Lieferengpässe und Preiserhöhungen

Japan und die Folgen für die IT-Branche

24.03.2011 von Heinrich Vaske
Japan liefert Schlüsseltechniken für die weltweite Produktion von Chips und Displays. Die Infrastruktur im Land ist nach Erdbeben und Tsunami stark beschädigt, die Situation angesichts des Atom-GAUs in Fukushima unklar. Was bedeutet das für die IT-Branche?

Während die Auswirkungen von Erdbeben und Tsunami in ihrer Dimension allmählich abschätzen lassen, ist noch nicht abzusehen, welches Ausmaß die nukleare Katastrophe im Land und über die Grenzen hinaus haben wird. Schlagzeilen machen in den Medien vor allem die Automobilhersteller, deren Fabriken teilweise vorübergehend stillstanden. Auch im Ausland gab es Produktionsengpässe durch fehlende Zulieferteile. Doch Japan ist auch im ITK-Bereich ein wichtiger Lieferant. Gemeinsam mit unseren Korrespondenten im weltweiten IDG-News-Netz haben wir eine Momentaufnahme erstellt.

Viele Fabriken wurden geschlossen

Aufgrund der Zerstörung durch Erdbeben und Tsunami und einer schwer beschädigten öffentlichen Infrastruktur einschließlich Straßen, Bahngleisen und Flughäfen, wurden in Japan viele Fabriken geschlossen. Die Folge sind Unterbrechungen in den Zulieferketten, wodurch auch von der Katastrophe nicht direkt betroffene Werke in Japan ihre Produktion drosseln oder einstellen mussten.

Außerhalb des Erdbebengebiets ist die durch den Ausfall der Atomkraftwerke um rund 27 Prozent eingeschränkte Stromversorgung ein zentrales Problem. Hintergrund ist, dass nicht nur die Kernkraftwerke, sondern auch einige Wasserkraftwerke und Wärmekraftanlagen betroffen sind, teilte die Tokyo Electric Power Company mit.

Unternehmen in Japan wurden aufgefordert, den Energiebedarf zu drosseln und beispielsweise bei der Beleuchtung oder dem Betrieb großflächiger Displays und Neonreklame zu sparen. Befürchtungen, dass japanische Fertigungsstätten die Weltmärkte nicht mehr beliefern könnten und eine Verknappung an Komponenten und Produkten zu erwarten sei, haben vor allem hier ihre Grundlage. Fujitsus Deutschland-Chef Rolf Schwirz sagte im Gespräch mit der Computerwoche, der Konzern sei weltweit so aufgestellt, dass viele Produktionsaufgaben in andere Werke, nicht zuletzt auch nach Augsburg, verlagert werden könnten.

Canon, Fujitsu, Hitachi, NEC, Sony

In vielen Konzernen wurden Teams für das Katastrophen-Management eingerichtet, bei Fujitsu beispielsweise sorgte President Masami Yamamoto im Headquarter persönlich dafür, die entstandenen Schäden zu ermitteln und den Betrieb weltweit aufrechtzuerhalten. Der Konzern musste sechs Werke schließen, vier davon im von der Nuklearkatastrophe betroffenen Bezirk Fukushima, zwei weitere in den Präfekturen Iwate und Miyagi.

Sony hatte direkt nach dem Erdbeben zunächst sieben Werke vorübergehend geschlossen. Auch das Sony Corporation Sendai Technology Center in Tagajyo, Miyagi, musste seine Arbeit einstellen. Weitere Produktionsstätten wurden leicht beschädigt, Mitarbeiter sind nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht zu Schaden gekommen. In einer Fabrik hatten Hunderte von Beschäftigten übernachtet, weil sie nicht nach Hause konnten oder ihre Häuser beschädigt waren. Sony will die Arbeit in fünf Fabriken bis Ende März ruhen lassen und zieht eine Verlagerung der Produktion ins Ausland in Betracht. Betroffen ist die Herstellung von Handys, Flachbildschirmen, Kameras und Mikrofonen sowie Sendetechnik.

