Keine Chance für Schnüffler

17.08.2001
Der Streit um die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) nimmt kein Ende. Auch der zweite Entwurf stieß bei Datenschützern und Wirtschaftsvertretern auf wenig Gegenliebe.

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller steht zurzeit unter schwerem Beschuss. Seit 1998 versucht sein Ministerium erfolglos, eine neue Rechtsgrundlage zur Überwachung der Telekommunikation zu schaffen. Wenn es nach Strafverfolgern, Innen- und Justizpolitikern geht, soll die bisher gültige Fernmelde-Überwachungsverordnung (FÜV) einem neuen umfassenderen Rechtsrahmen weichen, der den gesamten elektronischen Kommunikationsbereich mit einschließt. Insbesondere das Bundesinnenministerium und die Länderjustizministerien haben sich in der Vergangenheit für eine "lückenlose" Überwachung des Telekommunikations-Verkehrs eingesetzt.

Im Spannungsfeld zwischen den Wünschen der Strafverfolger und den Interessen der beteiligten Wirtschaft scheint sich das Bundeswirtschaftsministerium(BMWi) nunmehr endgültig verheddert zu haben. Seit der Veröffentlichung des ersten Entwurfs vom 11. Mai 1998 sieht sich der Minister einer immer stärker werdenden Front aus Unternehmen, Branchenverbänden, Datenschützern und mittlerweile sogar Abgeordneten der eigenen Regierungskoalition gegenüber. Wie massiv der Widerstand gegen die TKÜV tatsächlich ist, zeigte eine erneute Expertenanhörung des Unterausschusses "Neue Medien" am 5. Juli im Bundestag. Die Runde beschäftigte sich mit zwei Themen: einerseits dem Entwurf der TKÜV und zum anderen mit dem Beitritt zur europäischen "Cyber Crime Convention" (siehe oben). Schon die Verzahnung dieser beiden Komplexe, die nur unwesentlich miteinander zu tun haben, konnte nicht im Sinne der TKÜV-Befürworter sein. Nach Ansicht der geladenen Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft würde eine Umsetzung der Überwachungspläne unverhältnismäßig hohe Kosten ohne entsprechenden kriminalistischen Nutzen zur Folge haben.

Der Ausschussvorsitzende MdB Jörg Tauss (SPD) und mehrere Fraktionskollegen forderten nach der Anhörung einen vollständigen Rückzug des Entwurfs sowie ein Nein zum Cyber-Crime-Abkommen. Die Vertreter von Bundesinnenministerium und Bundesanwaltschaft zeigten sich dagegen von der wirtschaftlichen und insbesondere technischen Kritik nur mäßig beeindruckt. Entgegen einiger anders lautender Meldungen hat das BMWi den Entwurf bisher nicht offiziell zurückgenommen. Allerdings zeigte die parlamentarische Staatssekretärin des Ministeriums, Margarete Wolf, auf dem Linux-Tag in Stuttgart schon einige Distanz zu den Wunschvorstellungen der Strafverfolger. "Wir müssen uns hüten, das Internet aus verständlicher Abwehr gegen Kriminalität einer totalen Kontrolle zu unterwerfen", so die Grünen-Politikerin.

Einschränkungen für das Fernmeldegeheimnis

Grundsätzlich ist das Fernmeldegeheimnis im Grundgesetz verankert (Artikel 10 GG) und wird durch das TKG (Telekommunikationsgesetz) näher definiert. Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation (vor allem Sprachtelefonie, Faxe, E-Mails, SMS und so weiter) und ihre "näheren Umstände". Darunter fallen beispielsweise erfolglose Verbindungsversuche. Beschränkungen des Fernmeldegeheimnisses können nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes angeordnet werden.

Die gesetzlichen Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation sind formell ziemlich restriktiv ausgestaltet. Nach Vorlage einer richterlichen Anordnung muss jeder, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt dafür sorgen, dass die berechtigten Behörden Sprach- und Datenverkehr überwachen und aufzeichnen können. Diese richterliche Anordnung muss auf Vorschriften der Strafprozessordnung (##100a ff. STOP), dem so genannten "G-10"-Gesetz (Einschränkung des Artikels 10 im Grundgesetz) oder dem Außenwirtschaftsgesetz (##39 ff. AWG) beruhen, um beim Verdacht auf Straftaten ein Abhören respektive Aufzeichnen zu rechtfertigen. Gemäß ##88 TKG ist jeder Betreiber einer Telekommunikationsanlage verpflichtet, technische Einrichtungen für die Umsetzung derartiger Überwachungsmaßnahmen vorzuhalten. Eine Rechtsverordnung - nämlich die TKÜV - soll künftig die Umsetzung dieser Verpflichtung regeln.

