Leichter gemeinsam arbeiten

14.10.1998
Attraktiv sind Videokonferenzen schon. Doch der Effekt, daß der Telefonpartner auf dem Bildschirm sichtbar wird, reicht nicht aus, um sich für ein solches System dauerhaft zu erwärmen. Vielmehr liegt das Hauptgewicht auf der gemeinsamen Zusammenarbeit.

Von: Hans-Jörg Schilder

Nicht nur Märkte brauchen lange Zeit, um sich zu entwickeln, auch die Bedürfnisse ändern sich. War in der Anfangszeit des ISDN hauptsächlich der Aspekt Bildtelefon gefragt, steht mittlerweile die gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten im Vordergrund. Und hier gibt es auch konkreten Nutzen, deshalb führen Unternehmen solche Hilfsmittel ein. So hat sich beispielsweise Daimler-Benz entschlossen, bei jedem seiner Mitarbeiter ein PC-basiertes System zu installieren [1]. Die Face-to-Face-Kommunikation sollte aber nicht vernachlässigt werden. Zum Beispiel überprüft eine englische Bank Kunden, die eine Hypothek aufnehmen wollen, via Videokonferenz mit der Niederlassung und bespricht zusammen mit dem Experten die Finanzierung. Damit erspart sich der Experte in der Zentrale die zeitraubende Anreise zum Kunden.

Boom für LAN-Videokonferenzen?

Beschränkten sich Videokonferenzsysteme in der Vergangenheit - bis auf wenige Ausnahmen - auf den Bereich der WAN-Kommunikation, so fordern gerade Unternehmen eine kombinierte Lösung. Damit kann der Mitarbeiter sowohl den Kollegen im Nachbarbüro kontaktieren als auch in der Niederlassung in USA. Hierfür hat sich der H.323-Standard als tragfähige Plattform herauskristallisiert, bietet er doch das Gateway für die Echtzeitkommunikation mit dem LAN und WAN. WAN-seitig steht übrigens dem Transportmedium ISDN keine Ablösung bevor. Hier steht die Industrie allerdings erst am Anfang und stellt erste Produkte vor (siehe auch Textkasten "Madge setzt auf LAN/WAN-Videokommunikation"). Daß Netscape in seinem "Navigator" und Microsoft in "Netmeeting" diesen Standard berücksichtigen, zeigt die Absichten der beiden Softwarehersteller. Ein weiterer Aspekt, der entsprechende Kosten verursacht, ist der Anschluß an das WAN. Bisher nutzen Videokonferenzsysteme einen eigenen ISDN-Nebenstellenanschluß. Bei einer unternehmensweiten Installation summieren sich hier Kosten für die Bereitstellung des Anschlusses. Abhilfe schaffen Video-Gateways, die zentral den Verkehr vom LAN ins WAN leiten.

Ein weiterer Trend geht von Intel aus. Der Chiphersteller versucht, Videokonferenzen über seine Prozessoren abzudecken und vermarktet diese Strategie unter dem Schlagwort "MMX". Der Vorteil einer solchen Lösung liegt auf der Hand: Müssen bisher alle PCs aufgeschraubt und mit zusätzlicher Hardware versorgt werden, so ließe sich dies über die Realisierung im Prozessor einsparen. Zusätzliche Geräte könnten über externe Schnittstellen angeschlossen werden. Gerade hinsichtlich des netzwerkweiten Einsatzes ist dieser Weg sehr attraktiv. Derzeit gibt es jedoch noch kein Produkt, das diese Prozessorfunktion unterstützt.

Deshalb haben wir uns nach Produkten umgesehen, die einfach zu installieren sind und doch einen akzeptablen Funktionsumfang bieten. Hier haben sich zum Beispiel Lösungen durchgesetzt, die Audio, Video und ISDN auf einer Karte umsetzen. Früher mußten die Nutzer oft bis zu drei Karten installieren. Als Bus hat sich PCI (Peripheral Component Interconnect) durchgesetzt. Bei den Betriebssystemen bieten die Hersteller bis jetzt nur eine Variante an: Windows 95. Alle arbeiten jedoch fieberhaft an NT-Versionen. Hier zeigte zum Beispiel Elsa mit "Elsavision" bereits auf der diesjährigen CeBIT Flagge.

In einem ersten Durchgang vergleichen wir "Live 200" von Picturetel und "Smartvision 128" von Vtel. In den folgenden Ausgaben der Gateway folgen dann die Systeme von Elsa, Intel und Siemens. Eine weitere Voraussetzung für den Test war die Unterstützung des H.320-Standards, der den Verbindungsauf- und -abbau von Videokonferenzen im ISDN regelt. Darüber hinaus sollten die Systeme als Komplettsysteme vermarktet werden. Schließlich arbeiten alle genannten Systeme mit zwei B-Kanälen.

Das Zusammenstöpseln der Hardwarekomponenten läßt sich schnell vornehmen. Allerdings fehlen auf der Picturetel-Karte die Bezeichnungen für die Audio-Ein- und -Ausgänge, so daß ein eventuell fehlender Ton erst nach dem Umstecken erklingt. Insgesamt dauert die gesamte Hardwareeinrichtung knapp 15 Minuten.

