Konsolidierung ist vorprogrammiert

22.01.2001
Multimedia-Daten in Echtzeit über das Internet zu verteilen, entwickelt sich zu einem Geschäftsfeld mit Zukunft. So erwartet die Internet Research Group für 2004 einen Umsatz von weltweit 2,4 Milliarden Dollar bei Streaming Media. Um die Kunden in diesem Bereich kämpft allerdings eine rasant wachsende Zahl von Anbietern.

Von: Bernd Reder

Jahrelang blieb "Multimedia über das Internet" für die meisten Nutzer ein Traum. Dafür waren zwei Faktoren verantwortlich: Zum einen der chronische Mangel an Bandbreite, unter anderem durch die rasant wachsende Zahl der Anwender bedingt, zum anderen die paketorientierte Übermittlungstechnik. Sie ist für die Übertragung von Echtzeitdaten alles andere als ideal. Die Folge: ruckende Bilder oder zerhackte Audio-Streams. Alleine mit größerer Bandbreite in den Internet-Backbones ist diesem Problem nicht beizukommen. Gefordert sind "intelligente" Netze, die Mechanismen bereitstellen, mit denen sich Streaming-Media-Daten verzögerungsfrei zum Nutzer transportieren lassen.

Unternehmen, die Streaming-Media-Inhalte vermarkten wollen, haben im Prinzip zwei Möglichkeiten, diese zum Abnehmer zu bringen:

- Sie bauen selbst ein Verteilnetz auf, inklusive Web-Caches und Load-Balancing-Switches, Media-Servern et cetera. Diese Lösung ist äußerst aufwändig und kommt im Prinzip nur für Großunternehmen in Frage, die eigene Corporate Networks betreiben.

- Sie kooperieren mit Anbietern von Content-Delivery-Netzen (CD-Netzen), welche die Inhalte auf einem "Overlay"-Netz zu Servern in der Nähe des Nutzers transportieren. Diese Server können beispielsweise bei den Betreibern von Zugangsnetzen stehen, etwa AOL oder MSN.

Vor allem im letztgenannten Bereich hat sich die Anbieterlandschaft in den vergangenen Monaten drastisch verändert. Zu "Pionieren" wie Digital Island ist eine ganze Reihe neuer Firmen hinzugekommen, Tendenz steigend. Dazu zählen Akamai, Madge.web, Intel, Cidera, Adero, Orblynx und Epicrealm, um nur einige zu nennen. Hinzu kommen die klassischen Telekommunikationsanbieter wie die Deutsche Telekom oder Colt Telecom, die ebenfalls in diesem Markt mitmischen.

"Wir schätzen, dass der Umsatz mit Streaming-Media-Services in Europa in diesem Jahr bei 112 Millionen Dollar liegen dürfte", so Michael Zimmermann, der bei Akamai als Marketingdirektor für Europa, den Mittleren Osten und Afrika zuständig ist. "Weltweit rechnen wir mit einem Volumen von etwa einer Milliarde Dollar." Das Unternehmen, dessen Name sich aus der hawaiianischen Bezeichnung für "klug" oder "cool" ableitet, bietet seine Produkte seit April 1999 an. Im Content-Delivery-Markt hat Akamai mit seinem "Freeflow"-Dienst nach Angaben von Analysten einen Anteil von etwa 70 Prozent erobert.

Die Grundlage von Freeflow sind rund 6000 Server, die in den Datenzentren von ISPs stehen. Gegenwärtig ist das Unternehmen mit 54 Ländern und rund 340 Telekommunikationsnetzen vertreten. "Das hat den Vorteil", sagt Michael Zimmermann, "dass wir unsere Dienste netzübergreifend anbieten können. Viele unserer Mitbewerber haben "nur" Peering-Abkommen mit einem oder wenigen Serviceprovidern. Bei uns hat der Content-Provider die Gewähr, dass seine Inhalte dank der redundanten Wege auch bei Überlastung eines einzelnen Pfades in Echtzeit beim Nutzer ankommen."

"Content Delivery" über Netzgrenzen hinweg

Zu einem der schärfsten Konkurrenten von Akamai wird sich aller Voraussicht nach die Allianz "Content Bridge" entwickeln, die sich im Sommer vergangenen Jahres formierte. Ihr gehören Anbieter von Content-Delivery-Diensten an, wie Madge.web, Adero, Intel ("Intel Internet Media Service") und Digital Island. Hinzu kommen Firmen wie Inktomi, Sun Microsystems, Hewlett-Packard und Alteon Websystems. Adero und Madge.web schlossen im Januar die Betatests netzwerkübergreifender Content-Peering-Dienste ab und haben mit deren Vermarktung begonnen.

