Kommunikation und Technik von übermorgen

31.12.2004 von Rolf Froböse
Datenkompression um den Faktor 6000 ermöglicht TV über GSM-Handynetze, E-Books der zweiten Generation lösen das Papier ab. Doch ohne intuitive Bedienung überfordern zukünftige Geräte die meisten Menschen.

Hotel de las Cataratas, Foz de Iguassu: Aus dem Swimmingpool kommend begibt sich Lothar Schrader schnurstracks zu einer Liege, um sich von der brasilianischen Dezembersonne trocknen zu lassen. Ein Blick auf die Armbanduhr verrät ihm, dass es in Deutschland bereits 20.00 Uhr ist. "Die Tagesschau will ich mir nicht entgehen lassen", sagt er zu seinem Landsmann auf der benachbarten Liege und greift zum Handy. Ein paar Mal auf verschiedene Tasten gedrückt, und schon erscheint in seinen noch feuchten Händen das vertraute Gesicht des Nachrichtensprechers auf dem 5 x 5 cm großen Bildschirm. Interessiert verfolgt Herr Schrader die aktuellen Informationen aus Deutschland - untermalt von den Schreien tropischer Vögel und dem dumpfen Grollen der rund zwei Kilometer entfernten Iguassu-Wasserfälle.

Dieses Szenario - zunächst noch eine Fiktion - könnte nach den Plänen von Prof. Dr. Hans-Georg Musmann, Wissenschaftler am Institut für Theoretische Nachrichtentechnik und Informationsverarbeitung an der Universität Hannover, schon bald Realität werden. Das von ihm und seinen Mitarbeitern entwickelte Verfahren gestattet es nämlich, kodierte Video-Signale mit wenigen Kbit/s zu übertragen, während für die Übertragung unkodierter Original-Video-Signale viele Mbit/s benötigt werden.

Die drastische Entschlackung eröffnet dem Mobilfunk eine völlig neue Dimension. So waren selbst eingefleischte Experten bisher der Meinung, dass Fernsehübertragungen via Handy dem UMTS-Zeitalter vorbehalten seien. Das Team aus Hannover belehrte sie indessen eines Besseren: Die abgemagerten "Musmann-Signale" können nämlich über die verfügbaren GSM-Mobilfunkkanäle mit schlappen 13 Kbit/s übertragen werden.

Startschuss für das Fernsehen der Zukunft?

"Für Nachrichtensendungen reicht diese Datenmenge vollkommen aus", versichert Musmann. Dies gelte jedoch nicht für Spielfilme oder Sportsendungen. Anders ausgedrückt: Rasch bewegte Bilder verschwimmen und werden unscharf übermittelt.

Seit über 30 Jahren hat sich der Wissenschaftler der Aufgabe verschrieben, Signalen überflüssigen Speck abzutrotzen. Seine ersten Untersuchungen zur Datenkompression von Video-Signalen hat Musmann bereits um 1968 am Institut für Nachrichtentechnik der Universität Braunschweig begonnen. Dazu benötigte er einen digitalen Bildspeicher, der damals mehr als ein Einfamilienhaus - nämlich rund 250.000 D-Mark - kostete. Zehn Jahre später machte er wiederum in Boston von sich reden und demonstrierte, wie sich Video-Übertragungen mit nur 64 Kbit/s, also mit der Datenrate eines Fernsprechkanals, realisieren lassen.

Die erfolgreiche Reduktion der Datenrate ist hierbei das eigentlich Revolutionäre an der Entwicklung: Der ursprünglich ausschließlich für die Sprachkommunikation konzipierte GSM-Standard stellt pro Kanal nämlich nur eine begrenzte Übertragungsrate von rund 14 Kbit/s zur Verfügung, wobei mit den GSM-Erweiterungen HSCSD und GPRS zwei oder drei GSM-Kanäle gebündelt werden können. Unter dem Strich musste für den Empfang einer TV-Sendung auf dem GSM-Handy die Datenrate des Fernsehsignals deshalb um komplette Größenordnungen, etwa um den Faktor 6.000, gesenkt werden.

