Kostenlose Software mieten spart Geld

25.05.2001
Der Versuch, Open Source im Business der Application Service Provider (ASP) zu etablieren, wirkt auf den ersten Blick skurril. Er ist aber nicht nur konsequent, sondern mildert aus Kundensicht zentrale Probleme des ASP-Modells.

Von: Dr. Johannes Wiele

Warum etwas mieten, das kostenlos ist? Die Frage liegt nahe, wenn es um Ideen für den Open-Source-Einsatz in ASP-Umgebungen geht. Sie beruht aber auf einem Missverständnis des ASP-Konzepts. "Man muss zwischen Application Hosting und echtem Service Providing unterscheiden", meint beispielsweise Steffen Heine, Mitglied im Vorstand des Business-Continuity-Anbieters Info AG. Service Providing bedeutet für ihn, dass ein Unternehmen einem Kunden jegliche Sorge um eine Anwendung nimmt. "Das kann bedeuten, dass der Anbieter dem Kunden landesweit in jeder Filiale das gesamte Equipment von PC und Drucker bis hin zur lauffähigen Anwendung zur Verfügung stellt", erklärt der Berater. Der Kunde bezahlt den Komplettservice, also die "Lösung" im eigentlichen Sinne des Wortes, und kümmert sich nicht darum, welche Produkte darin integriert sind.

Dieses Konzept ähnelt den Überlegungen, mit denen Linux-Distributoren im vergangenen Jahr versuchten, ihre Geschäftsmodelle auf eine solide Basis zu stellen. Da mit den Distributionen auf CD weniger Geld zu verdienen war als erwartet, bauten Anbieter wie Red Hat, Suse, Turbolinux und Caldera Professional-Services-Organisationen auf. Inzwischen hat sich das Rad noch etwas weitergedreht: Richtig gut geht es im Linux-Markt den selbstständigen Systemhäusern mit Unix-Erfahrung, die ihr Know-how nun ohne das Hemmnis der Lizenzgebühren für Dritte vermarkten können. Ebenfalls gut im Geschäft sind Anbieter, die Linux in Form von Embedded-Lösungen oder sicheren Betriebssystemen in Appliances oder Sicherheitsangebote integrieren. Auch vorkonfigurierte Server finden Interesse. In all diesen Fällen ist es der Kostenvorteil der Open-Source-Software, der zählt, und der frei verfügbare Quellcode, der Eigenentwicklungen erleichtert.

Einfacheres Billing

Beim ASP-Modell bekommen beide Aspekte zusätzliche Bedeutung. Ein Problem für ASP-Anbieter ist zum Beispiel nach wie vor die komplexe Abrechnungsstruktur. Fast jeder Kunde nutzt neben "seiner" gemieteten Anwendung auch andere Applikationen und Netzwerk-Einrichtungen beim ASP: Das Betriebssystem für den Server etwa, Backup-Systeme und die Sicherheitseinrichtungen. Einige dieser Systeme und System-Ebenen teilt er sich mit anderen Kunden, andere nutzt er allein. Der Anbieter kommt dabei nicht umhin, die Lizenzkosten für die verschiedenen Produkte auf die Mietkosten umzulegen - entweder für sich selbst, um eine sichere Basis für einfache Pauschalpreise zu ermitteln, oder direkt für den Kunden, der nur die tatsächlich genutzten Kapazitäten bezahlen will. "Billing-Systeme, die so etwas ermöglichen, sind selbst aus unserer Sicht eine Geheimwissenschaft", meint dazu Dennis Adams, Vice President Marketing Worldwide bei Tarantella Inc., "wir sind froh, dass wir dafür nur die Schnittstellen liefern müssen." Tarantella stellt Web-Enabling-Software her, die auf Unix- und Linux-Systemen läuft und ihrerseits Windows-, Mainframe-, AS/400-, Linux-, Unix- und Java-Applikationen Web- und Hosting-fähig macht. "Jedes Open-Source-System in der Hosting-Umgebung reduziert die Kosten und die Abrechnungsproblematik", ergänzt Adams.

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Integration der ASP-Lösung beim Kunden, also beispielsweise die Anpassung an weiterhin dort betriebene Soft- und Hardware, eine der problematischen Seiten des ASP-Modells darstellt. Ist auf einer der beiden Seiten Open Source im Spiel, stehen mehr Anpassungsmöglichkeiten zur Verfügung - und es entfallen mit etwas Glück die zusätzliche Schnittstellenebene zwischen externer und interner Software und deren Administration.

Linux auf OS/390 als Beispiel

Das IBM-Angebot, auf Mainframes wie der OS/390 eine große Zahl von Linux-Systemen parallel laufen zu lassen, zeigt die Relevanz solcher Überlegungen: Mit dieser Technik kann ein Anbieter auf einem leistungsfähigen Rechner eine Vielzahl gegeneinander abgeschotteter Web- und Application-Server betreiben, ohne für jedes verwendete Betriebssystem Lizenzgebühren zu bezahlen. Wenn, wie im Falle von Tarantella, die Enabling-Software über die Billing-Schnittstellen für die gehostete Software verfügt, muss für jede Mietsoftware nur ein einziges System abgefragt werden. Damit sinkt der Aufwand für die Abrechnung deutlich. Ähnliche Lösungen sind mit Linux-Clustern oder Einzel-Servern möglich.

