Klein, universell und billig

14.10.1998
Der Network-Computer wurde erdacht, um die "Total Cost of Ownership" bei Desktop-Rechnern zu senken - und Desktop-Monopole aufzuweichen. Neben Oracles Architektur gibt es weitere Ansätze, wie etwa den von Intel und Microsoft definierten "NetPC".

Von: Claudia E. Petrik, Frank Niemann

Der größte Kostenfaktor in PC-Netzwerken ist nicht die Anschaffung und Software und Hardware. Vielmehr schlagen die Kosten für die Arbeitszeit von Administratoren und Endbenutzern bei der Konfiguration ihrer Arbeitsumgebung sowie das Installieren von Software und Schulungen zu Buche. Zudem verteuern Fehlbedienungen durch die Nutzer den Support. Netzwerk-Computer sollen eine Alternative zu herkömmlichen PCs im Geschäftsumfeld sein. Firmen wie Sun, Oracle, IBM und andere sehen darin eine Möglichkeit, die Administrationskosten, die mit den Desktop-Computern verbunden sind, zu minimieren. Außerdem dienen NCs als universeller Client für Java-Anwendungen, die auf vielen Computerplattformen laufen. Nicht zuletzt versprechen sich die NC-Hersteller jedoch auch, Microsofts Desktop-Macht zu erschüttern.

Einer Prognose des Marktforschungsunternehmens IDC über weltweit ausgelieferte Endgeräte von 1996 bis 1997 für den Internet- und Intranet-Zugang zufolge können sich die NCs und NetPCs auf ein enormes Wachstum freuen, doch werden sie den herkömmlichen PC nicht von seiner dominierenden Stellung verdrängen (siehe Tabelle).

Auch die Yankee Group nahm kürzlich den NC-Markt unter die Lupe und befragte IT-Manager von 100 US-Großunternehmen nach ihren Plänen zu PC-Einsatz, Intranet und Strategien in bezug auf Netzcomputer. Ergebnis: 17 Prozent der Befragten räumen NCs in ihren Budgets einen Platz ein. 54 Prozent testen derartige Systeme bereits. Und 65 Prozent wollen innerhalb der nächsten zwei Jahre NCs anschaffen. Yankee-Group-Analytiker Allen Bonde rechnet deshalb damit, daß die Nachfrage nach NCs rapide steigen wird. Die Auslöser dafür seien die schnelle Akzeptanz des Intranet-Gedankens und die Verfügbarkeit von geschäftskritischen Java-Anwendungen.

NC adressiert Geschäftskunden

NC-Pionier Oracle verkündete anläßlich der CeBIT 97 eine Verstärkung seiner NC-Akvitäten. Das Tochterunternehmen Network-Computer Inc. (NCI) hat eine Tochtergesellschaft mit Sitz in Mailand gegründet, das die NCI-Produktlinie in Europa, dem Nahen Osten und Afrika direkt an Kunden vertreiben soll. Geschäftsführer Mauro Righetti ist angesichts der niedrigen PC-Marktdurchdringung in Europa davon überzeugt, NCs in großem Umfang plazieren zu können. NCI-Vertriebsberater Francesco Sbarsi erklärte in Hannover, daß Hunderte von NCs in Unternehmen zu Testzwecken laufen. Wo genau, wollte er jedoch nicht sagen. Als Zielgruppen hat NCI Geschäftskunden, Verbraucher und Bildungseinrichtungen im Visier. Doch das NC-Portfolio weist noch immer Lücken auf, die in den nächsten Monaten gefüllt werden sollen. So wird Larry Ellison auf der europäischen Oracle-User-Konferenz in Wien die NC-Server- und Client-Software sowie eine NC-Smart-Card für den geschützten Zugriff aufs Netz vorstellen. Gezeigt wird dort auch ein NC-Prototyp für die Intel-Plattform.

Als Gegenstück zum Network-Computer erdachten Intel, Microsoft, Compaq, Dell und Hewlett-Packard den "NetPC". Die Version 0.9 der "NetPC System Design Guidelines" wurde bereits veröffentlicht. Dieses Konzept sieht eine neue Art von PCs vor, der mit Remote-Managementfunktionen ausgestattet ist, so daß sich Konfigurationen, wie das Installieren von Anwendungs- oder Betriebssystemsoftware von einer zentralen Stelle aus, bewerkstelligen lassen. Außerdem soll das Chassis dieser Rechner versiegelt sein, so daß der Anwender keine Chance hat, Modifikationen am System durchzuführen. Das Wartungspersonal muß auch nachts bei ausgeschaltetem NC in der Lage sein, Änderungen am NetPC durchzuführen. Dies wird durch eine Remote-Wakeup-Funktion realisiert. Der Rechner schaltet sich ein, sobald er Daten vom Netzwerk empfängt. Der NetPC erkennt seine Erweiterungskarten selbständig und gibt auf Anfrage Auskunft über seine Hardwareausstattung. So hält jedes Gerät eine Inventarliste vor, die in ein zentrales Asset Management einfließen. ISA-Slots, bei denen diese Funktion nicht verfügbar ist, kommen in der Architekturbeschreibung nicht vor.