Ein anschauliches Beispiel für die Kompressionstechnik liefert das populäre Musikformat MP3. Das Format reduziert Musikdateien auf ein Zwölftel ihrer ursprünglichen Größe, indem es einfach Frequenzen weglässt, die das menschliche Ohr ohnehin nicht wahrnehmen kann. Bei Fernsehübertragungen beruht die Kunst der Kompression darauf, die Daten so weit wie möglich zu reduzieren, ohne das Bild zu beschädigen. Anstelle des analogen Fernsehens, wo jedes Bild in voller Datenflut übertragen wird, hat sich Musmann gezielt auf die Veränderungen konzentriert. Hebt der Nachrichtensprecher beispielsweise den Arm, wird nur noch diese neue Information übertragen.

Hohe Bildqualität mit 2 Mbit/s

Musmann betrachtet seine Innovation erst als Übergangslösung und sieht bereits weiter in die Zukunft: "Mit der Einführung der UMTS-Netze geht die Sache erst richtig los", verspricht er. So hatte der Hannoveraner in der Vergangenheit bereits erfolgreich am MP3-Format mitgearbeitet. Künftig will er noch ganz andere Dinge aus dem World Wide Web herausholen.

"Wir stehen kurz davor, Fernsehsendungen in voller Auflösung aus dem Internet zu beziehen", beteuert der Professor. Was leichter gesagt als getan ist, denn die Übertragung eines unbearbeiteten Fernsehbildes erfordert immerhin eine immense Datenflut von rund 166 Mbit/s.

Musmanns Team ist es bisher gelungen, dieses Datenvolumen um den Faktor 40 auf 4 Mbit/s zu reduzieren. Ganz zufrieden ist er mit dem bisher Erreichten aber noch nicht. "Wenn es uns gelingt, die Datenmenge auf 2 Mbit/s zu reduzieren, sind wir so weit", versichert er. Das sei die Größe, mit der man künftig sowohl in den UMTS-Netzen als auch im Internet Daten übertragen werde. Damit sei es möglich, Filme oder Fernsehen in Realzeit zu sehen.

E-Paper: Wovon Gutenberg nicht zu träumen wagte

"Solange man die Wespen nicht mit dem Bildschirm erschlagen kann, wird es die Zeitung aus Papier geben." Zeitgenossen, die mit derartigen Aussagen gerne kokettieren, seien vorgewarnt: Das Bonmot könnte schon bald überholt sein. Xerox-Forschern des Palo Alto Research Centers (PARC) in Kalifornien ist es nämlich gelungen, ein digitales Papier zu entwickeln. "Gyricon", so der Name des Newcomers, fühlt sich an wie Papier, liegt in der Hand wie ein Zeitungsblatt und ist dennoch ein Display.

Die Wortschöpfung erinnert nicht nur scheinbar an Gyros. So verfügen beide Namen über eine gemeinsame Wurzel, nämlich das griechische Wort "gyro", welches so viel wie "rotieren" bedeutet. Einziger Unterschied: Beim Gyros rotiert das Fleisch, beim "Gyricon" sind es winzige schwarze und weiße Kügelchen, die in einem elektrischen Feld in Rotation versetzt und bewegt werden. Da die Hälften der Kügelchen unterschiedlich geladen sind, richten sie sich in einem elektrischen Feld wie Kompassnadeln aus und lassen die Buchstaben erscheinen.

Die Anwendungsmöglichkeiten für das digitale Papier sind im UMTS-Zeitalter geradezu fantastisch: Zeitungen könnten beispielsweise nicht mehr auf Papier gedruckt, sondern drahtlos in elektronische Kunststoffseiten gefunkt werden. Jeden Tag, jede Stunde oder jede Minute ließe sich solch eine Zeitung aktualisieren. "Es ist denkbar, Schlagzeilen zu aktualisieren, noch während der Leser die Seite betrachtet", schwärmt Bob Sprague, Manager des Document-Hardware-Labors bei Xerox.

Elektronische Bücher der zweiten Generation

Auch die Konkurrenz hat beim digitalen Papier das Ohr auf der Schiene. Während unter dem Dach von IBM unter anderem an farbigem Papier gearbeitet wird, sorgte die kleine amerikanische Startup-Company E-Ink Corporation unlängst mit einem eigenen Verfahren für Furore. E-Ink setzt auf eine alternative Technik, in der die Kapseln mit einer Flüssigkeit gefüllt sind, in der wiederum weiße Farbpigmente schwimmen.

Eine völlig andere Methode zur Herstellung von digitalem Papier, die zur Zeit am MIT in Massachusetts verfolgt wird, geht von den bewährten Flüssigkristallanzeigen (LCDs) aus, die auf ein superschlankes Format getrimmt werden. Dr. Werner Becker von der Liquid Crystals Division der Darmstädter Merck KGaA glaubt jedoch nicht an einen raschen Erfolg. "Die Ansteuerspannungen sind dafür einfach noch zu hoch", räumt er ein. So seien bei LCDs immer noch 50 bis 60 Volt gegenüber 2 bis 3 Volt bei den alternativen Technologien erforderlich.