Zusätzliche Vorteile kommen ins Spiel, wenn die gehosteten Applikationen selbst auf Open-Source-Modellen beruhen. Dabei dürften weniger Mainstream-Anwendungen wie Office-Programme eine Rolle spielen, sondern Systeme mit einem hohen Spezialisierungsgrad, die auf den Anwender zugeschnitten oder für ihn programmiert werden müssen. Warenwirtschaftssysteme oder Kalkulationsprogramme für Produktionssteuerungen fallen in diese Kategorie. In diesem Fall steht bei der Kostenkalkulation von vornherein der Service im Mittelpunkt.

Mehr Sicherheit für den Anwender

Die Anwender haben darüber hinaus das Problem, dass sie bei einem Ausfall ihres Service Providers nicht mehr auf dringend benötigte Funktionen zugreifen können. Was die Anwendungsdaten betrifft, so löst man dieses Problem zunehmend durch Clearing-Stellen, die regelmäßig Backups der Informationen erhalten und sie bei einem Konkurs des Anbieters, technischen Problemen oder Rechtsstreitigkeiten dem Kunden aushändigen dürfen. Kommerzielle Software lässt sich aus lizenzrechtlichen Gründen allerdings nicht ohne weitaus komplexere Treuhand-Regelungen hinterlegen. Bei kundenspezifischer Software schließlich wird das Problem noch brisanter: Fallen hier Hosting-Anbieter und Entwicklungs-Unternehmen in Personalunion einmal komplett aus, steht der Kunde vor dem Nichts. Auch dann, wenn der Anbieter in dieser Situation sein Produkt übergibt und erlaubt, dass es beim Kunden selbst oder in der Obhut eines anderen Application Service Providers weiter betrieben wird, bleibt das Problem, dass die neuen Eigentümer die Software nicht kennen und sich erst einarbeiten müssen.

Gibt der Anbieter dagegen den Quellcode schon früher ganz oder eingeschränkt frei, hat der Kunde bessere Möglichkeiten, sich für den Fall eines Provider-Ausfalls abzusichern. Er kann beispielsweise seine eigene EDV-Abteilung damit beauftragen, sich den Umgang mit der Software in Grundzügen anzueignen, oder er nimmt einen Ausweich-ASP unter Vertrag, der nur im Notfall den Betrieb des Systems übernimmt.

Geringere Kosten und besserer Service

Da Zusammenbrüche von Software-Häusern inzwischen mehr denn je zum Alltag der Branche gehören, stellt sich nahezu allen Kunden die Frage nach der Sicherheit ihrer Service Level Agreements. In den USA nutzen Unternehmen gehostete Open-Source-Software allerdings auch aus Kostengründen. Das Unternehmen The World Bank Group beispielsweise stieg im Jahr 2000 auf Open-Source-Lösungen um und entschied sich Anfang 2001, die Lösungen durch Service Provider betreuen zu lassen. Für den ersten Schritt war entscheidend, dass einer der wichtigsten Software-Lieferanten des Hauses plötzlich aufgekauft wurde und danach seine Produktstrategie änderte. Den zweiten Schritt leitete der interne Business-Development-Spezialiste Gerhard Pohl ein, der bei The World Bank für das Investment-Services-Portal "Development Gateway" zuständig ist. Er errechnete günstigere Betriebskosten. Freie Software und ein externes Spezialistenteam, das den Support der Open-Source-Szene zu nutzen gewohnt ist, lohnen sich aus seiner Sicht und nach Einschätzung amerikanischer Analysten für viele Unternehmen. Jeb Bolding, Senior Consulting bei Enterprise Management Associates in Boulder, Colorado, sieht noch einen weiteren Vorteil in der Kombination aus ASP-Modell und Open Source: "ASPs, die Open-Source-Software selbst modifizieren, kennen sich mit ihren Lösungen generell sehr gut aus und sind in der Lage, Probleme schnell zu lösen. Support, der direkt vom Entwickler kommt, verdient größeres Vertrauen als solcher aus zweier oder dritter Hand."

Ein ASP für Open-Source

ASP und Open Source gehen inzwischen eine ganze andere Verbindung ein. Seit 2000 betreibt Open Source Development Network, eine Division von VA Linux, die Projektmanagement-Website www.sourceforge.net. Mit den Tools der Site können Gruppen, die Open-Source-Projekte vorantreiben, ihre Dateien verwalten und den Projektablauf koordinieren. Im Januar meldeten die Betreiber, dass sie personell und technisch expandieren müssten: Die Nutzerzahlen stiegen innerhalb eines Jahres von 13 000 auf über 100 000.