Heftige Kritik von Providern und Internetwirtschaft

Die Mehrzahl der Kritiker stellt die grundsätzliche Überwachung der Telekommunikation zu Zwecken der Strafverfolgung nicht infrage. Diese bestand ja schon vor der Liberalisierung der TK-Märkte. Bei der geplanten neuen Regelung handelt es sich jedoch um eine massive quantitative und qualita-tive Ausweitung der Überwachungsverpflichtung für die betroffenen Unternehmen. Während früher die zuständigen Behörden selbst für die Überwachungstechnik sorgen mussten, sollen künftig die Unternehmen auf eigene Kosten die technisch und organisatorisch erforderlichen Maßnahmen treffen. Die geplante TKÜV weitet zusätzlich die Mitwirkungspflichten auf die Überwachung des Datenverkehrs inklusive entsprechender Speichereinrichtungen aus.

Das Entwurfspapier gerät vor allem aus verfassungsrechtlichen Gründen in die Kritik. Die Verordnung würde unverhältnismäßig stark in das Fernmeldegeheimnis und in die Berufsfreiheit der Anbieter eingreifen. Laut Verfassung muss ein Eingriff nämlich geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Viele Experten bezweifeln vor allem, ob die Internetüberwachung ein geeignetes Mittel darstellt. Eine Überwachung anhand der IP-Adressen ist problematisch, da diese zumindest bei Privatpersonen in der Regel dynamisch vergeben werden. Aber auch statische IPs lassen sich mit simplen und preiswerten Softwareprogrammen tarnen. Ähnliches gilt für die E-Mail-Überwachung. Der Nutzer legt einfach einen User-Account bei einem ausländischen Serviceprovider an, auf den sich deutsche Rechtsvorschriften nicht anwenden lassen. Eine vollständige Überwachung sämtlicher User-Accounts mit verschiedenen E-Mail-Adressen gilt nach Ansicht von Experten ohnehin als praktisch undurchführbar.

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wird von den Kritikern ebenfalls negativ beschieden. Die vorgesehene Internetüberwachung würde das verfassungsrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis unzähliger unbescholtener und unverdächtiger Personen verletzen. Laut amerikanischen Studien liegt das Verhältnis zwischen bewusst und unbewusst überwachten Personen schon bei der Sprachtelefonie bei 1:130. Eine Netzüberwachung in dieser Größenordnung wäre kaum zu rechtfertigen, da die Verbindungskontrolle nur eine Möglichkeit der strafrechtlichen Ermittlung ist. Verfassungsrechtlich gefordert ist aber der Eingriff durch das so genannte "mildeste" Mittel, um den angestrebten Erfolg zu verwirklichen.

Auch die Kosten, die durch die Überwachung entstehen, sind nach Ansicht der Experten unverhältnismäßig. Je nach Größe des Unternehmens prognostiziert man Aufwendungen im ein- bis dreistelligen Millionenbereich. Die Deutsche Telekom nennt sogar Summen in Milliardenhöhe. Daher stellt die geplante Verordnung einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Institut des "Übermaßverbots" dar. Eine Kostenbelastung in dieser Höhe wäre nicht nur unverhältnismäßig im Sinne von Artikel 12 GG, sie würde zudem viele Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Existenzfähigkeit treffen. Die in der Verordnungsbegründung aufgeführte Behauptung, die TKÜV würde zu einer Kostenreduzierung führen, wird von nahezu allen Wirtschaftsexperten ins Reich der Fabel verwiesen.

Zusätzlich wird massive Kritik an der handwerklichen Ausführung des geplanten Verordnungsentwurfs geübt. Besonders die Begriffsverwirrung missfiel den Gutachtern. Was im TKG als "Nutzer", "Endgerät" und "Nummer" bezeichnet wird, heißt im Entwurf der TKÜV plötzlich "Endnutzer", "Endeinrichtung" und "Kennung". Hier sind Missverständnissen und Fehlinterpretationen Tür und Tor geöffnet. Die Regelung von TK- und Tele- beziehungsweise Mediendiensten ist schon für Fachleute völlig unübersichtlich. Die TKÜV solle daher eindeutig klarstellen, dass sie sich nur auf Telekommunikation bezieht.

Ebenso unklar ist die Rechtssicherheit für nicht-öffentliche TK-Anlagenbetreiber. Unternehmen müssen nämlich laut Entwurf prüfen, ob die richterliche Überwachungsanordnung gesetzeskonform ist - eine absurde Regelung nach Ansicht von Fachleuten. Zum einen sind kleinere Firmen mit einer solchen Prüfung fachlich und personell völlig überfordert, zum anderen stellt sich sofort die Haftungsfrage, wenn sich ein Anbieter bei der Beurteilung irrt. (haf)