Hitachi meldet Schäden an sechs Fertigungsstätten, insbesondere im Bezirk Ibaraki. Bei Canon sollen acht Werke beschädigt sein. Nikon hat ersten Informationen zufolge vier Fabriken vorübergehend geschlossen. Das Unternehmen teilt mit, dass eine nicht näher bezifferte Anzahl an Mitarbeitern zu Schaden gekommen sei. NEC musste zwei Werke schließen, weil Strom- und Wasserversorgung nicht funktionierten. Zahlreiche weitere Fabriken unterschiedlicher Elektronikkonzerne und deren Zulieferern sind ebenfalls betroffen.

Auch die Produktion des Handyhersteller Sony Ericsson ist beeinträchtigt, weil wichtige Zulieferbetriebe zerstört wurden.

Nicht nur japanische Hersteller betroffen

Bei HP konnte man die Folgen der Naturkatastrophe auf das eigene Geschäft selbst 11 Tage nach dem Erdbeben noch nicht vollständig abschätzen. Der weltweit größte Computerhersteller erhält unter anderem Teile für seine Laserdrucker aus Japan. Außerdem musste HP seine Niederlassung in Sendai schließen.

Nokia, die Nr. 1 im Handy-Markt, rechnet mit Lieferproblemen bei seinen Produkten, weil wichtige Komponenten und Rohstoffe aus Japan knapp werden.

Analysten orakeln, dass Apple nicht die benötigte Stückzahl des iPads produzieren kann, weil die dafür benötigten Bauteile aus Japan knapp werden.

Die Anlagen von Showa Denko wurden beschädigt. Das Unternehmen stellt 25 Prozent der weltweit vertriebenen Festplatten her, einen Teil davon in Japan. Showa Denko fertigt unter anderem für Western Digital und Seagate.

In Zusammenhang mit Adobe vermutet man zunächst keine Auswirkungen der Naturkatastrophe. Allerdings hat der Software-Hersteller seine Umsatzerwartung für das kommende Quartal gesenkt, weil Japan der zweitwichtigste Absatzmarkt sei. Der Halbleiterhersteller Texas Instruments teilte mit, dass seine beiden Fabriken in Japan erst wieder im Juli die volle Leistungsfähigkeit erreichen.

Komponenten und Chips

Die Preise für Elektronikchips, insbesondere für DRAM- und Nand-Flash-Speicher, sind seit der Katastrophe stark gestiegen. Dabei sind die Fertigungsstätten der großen japanischen Lieferanten von Erdbeben und Tsunami weitgehend verschont geblieben. Allerdings hat Toshiba Presseberichten zufolge seine Produktion von Mikroprozessoren und Bildsensoren in Iwate gestoppt. Der Konzern deckt rund ein Drittel des weltweiten Bedarfs an Nand-Chips.

Halbleiterfabriken brauchen eine kontinuierliche Stromversorgung, die aber durch die Abschaltungen im japanischen Elektrizitätsnetz gefährdet scheint. Werke nach einem Stromausfall wieder hochzufahren, kann mehrere Wochen dauern. Keine nennenswerten Auswirkungen soll es für Japans einzigen großen DRAM-Hersteller Elpida Memory gegeben haben. Das Unternehmen ist in Hiroshima ansässig, mehr als 500 Meilen entfernt vom Erdbebengebiet.

Grundsätzlich sind die meisten Chipfabriken in Japan weit abseits der Erdbebenregion zu finden. Große Risiken bestehen dennoch, da Japans Infrastruktur gelitten hat, die Energieversorgung in den nächsten Wochen beeinträchtigt sein dürfte und die Folgen des Atom-GAUs noch nicht absehbar sind. Analysten erwarten - auch psychologisch motiviert - Preissteigerungen, da die Halbleiterindustrie zu einem Gutteil von japanischen Lieferanten abhängig sei.

Der Preis für Nand-Flash-Bausteine stige in kurzer Zeit um mehr als 20 Prozent. Japan bedient 40 Prozent des weltweiten Bedarfs an solchen Chips. Stärker noch als die NAND- und DRAM-Speicherhersteller sind einige der weltweit größten Anbieter von Schlüsselkomponenten für die Chipproduktion, insbesondere Silizium-Wafer, von der Katastrophe betroffen.

