Konvergenz der Netze

16.06.2000
Mehr als 150 Teilnehmer lockte das spannende Thema der Integration von Sprach-, Video- und Datennetzen Ende Mai nach München auf die Netzwerktage 2000. Der Kongress, den NetworkWorld Germany erstmals mit Unterstützung der Datacom Akademie veranstaltete, gab wertvolle Hinweise zu den technischen Rahmenbedingungen der Konvergenz, zur Standardisierung und den Lösungsansätzen führender Hersteller.

Von: Hans Lackner, Heiko Rössel, Claudia E. Petrik

Im Vordergrund der Diskussion standen die technischen Möglichkeiten der Konvergenz, also der "Asphalt der Datenautobahn". Mit Spannung erwartet wurden die Ausführungen von Dr. Gerhard Mägerl, Vice Chairman des ATM-Forums. Dem rasanten Wachstum des Datenvolumen steht die Tatsache entgegen, dass heute noch 70 Prozent der Einnahmen aus der Sprachübertragung stammen. Daher gilt für ihn die Formel: "Convergence = Integration & Differenciation". Dr. Mägerl machte deutlich, dass das ATM-Forum die Gruppe ist, wo "Bellheads" und "Netheads" konstruktiv zusammenarbeiten, denn schon heute laufen 70 Prozent des Internet-Verkehrs über ATM. Starkes Interesse beider Seiten liegt gegenwärtig in den xDSL-Techniken, die eine schnelle Internet-Anbindung bieten. Das ATM-Forum bereitet für diesen Zweck die Spezifikation "Loop Emulation using AAL2" vor, mit der sich SOHO’s (Small Offices and Home Offices) mit 2 MBit/s an das Internet anbinden lassen.

Doch auch die 10-GBit/s-Technik will sich den WAN-Markt erobern, obwohl der Normungsauftrag LAN und MAN lautet. So erfuhren die Teilnehmer, was sich gerade in der IEEE-Arbeitsgruppe "802 LMSC LAN&MAN Standards Committee" tut. Demnach wird es einen "WAN PHY" mit 9953,280 MBit/s geben, der auf SDH beruht und der geeignet ist, die Ethernet-Technik für ein weltweites Internet bereitzustellen. Dabei wird es sich nicht mehr um Ethernet (CSMA/CD) handeln, denn 10-Gigabit-Ethernet definiert lediglich Full-Duplex-Verkehr. Hier wird der Rahmen von IEEE 802.3 verlassen, denn dieses Gremium hat einen Normierungsauftrag lediglich für CSMA/CD (Carrier Sense Multiple Access with Collision Detection). Mit diesen Erweiterungen greift Ethernet eindeutig SDH und ATM an, ohne die in diesem tarifierten Bereich notwendige Funktionen bereitstellen zu können. Nach wie vor setzt diese Technik auf den Grundsatz unendlicher Bandbreite, so daß Access- und Flow-Control-Maßnahmen sich erübrigen. Ebenfalls fehlt der Technik die Möglichkeit beliebiger Vermaschung des Netzes. Spanning Tree und Link Aggregation sind nicht geeignet, dieses Problem zu lösen.

Interessantes aus der Praxis großer Corporate Networks konnte der Unternehmensberater Dr. Hans-Peter Boell berichten. Er war Planer des Kommunikationsnetzes des Flughafens München und betreut jetzt die im Bau befindliche Erweiterung. Zunächst stellte er sein generelles Konzept für die Unternehmensorganisation vor. Dieses basiert natürlich auf VPNs. Mit dieser Technik entsteht ein sicheres, skalierbares und leistungsfähiges Kommunikationsnetz. Diese VPNs werden mit ATM gestaltet, womit sich auch "Mission Critical Applications" realisieren lassen. LAN-Emulation und MPOA mit Carrier-Scale-Integration-Filterlisten sind die Funktionen für die Datenübertragung. MPLS (Multi-Protocol Label Switching) ist für ihn eher eine Option.

Anforderungen an die Infrastruktur

Konnten vor wenigen Jahren noch Techniker "alleine" entscheiden, welche Infrastruktur an welcher Stelle zur Verfügung stand, so sind heute komplexe Zusammenhänge aus Managementvorgaben, Systemarchitekturen, Verfügbarkeit und Multimedia-Gesichtspunkten einzubeziehen. Netzwerkdesign ist heute ein komplexes Systemdesign, in welches sämtliche Randfaktoren einfließen müssen, um optimale Resultate zu erzielen. Mannigfaltige Technologien und Verfahren werden angeboten, um die unterschiedlichsten Aspekte des Netzwerk- und Systemdesign abzudecken. Der zweite Tag der NetworkWorld Netzwerktage gab einen umfassenden Überblick über diese Thematik.