Sicher ist indessen, dass den Proberollen von Xerox und E-Ink bald elektronische Bücher folgen werden. Diese sind im Prinzip zwar bereits auf dem Markt, erinnern aber in der ersten Generation mehr an einen Mini PC als an die Gutenberg-Bibel. Immerhin entwickeln Unternehmen wie Adobe, MightyWords, Everybook, Glassbook, Gemstars Softbook und NuovaMedia bereits Lesegeräte und die dazugehörige Software für E-Books in der Hoffnung, dass diese sich als freundliches und alltägliches Medium genauso durchsetzen wie Papierbücher.

E-Books der zweiten Generation sollen hingegen gewöhnlichen Büchern zum Verwechseln ähnlich sein. In ihnen kann der Leser ganz normal blättern, wobei das digitale Papier sogar "Eselsohren" verkraften soll.

Zehn Schritte zur Verbesserung der Mensch - Maschine - Kommunikation

Im nächsten Abschnitt kommen wir auf ein viel diskutiertes Thema, das die Bedienungsfreundlichkeit von Kommunikationsgeräten betrifft. Mal ehrlich, kennen Sie sämtliche Funktionen Ihres Handys? Haben Sie sich als Kunde - ebenso wie der Autor - nicht schon oft über miserable Bedienungsanleitungen geärgert? Falls nein, dann dürfen Sie die kommenden Seiten überspringen. Falls ja, sollten Sie das folgende Kapitel unbedingt lesen.

Ungeachtet der technischen Fortschritte in den Bereichen Mobilkommunikation, Multimedia-Technik, Internet und Automatisierung, ist das ideale Zusammenwirken von Mensch und Maschine oftmals noch frommes Wunschdenken: Die Technik ist für den Menschen da, nicht umgekehrt - das klingt beinahe trivial. Die tägliche Praxis zeigt jedoch, dass allzu oft gegen scheinbar einfache Regeln verstoßen wird. So ist es mit der viel beschworenen Benutzerfreundlichkeit von technischen Geräten, egal ob Video-Recorder, Handy oder PC, oftmals nicht weit her. Aber auch in jenen Bereichen, wo die Geräte von Spezialisten bedient werden, sieht es eher düster aus. Bei vielen industriellen Überwachungs- und Steuerungsprozessen steht der Mensch schlicht "außen vor".

Dementsprechend vernichtend fällt das Urteil von Prof. Thomas B. Sheridan vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge aus, der sich eingehend mit der Interaktion zwischen Computer und Mensch auseinander gesetzt hat. "Die Ingenieure orientieren sich an der Software und dem Design der Hardware, vernachlässigen aber den Nutzer", beklagt er. Dies erinnere ihn an Procustres, jenem Unhold in der griechischen Mythologie, der seine "Gäste" den vorhandenen Betten anpasste, indem er sie entweder auf die Streckbank legte oder ihnen die Beine abhackte.

Mit diesem bewusst überspitzten Beispiel brandmarkt Sheridan einen Fehler im Ansatz aller Entwicklungen. "Die meisten Ingenieure besitzen überhaupt kein Gespür für ein benutzerfreundliches Design von Computern", sagt er. Sheridan wünscht sich daher ein "demokratischeres Verhältnis" zwischen Computern und Anwendern. Dies betreffe Computeranwendungen in der Luftfahrt, im Schienenverkehr und in der chemischen Prozesstechnik ebenso wie Anwendungen im Bereich der virtuellen Realität oder im viel zitierten "intelligenten Haus".

Der Mensch im Fokus der Automatisierung

Sheridan hat zur Realisierung einer von ihm entworfenen "Human Centered Automation" eine Zehn-Punkte-Strategie entworfen. Darin heißt es, an die Adresse von Ingenieuren gerichtet.

