Lernstätte für E-Spezialisten

20.04.2000
Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main bildet erstmals Studenten der Wirtschaftswissenschaften zu Spezialisten für Electronic Business aus. Hohe Priorität hat dabei der Bezug zur Praxis. Auch Firmen finden das Angebot attraktiv und nutzen es zur Problemlösung.

Von: Franz X. Fuchs

Nach dem dritten Semester Jura war Schluss. "Das war nicht das Richtige", sagt Nicole Schmitt. Heute präsentiert sich die 27-Jährige Offenbacherin mit frechem Haarschnitt, blauen Augen, aufgewecktem Gesichtsausdruck und Lebenslauf auf ihrer eigenen Homepage im Internet. Denn die verlangt der neue Professor am Lehrstuhl für E-Business der Universität in Frankfurt am Main von ihr. Nicole Schmitt büffelt jetzt Betriebswirtschaft mit den Schwerpunkten E-Business, Marketing und Produktion, weil "ich damit meine Einstiegsmöglichkeiten in das Berufsleben verbessern kann". E-Business so richtig studieren - funktioniert das überhaupt? Es funktioniert.

Vor genau einem Jahr hat Professor Dr. Bernd Skiera in der Main-Metropole den in Deutschland ersten Lehrstuhl für Electronic Business eingerichtet. Vorausgegangen waren Gespräche mit dem Dekan. Gottlob ohne großen Bürokratismus, denn der war Feuer und Flamme. "Die Enscheidung ging zackig durch", sagt Skiera. Gemeinsam mit Professor Dr. Klaus-Peter Kaas, dem Lehrstuhlinhaber für Marketing, kam das Trio schnell zu der Erkenntnis, "dass Handel im Internet zukunftsträchtig ist" und ein entsprechender Studiengang für die Uni Frankfurt daher notwendig sei. In Seminaren, Work-shops und Vorlesungen schlägt der mit 34 Jahren jüngste Professor in Frankfurt die Brücke zwischen Technik und ökonomischen Zusammenhängen. Studenten lernen in Veranstaltungen wie zum Beispiel "Märkte im Internet", weshalb es unter anderem notwendig ist, Produkte kostenlos abzugeben, illegale Praktiken nicht immer juristisch zu verfolgen oder Geschäfte und damit Gewinn an Partner abzugeben.

Direkter Bezug zur Praxis

Donovan Pfaff ist einer der ersten Studenten, die sich nach dem Hauptstudium Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre auf E-Business spezialisiert haben. "Mich faszinieren der direkte Bezug zur Praxis, die Interaktivität zwischen Studenten und Wirtschaft sowie die Zukunftsaussichten", meint der 26-Jährige. Während der letzten CeBIT in Hannover habe er bereits mit Firmenvertretern gesprochen, der Name Pfaff ist vermutlich in der Akte von so manchem Personaldienstleister gespeichert. Sicher nicht als Karteileiche, denn die deutsche Wirtschaft benötigt für diesen Zukunftsmarkt händeringend Spezialisten.

Ablesen lässt sich das beispielsweise an den einschlägigen Aktivitäten von Unternehmensberatungsgesellschaften und IT-Unternehmen. So bereitet McKinsey demnächst in speziellen Trainingszentren Firmen für das elektronische Geschäft vor. Roland Berger versucht in Wochenendseminaren potenziellen Nachwuchskräften das Thema E-Business schmack-haft zu machen. In so genannten Internet-Zentren will die Firma Intel klein- und mittelständische Unternehmen für den Umgang mit dem elektronischen Handel fit machen. Von einer "bedeutenden Brutstätte neuer innovativer Unternehmen in Europa", spricht der Vizepräsident des Chipherstellers Patrick Gelsinger. In der kürzlich vorgelegten Studie "Business-to-Business in Deutschland" kommt die Forit GmbH unter anderem zu dem Ergebnis, dass das Umsatzvolumen im Bereich E-Business in diesem Jahr auf 221 Milliarden Mark klettern (1999: 134 Milliarden Mark) und im Jahr 2004 die Eine-Billion-Mark-Grenze überschreiten soll. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little hat in einer aktuellen Studie ermittelt, dass die meisten IT-Unternehmen in Deutschland eine Steigerung des über das Internet erwirtschafteten Umsatzes von 9 auf 25 Prozent bis zum Jahr 2005 erwarten. Zwei Drittel der Unternehmen gehen laut Studie davon aus, ihren Gesamtumsatz durch E-Business erhöhen zu können. Allein, die kompetenten Leute fehlen. "Wir fördern internationale Technik-Studiengänge an deutschen Hochschulen", erklärt der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Hans-Olaf Henkel angesichts von rund 150 000 fehlenden Experten alleine in der IT-Wirtschaft.

