Leben und Arbeiten im globalen Netz, Teil 1

28.12.2004 von Jörg Luther
Das Leben in einer vernetzten Umgebung, die Kommunikation und Informationsbeschaffung über das Internet werden im Beruf und privat immer wichtiger. Wir betrachten die wichtigsten Technologien von heute und morgen.

Nach einer Studie von TNS Emnid [1] waren im Juni 2004 knapp 34 Millionen oder 53 Prozent der Deutschen bereits privat online, weitere 6,6 Prozent planten "in naher Zukunft" das Internet zu nutzen. 30 Prozent der Nutzer gaben an, über eine Breitbandverbindung wie DSL online zu gehen, 10 Prozent nutzten das drahtlose Wireless LAN für die Vernetzung.

Der vernetzte Mensch ist damit jetzt schon keine Zukunftsvision mehr, sondern eine alltägliche Tatsache. Heute bereits existierende Technologien, neue Zugangstechniken und portable, einfach bedienbare Endgeräte werden in den nächsten fünf Jahren die Lücken schließen, in denen wir heute noch offline leben. Im Folgenden wollen wir einen kurzen Blick auf den technischen und wirtschaftlichen Hintergrund der wichtigsten Technologien werfen.

Serie: Leben und Arbeiten im globalen Netz

Teil 1

Totale Vernetzung

Teil 2

Das Internet in der schönen neuen Welt

Firmennetz

Die wenigsten Veränderung ergeben sich da, wo die Vernetzung bereits heute zum Alltag gehört: am Arbeitsplatz. Einige neue Aspekt ergeben sich allerdings aus der quasi turnusmäßig anstehenden Geschwindigkeitssteigerung am Desktop von Fast Ethernet auf Gigabit Ethernet (GBE). Die technischen Voraussetzung dafür bestehen grundsätzlich bereits heute: Nahezu jeder aktuelle Rechner - ob Desktop oder Laptop - kommt bereits mit einem 100/1000-Mbit/s-Netzwerkinterface ins Haus. Allerdings nutzen derzeit noch die wenigsten Unternehmen diese Tatsache zur Einrichtung von Gigabit-to-the-Desk-Architekturen.

Dies liegt in den momentan noch hohen Kosten für entsprechende Infrastrukturkomponenten begründet. Zwar liegen die Kosten für ein GBE-Switch-Interface inzwischen kaum mehr über denjenigen einer Fast-Ethernet-Schnittstelle; die zum Transport im Backbone notwendigen 10-Gigabit-Ethernet-Ports (10GE) schlugen beispielsweise Anfang 2004 noch mit rund 5000 US-Dollar pro Stück zu Buche. Doch die per-Port-Preise für 10GE befinden sich bereits deutlich im Sinkflug: Noch Anfang 2003 lagen sie bei 80.000 US-Dollar.

Unschwer lässt sich daher voraussagen, dass in 2005 der Preis je 10GE-Interface unter die magische 500-Dollar-Grenze sinken und damit den Startschuss für die Umrüstung zahlreicher Unternehmensnetze auf Gigabit-to-the-Desk geben wird. Die mit den leistungsfähigeren Unternehmensnetzen einhergehenden höheren Datendurchsätze öffnen die Türen zu neuen Nutzanwendungen, die in den heute eng gewordenen GBE-Backbones den Rahmen gesprengt hätten.

Einigen davon, die bereits jetzt mehr oder weniger intensiv genutzt werden, verschaffen die leistungsfähigeren Unternehmensnetze künftig eine breitere Akzeptanz. In diese Sparte fallen etwa die Mitarbeiterschulung via LAN (E-Learning), das gemeinsame Bearbeiten von Dokumenten (Collaboration) oder virtuelle Meetings (Conferencing). Für eine bereits seit langem diskutierte, jedoch bislang erst wenig implementierte Technologie werden sich die schnellen Firmen-LANs als Türöffner erweisen: Die Telefonie über IP-Datennetze oder kurz VoIP.

Voice over IP

Der Begriff Voice over IP (VoIP) subsummiert eigentlich eine ganze Reihe von Verfahren zur Übertragung von Sprache über IP-basierte Netze. Dazu zählen sowohl firmeninterne Anwendungen als auch die IP-Telefonie im öffentlichen Internet. Insgesamt lässt sich VoIP jedoch nur als Teil einer Gesamtentwicklung von getrennten Daten- und Telefonie-Netzen hin zu einer einheitlichen Netzstruktur verstehen. Das Zusammenfließen der Technologien für den Transport von Sprache, Multimedia und Daten umschreibt man mit dem Ausdruck "Konvergenz".