Sheridan räumt ein, dass sein Zehn-Punkte-Plan nicht alle Möglichkeiten zur Verbesserung der Mensch-Maschine-Kommunikation einschließen kann. So gebe es noch eine Reihe anderer Ziele, etwa im Bereich der Ergonomie, angefangen von der Tastatur bis hin zum Display oder künftige Möglichkeiten der direkten Eingabe von Sprache. Die Herausforderungen, die sich in diesem Bereich stellten, würden darauf hinauslaufen, widersprüchlich erscheinende Anforderungen, wie etwa die Maximierung des freien Willens der Benutzer, der sich nur über ein hohes Maß an Systemflexibilität realisieren lässt, mit einer hohen Zuverlässigkeit in Einklang zu bringen.

Intuitive Bedienung

In Deutschland gibt es zur Verbesserung des Verhältnisses von Mensch und Maschine bei der Siemens AG seit wenigen Jahren so genannte "Focus Groups", die dazu dienen, Computernutzer frühzeitig in Innovationsprozesse einzubinden und daraus "intuitive Bedienungskonzepte" abzuleiten.

Zur Lösung des Problems der Entstehung "benutzungsfeindlicher" Geräte schlägt Prof. Dr. Georg Geiser vom Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Betriebspädagogik der Universität Eichstätt wiederum vor, dass man die verschiedenen Beteiligten zusammenführen müsse, damit die unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Gestaltungsanforderungen in gebührender Weise berücksichtigt werden. Es sei davon auszugehen, so Geiser, dass mit fortschreitender technischer Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik die Ansprüche der Benutzer auf Unterstützung wachsen werden.

Am einfachen Beispiel des Telefons erläutert Oliver Golda von der Stuttgarter Alcatel, wie sich anwenderfreundliche Benutzeroberflächen gestalten lassen. "In der Zukunft wird es sicher immer schwerer, die Endgeräte mit einem einfachen Bedienkonzept zu produzieren, die trotzdem für die neuen Leistungsmerkmale der Netze offen sind", skizziert Golda das Problem. Es liege daher nahe, die Oberflächen durch einen angeschalteten Server anpassbar zu machen. Das Endergebnis wäre beispielsweise ein Handy oder ISDN-Telefon, das durch den Betreiber in seinem Verhalten beeinflusst werden kann und über eine individuell maßgeschneiderte Benutzeroberfläche verfügt.

Wie lässt sich Benutzerfreundlichkeit messen?

"Lässt sich die Benutzungsfreundlichkeit von Telekommunikationsendgeräten überhaupt messen?" Diese Frage bejahen Dipl.-Geophysiker Ralf Eck vom Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB) in Karlsruhe und Dipl.-Ing. Martin Mösbauer vom VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut in Offenbach.

Mit dem ITG-Prüfverfahren habe man ein Instrument in der Hand, welches geeignet sei, Probleme der Benutzer im Umgang mit dem Gerät vorherzusagen. Das ITG-Prüfverfahren basiert darauf, dass einzelne Aufgaben, wie beispielsweise das Programmieren einer Zielwahltaste, in ihre Einzelaktionen zerlegt werden. In einer nachfolgenden Analyse ("cognitive walkthrough") durchlaufen die Gutachter die einzelnen Aktionen des Benutzers und betrachten das Verhalten des Dialogsystems und seine Wirkung auf den Benutzer. Anhand von Prüffragen lassen sich jene Aktionen identifizieren, die dem Benutzer Probleme bereiten könnten.

"Nicht alle Kunden sind jung", mahnt in diesem Zusammenhang Dipl.-Ing. Matthias Lohrum von BSH Bosch und Siemens Hausgeräte in München. Im 30 Jahren werde jeder dritte Deutsche über 60 sein, aber nur wenige Unternehmen seien fähig, im Rahmen einer intergenerativen Produktgestaltung diesen künftigen Riesenmarkt angemessen zu bedienen. Intensive Untersuchungen hätten indessen gezeigt, dass Senioren über 60 einen hohen potenziellen Bedarf besitzen und ihre Kaufkraft deutlich über der von jungen Käufern liege. Folgerichtig sei es daher, die Konsumneigung älterer Menschen durch geeignete Informationen frühzeitig und unaufdringlich zu wecken. Für Senioren gut gestaltete Produkte würden auch "normalen Nutzern" eine höhere Benutzerfreundlichkeit bieten.

Fazit: Auf dem Sektor Benutzerfreundlichkeit gibt es noch erhebliche Innovations- und Marktpotenziale. (ala)

Dieser Beitrag stammt aus dem Buch "Mein Auto repariert sich selbst" von Rolf Froböse, erschienen im Wiley-VCH-Verlag. Darin analysiert der Autor mögliche Technologien von übermorgen aus den unterschiedlichsten Themengebieten.