Solide wissenschaftliche Ausbildung

Auch Michael Mohr macht sich stark für eine solide wissenschaftliche Ausbildung von E-Business-Spezialisten. Der 31-jährige Vorstandsvorsitzende der DCI Database for Commerce and Industry AG und Gründer der Handelsplattform Webtradecenter.de, fordert, "dass an den Universitäten das dafür nötige theoretische Wissen vermittelt wird". Momentan sei das noch Aufgabe der Unternehmen selbst, speziell kleinere Firmen seien aber mit einer solchen Ausbildungsfunktion überfordert. Keineswegs die Meinung eines Einzelnen. "Vorwiegend mittelständische Unternehmen fühlen sich in Sachen E-Business allein gelassen und kritisieren Unternehmensberater und Dienstleister", mahnt Andreas Weber, E-Business-Spezialist der Beratungssozietät Columnum. Es fehle an integrierten Konzepten, zudem verstünden Consulting- und IT-Firmen viel zu wenig von den unternehmerischen Zielsetzungen ihrer Kunden und den dafür erforderlichen Kommunkationsprozessen. Internet-Serviceprovider und Systemhäuser könnten gerade mal Technikbausteine implementieren oder Standardsoftware anpassen; von Betriebswirtschaft, Marketing, Vertrieb oder Werbung hätten sie kaum Ahnung. "Es wird viel versprochen und wenig gehalten", kritisiert Weber die E-Business-Dienstleister. Selbst Multimedia-Agenturen hätten meist kein ausreichendes IT-Know-how und würden bei Einführung neuer Systeme mangels Wissen in Sachen Change-Management versagen. Pixelpark wähnt sich selbst zwar technisch gut gerüstet, gibt aber offen zu, immer Bedarf an zusätzlichem betriebswirtschaftlichen Know-how für den E-Business-Bereich zu haben. Der größte Multimedia-Dienstleister in Deutschland stellt am liebsten Leute ein, die studiert haben und Erfahrung in der Distribution von Gütern und dem Aufbau von Vermarktungskonzepten vorweisen können.

Techniker gebärt der neue Studiengang in Frankfurt natürlich nicht, allerdings ist den kommenden E-Business-Spezialisten der praktische Umgang mit Internet und Computer überhaupt nicht fremd. Neben dem Erstellen einer eigenen Website setzt Professor Skiera bei allen Seminaren den Einsatz ausschließlich PC-gestützter Präsentationen wie zum Beispiel mit Powerpoint voraus. "Die Leute müssen lernen, mit den neuen Medien umzugehen, das gehört für mich einfach dazu", so der mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftler. Schwerpunkte des Studiengangs sind die Bereiche Business-to-Consumer und Business-to-Business. Da E-Business bekanntlich schnellebig ist und Theorien schnell altbacken sind, nehmen praxisbezogene Übungen mit Experten aus der Wirtschaft einen extrem hohen Stellenwert ein. In regelmäßigen Workshops, wo Industrieunternehmen aktuelle Probleme vorstellen, zeigen die Studenten Lösungsvorschläge, präsentieren Trends und erarbeiten handfeste Marktanalysen. Denn viele Unternehmen, sagt Skiera, wüssten nicht, wie sie dem Geschäftspartner vermitteln sollen, dass sie sowohl eine technische als auch ökonomische Basis hätten. Als ehemaliger SAP-Programmierer und Aufsichtsrat der Ende 1999 gegründeten E-Business-Tochter der Commerzbank Commerz Net Business ist Skiera ausgewiesener Kenner der Unternehmenspraxis und weiß, welche Unternehmen für seine Studenten ideal sind. Umgekehrt wissen die Experten aus der Wirtschaft die Workshops an der Frankfurter Uni sehr wohl zu schätzen. "Unternehmensvertreter bekommen präsentiert, was in der eigenen Branche passiert und wo andere Branchen hinwandern, das ist ein Klasse-Angebot, von dem alle profitieren." Unter den Firmen finden sich hochkarätige Namen wie Dell, IBM oder Bertelsmann.

Kontakte für den Berufseinstieg

Für den Otto-Versand ist es nach Darstellung von Personalmanagerin Arne Herbst sehr wichtig, "einen intensiven Austausch und eine enge Kooperation zwischen Praxis und Theorie zu betreiben". Auf diese Weise könne das Warenhaus Problemstellungen aus der Praxis in die Universitäten tragen und umgekehrt wertvolle Impulse aus der Forschung erhalten. Außerdem biete der Studiengang in Frankfurt auch die Chance, "dass hochqualifizierte Talente uns kennen lernen und so Kontakte für den Berufseinstieg knüpfen". Der Konzern lud daher zu einem Workshop, in dem die Aspekte Kundenbindung und virtuelle Communities im Vordergrund standen. Gemeinsam mit den Studenten feilten die E-Business-Spezialisten von Otto an Ideen und Konzepten, um einen Online-Kundenclub zu generieren.

