Digitale Dividende

LTE – Breitbandinternet für alle per Mobilfunk

12.04.2010 von Jürgen Mauerer
Bei der Versteigerung der Frequenzen am 12. April 2010 für die neue Mobilfunkgeneration LTE ist besonders das Frequenzband mit 800 MHz von Interesse. Die so genannte Digitale Dividende soll das Breitbandinternet für alle bringen.

Im Jahr 2000 herrschte in der Mobilfunkindustrie Goldgräberstimmung. Die Versteigerung der UMTS-Lizenzen im August 2000 erlöste die Rekordsumme von 50,8 Milliarden Euro. UMTS galt als die Lizenz zum Gelddrucken. Der 3G-Mobilfunk sollte binnen kürzester Zeit mit potenziellen Datenraten von bis zu 2 Mbit/s das mobile Multimedia- und Internetzeitalter einläuten, Dienste wie Video oder TV über das Handy sollten die Kassen der Mobilfunkbetreiber füllen – so zumindest die Erwartungen.

Doch die Realität sah anders aus. Erst vier Jahre nach der spektakulären Versteigerung kamen die vier Netzbetreiber E-Plus, O2, T-Mobile und Vodafone ihrer Pflicht nach und hatten 25 Prozent der Bevölkerung mit UMTS versorgt. Den Durchbruch schafften UMTS und seine schnelleren Varianten wie HSDPA, HSUPA, HSPA und HSPA+ so richtig erst ab 2007 mit der Existenz von Smartphones wie dem iPhone, die das Mobile Internet zu einem neuen Erlebnis machten.

Nun kommt also LTE (Long Term Evolution) – die nächste Generation der Mobilfunk-Technologie. Zur Versteigerung der Frequenzen in den Bereichen 800 MHz (Digitale Dividende), 1,8 GHz, 2 GHz und 2,6 GHz ab dem 12. April 2010 um 13 Uhr in den Räumen der Bundesnetzagentur in Mainz sind vier Unternehmen zugelassen: E-Plus, O2, T-Mobile und Vodafone. Es ist nicht damit zu rechnen, dass diese Auktion wie im Jahr 2000 bei UMTS 50,8 Milliarden in die Kassen des Staates spült, die der damalige Finanzminister Hans Eichel zur Schuldentilgung nutzte – dabei wäre das Geld angesichts horrender Staatsschulden dringender denn je.

Bildergalerie:
LTE - Breitband-Internet für alle
Angesichts wachsender Nutzerzahlen und stark steigenden Datenvolumens kommt die Einführung des 4G-Mobilfunks fast zwangsläufig. (Quelle: Nokia Siemens Networks)
LTE - Breitband-Internet für alle
Download von vier HD-Videos über eine LTE-Basisstation im 2,6-GHz-Band und 20 MHz Kanalbandbreite mit einer Downlink-Datenrate von ca. 106 Mbit/s (siehe Fenster Datenratenanzeige rechts oben im Bild). (Quelle: Nokia Siemens Networks)
LTE - Breitband-Internet für alle
Zwei LTE-Basisstationen in einem Rack – unten für das 2,6-GHz-Frequenzband, oben für 800 MHz. (Quelle: Nokia Siemens Networks)
LTE - Breitband-Internet für alle
Mithilfe der MIMO-Technik steigert sich die Datenrate erheblich. (Quelle: Nokia Siemens Networks)
LTE - Breitband-Internet für alle
Container wie diese weisen auf ein LTE-Testnetz hin. Um die Zeit zwischen Netzaufrüstung und Verfügbarkeit von Endgeräten zu reduzieren, haben die Netzbetreiber den 4G-Mobilfunk intensiv getestet. (Quelle: Nokia Siemens Networks)

Die Erwartungen sind vielmehr moderat und wohltuend realistisch. Dabei hat LTE insbesondere mit der Digitalen Dividende wirklich das Potenzial, Breitbandinternet via Funk auch in die bisherigen weißen Flecken des Landes zu bringen.

LTE schafft hohes Datenvolumen

Im Jahr 2009 ist das UMTS-Aufkommen um 500 Prozent gestiegen, so ein Ergebnis der jährlich von Nokia Siemens Networks herausgegebenen Studie „Mobile Breitbanddienste in Deutschland“. Auch die Nutzerzahl steigt dank Smartphones wie dem iPhone oder Android-Geräten sowie Daten-Flatrates immer weiter an. Und der Hunger nach Bandbreite wächst, aktuell vor allem durch die Verbreitung von Webvideos in HD-Auflösung. Die Betreiber müssen auf diese Nachfrage reagieren und die Netzkapazität erweitern.

