Mac-OS 10.4: Der Tiger auf dem Sprung

06.07.2004 von REDAKTION MACWELT 
Unter dem Codenamen 'Tiger' entwickelt Apple die nächste Generation seines Betriebssystems. Laut Steve Jobs soll 'das beste OS der Welt' Longhorn um Längen schlagen - und schon Anfang 2005 erhältlich sein.

"Apple ist schneller als Microsoft. Mac-Besitzer verfügen bereits über das beste Betriebssystem der Welt. Die kommende Version 10.4 ist ein weiterer Schritt vorwärts - sowohl in Sachen einfache Bedienung als auch in Sachen Geschwindigkeit."

Wer Steve Jobs auf einer seiner genialen Keynotes reden hört, bekommt einen Eindruck davon, wie Werbung für ein neues Betriebssystem aussehen sollte: Man beeindruckt mit großen Zahlen (150 neuen Funktionen), zeigt grafische Spielereien wie Dashboard (die gut aussehen, aber eigentlich keine Erfindung von Apple sind), verweist auf Nützliches wie die Programmierhilfe Automator oder die Suche mit Spotlight und garniert den Vortrag abschließend mit aktuellen Bild- und Videoeffekten (Core-Image und Core-Video).

Doch nützt das beste Marketing nichts, wenn das eigene Produkt nichts taugt - aber Tiger hat es in sich.

Finden ohne Grenzen

An den Anfang seines Vortrages stellte Steve Jobs das Nützliche. Spotlight nennt sich eine Kombination aus verbesserter Suche und einer Datenbank, in der das Betriebssystem möglichst viele Informationen über Dateien und Ordner speichert. Ziel ist, Suchanfragen wie "Gib mir alle Präsentationen von Jon Rubinstein über die Zukunft des iPod, die er mir in den letzten zwei Wochen geschickt hat" möglichst einfach an den Mac zu übermitteln.

Unter Tiger macht man dazu mehrere Einträge in der Eingabezeile von Spotlight, zum Beispiel "iPod Jon Rubinstein Präsentation" und schränkt die Suche über ein Aufklappmenü auf den genannten Zeitraum ein. Praktisch in Echtzeit liefert das Betriebssystem noch während der Eingabe alle zu dieser Anfrage passenden Dokumente in einem herkömmlichen Finder-Fenster.

Damit das funktioniert, arbeitet in Tiger ständig ein Programm im Hintergrund, das alle neuen und geänderten Dateien ermittelt und Informationen über sie in einer SQL-Datenbank abspeichert. In dieser Datenbank landen zum Beispiel Dateiname und Änderungsdatum, aber auch alle Informationen wie Titel oder Komponist, die man zu einem Musikstück in iTunes einträgt oder der komplette Text aus einer PDF-Datei. Als Beispiel führt Steve Jobs die Suche nach einem Städtenamen vor, der auf der Festplatte seines Mac genau einmal existiert: Als Beschriftung einer Landkarte in einer PDF-Datei.

Die Suchkriterien lassen sich speichern und im Finder in einen "Smart Folder" umwandeln. So nennt Apple einen Ordner, der zum Beispiel alle E-Mails, Internet-Adressen und Info-Dateien zu einem bestimmten Thema enthält. Da das Betriebssystem ständig im Hintergrund die Datenbank aktualisiert, enthält dieser Ordner immer alle passenden Dokumente - es ist nicht nötig, selbst einzugreifen.

iTunes als Vorreiter

Wer sich einen Eindruck verschaffen will, wie das Ganze funktioniert, startet am besten eine aktuelle Version der Musiksoftware iTunes. Die "intelligente Wiedergabeliste" gibt einen guten Eindruck davon, was künftig laut Jobs mit allen Programmen und allen Dokumenten möglich sein wird.

Wem das zu nützlich ist, der darf sich an einer Spielerei erfreuen, die es einfacher machen soll, den richtigen Bereich in den Systemeinstellungen zu finden. In Tiger gibt es eine Suchfunktion innerhalb der Systemeinstellungen, die nach Texten und Synonymen ("WLAN" statt "Airport") fahndet und als Ergebnis nicht nur eine Trefferliste mit Hinweisen aus der eingebauten Hilfe präsentiert, sondern die passenden Bereiche in den Systemeinstellungen mit einem kleinen Lichtkegel markiert.