Auf dem System läuft Windows 95 oder Windows NT. Eine Migration zu Windows NT 5.0 und eine zum "Web Based Enterprise Management" (WBEM) sind bereits geplant. Bestehende Anwendungen, die für diese Betriebssysteme geschrieben wurden, können also weiterverwendet werden. Im Gegensatz dazu verlangt das konkurrierende NC-Konzept, daß alle Anwendungen Java-fähig sind.

X-Terminal aufgepeppt

Eine führende Position bei den Risc-basierten Netzwerk-Computern hat sich Tektronix erobert. Im vergangenen Jahr verkaufte der Hersteller laut IDC annähernd 72 000 Netstations und hängte damit Hewlett-Packard (56 600) und NCD (45 150) ab. Allerdings handelt es sich hier nicht um einen NC im Sinne von Oracle/Sun, sondern um ein X-Terminal, das mit dem ICA-Protokoll (Intelligent Console Architecture) von Citrix und der Software WinDD (Distributed Desktop) arbeitet und so den Zugriff auf Mainframe-, Unix- und PC-Anwendungen gewährt. Die Server-Basis ist Windows NT. In den vergangenen zwei Jahren hat der Hersteller die Netstation in Richtung NC weiterentwickelt, so daß sie heute alle gängigen Internet-Protokolle und Java unterstützt. Seit kurzem ist das Softwareupgrade "Navio NC Navigator" verfügbar, das den Weg in den Intranet-Markt öffnet. Insgesamt sind derzeit weltweit 200 000 Netstations im Einsatz. Beispiele dafür sind die Wells Fargo Bank mit 24 000 Geräten, TK-Unternehmen wie US West, Alcatel, Ericsson und Nokia oder Behörden in Schweden, Italien und Finnland. Anwender in Deutschland sind die Dresdner Bank beziehungsweise die Volkswagen AG, die ihr gesamtes Händlernetz mit Netstations ausstattet. "Unser Ziel ist ein universeller Desktop, der jede Art von Daten unabhängig von jeglicher Plattform an jeder beliebigen Stelle im Inter- oder Intranet verarbeiten kann", meinte Marketingdirektor Walter Puschner auf der CeBIT.

Windows-Terminals

Einen Netzwerk-Computer speziell für Windows-Anwendungen stellte die Esesix GmbH auf der diesjährigen CeBIT vor. Deren Windows-Terminal "NTnet" ist über ein LAN oder eine Wählverbindung mit einem Windows-NT-Server verbunden. Auf dem Server läuft die Software "Winframe" von Citrix. Statt lokal Programme auszuführen, zeigt Ntnet nur die Bildschirminhalte an. Winframe macht den NT-Rechner Multiuser-fähig. Die gesamte Programmausführung obliegt bei diesem Konzept dem Server. Der Administrationsaufwand für das Windows-Terminal ist sehr gering: Lediglich eine IP-Adresse muß der Administrator vergeben. Alle anderen Konfigurationen sind am NT-Rechner durchzuführen. Dieses System eignet sich in erster Linie für kaufmännische Anwendungen oder Office-Applikationen; problematisch wird es dagegen, wenn der Benutzer mit hochauflösenden Grafiken und CAD-Applikationen arbeiten möchte: hierzu ist das von Citrix entwickelte Display-Protokoll "ICA 3.0" nicht geeignet. Dieses Protokoll setzt auf Netzwerkprotokollen (IPX, TCP/IP oder Netbeui). Ein Vorteil ist jedoch, daß wenig Netzwerkbandbreite zum Betrieb der Terminals notwendig ist: Vom Terminal zum Server werden nur Tastatur- und Mausdaten übertragen, in umgekehrter Richtung transportiert das ICA nur Display-Daten, falls sich der Bildschirminhalt ändert.

"Winterm 4300" von Wyse basiert auf dem Java Operating System von Javasoft und ist mit einem Browser und einer Java Virtual Machine ausgestattet. Auf diesem Gerät laufen sowohl Java- als auch Windows-Anwendungen. Letzteres ist möglich, da der ICA-3-Client von Citrix integriert wurde. Ähnlich wie NT-net verarbeitet Winterm damit Windows-Anwendungen, die auf einem mit Winframe ausgestatteten NT-Server installiert sind. Ferner wurde ein EMail-Client für SMTP integriert. Ab Mitte 1997 kann Winterm auch X-Anwendungen verarbeiten.

Die Network-Computer "Explora" und "HMX" von NCD verwenden die hauseigene Software "NCDware" und haben damit Zugriff auf Java- und X-Anwendungen. Terminalemulationen für Mainframes und VMS-Systeme sind ebenfalls vorhanden. NCD entwickelte mit "Wincenter" eine Software, die NT-Server Multiuser-fähig macht, und steht damit in Konkurrenz zu Winframe von Citrix.

Immer mehr Anbieter springen auf den NC-Zug auf. Der Solutions-Distributor Lüders, Weinbrenner & Partner (LWP) mit Sitz in Ettlingen nahm die CeBIT zum Anlaß, um die Network Computing Alliance (NCA) bekanntzugeben. Zu dieser Initiative gehören des weiteren die ITK Telekommunikation (Internet-Zugang), Sequent (Multiprozessorserver), Wyse (Thin Clients), Security Dynamics (Sicherheit), Wall Data und Great Plains Software (Host-Access- und Anwendungssoftware). Technische Basis von NCA ist wiederum Winframe von Citrix, das als Plattform für die unternehmensweite Verteilung von Windows-Client/Server-Anwendungen genutzt wird.