Qualität leidet unter Google und Online-Recherche

Journalisten kupfern immer mehr voneinander ab

24.06.2008
Die Qualität der journalistischen Online-Recherche steht in Frage. Zunehmend schreiben Journalisten gegenseitig ab, die Ursprungsquelle wird nicht überprüft. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Landesanstalt für Medien NRW (LfM).

Mit der breit angelegten Untersuchung wurde erstmals großflächig das Thema Online-Recherche in deutschen Zeitungs-, Fernseh-, Hörfunk- und Internetredaktionen unter die Lupe genommen. Über einen Zeitraum von knapp 2000 Stunden wurden 235 Journalisten beobachtet, zusätzlich erfolgten eine schriftliche Befragung von 601 Journalisten sowie die Teilnahme von 48 Journalisten an einem Experiment.

Laut der Studie gewinnt die Recherche im Internet für Journalisten zunehmend an Bedeutung. Insbesondere die Schnelligkeit der Informationsbeschaffung und die Vielfalt der Informationen bieten erhebliche Vorteile. Doch aus veränderten Rahmenbedingungen in Redaktionen erwachsen der Studie zufolge auch Risiken und Qualitätsmängel. Eine Überprüfung von Online-Quellen findet nur selten statt. Journalisten greifen außerdem bei ihrer Recherche im Netz vornehmlich auf andere journalistische Erzeugnisse zurück anstatt auf Primärquellen wie etwa Websites von Herstellern, politischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Einrichtungen.

Dieses Ergebnis können wir aus eigenen Beobachtungen bestätigen: Immer wieder tauchen im Internet Falschmeldungen auf, die rasend schnell dann auf den verschiedensten Websites auftauchen. Quellen werden dabei mit zunehmender Verbreitung kaum mehr genannt oder sind ebenfalls falsch. Mit etwas Mühe würde man aber schnell die Ursprungsmeldung recherchieren und den Inhalt verifizieren können. Ein gutes Beispiel hierfür ist, dass ein deutscher Intel-Chef im Mai 2008 auf einer Veranstaltung gesagt haben soll: „es wird ein iPhone mit Intels Atom-Chip geben“. Diese Meldung verbreitete sich schlagartig rund um die Welt in verschiedenen Sprachen. Selbst bei „Spiegel Online“ fand sich diese Meldung ursprünglich ohne Nennung der Ursprungsquelle wieder. Nachträglich wurde die News dann aktualisiert.

Man schreibt unter den Journalisten also sprichwörtlich voneinander ab. Prof. Dr. Marcel Machill von der Universität Leipzig, der die Studie "Journalistische Recherche im Internet" im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) geleitet hat, beobachtet in diesem Zusammenhang eine gesteigerte Selbstreferentialität im Journalismus: "Computergestützte Recherche macht es den Medienschaffenden noch einfacher, schnell nachzuschauen, was die Kollegen zu einem aktuellen Thema erarbeitet haben."

Google hat auch bei Journalisten eine Vormachtstellung

Das Telefon wurde besonders bei Online-Journalisten mit einem Anteil von 40,6 Prozent als wichtigstes Recherche-Mittel bereits abgelöst. Der Studie zufolge recherchieren die Onliner ihre Informationen zu 47 Prozent rein computergestützt - beispielsweise über E-Mails, Hersteller-Websites, Wikipedia oder Suchmaschinen.

Gerade bei der Ermittlung von Zusatzquellen sollen die Suchmaschinen im Internet zum Einsatz kommen, wie die LfM-Studie angibt. Und hier dominiert auch bei den Medienschaffenden eindeutig Google den Markt. Wer bei Google beispielsweise zu einem aktuellen journalistischen Thema als Experte unter den ersten zehn Treffern gelistet wird, hat größte Chancen, wiederum von Journalisten interviewt zu werden. Die Suchmaschine kanalisiert also auch bei den professionellen Kommunikatoren die Aufmerksamkeit. Unter den von Journalisten in der Studie angegebenen zehn primären Internet-Angeboten, die zur Recherche verwendet werden, befindet sich laut der LfM-Studie auch keine einzige Primärquelle.

Die in der Studie befragten Redakteure sehen die Dominanz des privaten Suchmaschinenanbieters Google überwiegend pragmatisch: Sie sind sich möglicher Probleme bewusst, greifen aber weiterhin auf die marktführenden Angebote zurück, statt alternativ in Eigeninitiative unabhängige Quellen zu recherchieren. Dafür werden hauptsächlich strukturelle Gründe wie personelle Engpässe und Zeitmangel im Redaktionsalltag verantwortlich gemacht.

Saubere Recherche überlebenswichtig für Verlage

"Unsere Pilotstudie Journalistische Recherche im Internet verweist auf einen prekären Sachverhalt", sagte LfM-Direktor Prof. Dr. Norbert Schneider. "Die Medienunternehmen müssen ein hohes Eigeninteresse daran haben, dass ihre Nachrichten sauber recherchiert sind - auch wenn sie auf Online-Recherche beruhen. Schließlich geht es hier um ein hohes Gut der Medien: nämlich ihre Glaubwürdigkeit, die man in der Regel nur einmal verlieren kann."

Schneider betonte mit Blick auf Journalisten und ihre Arbeitsweisen, dass selbstverständlich klassische journalistische Standards weiterhin eingehalten werden müssen. Er forderte Unternehmen auf, die dafür unverzichtbaren Arbeitsbedingungen auch vorzuhalten.

Bei den Online-Recherchen erreichen erfahrene Journalisten zudem durchweg qualitativ höherwertige Ergebnisse als junge Kollegen. Laut der Studie haben „alte Hasen“ gelernt, Informationen einzuordnen und auszuwerten. Es stimmt der LfM-Studie zufolge also nicht, dass die jungen Internet-affinen Kollegen die älteren Journalisten mit einer alles überragenden Suchmaschinen-Kompetenz ausstechen.

Die LfM-Studie formuliert vor diesem Hintergrund spezielle Handlungsempfehlungen, zum Beispiel das Berufsbild des Dokumentationsjournalisten zu fördern. Im anglo-amerikanischen Bereich sind die so genannten "fact-checkers" in vielen Redaktionen Standard. Bei der journalistischen Aus- und Fortbildung, so eine weitere Empfehlung der Studie, müsse Recherchekompetenz verstärkt in den Fokus gerückt werden.

Alle Ergebnisse der Studie finden Sie im pdf-Dokument Journalistische Recherche im Internet. (cvi)