Im Finder ist die Suche nicht nur über die Finderfenster, sondern auch über ein neues Symbol rechts oben in der Menüzeile zugänglich. Ein Klick mit der Maus darauf öffnet ein Menü mit der Suchzeile. Wird Tiger fündig, zeigt es in diesem Menü einen Überblick der Fundstellen, aus dem man mit dem Befehl "Alle zeigen" in ein eigenes Fenster wechselt. Das Ergebnisfenster zeigt neben den Fundstellen eine Vorschau auf alle gängigen Dateitypen.

Safari mit RSS

Safari erscheint zusammen mit Mac-OS X 10.4 in der Version 2.0, die einiges Neues bringt. Allen voran zeigte Jobs den eingebauten RSS-Reader (Rich Site Summary oder Rich Site Syndication). Safari erkennt automatisch, ob eine Webseite einen XML-Inhalt im RSS-Format anbietet und blendet in der URL-Zeile in der Nähe des Snapback-Icons ein kleines RSS-Logo ein. Ein Klick darauf öffnet ein neues Safari- Fenster, dessen Inhalt sich an den Darstellungen bekannter RSS-Reader orientiert.

In dieser Ansicht sind die einzelnen RSS-Artikel untereinander einsortiert, ein Klick auf eine Überschrift öffnet den entsprechenden Inhalt im HTML-Format in einem neuen Fenster von Safari. Eine RSS-Ansichtsseite lässt sich in Safari als Lesezeichen abspeichern, um später per Mausklick die Quelle wieder ansurfen zu können.

Einen RSS-Reader wie beispielsweise Netnewswire ersetzt Safari übrigens nicht - die RSS-Funktion dient nur dazu, die jeweiligen XML-Informationen einer Webseite anzuzeigen. Anders als die meisten RSS-Browser heute kann Safari 2 allerdings in RSS-Daten suchen. Und da man die Suche speichern kann, lässt sich so beispielsweise komfortabel ein stets aktueller Überblick über alle Nachrichten zu einem Thema wie Tiger einrichten.

Neben "Safari RSS" beherrscht Apples Browser nun auch das Abspeichern einer Seite als komplettes Archiv, inklusive Bilddateien. So lassen sich einzelne Seiten zur späteren Ansicht archivieren oder bequem per E-Mail verschicken. Und schließlich noch: Per "Private Browsing" kann ein vom Verfolgungswahn geplagter Anwender temporär die Zwischenspeicher, Verlaufslisten und Cookie-Annahme in Safari abschalten, um weitgehend ohne verräterische Spuren im Internet zu surfen.

Dashboard: Einfach nur geklaut?

Plagiate sind bekanntlich die schönste Form des Schmeichelns, Apple hat in vergangenen Jahren eigene Designs oft in oder an anderen Produkten bewundern können. Bei Mac-OS X bedient sich Cupertino einzelner Ideen der eigenen Shareware-Szene. So ist beispielsweise der Applikations-Wechsel per Befehl-Tabulator-Kommando in Panther (Mac-OS X 10.3) eine nahezu exakte Kopie der Shareware Lightswitch X.

Ein anderes Beispiel ist Konfabulator, das in Tiger unter dem Namen Dashboard auftaucht. Sowohl Dashboard als auch Konfabulator zaubern kleine Informationsfenster, Widgets genannt, auf den Schreibtisch des Benutzers. Hier lassen sich temporäre Hilfsmittel wie eine iTunes-Fernbedienung, eine Uhr, ein Kalender oder ein Notizblock hinterlegen.

Apple verbindet sein Dashboard mit der Funktion Expose. Auf Knopfdruck weichen die Programmfenster der Dashboard-Ansicht. Ein weiterer Mausklick auf die einzelnen Widgets öffnet mit einer netten Animation - auf Basis der neuen Schnittstelle Core-Image - die Einstellungsseite der jeweiligen Plug-ins.

Apple hat dabei das Funktionsprinzip von Konfabulator so exakt übernommen, dass sich die Autoren der beliebten Shareware kurz nach der WWDC-Keynote mit einer persönlichen Widmung auf der eigenen Homepage (www.konfabulator.com) bei Steve Jobs bedankten: "Cupertino, start your photocopiers" heisst es dort, in Anspielung auf die zynischen Seitenhiebe von Apple in Richtung Microsoft.