Silizium-Wafer

Japanische Unternehmen stillen derzeit 72 Prozent des weltweiten Bedarfs an den Silizium-Scheiben, teilen die Banker der Credit Suisse mit. Die Sumco Corp., deren Marktanteil im 300-Millimeter-Wafer-Markt bei 35 Prozent liegt, musste ihre Produktion ebenso unterbrechen wie Shin-Etsu Chemical (30 Prozent Marktanteil). Beide betreiben Produktionsstätten ganz in der Nähe des Katastrophengebiets.

Sumco erklärte, nach einem Sicherheitsscheck werde die Produktion hoffentlich wieder anlaufen können, Menschenleben seien nicht bedroht gewesen. Bei Shin-Etsu hieß es, die Fabriken in Annaka, Kamisu und Nishigo Village hätten ihre Produktion einstellen müssen, das Produktionsequipment an zwei Standorten sei beschädigt worden. Es sei noch unklar, wann und in welchem Ausmaß wieder produziert werden könne, zumal Unterbrechungen in der Stromversorgung wahrscheinlich blieben.

Chipgiganten wie Taiwan Semiconductor (TSMC) und Samsung Electronics sehen angeblich keine mittelfristigen Probleme aufgrund der Schäden in den japanischen Wafer-Werken. Zum einen seien ausreichende Lagerbestände vorhanden, zum anderen könnten Distributoren mit ihren Beständen im Notfall aushelfen. Laut Credit Suisse entstehen jedoch ernsthafte Probleme, sollten sich die Ausfälle länger als ein bis zwei Monate hinziehen.

Display-Komponenten werden teurer

Große Hersteller von Displays fürchten um die Versorgung mit Materialien und Komponenten aus Japan. Die Folge könnten Preissteigerungen bei PCs und mobilen Endgeräten sowie Versorgungsengpässe sein. Das Erdbeben hat vor allem die Anbieter Hitachi Chemical und Sony Chemical erwischt, die zusammen 80 bis 90 Prozent der Produkte herstellen, mit denen Glas-Displays gebunden beziehungsweise gehärtet werden, bilanziert Sebastian Ho, Analyst bei Yuanta Investment Consulting in Taipeh.

Hersteller wie AU Optronics, Chi Mei Innolux, LG Electronics und Samsung Electronics - zusammen stehen sie für 85 Prozent der weltweiten Produktion von Displays - können demnach ungefähr 40 Tage von ihren Lagerbeständen zehren. Danach werde es zu Engpässen kommen, wenn die beiden japanischen Lieferanten nicht liefern könnten. Die Folge seien Preissteigerungen, die an die Konsumenten weitergegeben werden dürften. Auch der Markt für LCD-Screens dürfte betroffen sein, da hier ebenfalls wichtige Komponenten aus japanischen Fabriken kommen, die unter mehr oder weniger starkem Einfluss der Naturkatastrophe stehen.

Beschädigte Unterseekabel

Der Schaden an den Unterseekabeln in Japan ist größer als zunächst erwartet. Das westliche und das nördliche Segment des transpazifischen Netzwerks "Passific Crossing", "PC-1 W" und "PC-1 N" sind außer Betrieb, während das östliche und das südliche Segment funktionieren. Pacific Crossing, eine Tochtergesellschaft des japanischen Carriers NTT, verbindet mit dem 21.000 Kilometer langen Glasfaserring die amerikanische Westküste mit zwei japanischen Ostküsteregionen - ein davon in der Nähe des Erdbebenzentrums Sendai.

Außerdem berichtet der Carrier PacNet von Ausfällen, die Teile des Netzwerks East Asia Crossing betreffen. Korea Telecom hat ebenfalls Schäden an einem Segment seines Kabelnetzes zwischen Japan und den USA ausgemacht. Auch der taiwanische Carrier Chungwa Telecom sowie China Unicom berichten von Schäden, ohne dass allerdings die Kommunikation unterbrochen worden sei.

Insgesamt treffen 20 Unterseekabel an Japans Küsten, darunter transpazifische und rein asiatische Netze. Größere Probleme traten nur in der Erdbebenregion nördlich von Tokio auf, insbesondere bei den Stationen Ajigaura und Kitaibaraki. Da es für die Netze mehrere Lande-Stationen insbesondere auch südlich von Tokio gibt, konnte die Kommunikation jederzeit aufrechterhalten werden - wenngleich die Geschwindigkeit der Internet-Verbindungen in einigen Regionen gelitten hat. (mec)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche.