2G- und 3G-Netze werden abgeschaltet

M2M im GSM-Netz?

08.02.2016 von Jürgen  Hill
Das Internet of Things (IoT) wird dazu führen, dass Milliarden von Geräten und Maschinen vernetzt werden. Doch die Vorreiter des Industrie-4.0-Zeitalters investieren in bald veraltete Mobilfunktechnik.

Egal ob es Industrie 4.0, Connected Cars oder die Machine-to-Machine-Kommunikation betrifft - ohne die mobile Datenkommunikation wäre manche schöne Geschäftsidee Makulatur. Allerdings könnte genau das in fünf Jahren eintreten, warnt das britische Marktforschungsinstitut Machina Research. Das auf M2M- und IoT-Themen spezialisierte Institut erinnert daran, dass die Netzbetreiber ab 2020 beginnen werden, ihre klassischen Mobilfunknetze der zweiten (2G, GPRS, EDGE) und dritten Generation (3G, UMTS, HSPA) abzuschalten.

Millionen von vernetzten IoT-Devices stünden dann ohne Netzverbindung da, Prozessketten brächen massenhaft zusammen, da eine M2M-Kommunikation zwischen den beteiligten Maschinen nicht mehr möglich wäre.

Können die Unternehmen nicht einfach aufrüsten? Kaum, denn in den meisten IoT-Geräten ist eingebaute Mobilfunktechnik wie SIM-Karten oder Modems fest verlötet und damit nicht so einfach austauschbar. Letztlich kommt hier auf die Unternehmen eine Herausforderung zu, die sich mit dem für 2018 geplanten Aus für ISDN im deutschen Festnetz vergleichen lässt. Mit einem Unterschied: Im Mobilfunk sind die Kosten vermutlich um ein Mehrfaches höher.

Umrüsten der Geräte wird schwierig

Mit dem Abschalten der alten Mobilfunknetze wären Aufzugsalarm-Systeme, Meldeeinrichtungen, intelligente Anzeigetafeln, elektronische Verkehrsschilder und sonstige Anwendungen nicht mehr funktionstüchtig, sofern sie für die Kommunikation 2G- oder 3G-Technik verwenden. Experten sind sich einig, dass alte Geräte, auch wenn sie mit Steckkontakten arbeiten, nur schwer auf eine neue Technologie umgerüstet werden können.

Hinzu kommt, dass oft Anpassungen an der Software notwendig wären, weil sich Schnittstellen und Kommandos mit der Zeit geändert ­haben. Immerhin: Wurde mit sogenannten Kommunikations-Boards in den Geräten gearbeitet, stehen die Chancen für einen Austausch besser.

LTE braucht die Frequenzen von 2G und 3G

Folgt man Matt Hatton, dem Autor des Strategiereports "2G and 3G switch off: a navigation guide for IoT", dann ist die Abschaltung der heutigen 2G- und 3G-Netze unausweichlich. Dafür gebe es einen triftigen Grund: Das Frequenzspektrum dieser Netze werde für 4G-Services (LTE) benötigt, damit mehr Daten schneller per Funk transportiert werden können.

Joachim Dressler, Vice President EMEA, Sierra Wireless: "Das Netz weiterzubetreiben heißt aber nicht, dass dann auch Verfügbarkeit und Flächendeckung gleich bleiben."
Foto: Sierra Wireless

In Japan und Südkorea ist die Abschaltung der 2G-Netze bereits erfolgt. Andere Länder haben klare Roadmaps veröffentlicht. Teilweise waren die Netzbetreiber involviert, teilweise sind sie - wie AT&T etwa - allein vorgeprescht. So sind auch in den USA die 2G-Netze Geschichte, die Netzbetreiber haben diese Technik aufgegeben. Selbst das hierzulande noch weit verbreitete UMTS (3G) ist in den Staaten auf einem absterbenden Ast. Wie Joachim Dressler, Vice President EMEA beim M2M-Spezialisten Sierra Wireless, beobachtet, wird die Zertifizierung neuer 3G-Lösungen dort nur noch ungern vorgenommen oder gleich abgelehnt.

Europa im Tiefschlaf in Sachen 2G- und 3G-Zukunft

Lediglich in Europa, so berichtet Hatton, herrscht seitens der Netzbetreiber komplette Funkstille in Sachen 2G- und 3G-Zukunft. Allerdings mag Dressler dieser Aussage nur bedingt zustimmen: "Swisscom etwa hat eine klare Aussage zur Abschaltung von 2G im Jahr 2020 getroffen." Tatsächlich gebe es aber auch Netzbetreiber, die wohl lieber 3G abschalten und den 2G-Standard weiter nutzen würden. Unterm Strich ergibt sich also keine Übereinstimmung, und das wird sich laut Sierra-Wireless-Manager Dressler wohl auch nicht so bald ändern.