Grenze bald erreicht: Angesichts wachsender Nutzerzahlen und stark steigenden Datenvolumens kommt die Einführung des 4G-Mobilfunks fast zwangsläufig. (Quelle: Nokia Siemens Networks)
Foto: Nokia Siemens Networks

Das Hauptproblem ist, dass sich mehrere Mobilfunkanwender eine Funkzelle teilen und dadurch die Datenrate senken. Der aktuelle UMTS-HSDPA-Standard liefert eine Bandbreite von bis zu 7,2 Mbit/s brutto, in der Praxis erreicht man meist schwankende Netto-Datenraten von 1 bis 2 Mbit/s. Mit der verbesserten Technologie HSPA+ samt Mehrantennentechnik MIMO sind theoretisch über UMTS Datenraten von 28 Mbit/s brutto möglich, in der realen Praxis wird das wohl auf etwa 10 Mbit/s sinken – das ist schon ein gewaltiger Fortschritt gegenüber dem herkömmlichen HSDPA.

LTE steht für noch höhere Übertragungsgeschwindigkeiten. Zudem sind die Latenzzeiten sehr kurz, was besonders für Online-Spiele und Internettelefonie wichtig ist. LTE arbeitet hierfür mit neuen Frequenzbändern, flexibleren Kanalrastern und einer engmaschigeren Aufteilung der Trägersignale. Geplant ist LTE mit theoretisch bis zu 100 Mbit/s im Downlink und bis zu 50 Mbit/s im Uplink. Zum Vergleich: VDSL bietet bisher außer in einigen Testgegenden maximal einen Downlink von 50 Mbit/s.

Versteigerung mehrerer Frequenzbänder

Genutzt wird LTE auf mehreren Frequenzbändern im Bereich von 800 MHz (Digitale Dividende), 1,8 GHz, 2 GHz und 2,6 GHz. Die Digitale Dividende bezeichnet den Funkfrequenzbereich, der durch die Digitalisierung der Rundfunkübertragung frei geworden ist. Die anderen Frequenzen stammen zum größten Teil aus der UMTS-Versteigerung im Jahr 2000. Mobilcom und die Group 3G (Telefónica und Sonera) hatten sie ersteigert, aber die Netze nicht aufgebaut. Daher mussten sie die Lizenzen für die Frequenzbänder zurückgeben.

Hohe Geschwindigkeit bringt neue Anwendungen: Download von vier HD-Videos über eine LTE-Basisstation im 2,6-GHz-Band und 20 MHz Kanalbandbreite mit einer Downlink-Datenrate von ca. 106 Mbit/s (siehe Fenster Datenratenanzeige rechts oben im Bild). (Quelle: Nokia Siemens Networks)
Foto: Nokia Siemens Networks

Die Bundesnetzagentur spricht bei der Ausschreibung der Frequenzen ganz allgemein vom „drahtlosen Netzzugang zum Angebot von Telekommunikationsdiensten“. Sie gibt keinen technischen Standard vor, auch ein Betrieb von WiMAX wäre auf den Frequenzen möglich. Im Endeffekt geht es aber um Breitbandmobilfunk. Technologisch ist LTE startbereit und ohne Digitale Dividende für etwa 40 Frequenzbereiche auf dem Markt.

Damit lassen sich sehr viele mögliche Applikationen auf dem Mobiltelefon realisieren, darunter HD-TV, Videokonferenzen oder rasantes Online-Gaming. Die Frequenzvielfalt hat natürlich einen Haken: Künftige Smartphones müssen mehrere Frequenzbänder beherrschen, damit internationales Roaming problemlos funktioniert. Die Mobilfunkhersteller bemühen sich daher, den Markt zu regulieren und etwa zehn Bänder als weltweiten Standard zu setzen. Diese Frequenzzahl ließe sich wohl realistisch in die entsprechenden Handy-Chips integrieren.

Digitale Dividende

Besonders begehrt ist das 800-MHz-Frequenzspektrum (790 bis 862 MHz), die sogenannte Digitale Dividende. Dieser Begriff führt ein wenig in die Irre, da „Dividende“ nach einem Mehrwert klingt. Dem ist aber nicht so, da diese Frequenzen lediglich für Mobilfunkdienste umgewidmet werden. Bislang nutzten die TV-Sender diese Frequenzen für die analoge Ausstrahlung ihrer Programme. Nach der Umstellung auf digitale Sendeverfahren ist die 800-MHz-Frequenz frei. Die Bundesregierung stellt diese nun im Rahmen ihrer Breitbandinitiative für den Mobilfunk zur Verfügung.

