Media Center - Windows im Wohnzimmer

23.10.2003 von ULRIKE GORESSEN 
Seit Jahren reden Branchenkenner vom Home-Entertainment-PC. Bislang ist der Funke beim Endkunden jedoch noch nicht übergesprungen, doch das soll sich jetzt mit dem Windows XP Media Center ändern.

Mit dem Windows XP Media Center versucht Microsoft mit Unterstützung namhafter Hardware-Hersteller einen neuen Multimedia-Standard zu etablieren und Sony bei dessen Alleingang Paroli zu bieten. Das Multimedia-Betriebssystem soll eine neue Ära des digitalen Entertainments einläuten.

Gemeinsam mit namhaften Hardware-Herstellern wie Actebis, FSC, HP, Toshiba, Tarox, Medion, Gericom, Packard Bell, 4MBO oder Vobis wollen die Redmonder dem PC den Eintritt ins Wohnzimmer ermöglichen und ihn dort zum Mittelpunkt machen. Geht es nach dem Willen des Software-Giganten, ersetzt der Computer DVD-Player, Videorekorder, Stereoanlage, Diaprojektor und das Fotoalbum.

Diese Idee hatte auch Sony, und das schon vor fünf Jahren. Der Konzern nennt seine Software Vaio Media. Der Multi aus Japan hat den Vorteil, dass er neben der Software auch Hardware und Peripherie bis hin zu Content aus einer Hand bieten kann. Bereits seit 1998 wird jedes Gerät der Vaio-Familie zusätzlich zum Betriebssystem mit Vaio-Media ausgestattet. PC-Besitzer sollen so Geräte wie Videokameras, Digitalkameras oder MP3-Player anschließen und die selbst zusammengestellten Bilder, Filme und Musik bearbeiten, archivieren und nutzen können.

Die Industrie wittert Chancen

Die Vaio-Idee klingt gut, hat aber einen Haken: Sonys Vorstoß ist eine Insellösung. Die beste Harmonie aller Komponenten ist nur dann gegeben, wenn sie von Sony stammen. Deshalb sehen einige Branchenkenner, wie etwa Intels Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Thiel, für die Microsoft-Variante bessere Zukunftschancen. Seiner Ansicht nach könnte der Media-Center-Standard mit entsprechender Verbreitung und Unterstützung zahlreicher Hardware-Hersteller letzten Endes Einzellösungen wie die von Sony ablösen.

Intel und dem Konkurrenten AMD dürfte es letztlich aber egal sein, welcher Herstellername auf den Home-Entertainment-Geräten steht, Hauptsache, ihr eigener Chip arbeitet darin. Und der Wohnzimmer-PC braucht neben einem gefälligen Design und einfacher Handhabung vor allem eines, schnelles Booten und geräuscharmen Betrieb. Beide Firmen sehen sich durch ihre aktuellen Desktop- und Mobile-Plattformen für diese Aufgabe gerüstet. Und lukrativ scheint der Home-Entertainment-Markt auch zu sein.

So rechnete Bill Leszinske, Intels weltweiter Marketing Director Micro Drives, während der diesjährigen "Computex" vor, dass im nächsten Jahr weltweit neun Millionen digitale Geräte und rund 38 Millionen Wireless-Notebooks verkauft werden. Das Unternehmen geht ebenfalls davon aus, dass dann 32 Millionen Haushalte kabellos vernetzt sein würden. Und das könnte in nächster Zukunft eine erhöhte Nachfrage nach PCs bedeuten.

Deutschland tickt anders

Doch was für die Welt gilt, muss nicht für Deutschland gelten. So beurteilt Jürgen Thiel die künftige Situation hier zu Lande etwas skeptischer als manch anderer aus der Branche. Seiner Ansicht nach wird unter den potenziellen Kunden für das Digital-Home-Konzept im nächsten Jahr noch Zurückhaltung herrschen. Erst ab 2005 hofft er auf ein signifikantes Neugeschäft, ohne jedoch genauere Prognosen über das angestrebte Volumen des neuen Geschäftsfeldes abzugeben.

Selbst die PC-Anbieter, die Microsofts Windows XP Media Center unterstützen, zeigen sich nicht durchgehend euphorisch. Nur wenige Hardware-Hersteller stellten pünktlich zum deutschen Media-Center-Start entsprechende PCs vor. Zu den prominentesten "Bekennern" gehören Toshiba und Fujitsu Siemens Computers (FSC).

FSC hat auch schon einschlägige Erfahrungen mit seinem Activy-Programm und versucht nun, dieses in Kombination mit dem Scaleo Media Center im Doppelpack an den Mann zu bringen. Während das Activy Media Center, das über einen integrierten digitalen Videorekorder verfügt (optional auch einen DVD-Brenner), seinen Platz im Wohnzimmer einnehmen soll, hat FSC dem Scaleo in dieser Kombination eher die Rolle des Arbeitstieres zugedacht, das im Hintergrund (etwa dem Arbeitszimmer) Musik, Bilder oder Videos bearbeitet und die fertigen Daten an den attraktiven Bruder im Wohnzimmer weiterleitet. Das kann entweder kabelgebunden oder drahtlos geschehen.

Aber auch die Solo-Nutzung des Scaleo als Media-Center ist möglich. Da der Scaleo jedoch wie ein PC aussieht, werden wohl nur technikbegeisterte Kunden das Gerät prominent im Wohnzimmer platzieren. Alternativ zu den klassischen Privatanwendern richtet sich die Werbung für den Scaleo deshalb auch an den kleinen Business-Kunden.