Anfang diesen Jahres hatte die Deutsche Shell AG zu einem zweitägigen Workshop nach Hamburg geladen, um sich Impulse aus der Forschung zu holen. Auf der Tagesordnung standen unter anderem Themen wie kostenloser Internet-Zugang oder die Abwicklung des elektronischen Datenaustausches mit Abnehmern. Der Konzern dankte und übernahm die Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten.

Lehrstuhlinhaber Skiera betrachtet es als eine seiner Hauptaufgaben, eine wissenschaftsbezogene Ausbildung anzubieten, die im späteren Berufsleben für die Steigerung der Unternehmensgewinne und des Shareholder-Value erforderlich ist. "Wir konzentrieren uns auf die Vermittlung von theoretisch fundiertem Wissen zur Lösung praktischer Probleme im E-Business." Der Schwerpunkt liege dabei am Ende der Wertschöpfungskette, also auf bei der Absatzseite.

Neu hinzugekommen ist im laufenden Semester die Veranstaltung Businesspläne/Marktforschung. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Studenten schwer damit tun, eine Idee zu Papier zu bringen und mit Zahlen zu argumentieren", sagt Skiera. Deshalb werden auch die Vorlesungen durch Vorträge unterschiedlicher Experten aus der Wirtschaft angereichert. Anfang April berichtete Alexander Straub, Gründer des Internet-Startups Mondus, über den Aufbau eines virtuellen Marktplatzes im Web. Anfang Mai kommt Stefan Glänzer vom Internet-Auktionshaus Ricardo. "Der kann erzählen, wie er es geschafft hat: von der Idee über den Businessplan zum Geschäftsaufbau bis hin zum Börsengang", berichtet Skiera.

15 diplomierte E-Business-Spezialisten

Die Spezialisierung am Lehrstuhl für E-Business folgt dem Grund- und Hauptstudium in Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre und dauert normalerweise drei Semester, lässt sich aber auf zwei Semester verkürzen. "Die Studenten können sich die Sachen rauspicken, die zum bisher Gelernten passen", sagt Skiera. Jeder der rund 40 bis 60 Studenten, die pro Semester erwartungsgemäß hinzukommen, nutzt im Uni-eigenen PC-Labor kostenlos einen PC mit schnellem Internet-Anschluss inklusive eigener Adresse und Passwort. Je vier Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte sowie eine Sekretärin unterstützen den Professor bei der Arbeit. Demnächst wird ein weiterer Mitarbeiter fest angestellt, seitdem bekannt geworden ist, dass die Commerzbank den Lehrstuhl jährlich mit 120 000 Mark fördert.

Die ersten 15 E-Business-Spezialisten schließen derzeit ihr Studium mit dem Diplom-Kaufmann/-frau ab, wobei im Zeugnis die Spezialisierung hervorgehoben wird. Wen es möglichst schnell in die Arbeitswelt drängt, kann alternativ zum Diplom den Bachelor wählen, der gerade im Rahmen einer neuen Studienordnung aufgebaut wird. Der MBA soll im nächsten Schritt folgen.

Die Beschäftigungsmöglichkeiten beurteilt Skiera als "hervorragend". "Die Studenten sind gut ausgebildet, wenn es darum geht, virtuelle Marktplätze, die technisch aufgebaut sind, ökonomisch optimal umzusetzen", sagt der Ordinarius mit Verweis auf Anbieter wie beispielsweise Intershop. Auch Professor Dr. Roland Conradi vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Heilbronn, wo E-Business seit dem letzten Wintersemester angeboten wird, spricht von ausgezeichneten Berufsaussichten. "Die Anzahl für Fachkräfte mit fundierter Erfahrung im E-Business ist rar", so Conradi. Die Konkurrenz in der freien Wirtschaft sei beinhart und die Unternehmen versuchten deshalb möglichst frühzeitig, kompetentes Personal zu binden. Mit "Liebe Studentinnen und Studenten" lud Andersen Consulting die Frankfurter Kommilitonen Anfang des Jahres zu einem Logistik-Work-shop ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das Simulationsspiel "Beer Game", in dem Studenten in Teams als Glieder einer Logistikkette in der Bierindustrie fungierten.

Ziel war es, die Auswirkungen von Einzelentscheidungen in Form des so genannten Peitscheneffekts auf die gesamte Logistikkette interaktiv zu erfahren. Gemeinsam lernten die Kommilitonen, ein gebündeltes Paket von Maßnahmen zu entwickeln, um die Logistikkette zu optimieren. Dass es den Consultern bei der Veranstaltung nicht nur um die Vermittlung von Lerninhalten ging, konnten die Studenten bereits an der Einladung erkennen. Dieser war nämlich gleich ein Bewerbungsbogen beigefügt. Nicole Schmitt, die nächstes Jahr ihr Studium abschließt, darf sich schon jetzt freuen. (cep)