Die klassischen Carrier müssen sich mit diesem Thema schon länger beschäftigen: Deren auf Leitungsvermittlung (Telefonie) ausgelegten Netze wurden ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre immer stärken mit Paket-orientiertem Verkehr (Daten) geflutet, für deren Transport sie nicht flexibel genug waren. Betrug um 1990 das Verhältnis Telefonie/Daten noch 80 zu 20, ist es heute ins genaue Gegenteil gekippt. Daher stellen die Carrier ihre Backbones seit langem sukzessive auf den konvergenten Transport von Sprache und Daten um.

Die Unternehmen allerdings haben diesbezüglich noch Nachholbedarf, obwohl die Umstellung auf IP-Telefonie zahlreiche Vorteile und vor allem bei Firmen mit mehreren Standorten auch deutliche Kostendämpfungen verspricht. Neben den bislang oft chronisch verstopften Firmen-LANs zeichnen dafür vor allem "politische" Gründe verantwortlich: Langfristige Verträge banden Unternehmen an Telefonie-Provider, die zuständigen Manager (fast nie mit den Netzwerkverantwortlichen identisch) fürchteten Kompetenz-Einbußen, Anwender hegten Vorbehalte gegen den Telefonie-Computer auf dem Schreibtisch.

Doch selbst der langfristigste Vertrag läuft einmal aus, der zunehmende Kostendruck macht Kompetenzgerangel irrelevant, und die Anbieter erleichtern dem Anwender den Umstieg durch geschickt als Telefon "getarnte" Endgeräte. Das Netzwerk-Telefon hält damit an immer mehr Arbeitsplätzen Einzug, in 2004 werden die Umsätze mit VoIP-Equipment wohl erstmals die Milliarden-Dollar-Marke knacken. Doch dabei handelt es sich erst um die Spitze des Eisbergs: Bis 2008 wird diese Summe auf mehr als das Fünffache anwachsen, und über 260 Millionen Anwender weltweit telefonieren dann von einem VoIP-Anschluss an ihrem Arbeitsplatz aus [2].

Während große Unternehmen im Sinne des Investitionsschutzes eher auf hybride Lösungen unter Einbeziehung klassischer, leitungsvermittelnder Technik setzen, tendieren kleine und mittlere Unternehmen eher zum konsequenten Umstieg auf VoIP. Da sich hierzulande die meisten Arbeitsplätze in KMUs finden, werden am Ende dieses Jahrzehnts wohl die meisten von uns via IP telefonieren.

Evolution der Endgeräte

Die Telefonie-Endgeräte für die VoIP-Nutzung allerdings werden sich mit steigender Verbreitung der Technik deutlich verändern. Die erste Generation versucht noch, die Akzeptanz der Technologie beim Anwender durch hybride Nutzungsmöglichkeiten (ISDN und VoIP) sowie durch am klassischen Telefon orientierte "Benutzer-Interfaces" zu unterstützen. Allerdings gibt es nicht nur keinen Grund dafür, dass am Ende des Jahrzehnts ein VoIP-Endgerät noch wie ein Tastentelefon aus den 80er Jahren aussehen müsste, sondern es sprechen sogar einige gewichtige Gründe dagegen.

Der wichtigste davon ist die Einschränkung der möglichen Funktionalität, die eine Beschränkung auf das klassische Telefon-Interface mit sich bringt. Zwar bieten typische IP-Telefone ein großes Display an, signalisieren dort jedoch nicht viel, was ein normales Systemtelefon nicht auch anzeigen würde. Einen echten Funktionsgewinn bieten dagegen so genannte Softphones, also als Software auf dem PC agierende VoIP-Anwendungen. Sie bieten die Möglichkeit, die Fähigkeiten von Telefon und Rechner perfekt per CTI (Computer Telephony Integration) zu koppeln.