Zögerliche Hersteller

Die wenig euphorischen Prognosen sind wohl der Hauptgrund für andere Hardware-Hersteller abzuwarten, wie der deutsche Markt reagiert. Selbst ein Hersteller wie HP, der in den USA drei verschiedene Media-Center-PC-Modelle anbietet, zögert hier massiv vorzupreschen.

Andere, wie Acer oder Benq beispielsweise, haben ihre Produktionsstätten in Asien nach eigenen Angaben bereits umgestellt, so dass sie weltweit verschiedene, wohnzimmer-adäquate Formfaktoren bieten könnten. Im Falle von Acer etwa mit einem Modell, dass einem Videorekorder ähnelt. Näher betrachtet bezieht sich jedoch die Ankündigung "weltweit" auf alle Länder mit Ausnahme von Deutschland, denn auch Acer und Benq halten sich hier zu Lande noch bedeckt.

Vobis wird Anfang Dezember mit einem eigenen Media-Center-Modell auf den Markt kommen. Bis dahin wollen die Aachener nach Aussage von Jürgen Rakow, Vorstandsvorsitzender, beobachten, wie der Markt reagiert, damit man das Angebot nicht nur in der Ausstattung, sondern vor allem preislich richtig positionieren kann.

Und damit dürfte Rakow den Hemmschuh für einen Markteintritt benannt haben. Deutsche Verbraucher sind dafür bekannt, möglichst neueste Technologie zum möglichst kleinsten Preis zu verlangen. Nur der optimale Preispunkt verhindert, dass die Geräte wie Blei in den Regalen liegen bleiben. Und bei den Features der Media Center Edition ist es schwer, diesen Preispunkt zu finden.

So muss ein Home-Entertainment-PC über ausreichend Festplattenkapazität, großen Arbeitsspeicher, beste Sound-Qualität, schnelle Internet-Verbindung, DVD-ROM - besser noch DVD-Brenner - und Anschlussmöglichkeiten für potenzielle Peripheriegeräte verfügen. Das kann ebenso teuer werden wie der Kampf gegen Geräuschbelästigung etwa durch neueste CPU-Technologie, leise Kühlung oder Lärm dämmende Gehäuse. Der möglichst attraktive und kleine Formfaktor tut ein Übriges zu den Produktionskosten.

Preise nur im gehobenen Bereich

Hinzu kommen die Lizenzgebühren für das neue Betriebssystem, die nach Aussage verschiedener Branchenkenner "deutlich" über den üblichen Sätzen liegen. Der Spagat zwischen attraktiver Ausstattung und akzeptablem Profit scheint vorprogrammiert.

Die Endverbraucherpreise liegen wohl im gehobenen Bereich. Sony macht es vor: Der Vaio PCV-RZ314 geht für 2199 Euro über den Ladentisch. Dafür gibt es laut Eigenwerbung "fast schon eine Workstation mit reichlich Multimedia-Features". Zur Standardausstattung gehören ein Pentium 4 mit 3.0 GHz (800 MHz FSB), eine NVIDIA-Grafikkarte mit 128 MByte RAM, TV-Tuner, DVD-Brenner, 120 GByte Festplattenspeicher, 512 MByte Arbeitsspeicher, Ethernet- oder Wireless LAN nebst Sonys Software-Paket.

Das Kombigerät PCV-W1 schlägt sogar mit 2300 Euro zu Buche. Dieser Desktop kann als PC, Fernseher oder Audioanlage genutzt werden. Sony-intern spricht man von einem Konvergenzgerät, das in kleineren Wohnungen ein Zuhause finden soll. Dank des 17,5-zölligen Wide-Screen-LCDs kann es auch ohne Verbindung zum vorhandenen Fernseher als TV-Gerät genutzt werden. Man muss nur die Tastatur zusammenklappen, und das Gerät wechselt automatisch in den TV-Modus.

Fazit

Die Hersteller wollen mit ihren diversen Ansätzen dem Kunden ein einfach zu bedienendes Allround-Gerät bieten. Doch vor dem vergnüglichen Video-, Fernseh- oder Musikabend steht der Horror der Installation und der korrekten Verbindung der verschiedenen Komponenten. Und hier liegt die Chance des IT-Fachhandels. Selbst Sony hat erkannt, dass weder Massenmärkte wie Media-Markt noch die Unterhaltungselektronik-Händler ausreichend Know-how für Beratung und Installation haben. Der japanische Konzern will deshalb verstärkt IT-Fachhandelspartner gewinnen, die sich um die Vernetzung kümmern.

Erst wenn die PCs preislich attraktiv und im formschönen Faktor angeboten werden, wenn kein Kabelsalat das Wohlgefühl der Verbraucher stört, hat der Computer auch im Wohnzimmer eine Chance. Das wird jedoch noch dauern. Und diese Zeit sollte der IT-Fachhandel nutzen, um sich mit den Bedürfnissen der Endkunden (wieder) vertraut zu machen und sein Beratungsteam auf Vordermann zu bringen sowie seine Techniker auf den neuesten Stand der Technik. Denn dann geht ohne ihn nichts mehr in diesem Geschäftsbereich. (uba)

Diesen Beitrag haben wir von unserer Schwesterzeitschrift ComputerPartner, der Fachzeitschrift für den ITK-Handel, übernommen.