Content Bridge sieht Links zwischen den Netzen der Content-Delivery-Firmen vor. Der Anbieter von Streaming-Media-Informationen übergibt seinen Content an einen Web-Hoster oder den Betreiber des CD-Netzes. Dieser leitet die Daten dann an den Content-Bridge-Operator weiter, der sie wiederum in die Caching-Systeme der Zugangsnetze transferiert. Technische Voraussetzung ist, dass die Web-Hosting-Firmen und Access-Provider Inktomis "Content Networking Suite" installiert haben.

Indem sie ihre Netze koppeln, versuchen die Mitglieder der Content-Bridge-Allianz, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Eine ist die eingeschränkte Reichweite der einzelnen CD-Infrastrukturen. Selbst relativ gut etablierte Anbieter wie Digital Island decken mit 2300 Servern in 33 Ländern nur einen Bruchteil der globalen "Internet-Landkarte" ab. Gleiches gilt beispielsweise für Madge.web, das 55 Points of Presence in 33 Ländern unterhält. Hinzu kommt, dass es sehr kostspielig ist, diese Infrastrukturen auszubauen. Durch Partnerschaften lässt sich das einfacher bewerkstelligen.

Noch nicht auf den Trend "Kooperationen" setzen unter anderem Cidera und der amerikanische Newcomer Orblynx. Beide Unternehmen bieten Streaming-Media-Services über Satellitenleitungen an. Die Daten werden zu den Points of Presence von lokalen Internet-Diensteanbietern übermittelt. Auf diese Weise lassen sich "Staus" im Internet umgehen.

Es ist abzusehen, dass nur wenige der genannten Unternehmen mittelfristig überleben werden. Schwarze Zahlen schreibt so gut wie keine Firma. So ist es nicht verwunderlich, dass Gerüchte die Runde machen, denen zufolge Digital Island auf der Suche nach einem Großinvestor oder gar Käufer ist. Selbst bei Intel, das erst im Frühjahr 2000 mit seinem Internet Media Service an den Start ging und 200 Millionen Dollar in den Ausbau des Netzes steckt, sollen Überlegungen im Gange sein, den geordneten Rückzug aus diesem Marktsegment einzuleiten.

Dass sich die Marktsituation drastisch verschärfen wird, liegt auf der Hand. Dafür spricht die große Diskrepanz zwischen der Zahl der Anbieter und den zu erwartenden Einnahmen, vor allem im Streaming-Media-Bereich. Ein weiterer Punkt: Die klassischen Telekommunikationsanbieter entdecken dieses Segment. So baut die Deutsche Telekom gegenwärtig mit Hochdruck ihr Angebot in diesem Bereich aus, auch deshalb, um eine Alternative zu den Kabel-TV-Netzen zu schaffen, die das Unternehmen verkaufen muss.

Kampf um Marktanteile wird härter

Die Grundlage von "Streamworld" bildet das "Telekom Broadcast Network", das den Zugriff von gleichzeitig 10 000 Nutzern auf Streams erlauben soll. Ein schöner Nebeneffekt: Mit T-DSL hat die Telekom zusätzlich die passende schnelle Zugangstechnik in petto. Denn erst ab Übertragungsraten von mehreren Hundert kBit/s, wie sie die Digital Subscriber Line zur Verfügung stellt, kann der Nutzer Streaming-Media-Inhalte wirklich genießen - auch wenn die Marketingstrategen etlicher Anbieter behaupten, Live-Videos ließen sich auch über ISDN oder 56-kBit/s-Modems in guter Qualität empfangen. Dem Beispiel des "großen Bruders" folgen weitere Anbieter, etwa Colt Telecom. Die Briten bauen derzeit ein Content-Delivery-Netz auf, das Ende 2001 mit 20 Datenzentren bestückt sein soll.

Fazit: Streaming-Media-Inhalte werden sicherlich eine wichtige Rolle spielen, etwa in den Bereichen E-Learning oder E-Business, aber auch im Unterhaltungssektor, Stichwort Live-Übertragungen von Konzerten. Die Anbieter von Übertragungsdiensten werden sich jedoch auf wachsende Konkurrenz und eine Konsolidierung des Marktes einstellen müssen.