Die Gegensätze und Abhängigkeiten bei der Planung von Kommunikations-Infrastrukturen waren das Thema der Keynote von Prof. Dr. Zorn von der Universität Karlsruhe. Komplexe Aufgabenstellungen, wie die Planung einer Kommunikationsinfrastruktur, stellen den Planer stets vor gewaltige Herausforderungen. Seine Aufgabe ist es, die Infrastruktur in allen Belangen optimal auszustatten. Etwaige Kompromisse müssen im Vorfeld erkannt werden, um im Nachhinein böse Überraschungen zu vermeiden. Prof. Dr. Zorn zeigte am konkreten Fallbeispiel auf, dass er seine Erkenntnisse auch selbst umsetzt und entsprechende Resultate daher praktisch nachzuweisen sind. Es wurde deutlich, welche Herausforderungen IT-Planer bewältigen müssen, um optimale Infrastrukturen den Anforderungen entsprechend zu designen.

Es folgte eine technische Analyse der heiß diskutierten Priorisierungsmechnismen in LAN- und WAN-Infrastrukturen. Der Referent warf die Frage auf, inwieweit hochbandbreitige Systeme in der Lage sind, Sprach- und Videoübertragung zu unterstützen. Er stellte die alternativen Verfahren vor, die standardisiert und herstellerspezifisch verfügbar sind, und arbeitete heraus, welche konkreten Maßnahmen Netzwerkplaner und Betreiber beachten müssen, um strategische Priorisierungsmethoden in ihren Weitverkehrsnetzen und lokalen Netzen platzieren zu können. Besonders deutlich wurde, dass bereits in der Systemauswahl der Hardwarekomponenten entscheidende Funktionen implementiert sein müssen, wenn später auf Priorisierungsmechanismen zurückgegriffen werden soll. Andreas Seum von Cabletron griff in seinem Vortrag den betriebswirtschaftliche Aspekt der Netzwerkinfrastrukturen auf. Es kann nur eine Leistung erbracht werden, wenn sie sich entsprechend abrechnen lässt. Demzufolge spielen Billing- und Accounting-Mechanismen auch in Dateninfrastrukturen eine immer entscheidendere Rolle. Erst wenn sich Daten-, Sprach- und Videoapplikationen auch abrechnen lassen, kann mit einer Implementierung in Carrier-Netzen gerechnet werden. Seum stellte in seinem Vortrag entsprechende Methoden sowie bereits vorhandene Systeme vor.

Kupfer oder Glasfaser

Diskussionen um Kabelinfrastrukturen begleiten uns seit Jahren. Die Frage, ob Kupfer oder Glasfaser bis zum Arbeitsplatz die richtige Methode ist, konnte auch auf dieser Konferenz nicht endgültig beantwortet werden. Die konträren Auffassungen beider Fraktionen prallten nicht nur im Podium, sondern auch innerhalb des Publikums aufeinander. Neben dieser "alten" Frage erörterte Dr. Lutz Müller von der Netzwerk Kommunikationssysteme GmbH auch, welche Bedingungen moderne Infrastrukturen in Bezug auf den Einsatz von Gigabit-Ethernet oder beispielsweise Voice-over-IP erfüllen müssen. Er berichtete von neuen Standards, neuen Messverfahren und der Möglichkeit der Stromversorgung von VoIP-Endgeräten über Datenkabel.

Die Technik der privaten Netze wird zunehmend dazu verwendet, um Außenstellen und Teleworker mit Infrastrukturen der Unternehmen zu verbinden. Es wurde bisher selten die Frage aufgeworfen, inwieweit die Infrastrukturen auch geeignet sind, Sprach- und Videodatenströme zu vermitteln. Robert Kipp von Telemation verdeutlichte, dass es eine Reihe von technischen Ansätzen gibt, Multimediaströme über VPN-Knoten zu leiten. Um Multimediadaten in VPNs zu kommunizieren bedarf es einer Carrier-Infrastruktur, die dem gerecht wird. Leider muss festgestellt werden, dass kaum einer der Diensteanbieter heute in der Lage ist, entsprechende Dienste verfügbar und abrechenbar anzubieten. Demzufolge dürfte die Multimediaübertragung im VPN noch einige Zeit auf sich warten lassen.

Die Grundlage einer jeden Infrastruktur ist IP. Das Internet-Protokoll hat ohne Zweifel seinen Siegeszug bis in die letzten Winkel der Kommunikationsendgeräte angetreten. Neben dem Vorteil des Standards weist IP eine Reihe von Besonderheiten auf, die bei der Planung von Infrastrukturen beachtet werden müssen. Wolfgang Waibel von Röwaplan stellte dar, welche Aspekte zu beachten sind, um ein langfristiges IP- Netzwerkdesign zu entwickeln. Neben der Auswahl der richtigen "Nummerierung" ist es notwendig, Multimediagesichtspunkte, wie beispielsweise IP-Multicast-Techniken in die IP-Adressstruktur mit einzubeziehen. Die klassische Frage, ob Router oder Switches im LAN-Bereich eingesetzt werden sollen, muss im Einzelfall genau analysiert werden.