So lassen sich bei einem Softphone eingehenden Gesprächen sofort entsprechende Daten aus der CRM-Software oder einem internen Verzeichnisdienst zuordnen und darstellen. Gängigstes Beispiel: Bei einem eingehenden externen Anruf erscheinen auf dem PC-Bildschirm sofort die Kontaktdaten des zur ankommenden Rufnummer gehörenden Kunden samt der letzten Vorgangsdaten aus dem Warenwirtschafts-System. Die Vorteile einer solchen Lösung hinsichtlich Effizienz und Kundenbindung liegen auf der Hand.

Mobiltelefonie: VoWLAN, UMTS und mehr

VoIP muss jedoch nicht am Schreibtisch halt machen. Es lässt sich auch ideal mit einer anderen, in den meisten Unternehmen bereits eingeführten, mobilen Kommunikationstechnologie koppeln: Mit dem drahtlosem Ethernet oder kurz WLAN (Wireless LAN).

Notebook-Benutzern ist WLAN nichts Neues: Fast jeder heute angebotene Mobilrechner bringt die Funknetz-Schnittstelle schon mit, Intels Mobile-Chipsatz Centrino umfasst einen entsprechenden Chip bereits als Standard. Die derzeitigen WLAN-Standards IEEE 801.11a und 11g bieten mit einer Bandbreite von 54 Mbit/s genügend Raum, um neben allen gängigen Desktop-Anwendungen auch Multimedia und IP-Telefonie zu unterstützen. Steigende Datenraten - in 2006 werden dem Anwender rund 150 Mbit/s zur Verfügung stehen - und entstehenden Quality-of-Service-Standards (IEEE 802.11e) machen die Integration mehrerer Dienste auf WLAN-Verbindungen immer einfacher.

Dies gilt nicht zuletzt auch für die drahtlose Telefonie. Auch hier kann VoIP zum Zug kommen, in diesem Fall als VoWLAN (Voice over WLAN) apostrophiert. Ebenso wie bei drahtgebundenem VoIP winken hier erweiterte Funktionalität und geringere Kosten als Vorteile. Mit einem WLAN-Handy ausgestattet, ist der Benutzer im Unternehmen stets unter derselben Telefonnummer zu erreichen, unabhängig davon, ob er sich gerade am Arbeitsplatz befindet oder nicht. Aber auch außer Haus telefoniert er an Wireless Hotspots - im Bahnhof oder am Airport, im Hotel oder im Biergarten - über einen IP-Telefonie-Provider deutlich kostengünstiger als über klassische Mobiltelefonie-Anbieter.

Intelligente Smartphones

Kommende Cell-Phone-Chipsätze, wie sie etwa Agere entwickelt, werden darüber hinaus in Zukunft WLAN-Fähigkeit mit gängigen Mobilfunk-Technologien wie GPS/GPRS und UMTS kombinieren. Entsprechende Endgeräte erlauben dem Anwender nicht nur die Kommunikation von praktisch jedem Ort aus, sondern ermöglichen daneben auch noch die freie Wahl des jeweils günstigsten Kommunikationswegs. Auch hier spielt das Internet-Protokoll eine tragende Rolle - zum Leidwesen manches Mobilfunkproviders: Über VoIP lässt sich auch via UMTS kostengünstig telefonieren. Wie eine Studie von Mummert Consulting vom Juni 2004 zeigt, fallen Gespräche per VoIP über UMTS um rund zwei Drittel billiger aus als direkt via UMTS. Der bis zu 384 Kbit/s schnelle Mobilfunkdienst rechnet sich eher bei der Datenübertragung für Business-Anwendungen.

Mit den breiteren Einsatzmöglichkeiten wandelt sich in den nächsten Jahren auch das Profil der mobilen Endgeräte - weg vom "dummen" Handy, hin zum intelligenten "Smartphone". Über das schlichte Telefonieren hinaus ermöglichen die schlauen Telefone mit integriertem Personal-Information-Management, Webbrowser und Java die permanente Anbindung des mobilen Anwenders an alle Informationsquellen im Unternehmen und den Datenabgleich über Webanwendungen.

Vernetzung privat - Intelligentes Wohnen

Dass ein vernetztes Heim weit über die heute schon gängige Internet-Anbindung oder Koppelung der Unterhaltungselektronik hinausgehen kann, und selbst der viel zitierte Internet-Kühlschrank nicht das Maß aller Dinge darstellt, zeigt das Futurelife-Projekt [3] im schweizerischen Cham. Dort bewohnt die vierköpfige Familie Steiner ein Einfamilien-Haus, in dem sich anhand aktuellster Technologie die Möglichkeiten des vernetzten Wohnens erproben und die Grenzen einer solchen Umgebung ausloten lassen.