Gerade in Ländern, die 2G-Anwendungen im Bereich Energie im Feld haben, werde der veraltete Mobilfunkstandard wohl weiter aufrechterhalten, meint Dressler. "Das Netz weiterzubetreiben heißt aber nicht, dass dann auch Verfügbarkeit und Flächendeckung gleich bleiben", schränkt der Manager ein. Ferner sei damit zu rechnen, dass beschädigte 2G-Stationen nicht unbedingt wieder aufgebaut, sondern durch 3G/4G ersetzt werden. "Letztlich ergibt sich kein einheitliches Bild, und das wird sich vermutlich auch nicht ändern", lautet Dresslers Resümee.

6 Baustellen beim Internet of Things
Sechs Baustellen beim Internet of Things
Das Internet der Dinge beflügelt die Phantasien von Anwendern, Unternehmen und Technikanbietern. Bevor die schöne neue Welt des Internet of Things (IoT) Wirklichkeit wird, müssen zunächst einige Baustellen abgearbeitet werden.
Technik
Die meisten für das Internet der Dinge notwendigen Techniken gibt es bereits. Allerdings sind gerade im Umfeld von Analytics und Datenvisualisierungssoftware noch weitere Entwicklungen notwendig. Auch hinsichtlich der Energieversorgung beispielsweise von Sensoren in Containern, die über lange Perioden hinweg ohne ständige Wartungszyklen funktionieren sollten, gibt es noch einige Probleme zu lösen.
Interoperabilität
In vielen Fällen basiert der Mehrwert von IoT darauf, dass verschiedene Systeme zusammenarbeiten und Daten austauschen. Daher sind Standards und die darauf basierende Interoperabilität eine Grundvoraussetzung für das IoT.
Sicherheit
Im IoT geht es primär um Daten – oft um sensible Daten, die aus dem Privatbereich kommen oder geschäftskritisch für Unternehmen sind. Privacy und Security müssen daher gewährleistet sein. Darüber hinaus müssen die IoT-Systeme selbst abgesichert werden, gerade wenn es sich um kritische Infrastrukturen wie beispielsweise die Energieversorgung oder Verkehrsleitsysteme handelt.
Mitarbeiter müssen fit gemacht werden für das IoT.
Das reicht vom Verkaufspersonal, das mit smarten CRM-Systemen umgehen muss, über die Mitarbeiter im Büro bis hin zu den IT-Abteilungen. Mit dem IoT infiltriert IT ein deutlich breiteres Spektrum an Geräten.
Regeln und Gesetze
Für den IoT-Einsatz braucht es in einigen Bereichen neue Regeln. Das betrifft beispielsweise den Gesundheitsbereich, aber auch den Verkehr. Hier muss der Gesetzgeber aktiv werden und den Märkten einen neuen Rahmen geben. Gleichzeitig kann die öffentliche Hand dem IoT auch selbst zusätzliche Impulse geben, beispielsweise durch die Adaption der neuen Techniken.

Gerätehersteller sind im Dilemma

Im Zuge des Industrie-4.0- und IoT-Booms tut sich für Hersteller vernetzter Geräte ein Dilemma auf: Sie müssen entscheiden, welche Mobilfunktechnik sie für ihre IoT-Lösung verwenden wollen. Eine unbequeme Antwort hat Hatton parat: "Es gibt eine einfache Lösung: Man baut alle verfügbaren Mobilfunktechniken in ein Device ein.

Allerdings würde dies bei vielen Produkten die Materialkosten hochtreiben. Um das zu vermeiden, gibt es nur eine Lösung: Jeder Hersteller, der in den nächsten Jahren IoT-Lösungen auf den Markt bringen will, muss evaluieren, welche Technologie in welchem Land wie lange verfügbar ist." Notfalls könne dies auch dazu führen, dass ein Anbieter verschiedene Lösungen offerieren müsse, um den unterschiedlichen nationalen Stati gerecht zu werden.

Auf die von Hatton geschilderte Situation hat man bei Sierra Wireless mit der Einführung des CF3-Standards reagiert. Er umfasst einen einheitlichen Footprint für 2G/3G/4G, ein einheitliches Software-Framework sowie das Open-Hardware-Board "mangOH" zum Prototyping von Lösungen. "Per Snap-in-Socket kann der Anwender dann sogar Module auf dem Board auswechseln", erklärt Manager Dressler. "Dazu muss er aber beim Softwaredesign die verschiedenen Technologien berücksichtigen."

Auf lange Sicht die falsche Technik

Hatton rechnet damit, dass bald auch in Europa eine Entscheidung darüber fallen wird, wie es weitergeht. Allerdings ist er überzeugt, dass es ab 2020 in den entwickelten Märkten schwieriger wird, die Verfügbarkeit von 2G- und 3G-Netzen zu garantieren. Ab 2025 sei es dann weitgehend unmöglich.