möglich vor Ort zu beschaffen. Zum Beispiel haben wir angefangen die Gehäuse unserer Prototypen direkt in Chile im 3D-Druck herzustellen. Natürlich geht das nicht mit allen Teilen". Sein Partner Gulin ergänzt: "Deshalb sollte sich jeder gut überlegen, ob die 40.000 Dollar die lokalen Herausforderungen aufwiegen. Wenn nicht, dann bleibt man besser in seinem Heimatland".
Alec Dickinson, Gründer von AmberAds ergänzt: "Jeder der nach Chile kommt muss wissen, dass das Programm nicht alle Probleme für dich löst. Du musst selber etwas beitragen".

Startup-Hauptstadt Berlin im Karriere-Atlas 2014
Zahlen und Fakten rund um Berlin
Yourfirm.de hat in seinem Karriere-Atlas 2014 10 deutsche Großstädte miteinander verglichen. Alles, was Sie über die StartUp-Metropole Berlin wissen müssen, sehen Sie hier:
Bronzemedaille
Im Gesamtranking liegt Berlin auf einem guten dritten Platz.
München ...
...liegt mit insgesamt 73,7 von 100 Punkten auf Platz 1. Dank der langfristig ausgelegten Wirtschaftsplanung und den guten Standortbedingungen wächst die Wirtschaft kontinuierlich und macht München zu einem idealen Standort für die Karriere.
Düsseldorf
...auf Platz 2 profitiert wirtschaftlich von seiner Branchenvielfalt und den Standortvorteilen gegenüber anderen Großstädten.
Gehalt
Mit 3.280 € liegt Berlin im Gehaltsvergleich auf Platz 9.
Nur in Leipzig ...
...verdienen Sie mit durchschnittlich 2.850 € pro Monat noch weniger.
Arbeitsplatzzuwachs
Außerdem gibt es in keiner deutschen Großstadt einen höheren Arbeitsplatzzuwachs. Laut der Bundesagentur für Arbeit lag das durchschnittliche Wachstum pro Jahr zwischen 2007 und 2013 in Berlin bei 2,48 %.
Mietpreise
Erschwingliche 8,82 € kostet der m² Wohnfläche in Berlin.
Kulinarische Spezialitäten
Die Currywurst gibt es in Berlin an unzähligen Buden. Sie ist so wichtig für die Stadt, dass es sogar ein eigenes Currywurst-Museum gibt, in dem Besucher die Geschichte der deutschen Currywurst entdecken können.
Berlin hat ...
...3,52 Millionen Einwohner und ist damit...
Deutschlands größte Stadt...
...und natürlich Hauptstadt.
Bildung
Mit 150.000 eingeschriebenen Studenten und dem Technologiepark Adlershof verfügt Berlin über das größte Wissenschafts- und Technologiecluster Deutschlands.
Erholung
Mehr als 2.500 Grün- und Erholungsanlagen bietet die Hauptstadt an der Spree seinen Bürgern zur Entspannung.
Startups
Mit derzeit 2.500 Startup-Unternehmen liegt Berlin bundesweit auf Platz 1 als Startup-Hauptstadt und beliebteste Anlaufstelle für Gründer.

Was Deutschland von Start-Up Chile lernen kann

Internationale Gründer sind sehr mobil. Für die Mehrzahl der befragten Teilnehmer waren die finanziellen Rahmenbedingungen von Start-Up Chile der Grund nach Chile zu kommen. Wer darüber hinaus Erfahrungen in Ländern mit weniger gut funktionierenden staatlichen Strukturen gesammelt hat, nennt als zweiten Grund die stabile politische und ökonomische Situation. Pavetti beschreibt deutlich warum er in Chile ist: "Politisch korrekt ausgedrückt ist es heute ein sehr weiter Weg von Argentinien nach Chile. Wir haben mit unseren Ideen in Argentinien begonnen und fast alle unsere Kunden sind dort. Leider ist es aktuell sehr kompliziert aus Argentinien heraus international zu arbeiten. Es bestehen viele Probleme in den Bereichen Steuern und Finanzen. Die Bedingungen in Chile sind einfach viel besser".

Es wird deutlich, dass internationale Gründer in erster Linie an guten Rahmenbedingungen interessiert sind. Wenn diese stimmen, würden sie auch nach Deutschland kommen. Sie sind aber auch bereit etwas für ihre Gastländer zu leisten, wie das gesellschaftliche Engagement der Teilnehmer in Chile zeigt. Entscheidend ist die richtige Ausgestaltung der Programme.

Auch im risikoscheuen Deutschland sind mehr Gründer eine Zielsetzung. Wir sind bei der Umsetzung dieses Ziels aber noch nicht erfolgreich genug. Gründer aus anderen Ländern könnten auch für Deutschland viel mehr leisten als "nur" Unternehmen aufzubauen. Sie können aktiv als Mentoren an Schulen tätig werden, mittelständischen Unternehmen ohne große Forschungsabteilung bei der Digitalisierung ihres Geschäftes helfen und ganz allgemein ein Verständnis für andere Kulturen und einen weltoffenen Blick fördern. Der finanzielle Aufwand ist, wie das Beispiel Chile zeigt, durchaus überschaubar.

Die in Start-Up Chile investierten Summen sind im Verhältnis zum gesellschaftlichen Beitrag der Gründer gering. Es ist nicht preiswert, kann sich volkswirtschaftlich aber lohnen. Warum gibt es in Deutschland kein vergleichbares Programm in dem internationale Gründer bei der digitalen Entwicklung des Lands mithelfen?

Das Fazit der Gründer

Gulin antwortet auf die Frage was ihm Start-Up Chile gebracht hat zunächst scherzhaft. "Ich wäre nicht so braun geworden", um dann direkt den wohl besten Grund nachzulegen. "Wenn es Start-Up Chile nicht gegeben hätte, wären wir vermutlich immer noch in unseren alten Jobs in London und würden darüber nachdenken wie wir unsere Idee finanzieren". Wenn das kein Argument ist. (bw)