Kern des vernetzten Haushalts bildet ein zentrales Server-Rack im Keller, an das über ein standardisiertes EIB-System (European Installation Bus) die vernetzten Komponenten und Haushaltsgeräte angeschlossen sind.

Via Internet kann bei den meisten Komponenten zumindest der Status abgefragt werden, viele Geräte lassen sich auch direkt aus dem Web ansteuern. So kann der Bewohner etwa die Klimatisierung, die Lichter und alle Steckdosen im Haus auch aus der Ferne regeln - die Sorge um das noch eingesteckte Bügeleisen oder die laufende Waschmaschine gehören damit der Vergangenheit an. Umgekehrt lassen sich die Kaffeemaschine oder Backofen schon von unterwegs in Gang setzen. Auch Sicherheitstechnik und Zutrittskontrollsystem kann der Bewohner via Internet, Intranet und WAP bedienen und kontrollieren.

Vernetzte Haushaltsgeräte

Neben dem zwar leistungsfähigen und standardisierten EIB, der jedoch nur schwer nachzurüsten ist, kommt als Datenverbindung im Futurelife-Haus auch eine Vernetzungstechnik zum Zug, mit der sich nicht von vorne herein auf intelligentes Wohnen ausgelegte Gebäude nachträglich mit entsprechenden Komponenten ausrüsten lassen: Powerline Communications (PLC), also die Vernetzung über die Steckdose. Eine komplette Palette entsprechender Haushaltsgeräte bietet etwa Siemens in der serve@Home-Serie [4] an, die von Herden und Backöfen über Waschmaschinen und Trocknern bis hin zu vernetzten Kühl/Gefrier-Kombinationen reicht.

Als Schaltzentrale dient ein zentraler Gateway, der bei Bedarf auch die Internet-Anbindung übernimmt. Bei technischen Problemen alarmieren die Geräte auf Wunsch automatisch den Kundendienst, der anhand der Diagnosedaten gleich mit den richtigen Ersatzteilen anrücken kann.

Solche Entwicklungen und Lösungen, die auf die Erleichterung des Alltagslebens in den privaten Haushalten abzielen, zählen zu den potentiellen Schlüsseltechnologien dieses Jahrzehnts: Nach einer Studie von Electrolux werden bereits 2005 rund 20 Millionen US-Haushalte insgesamt 15 Milliarden Dollar für Hausgeräte mit Internetsteuerung ausgeben, und auch in Europa sollen nach einer Prognose des britischen Marktforschungsinstituts Datamonitor Ende dieses Jahrzehnts eben so viele Haushalte über entsprechende Technik verfügen.

Ausblick

Im zweiten Artikelteil betrachten wir die Möglichkeiten des Internet, das in Zukunft allgegenwärtig sein wird, gleich ob wir Auto fahren, das Flugzeug nehmen, per Zug oder Schiff reisen.

Rund um die Uhr zu Hause und im Büro, zu Lande, zu Wasser und in der Luft online, sind wir jedoch auch neuen Ärgernissen und Gefahren ausgesetzt. Eine kritische Betrachtung dieser "schönen neuen Welt" schließt die Serie ab.

Serie: Leben und Arbeiten im globalen Netz

Teil 1

Totale Vernetzung

Teil 2

Das Internet in der schönen neuen Welt

Quellen und Links:

[1] TMS Emnid (N)ONLINER Atlas, http://www.nonliner-atlas.de/

[2] The Radicati Group, "Corporate VoIP Market, 2004-2008", Telephony.pdf

[3] Futurelife-Projekt, http://www.futurelife.ch

[4] Siemens serve@Home, http://www.serve-home.de

[5] BMW ConnectedDrive, http://www.bmw.com/generic/com/de/fascination/technology/connecteddrive/

[6] Connexion by Boeing, http://www.connexionbyboeing.com/

[7] Lufthansa FlyNet, http://www.flynet.lufthansa.com/

[8] Deutsche Bahn rail&mail, http://www.bahn.de/pv/view/home/aktion/rail_and_mail.shtml

[9] IPmotion GmbH, http://www.ipmotion.de/