Dashboard könnte Apple in der Entwicklergemeinde ein paar Sympathiepunkte kosten, denn immerhin ist Cupertino auf die Loyalität der Programmierer in Sachen Mac-OS X angewiesen. Ein solch offensichtlicher Ideenklau in den eigenen Reihen sollte sich in Zukunft nicht allzu oft wiederholen.

Hochwertige Videofilme kommen

In den USA hat das DVD-Forum kurz vor der WWDC den Standard H.264 Advanced Codec (H.264 AVC) verabschiedet. Er basiert auf einer gemeinsamen Arbeit der Motion Pictures Expert Group (MPEG) und der International Telecommunication Union (ITU) im Rahmen des MPEG-4-Standardisierungsverfahrens.

Was trocken klingt, hat einen interessanten Hintergrund, den Steve Jobs kurz erwähnte: Die Industrie plant eine nächste Generation von Video-DVDs, die Breitwandvideo mit Surround-Sound inklusive Kopierschutz auf einer Scheibe kombinieren soll. Basis des Ganzen ist MPEG-4, das wiederum in wesentlichen Teilen auf Quicktime beruht, so dass Apple in einer relativ komfortablen Startposition für den Kampf um Marktanteile ist. Anders als beim heute üblichen MPEG-2-Video, bei dem sich die Apple-Kodiersoftware nicht mit Ruhm bekleckert, dürfte bei H.264 AVC die Qualität stimmen.

Apple will den neuen Codec 2005 ausliefern, was Insider als Hinweis verstanden haben, dass nächstes Jahr Quicktime 7 auf den Markt kommt. Bei einer kurzen Vorführung auf der WWDC war unter anderem eine Breitwandfassung des Films "Troja" zu sehen, die trotz einer wesentlich höheren Qualität und eines größeren Bildformats nur die Datenrate eines heutigen Standard-DVD-Filmes besitzt (rund 6 Megabit/s).

Apple wird H.264 AVC nach den jetzt vorliegenden Informationen nur mit dem nächsten Update für das Mac-OS ausliefern, eine Version für ältere Versionen des Betriebssystems ist anscheinend nicht geplant.

iChat profitiert von Videoverbesserungen

In iChat, der Software für das kleine Schwätzchen zwischendurch, sorgt der neue Videostandard H.264 ebenfalls für Verbesserungen: Bei mehr oder minder gleichen Datentransferraten wie heute bringt iChat in Tiger eine bessere Videoqualität. Und quasi nebenbei wird iChat zu einer Software, die Audio- und Videokonferenzen mit mehreren Teilnehmern ermöglicht.

Bis zu zehn Teilnehmer können in einer Audio-Diskussion miteinander sprechen und bis zu vier Teilnehmer in einer Videokonferenz. Besonderen Beifall bekam Apple für die Darstellung der Videokonferenz: Der Initiator der Unterhaltung sieht die anderen Teilnehmer in einem virtuellen Raum - das Bild ihrer Videokameras wird im iChat-Fenster auf drei Wände projiziert.

iChat profitiert ebenso wie der Quicktime Player von zwei neuen Modulen namens Core-Image und Core-Video innerhalb von Tiger. Das Prinzip ist denen bekannt, die heute Musik am Mac machen, zum Beispiel in Garageband. Das Betriebssystem stellt diesen Programmen passende Erweiterungen oder Plug-ins - im Apple-Jargon "Units" - zur Verfügung.

Im heute erhältlichen Panther findet man die Audio-Units beispielsweise im Ordner in "/Library/Audio/ Plug-Ins". In Tiger gibt es solche Erweiterungen für Stand- und Bewegtbilder und diese Erweiterungen stehen allen Programmen zur Verfügung. Die Erweiterungen machen es möglich, dass man Bilder weichzeichnet oder sie von RGB nach CMYK konvertiert. Text lässt sich auf einer eigenen Ebene oberhalb des Bildes platzieren und mit weiteren Effekten schmücken. Selbst die Berechnung von dreidimensionalen Effekten ist damit kein Problem:

Als Beispiel zeigte Schiller eine Wölbung, die in ein Bild eingerechnet wird und die Umwandlung des Ganzen in Glasmalerei. Core-Image arbeitet dabei immer nur mit einer Kopie der Daten, alle Effekte lassen sich jederzeit ändern, ausblenden oder löschen. Besonderes Bonbon ist, dass sich die Effekte nicht nur auf Standbilder sondern auch auf Videofilme anwenden lassen. Auf einem entsprechend schnellen Power Mac G5 erhält man sogar eine bildschirmfüllende Voransicht des so geänderten Filmes.