Die weitere Installation beider Produkte gestaltet sich einfach. Die einzige Hürde ist, daß die Grafikkarte mindestens 600 x 800 Punkte bei 16 Bit Farbtiefe darstellen muß. Während Smartstation auf diesen Fehler aufmerksam macht und die Installation abbricht, läßt sich Live 200 komplett einrichten, zeigt aber später nur ein schwarzweißes Programmfenster. Wer das Handbuch liest, wird auf diese Einstellung aufmerksam gemacht. Nachdem die richtigen Grafikeinstellungen geladen sind, zeigt Live 200 das richtige Bild.

Der Programmaufruf von Smartstation zieht auch gleichzeitig den Start der Microsoft-Entwicklung "Netmeeting" nach sich. Netmeeting verfügt über eine Funktion, die H.320-ISDN-Verbindungen direkt aus dem Programm heraus erlaubt. Im Test mit mehreren Gegenstellen funktionierte diese Variante jedoch nicht. Überhaupt ist der Nutzen einer Integration von Netmeeting für professionelle Nutzer mit Fragezeichen behaftet. Die Software benutzt einen Kommunikationsserver, der verschiedene Adreßverzeichnisse anbietet. Dort lassen sich Teilnehmer nach verschiedenen Kriterien auflisten: "Nur für Erwachsene", "aus dem eigenen Land", "geschäftliche Nutzer" lauten zum Beispiel die Kriterien.

Live 200: für professionelle Einsätze

Mit der Software lassen sich sowohl normale Telefonate als auch Videoverbindungen über das Internet abhalten. Trotz mehrmaliger Anwahlversuche konnte aber keine Verbindungen aufgebaut werden. Den größten Nutzen von Netmeeting haben jedoch Anwender, die sich in den Kommunikationsserver eintragen und dann gemeinsames Application-Sharing betreiben. Dabei wird beispielsweise eine Excel-Datei gemeinsam bearbeitet.

Parallel dazu existiert bei Smartvision das eigentliche Programmfenster, das aber nur das lokale Videofenster zeigt. Erst der Mausklick auf ein Firmenlogo öffnet die Konferenzsoftware. Verbindungen, die sich aufbauen, zeigt Smartstation durch gelbe Farbbalken an. Wenn die Verbindung steht, präsentiert sich ein grüner Farbbalken. Geänderte Konfigurationen werden erst nach einem Neustart des Programms vollzogen. Dabei taucht ein "Herunterlademodul" auf, das die Änderungen vornimmt. Als Managementwerkzeug bietet Vtel den "Smart Video Netmanager" an, mit dem sich remote alle Videokonferenzen steuern und analysieren lassen. Die SNMP-basierte Managementfunktion erfordert allerdings einen SNMP-Manager sowie eine Konsole. Der Clou dabei: Durch den Service brauchen sich die Teilnehmer nicht mehr um die Technik kümmern. Allerdings lohnt sich die Investition nur für größere Videokonferenz-Anlagen.

Live 200 ist in der Handhabung etwas gefälliger als Smartstation. Bei diesem Programm wird sofort deutlich, wo gewählt werden kann und wie sich ein gemeinsames Whiteboard öffnen läßt. Auch die Diagnose-Tools sind vorhanden. So läßt sich ein Selbsttest vornehmen, der anhand eines zweiten lokalen Kamerabildes zeigt, daß Ton und Video funktionieren. Leider lassen sich keine Aussagen darüber machen, ob die ISDN-Leitung funktioniert. Der Selbsttest nutzt nämlich nur interne Kanäle.

In der Testumgebung liefen beide Systeme problemlos auf einem Rechner (Dell Poweredge 2200 mit 266-MHz-Prozessor und 64 MByte RAM). Ein paralleler Betrieb funktionierte jedoch nicht. Geklappt hat jedoch die Kommunikation zwischen den beiden Produkten. So ließ sich mit Live 200 lokal und Smartstation-Gegenstelle das gemeinsame Whiteboard nutzen. Auch die Übertragungsqualität war gut.

Nützlich und preiswert, aber netzwerktauglich?

Beide Systeme schenken sich hinsichtlich der Video- und Audioqualität nicht allzuviel. Mit Preisen von 3500 Mark für Smartstation und 2900 Mark für Live 200 erhalten die Kunden ausgereifte Produkte, die sich schnell amortisieren. Bissinger Systemtechnik als deutscher Distributor von Vtel bietet darüber hinaus den Service an, Smartstation zu installieren. Das kostet noch einmal 1400 Mark, darin enthalten ist auch eine Unterweisung.

Angesichts der zur Verfügung stehenden Bandbreite lassen sich ganz ordentliche Ergebnisse erzielen. Allerdings müssen sich die Teilnehmer darauf konzentrieren, nicht allzu schnell zu agieren und deutlich zu reden. Die Kernfrage aber, ob solche Systeme bereits in dieser Form netzwerkweit installiert werden sollten, ist schwer zu beantworten. Während Vtel auf den Videonetmanager setzt, um die Administrationkosten zu senken, hat Picturetel ein LAN-Gateway entwickelt, das über einen S0-Anschluß verfügt. Ideal wäre eine Kombination aus beiden.

Literatur

[1] Schilder, Hans-Jörg: Die Industrie klopft an; Gateway 5/97, Seite 28; Verlag Heinz Heise, Hannover 1997

[2] Verzeichnis der Standards für Videokonferenzen: http://standards.pictel.com/referenc.htm