Die Diskussionen in den Pausen und dem anschließenden Gala-Diner bewiesen, dass mit dem Thema "Infrastruktur der Sprach- und Datennetze" der Nerv des Publikums getroffen wurde. Bestätigt wurde vor allen Dingen die Tatsache, dass die Infrastrukturen, sowohl durch die technischen Betreiber, als auch das Management und die Budgetverantwortlichen in Unternehmen und Verwaltungen mit einer immer größeren Bedeutung gesehen werden. Die Innovationskraft der LAN- und WAN-Infrastrukturen hat noch an Fahrt gewonnen und wird auch zukünftig wieder interessante Fragen aufwerfen.

Kosten sparen mit VoIP

Unter dem Motto "Konvergenz in der Praxis" stand der dritte Konferenztag. In der Key-Note-Rede stellte IDC-Analyst Pim Bilderbeek (siehe obiges Interview), unter anderem die Ergebnisse einer europaweiten Befragung von 650 WAN-Managern vor. Eines der Ergebnisse war, dass lediglich 27 Prozent Sprach-/Datenintegration im WAN-Backbone erreichen wollen. Im WAN-Zugangsbereich planen dies sogar nur neun Prozent. Der Rest der Befragten ist daran offensichtlich nicht interessiert.

Über Einsparpotenziale durch Sprach-/Datenintegration sprach Egon Bohländer von Gora, Hecken & Partner. Er präsentierte einen VoIP-Business-Case, den Cisco beispielhaft durchgerechnet hat. Dabei ging es um ein fiktives Unternehmen mit 800 Mitarbeitern in San Francisco, das innerhalb der nächsten drei Jahre 200 neue Mitarbeiter einstellen und drei weitere Geschäftsstellen eröffnen möchte. Den Investitionskosten von 156 908 Dollar für Technik, Personal und Wartung standen am Ende Einsparungen von 383 613 Dollar gegenüber, vorausgesetzt, das Unternehmen realisiert VoIP, anstatt den Sprach- und Datenverkehr wie früher über Telefonanlagen und Mietleitungen abzuwickeln. Bohländer kam zu dem Schluss, dass die Skalierbarkeit heute noch ein Engpass ist und große TK-Anlagen mit mehr als 300 Teilnehmern noch nicht durch VoIP-Systeme abgelöst werden können. "Aber für kleinere bis mittlere Firmen oder Filialen großer Unternehmen ist IP-Telefonie im LAN heute schon eine Option", sagte er.

Dass Voice-over-IP ohne Priorisierung der Sprachpakete keine zuverlässige Kommunikation ermöglicht, machte auch Herbert Almus vom EANTC (European Advanced Networking Test Center) der TU Berlin deutlich. Das EANTC hat diverse Tests mit VoIP durchgeführt, um die Qualität zu bestimmen. VoIP über das Internet ist in der Geschäftswelt nicht akzeptabel, so Almus. "Paketverluste von zwei bis drei Prozent sind nach unseren Versuchen tragbar. Verluste von fünf bis zehn Prozent führen zu einer inakzeptablen Qualität", sagte er. Eine geeignete Infrastruktur vorausgesetzt, sei ein paketvermittelter Sprachverkehr im Intranet aber möglich. Heute lasse sich dies mit Layer-3-Switches und Priorisierung sowie RSVP realisieren. Kritisch sei jedoch die Interoperabilität der Produkte verschiedener Hersteller, da diese unterschiedliche Kompressionsverfahren verwendeten. Sprache über ATM hat das EANTC bereits auf der CeBIT 1999 vorgeführt, was einwandfrei auch unter Überlast funktioniert hat. Dies bestätigte auch einer der Teilnehmer, der für diverse Immobilienfirmen Sprache über ATM implementiert hat.

Konkrete Anwendungsbeispiele mit Voice-over-IP präsentierte schließlich der Unternehmensberater Gerhard Kafka in seinem Vortrag. So nutzte etwa die Comet AG in Hannover den Umzug in neue Firmenräume, um IP-Telefonie zu starten. Hierbei setzt das Unternehmen auf Gateway, Router ("2600") und den "Callmanager" von Cisco, wobei Telefonnummern durch IP-Adressen ersetzt werden. Derzeit sind 35 Nebenstellen in dieser Weise ausgestattet, bis Jahresende sollen es 100 sein.

Die Telefonkosten zwischen Ebikon und Berlin zu senken war das Ziel, als die Schweizer Aufzugfirma Schindler VoIP im Intranet einführte. Dabei wurde ein Newbridge-Multiplexer durch Cisco-Router 2600 abgelöst. Insgesamt schätzt Markus Pfyffer, Chef der Netzwerk-Services im Unternehmen, das Einsparpotenzial auf zwölf Millionen Mark pro Jahr. Als problematisch bei der Umstellung erwiesen sich die Interoperabilität mit der TK-Anlage, der hohe Implementierungsaufwand, das Billing und die Tatsache, dass bestimmte Leistungsmerkmale "zu Fuß" implementiert werden mussten.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion, in der Vertreter von Cisco, 3Com, Lucent, Nortel Dasa, Siemens und der Deutschen Telekom ihre Produkt- und Konvergenzstrategien darstellten. Diese ist ebenso wie die Key-Notes in voller Länge als Video-Stream auf den Web-Seiten der NetworkWorld zu finden. (gob)