Tiger als Server

Nur an Entwickler verteilte Apple eine Vorabversion der Server-Ausgabe vonTiger. Die Anpassungen verschiedener Betriebssystembestandteile an die 64-Bit-Liga sollten sich gerade in der Server-Ausgabe von Mac-OS X 10.4 bemerkbar machen. Betreiber großer Datenbanken oder gut gefüllter Fileserver würden einen Leistungssprung zumindest gerne mitnehmen.

Neue Rechteverwaltung: Besonders in der Datei- und Ordnerfreigabe bessert Apple nach: Per "Access Control Lists" steuern Administratoren die Zugriffsrechte auf bestimmte Ressourcen. Apple gestaltet die ACL-Technik kompatibel mit Windows XP und Windows Server 2003.

Mobile Home Directories: In einem Netz greifen für gewöhnlich alle Benutzer auf ein eigenes, das "Home"-Verzeichnis, zu. Mac-OS X 10.4 Server gleicht auf Wunsch die Privat-Ordner der Anwender miteinander ab, sobald sich diese vom Netz trennen. Nach dem Login des jeweiligen Benutzers gleicht Tiger automatisch die geänderten Inhalte zwischen dem mobilen Mac und dem Server ab.

Sicheres Chatten: Über Mac-OS X 10.4 Server können Administratoren mit einem Mausklick einen eigenen iChat-Service starten. Dieser Serverdienst auf Basis des Open-Source-Projektes "Jabber" verschlüsselt die Chat-Sessions über SSL/TLS (Secury Socket Layer/Transport Socket Layer) per Data Encryption Standard (DES) mit 128 Bit. Als Authentifizierung innerhalb des lokalen Netzes setzt Apple wie gehabt auf Kerberos.

Weblog: Ebenfalls aus der Open-Source-Gemeinde stammt das in Tiger eingebaute Weblog-System "Blojsom". Per Web-Schnittstelle lassen sich in wenigen Augenblicken ansprechende Blog-Seiten gestalten, die ihre Informationen in den Formaten HTML, RSS- (Version 1 und 2) sowie Atom zur Verfügung stellen.

Software-Updates: Per eigenem Software-Update-Server steuern die Netz-Profis genau, welche Aktualisierungen zu welchem Zeitpunkt in der lokalen Umgebung zum Download und automatischen Installation bereit stehen.

Schneller Umstieg: Das Tool "NT Migration" erleichtert einen Umstieg von Windows-Servern auf Mac-OS X. Auf Knopfruck liest das Programm die Daten eines Active-Directory-Servers aus, legt die Benutzer- und Freigabeinformationen in Mac-OS X 10.4 Server an und kopiert bestehende Verzeichnisse direkt auf den neuen Server. Selbst um SMB-Druckerfreigaben muss sich der Administrator nicht kümmern. Sie landen automatisch in der Open-Directory-Datenbank des Tiger-Servers.

Fazit

Apple hat mehrere beeindruckende Funktionen angekündigt, die mit der nächsten Version von Mac-OS X zu haben sein sollen. Dass einige der Ideen nicht von Apple selbst stammen, hatte man erwartet.

Über einen Punkt allerdings gehen die Meinungen auseinander: Lohnt sich der Kauf dieses Betriebssystems? Die Befürworter verweisen auf die neuen Funktionen, die Gegner auf die Kosten - wenn Tiger in der ersten Hälfte 2005 für rund 150 Euro auf den Markt kommt, ist das das dritte kostenpflichtige Update in vier Jahren. Ein teuerer Spaß für Mac-Besitzer. (ala)

Info: Dieser Beitrag wurde von unserer Schwester-Publikation Macwelt übernommen. Noch mehr Details zu Tiger lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Macwelt am Kiosk und im Premiumbereich von www.macwelt.de.