Ziel der Regierung ist es, bis Ende 2010 die gesamte Bevölkerung flächendeckend mit leistungsfähigen Internetanschlüssen ab 1 Mbit/s zu versorgen. Bis Ende 2010 sollen alle deutschen Haushalte einen Breitbandanschluss bekommen. Dafür will der Staat Gelder aus dem Konjunkturpaket in die Infrastrukturförderung pumpen. Denn viele Haushalte vor allem in dünn besiedelten Regionen sind nach wie vor vom Breitbandnetz abgeschnitten. Eine Liste der zunächst zu fördernden Regionen finden Sie auf den Seiten des Bundeswirtschaftsministeriums.

Die „Digitale Dividende“ mit 800 MHz eignet sich dank höherer Reichweite (theoretisch bis zu 100 km Reichweite, bei Aufrüstung der bestehenden GSM-Basisstationen etwa 15 km) besonders für die Versorgung ländlicher Regionen mit Breitbandmobilfunk. Das lohnt sich auch für die Mobilfunkbetreiber, da weniger Basisstationen notwendig sind. Für LTE ist das 800-MHz-Spektrum eine ideale Ergänzung für die Nutzung des 2,6-GHz-Spektrums, wo kleinere Zellen erforderlich sind, beispielsweise in Ballungsräumen.

LTE-Technologie

LTE ist zur Einführung komplett auf die Übertragung von Daten ausgerichtet. Die Migration der Sprachübertragung soll erst später per Voice over IP (VoIP) erfolgen. Das heißt: Die Daten werden im LTE-Netz mit dem Internet Protocol (IP) übertragen, Basis ist eine einfache Architektur mit sich selbst konfigurierenden Basisstationen. Der Netzaufbau wird so kostengünstiger und flexibler.

Selbstkonfiguration: Zwei LTE-Basisstationen in einem Rack – unten für das 2,6-GHz-Frequenzband, oben für 800 MHz. (Quelle: Nokia Siemens Networks)
Foto: Nokia Siemens Networks

LTE steht vor allem für höhere Übertragungsgeschwindigkeiten und eine geringere Latenzzeit (Laufzeit eines Datenpakets vom Sender zum Empfänger = Ping). Sie soll unter 20 ms liegen, sodass die Anwendungen künftig schneller reagieren werden. Zum Vergleich: Im Festnetz liegen die Latenzzeiten derzeit bei rund 30 ms, bei UMTS/HSPA betragen sie etwa 70ms. Erreicht werden soll die höhere Schlagzahl durch bessere Modulationsverfahren, flexiblere Frequenznutzung und größere Kanalbandbreiten.

Dazu kommen moderne und leistungsfähige Modulationsverfahren wie 64-QAM oder OFDM (Orthogonal Frequency Division Multiplexing) zum Einsatz, bei dem die Modulation in mehreren Dimensionen erfolgt. Die Effizienz bei der Nutzung des verfügbaren Spektrums liegt dabei noch einmal um den Faktor zwei bis vier höher als beim W-CDMA-Verfahren der UMTS-Technologie.

Bandbreite, Antennen und MIMO

Spezielle Algorithmen wählen die geeigneten OFDM-Kanäle aus und beziehen dabei die Einflüsse aus der Umgebung ein. Sie berücksichtigen beispielsweise die gemessene Signalstärke, können so Paketverluste aufgrund von Kollisionen oder schwachem Signal unterscheiden und bieten dadurch einen Hebel, um das Absinken der Bandbreite zu verhindern.

Mehr Antennen für besseren Empfang: Mithilfe der MIMO-Technik steigert sich die Datenrate erheblich. (Quelle: Nokia Siemens Networks)
Foto: Nokia Siemens Networks

Kombiniert mit der Mehrfachantennentechnik MIMO (Multiple Input Multiple Output) sollen so hohe Datenraten von mehr als 100 Mbit/s im Downlink und 50 Mbit/s im Uplink erreicht werden. MIMO ist der Oberbegriff für Verfahren, die Funkverbindung mit mehreren Antennen verbessern. Mehrere Antennen liefern ein besseres Empfangssignal, vergrößern die mögliche Distanz oder erhöhen den Datendurchsatz, weil beide Sende- und Empfangspfade nicht den gleichen Störungen (Verluste und Interferenzen) unterliegen.

Zudem ist LTE flexibler hinsichtlich der Kanalbandbreite. Ist sie bei UMTS auf 5 MHz fixiert, kann sie bei OFDM einen beliebigen Wert zwischen 1,25 und 20 MHz annehmen. Die variable Kanalbreite innerhalb des Frequenzbandes ist maßgebend für die tatsächliche Übertragungsgeschwindigkeit. Nutzt man eine Kanalbreite von 10 MHz, erreicht man einen Nettowert von maximal 75 Mbit/s, bei 20 MHz einen Wert von 150 Mbit/s.

LTE in Tests und erste kommerzielle Projekte

Telekommunikationsanbieter wie Nokia Siemens Networks oder Alcatel-Lucent bereiten sich bereits seit Längerem in ihren Forschungszentren auf die LTE-Technologie vor und fahren derzeit Tests mit allen namhaften Telekommunikationsanbietern. Den Schwerpunkt dabei bilden Datendienste wie Videos in HD-Qualität, Videokonferenzen oder Multiplayer-Games über das mobile Internet. In Deutschland ist Ende November 2010 mit ersten kommerziellen LTE-Angeboten der Provider zu rechnen.

Auf Herz und Nieren geprüft: Container wie diese weisen auf ein LTE-Testnetz hin. Um die Zeit zwischen Netzaufrüstung und Verfügbarkeit von Endgeräten zu reduzieren, haben die Netzbetreiber den 4G-Mobilfunk intensiv getestet. (Quelle: Nokia Siemens Networks)
Foto: Nokia Siemens Networks

Vor Kurzem hat die Landesanstalt für Kommunikation (LfK) im ländlichen Baden-Württemberg (Baldern im Ostalbkreis) in Zusammenarbeit mit Vodafone einen Feldversuch für die Breitbandversorgung über die Digitale Dividende erfolgreich abgeschlossen. Die rund 100 Teilnehmer konnten statt bislang maximal mit ISDN-Tempo (64 Kbit/s) nun mit DSL-Geschwindigkeit von teilweise bis zu 7,2 Mbit/s im Internet surfen. Den detaillierten Abschlussbericht finden Sie hier.

Etwas weiter sind die skandinavischen Länder. Seit Ende vergangenen Jahres versorgt TeliaSonera Stockholm und Oslo mit 4G-Mobilfunk. Den Angaben zufolge sind in Stockholm Downlink-Raten von über 100 Mbit/s pro Funkzelle durchaus möglich, 20 bis 80 Mbit/s der Normalfall. Das wäre eine Steigerung um den Faktor zehn im Vergleich zu bisherigen 3G-Technik. Für HD-Videos und Online-Spiele soll das Stockholmer Netz auf jeden Fall ausreichend dimensioniert sein.

Fazit

LTE wird die bisherigen GSM-, UMTS- und HSPA-Netze nicht vollständig ersetzen, sondern ergänzen. Beobachter rechnen damit, dass die Versteigerung der deutschen LTE-Frequenzen Mitte Mai 2010 abgeschlossen sein dürfte. Anschließend können die Mobilfunkbetreiber sukzessive mit dem Netzausbau beginnen, indem sie die bestehenden Basisstationen durch Software-Upgrades oder Hardwareergänzungen aufrüsten und damit die vorhandenen Mobilfunknetze erweitern.

T-Mobile, Vodafone & Co. haben aus ihren UMTS-Fehlern gelernt und die neue Technik schon frühzeitig getestet, um die Zeit zwischen Netzaufrüstung und Verfügbarkeit von Endgeräten zu reduzieren. Deshalb ist ab November 2010 hierzulande mit ersten kommerziellen Angeboten zu rechnen. Die Provider werden sich zur Einführung von LTE komplett auf die Vermarktung von Datendiensten konzentrieren, da für Sprache GSM & Co. bei Weitem ausreichen. Mit Bandbreiten zwischen 20 und 80 Mbit/s, die TeliaSonera derzeit via LTE in Stockholm erreicht, sind HD-Videos und Online-Spiele über das Mobiltelefon in guter Qualität zu erwarten.

Damit ist LTE eine echte Alternative für kabelgebundene Internetanschlüsse. Mit der Digitalen Dividende, dem Frequenzblock um 800 MHz mit höherer Reichweite, besitzt die Technologie zudem das realistische Potenzial, Breitbandinternet via Funk auch in Gebiete zu bringen, in denen es bislang weder DSL- noch Kabelanschluss gibt. Wesentlicher Treiber ist hier die Bundesregierung, die im Rahmen ihrer Breitbandinitiative Gelder aus dem Konjunkturpaket in die Infrastrukturförderung investieren will. Und staatliche Subventionen werden die Netzbetreiber wohl nicht als Hindernis für den Aufbau des LTE-Netzes sehen. (mje)